Der Traum als Erfahrung, Vision und Erkenntnis
08. Mai 2018
In diesem Gespräch erzählt er über seine Idee, den Sommernachtstraum nachzuträumen, aber er spricht auch über den Einfluss von Martin Schläpfer und den Grund seiner Auszeit in der kommenden Saison.
Michaela Preiner
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Jörg Weinhöl (Foto: Werner Kmetitsch)

Der Choreograf und Tänzer Jörg Weinöhl legt mit Ende dieser Saison sein Amt als Ballettdirektor der Grazer Oper zurück. Er ist in Stuttgart groß geworden und hat dort bei einem Gastspiel des Hamburger Balletts John Neumeiers „Sommernachtstraum“ kennengelernt. Neumeiers Sommernachtstraum-Interpretation, die der damalige Leiter des Hamburger Balletts an der Hamburger Staatsoper schuf, ist Weinöhl, wie er sagte „tief innerlich bewusst geblieben“.

In diesem Gespräch erzählt er über seine Idee, den Sommernachtstraum nachzuträumen, aber er spricht auch über den Einfluss von Martin Schläpfer und den Grund seiner Auszeit in der kommenden Saison.

Warum haben Sie sich den Sommernachtstraum als letzte Arbeit an der Oper Graz ausgesucht?

Es war mein expliziter Vorschlag, schon als wir in der Planungsphase für das Haus steckten. Ich wollte den Sommernachtstraum nur in einer Zeit machen, in der das Publikum in eine laue Sommernacht entlassen werden kann. Die Arbeit von John Neumeier war eine Initialzündung für mich. Dort wird aber die Geschichte komplett linear erzählt, deswegen war mir klar, dass wir einen anderen Zugang dazu finden mussten.

Möchten Sie das Publikum ganz und gar verzaubern, oder hat die Grundlage für den Abend, Shakespeares Text, für Sie vielleicht sogar zeitgenössische Komponenten?

Das große Thema der Arbeit ist das Träumen und die Frage: Wie wäre es, wenn wir den Sommernachtstraum nochmal nachträumen? Der Aspekt des Träumens ist zwar essentiell, aber die Frage, dass Träumen in ganz andere Bereiche gehen kann, ist darin ebenso wichtig. Im Stück gibt es ja keine fließenden, sondern abrupte Übergänge. Diese Qualität, übergangslos in andere Bilder zu gehen, die reizt mich sehr. Vor allem sind die Figuren nicht in einem großen Weltenganzen aufgehoben, sondern sie sind auf der Suche nach sich. Und hier spielt ein anderes, wichtiges Thema für meine Arbeit eine Rolle: Die Natur. Alle Beteiligten gehen ja in den Wald und machen dort Erfahrungen, nach welchen sie nicht mehr einfach so zurückgehen können. Die Protagonisten werden ganz stark von den Erfahrungen im Wald beeinflusst.

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Bárbara Flora (Titania), Simon van Heddegem (Oberon) Foto:© Leszek Januszewski

Das heißt, sie werden in ihrer Fassung von den Träumen nachhaltig beeinflusst. Sprechen Sie von einem großen Traum, oder von vielen, einzelnen Träumen?

Es ist ein großer Traum, den wir nachträumen wollen. Shakespeare hat dafür ja eine kongeniale Sprache geschaffen. Das andere ist die unglaublich faszinierende Musik von Mendelssohn. Als ich in der Vorbereitung über der Partitur saß, dache ich immer: Das ist wirklich ein Genie gewesen! Ich bekomme regelmäßig Gänsehaut, auch bei den Bühnenproben, wenn das Notturno gespielt wird.  Mendelsohns Musik muss man auch einen Atem geben, denn jede Komposition steht da für eine eigene Welt. An dem Abend geht es auch darum, wie man diese musikalischen Aussagen verbinden kann und was eigentlich in den Zwischenräumen passiert. Ich habe ganz bewusst noch andere Musik hinzugefügt.

Welche?

Das Lied „Die Götter Griechenlands“ von Franz Schubert, den 2. Satz aus dem Klavierkonzert von Mozart Nr. 23. und von Brahms den fünfstimmigen A-Capella-Chor „Die Waldesnacht“. Der ist für mich wie ein Destillat dessen, was die Figuren im Wald erlebt haben. Und dann „Tous les mêmes“ des belgischen Sängers Stromae und „Immer wieder geht die Sonne auf“ von Udo Jürgens. Diese Dramaturgie der Musik gibt dem Mendelssohn noch mal die Möglichkeit, ganz anders in seiner Kraft zu strahlen.

Der Traum wird ja zunehmend aus unserer heutigen Gesellschaft verbannt. Wenn man sagt: „Du bist ein Träumer“, so hat das schon einen negativen Beigeschmack. Auf der anderen Seite hat seit Freud die Traumdeutung einen ganz zentralen Platz in der Psychoanalyse. Sie sprechen aber von einer Wandlung im Traum. Von etwas, aus dem man anders herauskommt, als man hineinging. Steht der Traum in Ihrer Interpretation vielleicht auch für etwas Anderes?

Ja, ich glaube, das sind so etwas wie Erkenntnismomente. Wenn ich in der Traumdeutung oder der Psychoanalyse über einen Traum gesprochen habe, so waren das immer Erkenntnisse. Ich würde Traum als Erfahrung, aber auch als Vision bezeichnen. Auch ich brauche meine Träume und Visionen, sonst würde es nicht zu so einem Abend kommen. Ein anderer Aspekt ist auch das Spielen, das kindliche Spielen. Für die Kinder ist der Rasen plötzlich das große, weite Meer, oder der Baum eine Palme. Diese Kraft gilt es auch für uns erwachsene Menschen wieder wachzurufen. Mendelssohn, der die Ouvertüre mit 16 geschrieben hat, hatte sicher auch Träume und ging einen eigenen Weg. Bei dieser künstlerischen Aufgabe ging es auch um die Frage: Wie begegnen wir diesen Werken? Nachspielen im Schauspiel ist etwas anderes, weil die Sprache anders zur Geltung kommt. Auch deswegen geht es mir nicht um die lineare Erzählung, sondern um das Thema des Traums.

Im Lauf der Arbeit hat sich für mich auch klar herauskristallisiert, dass der Abend auch einen Untertitel haben muss. Der heißt jetzt: „Sommernacht, geträumt. Ein Tanzspiel frei nach Motiven von William Shakespeares Sommernachtstraum“.

Inwiefern dirigiert Shakespeares Sprache auch Ihre Choreografie? Die Musik von Mendelsohn ist ja nicht mit Sprache unterlegt. Fließt Shakespears Diktum dennoch in die Arbeit ein?

Erstens gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen dem Text und der Choreografie: Das ist die große Präzision, die große Genauigkeit. Es gibt an diesem Abend keine beliebige Bewegung. Jede Bewegung hat einen Sinn. Nicht in der Form, dass sie vom Publikum rückübersetzt werden muss, aber dass die Tänzer genau wissen, was sie machen und tanzen. Das zieht sich allgemein durch meine Arbeit. Es gibt kleine, humorvolle Stellen wie im Tanz der Elfen. Die kommen einmal zur Bühnenrampe vor und verziehen dann den Mund und machen sich in gewisser Weise über den Gesang lustig. Gleichzeitig geht es ja um die Wortlautbildung. Das ist ganz wichtig. Das andere ist die Arbeit mit den Protagonisten, bei der mit wenigen Bewegungen die jeweilige Figur charakterisiert werden soll. Dafür muss man den Shakespeare genau lesen und studieren und dann aber auch alles loslassen und schauen, was bleibt, um daraus dann die Bewegungen zu entwickeln, gemeinsam mit der Musik.

Ich habe zum ersten Mal mit der Dramaturgin Yvonne Gebauer zusammengearbeitet und mit ihr eine Partnerin gefunden, mit der ich ganz genau jede kleine Situation angeschaut habe. Das hat mich ganz stark in dieser Arbeit beeinflusst und unterstützt.

Die Udo Jürgens-Melodie steht an jener Stelle, an der alle den Wald wieder verlassen. Das ist ein Erkenntnismoment, aus der sich die Frage entwickelt: Wie geht man aus so einer Nacht eigentlich hervor? Wie geht man in etwas weiter von dem man weiß, dass man in das, was es vorher war, nicht mehr zurückgehen kann? Auch in die Konvention und Form, die es gab.

Würden Sie diese, Ihre letzte Produktion in diesem Haus als Ihren choreografischen Höhepunkt bezeichnen?

Ich habe im „Sommernachtstraum, geträumt“ viel, viel freier gearbeitet und mir liegt diese Arbeit tatsächlich ganz stark am Herzen. Nach „Meine Seele hört im Sehen“ dachte ich: Da ist mir jetzt etwas gelungen! Zugleich aber musste ich mich auch fragen, Wie mach ich das jetzt im Sommernachtstraum? Es ist eine schöne Arbeit mit dem Anspruch von mir, dem Publikum etwas Schönes als letztes Geschenk zu geben.

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Chris Wang, Marina Schmied, Fabio Toraldo, Kana Imagawa, Daniel Myers, Astrid Julen © Laurent Ziegler

Wie würden Sie denn in aller Kürze Ihren eigenen, choreografischen Stil bezeichnen? Wenn Sie dafür in einem Lift nur die kurze Zeit einer Fahrt zwischen einigen Stockwerken zur Verfügung hätten?

Ich würde erzählen, dass Musik und die Stille eine wesentliche Grundlage meiner Arbeit ist und dass ich gemeinsam mit den Tanzkünstlerinnen und -künstlern die Bewegungen aus den Gesten des Alltags entwickle. Und zwar so, dass dann irgendwann die Gesten völlig verschwinden, aber eine Grundlage bilden. Und dann würde ich sagen, dass das jeweilige Thema, um das ich kreise, wesentlich ist.

Sie haben ja auch eine prägende Zeit mit Martin Schläpfer erlebt. Was war denn der wichtigste Impetus, den Sie von ihm mitbekommen haben?

Das eine ist das Vertrauen, das er mir in unserer Zusammenarbeit in der Entwicklung der tänzerischen Rollen geschenkt hat. Das andere aber auch die große Fürsorge und die Gewissenhaftigkeit, die man braucht, um für die Tanzkunst zu arbeiten, die er vermittelt hat. Ich glaube, dass ich von Null auf Hundert hier in die Position gehen konnte, Ballettdirektor zu werden – ich hatte ja vorher nur immer eine Garderobe und niemals ein Büro – hat sehr viel damit zu tun, dass ich die Arbeit von Martin unbewusst sehr genau beobachtet habe und mit ihm drei Neuanfänge erleben konnte. In Bern, in Mainz und in Düsseldorf. Das eine ist sein künstlerisches Arbeiten, aber das andere sind die Rahmenbedingungen, die er schafft und für die Tänzerinnen und Tänzer gesorgt hat.

Es gibt bei mir viele Situationen, in denen ich mir still denke: Ja genau Martin, das hast du mir gezeigt! Ich weiß, du hast es so gemacht, aber wie entscheide ich mich jetzt? Was noch dazukommt ist sein unermüdliches Schaffen, das mich beeinflusst hat . Wenn ein Tag hier am Haus 12 Stunden hat, dann gehe ich zwar müde, aber erfüllt nach Hause.

Wo geht denn Ihre weitere Reise hin?

In die Schweiz. Dadurch, dass ich mich relativ spät entschlossen habe, hier nicht mehr zu bleiben, gehe ich in ein Jahr, in dem ich eine Pause habe, um in Ruhe drüber nachzudenken, was alles gelungen ist, was alles war und wie ich gerne weiterarbeiten möchte. Es gibt derzeit noch keine künstlerischen Projekte und keine Perspektive, wie es weitergehen könnte. Ich muss sagen, dass mich die Arbeit als Ballettdirektor sehr erfüllt. Da gibt es keinen Bereich, von dem ich sagen könnte: Den möchte ich nicht machen. Ich finde es eine tolle Aufgabe. Es ist hier am Haus ja auch alles gut organisiert. Ich bin gerne Ballettdirektor und habe das Gefühl, dass wir hier in Graz etwas geschaffen haben, das vom Publikum bewusst wahrgenommen und geschätzt wird.

Was erwarten Sie sich von Ihrer bewusst gewählten Auszeit?

Ich erwarte mir von der Auszeit, dass etwas Neues kommen kann. Was immer dieses Neue auch ist. Wenn man so tief in den Abläufen des Alltages drin ist, kann das Neue nicht entstehen. Wenn ich etwas wirklich üben, lernen und vorbereiten möchte, sollte es in dieser Berufung weitergehen, dann: Wie kann ich mir im täglichen Geschäft Momente schaffen, in denen ich neue Inspirationen bekommen kann. Ich glaube, dass das eine Technik ist. Als Tänzer war es für mich kein Problem, wenn ich in der Kreativphase war, woanders hinzufahren und mir Stücke anzuschauen. Aber wenn ich als Ballettdirektor an einem Stück arbeite, kann ich das nicht mehr. Dann wird sogar eine Opernpremiere hier im Haus zur Qual, weil dann der Kopf die ganze Zeit woanders ist und ich mich fast schäme, weil ich nicht richtig in der Aufführung drin sitze. Ich möchte in der Auszeit auch verstehen, was alles gelungen ist und wo und wie es weitergehen könnte.