Die historisch belegte Geschichte der Karmelitinnen aus Compiègne während der Zeit der Terreur-Herrschaft in Frankreich ist harter Tobak. Als Feindinnen der neuen republikanischen Ordnung angesehen, zu nahe und eng verbunden mit der verhassten Adelsherrschaft, fanden 16 von ihnen an einem Tag im Jahr 1794 hintereinander den Tod durch die Guillotine. Eine in jüngster Zeit errichtete Gedenkstätte im Karmel von Jonquières, einem Nachbardorf von Compiègne, sowie die dramatische Bearbeitung durch Georges Bernanos nach der Novelle „Die letzte am Schafott“ von Gertrud le Fort aus dem Jahr 1931.
Ein dramatisches Echo aus der Vergangenheit: Die Karmelitinnen von Compiègne
Francis Poulenc gelangen mit seiner Oper „Dialogues des Carmélites“ – für die er sowohl das Libretto als auch die Musik schuf – die bisher wohl nachhaltigsten Erinnerungsmomente an dieses Ereignis. Ausgestattet mit einer Reihe an Wohlklängen, prägt sich das Klangbild des Werkes letztlich jedoch durch seine scharfen Bläser- und Percussion-Einschnitte nachhaltig ins musikalische Gedächtnis ein.
An der Staatsoper in Wien erlebte 1959 das Werk drei Jahre nach seiner Entstehung seine österreichische Erstaufführung. Im Gegensatz zur neuen Inszenierung dieses Jahres wurde damals in deutscher Sprache gesungen. Die Aufführung setzt sowohl musikalisch als auch von der Inszenierung her außerordentliche künstlerische Maßstäbe. Denn mit Bertrand de Billy am Dirigentenpult, der als Poulenc-Spezialisten bezeichnet wird und Magdalena Fuchsberger, welche die Regie übernommen hat, fand ein künstlerisches Duo zusammen, welches dem Publikum ein hochemotionales, musikalisch beeindruckendes und zugleich bestens inszeniertes Opernerlebnis bescherte.
Vom lyrischen Zauber zum brutalen Realismus: Das Orchester der Wiener Staatsoper
Das Orchester der Wiener Staatsoper unterstützte die lyrischen Passagen der Sängerinnen mit intimer Noblesse, in keinem Moment verkitscht. Jene Stellen hingegen, in welchen die Tragik des Sterbens in verschiedenen Varianten beleuchtet wird, erklangen derart wuchtig und brutal, dass man sich einer tiefen Betroffenheit nicht erwehren konnte.
Monika Biegler erdachte eine offene, architektonische Holzkonstruktion auf der sich häufig im Uhrzeigersinn drehenden Bühne, in der alle unterschiedlichen Räume der Szenen zum Teil gleichzeitig zu sehen waren. Spartanisch, aber höchst raffiniert, hinterließ diese nicht nur den Eindruck von sich parallel entwickelnden Geschehen, sondern auch von einem Setting, in welchem trotz aller Parallelität dennoch alles mit allem verwoben ist. Aron Kitzig steuerte mit Videoprojektionen über der Szenerie eine zusätzliche, künstlerische Ebene bei. In ihr waren zum großen Teil christlich konnotierte Bildausschnitte zu erkennen, die stilistisch zwischen Barock und dem 20. Jahrhundert wechselten, ohne jedoch direkt zugeordnet werden zu können. Die Figurenführung von Magdalena Fuchsberger arbeitete deutlich die verschiedenen Charaktere der Frauen heraus, die sich den Ordensregeln ihres Karmels untergeordnet hatten. Von Beginn an visualisierte die Regisseurin die multiplen Ängste von Blanche, die ihre Familie für das Kloster verlässt. Schwarze Gestalten mit angsteinflößenden Masken, tierisch gehörnt oder beschnäbelt, begleiten jene Szenen, in welchen sich sowohl Albträume widerspiegeln als auch ein Sterben ankündigt wird, das von Grauen begleitet ist. Dass diese unheilverkündenden Todesboten in der allerletzten Szene während der Tötung der Karmelitinnen nicht mehr auftauchen, versinnbildlicht ihren Mut, sich für ihre Glauben zu opfern und die zuvor beständige Angst vor dem Tod hinter sich gelassen zu haben.
Die mutigen Karmelitinnen und ihr grauenhafter Weg zur Erlösung
Die Besetzung von Blanche (Nicole Car), der sterbenden alten Äbtissin Madame de Croissy (Michaela Schuster), Mère Marie (Eve-Maud Hubeaux), Madame Lidoine (Maria Motolygina) und Constance (Maria Nazarova) darf als idealtypisch bezeichnet werden. Stimmlich bestens disponiert, war es mehr als nur eine Freude, ja ein Abenteuer, ihre Soli zu verfolgen und damit zugleich auch ihre jeweiligen Gedankengänge und Emotionen nachzuvollziehen. Der Gegensatz von Michaela Schuster, welche mit hohem theatralischem Einsatz den Todeskampf der alten Äbtissin verdeutlichte und Maria Motolygina, als ihrer Nachfolgerin, wurde beeindruckend vorgeführt. Während die eine die Ordensgemeinschaft mit ihren aufkommenden Gotteszweifeln in Aufruhr versetzte, gelang es der anderen mit ihrer berückend schön vorgetragenen Arie, mit der sie ihr neues Amt übernahm, wieder Ruhe und Zuversicht bei den Klosterinsassinnen herzustellen. Blanche, die ihren Vater (Michael Kraus) und ihren Bruder (Bernard Richter zu Recht vom Publikum intensiv akklamiert) verlassen hatte und Constanze, die ihr schon bald ihr gemeinsames Schicksal vorhersagte, waren nicht nur von Poulenc mit unterschiedlichen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten differenziert ausgestattet worden. Groß gewachsen und den geistigen Aufgaben sichtlich mit Eifer zugewandt, präsentierte sich die Adelstochter Blanche. Zart, klein, ein wenig naiv und quirlig hingegen ihre lebenslustige Freundin Constanze. Mère Marie hingegen wurde als ultraorthodoxe Klosterschwester präsentiert, der es mit Strenge und Hochmut gelang, ihre Mitschwestern auf den gemeinsamen Märtyrertod einzuschwören. Einen Tod, der von ihr jedoch auch zu verhindern gewesen wäre.
In einer packenden Szene, die vor der Guillotinierung spielt und einen plausiblen, psychologischen Gedankengang der Regisseurin wiedergab, erlebt Mère Marie eine Sinneswandlung. Ohne Worte vor dem geschlossenen Vorhang stehend, wird ihr Körper wie von unsichtbarer Hand während der derben Orchesterklänge des letzten Zwischenspiels eine Zeitlang durchgepeitscht. Schließlich gewinnt aber – deutlich erkennbar – ihr Überlebenswille, gepaart mit einem unbändigen Stolz die Oberhand. Sie und der Beichtvater (Thomas Ebenstein) sind die einzigen Überlebenden der Ordensgemeinschaft und, so darf zwischen den Zeilen gelesen werden: Es wird ihnen nicht schwerfallen, sich in der komplett veränderten französischen Gesellschaft nach der Revolution zurechtfinden. Ein subtiler Hinweis darauf ist auch die in der letzten Szene veränderte Drehrichtung der Bühne nach links. So wie der Adel abgeschafft wurde – der Knabe Johannes Gries mimt den kindlichen Ludwig XII – wurde auch versucht, die christliche Religion zu eliminieren. Diesem Gewaltakt räumte Poulenc musikalisch großen Raum ein, begleitet nicht nur von klanglichen Einfällen, sondern auch von einer Geräuschkulisse, in welcher die Gewalt der Kloster- und Religionszerstörung hörbar wird. Dem „Salve Regina“, das den letzten Gang zum Schafott der Nonnen begleitet, wurde auch in den Kostümen ein starker Ausdruck verliehen. Die goldenen Diademe, welche die Frauen auf ihren Köpfen trugen, legten Zeugnis von ihrer göttlichen Idee ab, der sie sich bis zuletzt verpflichtet fühlten.
Mère Marie: Eine Frau zwischen Orthodoxy und Überlebenswille
So wie die schwarzen, bedrohlichen Geistgestalten am Ende verschwunden sind, ist auch jene Figur nicht mehr zu sehen, welche Blanche von Beginn an begleitete. Die Tänzerin Stepura verkörperte weiß gewandet eine Imagination und personifizierte Projektion jener Freiheit, die Blanche so inniglich ersehnte, aber erst kurz vor ihrem Lebensende tatsächlich erlangte. Ausgestattet mit einem geflügelten Helm, einem Bihänder und einem metallisch-ritterlich ausstaffierten Armschutz begleitete sie die junge Frau mit einer minimalistischen, jedoch ausdrucksstarken Choreografie auf ihrem Weg von der Angst zur größtmöglichen inneren Freiheit. (Kostüme von Valentin Köhler).
Mit den „Dialogues des Carmélites“ gelang eine erkenntnishafte Darbietung, in der man auch wichtige Impulse zur weiteren Beschäftigung mit diesem Thema finden konnte. Poulenc bewies mit dieser Oper, dass er in der Mitte des 20. Jahrhunderts auch abseits der 12-Tonmusik und anderen seriellen Formen imstande war, künstlerisch Hochwertiges zu produzieren. Es ist zu hoffen, dass die Oper in kommenden Spielzeiten wieder aufgenommen wird.