Unter der Leitung von John Nelson kam seit 20 Jahren das erste Mal wieder der Messias von Georg Friedrich Händel in Straßburg zur Aufführung. Das OPS, das Philharmonische Orchester Straßburg, bereitete gemeinsam mit dem ungefähr 100köpfigen Chor unter der Leitung von Catherine Bolzinger dem Publikum ein Konzert, das nichts an Brillanz, Perfektion aber auch Innigkeit missen ließ.
Der amerikanische Gastdirigent, der, auch aufgrund der Zusammenarbeit mit „Soli Deo Gloria“, auf Aufführungen sakraler Musik spezialisiert ist, erarbeitete mit einem schlanken Barockensemble – gleichsam einer Spezialauskoppellung des OPS – das bekannteste sakrale Werk des Barockkomponisten. Dabei stand nicht nur historische Klangtreue, sondern vor allem Ausdrucksstärke im Vordergrund der Darbietung. Gemeinsam mit den Solisten, der Sopranistin Laura Mitchell, dem Countertenor Lawrence Zazzo, dem Tenor Rainer Trost und dem Bassisten Andrew Foster-Williams gelang es den Instrumentalisten und dem Chor, die Lebensgeschichte Jesu in berührender Art und Weise musikalisch zu erzählen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Agierten nicht nur die Solisten, sondern auch der Chor extrem aussprachestark. Gerade die englische Sprache bedeutet für viele französische Ensembles eine riesige Herausforderung, nicht jedoch für den Chor des Philharmonischen Orchesters. Kein Wort, keine Silbe klang unverständlich oder mit einem französischen Akzent versehen, was eine intensive Probenarbeit erahnen lässt. Aber nicht nur die Aussprache war tadellos. Vor allem die feinfühlige, musikalische Interpretation, die sich eng an die Textstellen anschmiegte, ließ den Messias in neuer Manier erklingen. Wie in der barocken Praxis üblich, wurden wichtige Worte besonders hervorgehoben – gleichsam wie mit einem musikalischen Zeigefinger versehen. Den Höhepunkt dieser Kunst lieferte dabei Andrew Foster-Williams, der ohne jegliche Atemgrenzen die Unsterblichkeit also „immortality“ in einer nicht enden wollenden musikalischen Phrase an- und abschwellen ließ, sodass man aus dem Staunen und Bewundern nicht mehr herauskam. In derselben Arie kam auch Jean-Christophe Mentzers Trompete zum Einsatz. Er agierte, wie seine Kolleginnen und Kollegen nicht mit Brachialgewalt, sondern extrem differenziert in Rhythmik und Dynamik, ließ seine Echos gedämpft erklingen und begleitete Foster-Williams mit seinem Instrument in der Art einer zweiten Singstimme. Die vier Solostimmen waren in ihrer schlanken und zugleich raumfüllenden Ausformung wunderschön aufeinander abgestimmt. Fast schien es, als ob sich Chor und Gesangssolisten in einem wunderbaren Wettstreit befanden. John Nelson vermittelte dem Orchester aufs Beste, sich nur dort im Rampenlicht aufzuhalten, wo es keine begleitende Aufgabe zu übernehmen hatte. Wunderbar schrummten die Bässe und Celli, wenn sie als Unterstützung der Singstimmen agierten – nie hart und lieblos, sondern singend und wiegend. Schlank und ohne Pathos, aber zugleich dennoch ausdrucksstark und überzeugend, so kann am besten der Klang der Orchesterstimmen beschrieben werden. John Nelson agierte als Dirigent, der jede einzelne Silbe den Sängern auf seinen Lippen mit anzeigte und durch effektvolle Gesten die Musikerinnen und Musiker unterstützte. Das Publikum, das am 18. Dezember zur Aufführung gekommen war, erhielt zum Dank für seine enthusiastische Akklamation als Zugabe noch einmal das stimmgewaltige „Halleluja“, dieses Mal auch noch von den Solostimmen zusätzlich unterstützt. Hätte John Nelson die Partitur anschließend nicht vom Pult genommen, hätte der Applaus kein Ende gefunden.
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch