Es kann aber auch alles ganz anders kommen
Von Michaela Preiner
„Der Winter tut den Fischen gut“ (Foto: Anna Stöcker)
Insgesamt 12 Auszeichnungen sind auf Ihrer Homepage angeführt. Die letzten, 2017 erhalten, sind das Robert-Musil-Stipendium sowie die Auszeichnung zum Outstanding Artist Award, der vom Bundeskanzleramt für „herausragende Leistungen an Künstlerinnen und Künstler der jüngeren und mittleren Generation“ vergeben wird
A nna Weidenholzer, 1984 in Linz geboren, erhielt mit einem Erzählband und zwei Romanen höchstes Lob in der Literaturszene. Stefan Kister von der Stuttgarter Zeitung brachte ihren USP gekonnt auf den Punkt: „Aus der Unvollkommenheit des Lebens macht Weidenholzer vollkommene, kleine Romane.“ Und Margit Mezgolich mit ihrem Team einen vollkommenen Theaterabend, möchte man hinzufügen.
Die Regisseurin, bislang an größeren und kleineren Häusern mit Regiearbeiten verpflichtet, begibt sich mit dem von ihr und Petra Strasser vor Kurzem gegründeten Theater IG Fokus auf neu zu erkundendes Terrain. Weidenholzers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“, wartete bei Mezgolich schon seit einiger Zeit auf eine Dramatisierung. „Mit dieser Idee an ein Theater zu gehen, wäre mir komisch vorgekommen“, erklärte Mezgolich in einem Vorab-Gespräch. Und so machte sie sich auf die Suche nach einem Ort, an dem sie das Stück in intimem Rahmen, ganz nah am Publikum aufführen konnte. Dem schon gängigen Begriff eines Pop-up-Stores fügten Mezgolich und Strasser damit den eines Pop-up-Theaters hinzu. Schnell da, schnell wieder weg.
Gefunden wurde ein Geschäft einige Schritte abseits der Hütteldorferstraße. „Hier wurde einmal Parkett verkauft. Das sieht man noch an dem gut erhaltenen Boden.“ Bis aber der imaginäre Vorhang hochgezogen werden konnte, musste einiges an Renovierungsarbeiten vorgenommen werden. Am Premierenabend jedoch wies das ehemalige Verkaufslokal einen heimeligen Vintage-Charme auf. (Ausstattung Agnes Hamvas) Blass-grünlich-graue Tapeten wie aus den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts, passend dazu eine Stehlampe, ein niedriges Sideboard sowie eine Psyche, auf deren zusammengeklappten Spiegel jede Menge Post-its klebten, auf welchen kurze Sätze festgehalten waren. „Auf Wiedersehen und ein schönes Wochenende, auch Ihren Tieren“, stand auf einem. Das ist ein Satz, den Weidenholzer ganz unprätentiös in ihrem Roman verwendet und der plötzlich im Verlauf des Geschehens, wie eine Sternschnuppe erkennbar, wiederauftaucht.
„Der Winter tut den Fischen gut“ (Foto: Anna Stöcker)
Und tatsächlich ist es die einfache und zugleich so kunstvolle Sprache, die es Mezgolich angetan hat. „Der Winter tut den Fischen gut“, eine beiläufige Aussage der Hauptprotagonistin Maria, der zum Titel des Romans auserkoren wurde, oder „Der Strohhalm in der Limonade trieb auf und ab“, sind weitere Beispiele für Weidenholzers feines Sprachgefühl, das mit diesen Aussagen auch in der Dramatisierung fühlbar wird. Maria Beerenberger, 47 Jahre alt, dargestellt von Petra Strasser sowie Elisabeth Veit, erinnert sich im Krebsgang an ihr eigenes Leben. Nach 25-jähriger Tätigkeit in einem Textilgeschäft, gestrandet in Arbeitslosigkeit, hat sie nicht nur Angst vor den Arbeitsamtsbesuchen, die für sie mehr als demütigend sind. Sie lässt auch einen Brief ungeöffnet, der ihr entweder eine erneute Job-Absage oder einen Neubeginn als Verkäuferin in einer Boutique verkündet. Mit diesem Setting beginnt der intime Abend, an dem das Publikum so manchen Platzwechsel vornehmen darf, um das Geschehen auch aus einer anderen, als der freiwillig eingenommenen, zu betrachten.
John F. Kutil glänzt neben den zwei Frauen in den unterschiedlichsten männlichen aber auch weiblichen Rollen: Als Walter, einem mittelmäßigen Elvis-Imitator, der einst Marias Herz eroberte, als Boutiquebesitzer Willert, der, von seinem Sohn angestiftet, seine längst gediente Verkäuferin entlässt und ihr dabei kaum in die Augen schauen kann, als Marias Vater, der mit einer traurigen Botschaft nach Hause kommt, aber auch als Martha, einer Arbeitskollegin von Maria, zu der im Laufe des Fortschreitens ihrer Arbeitslosigkeit schließlich der Kontakt abreißt.
Elisabeth Veit schlüpft zu Beginn in die Rolle einer Erzählerin, dann in die der AMS-Betreuerin, aber auch in jene der neuen, mit herbem Charme ausgestatteten Nachbarin Miliza, die Maria in einer wunderbar humorigen Szene aus dem Kaffeesud liest – mit dem abschließenden Hinweis: Es kann aber auch ganz anders kommen! Schließlich mutiert sie zur jungen bis kindlichen Maria selbst. Diese gut durchdachten Rollentauschaktionen, auch in den sich ähnelnden Kostümen (Katharina Kappert) von Beginn an subtil angedeutet, spinnen den Handlungsfaden nachvollziehbar bis in Marias Kindheit zurück, wobei sich auch der anfangs eher kühle Raum nach und nach in eine warm ausgestattete Boutique verwandelt. Mit dieser sukzessiven Raumveränderung gelingt Mezgolich eine optische Metapher, in der die stetige Abnahme von Träumen, Sozialkontakten, Liebe und Geborgenheit im Laufe des Lebens von Maria sichtbar wird.
Es sind keine großen Ereignisse, bis auf Marias Kündigung und den Tod ihres Ehemannes, welche den Abend so berührend machen. Vielmehr sind es beinahe unscheinbare Vorkommnisse, wie der Tod ihres einzigen Haustieres – einem jungen Frosch, den sie in ihrem Kühlschrank in den Winterschlaf versetzen will, oder das fluchtartige Verlassen eines misslungenen Showautrittes ihres Mannes in einem Bierzelt – welche dem Leben der Hauptprotagonistin einen Wermutstropfen nach dem anderen beisteuern. An diesen Vorkommnissen wird erkennbar, dass der Weg zu einem Rosenregen-erwünschte Leben, das Hildegard Knef in einem ihrer berühmtesten Lieder besang, mehrfach erzwungene Abzweigungen nahm, die schließlich in eine graue Sackgasse am Rande der Depression führte.
„Der Winter tut den Fischen gut“ (Fotos: Anna Stöcker)
Dass Mezgolich dem Schluss noch einen Nach-Schluss hinzufügt, der einen neuen Twist ins Geschehen bringt, ist von der Autorin zwar nicht intendiert, im theatralen Geschehen jedoch höchst effektvoll. Bekleidung und Taschen von insgesamt 11 Modelabels, welche zur Ausstattung des Geschehens beitragen, können vom Publikum tatsächlich vor Ort gekauft werden, wobei dabei die Frage, ob sich der Traum einer neuen Arbeitsstelle in einer schicken Boutique nun für Maria erfüllte oder nicht, trotz allen Realitätsbezuges offenbleibt.
Mit dem Stück „Der Winter tut den Fischen gut“ in der Bearbeitung und Regie von Margit Mezgolich präsentiert sich nicht nur ein überaus professionelles, lebendiges und sympathisches Ensemble in einer ungewohnten Umgebung. Damit wird auch deutlich, dass sich mit Kreativität und einer riesigen Portion Theateridealismus eine Produktion auf die Beine stellen lässt, die auch in kleinstem Rahmen mit einer maximalen Zuschauerzahl von 25 Personen, eine tolle Qualität aufweist.
Zusätzliche Informationen
Unsere Empfehlung: Aufgrund des geringen Platzangebotes rasch Karten reservieren! 0664-977-9795 oder ig-fokus@gmx.at
Die zu erwerbenden Bekleidungsstücke und Taschen stammen von den Labels: ab.ag, Frl Else Vintage, Ich hab mein Turnsackerl vergessen, Lieblingsrock, Nomi, ROEE, SWOKI, TRAGweite, v.i.c., violettasays, XO-urban jewelery
Hinweis: Da die Räumlichkeiten über die Dauer der Produktion hinaus angemietet werden mussten, vermietet das Theater IG-Fokus diese gerne für kurze Zwischennutzungen an andere Gruppen der freien Szene in den kommenden Monaten unter.
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