18.30 Uhr das Handy klingelt. „Es wird bei mir ein bißl später. Geht es um acht? Ich muss noch was ernten.“ Mit „es“ ist das vereinbarte Interview gemeint, das Johann Reisinger mir geben möchte. Und acht markiert nicht einen Frühstückstermin, sondern den Zeitpunkt kurz vor dem Hauptfilm in den meisten Fernsehsendern. „Klar geht es auch um acht“ ist meine Antwort. Ich bin ja schon froh, dass Johann Reisinger mir sehr kurzfristig eine Zusage für unser Treffen gemacht hat. Reisinger, seines Zeichens der erste Haubenkoch, der in Österreich mit dieser Auszeichnung von Michelin geehrt wurde und Tausendsassa im biologisch-kulinarischen Schlaraffenland, hat einen vollgespickten Terminkalender. Das wird sich an diesem Abend noch mehrfach zeigen.
Reisinger und Palme – die Pioniere des Anbaus von alten Gemüsesorten
Die Schönbrunner Seminare feierten vor Kurzem ihr 15jähriges Bestehen. Sie waren der Anlass für das Gespräch. Denn: Schönbrunn klingt gut, Haubenkoch und altes Gemüse auch. Was aber genau hinter diesem Label steckt, wollte ich im direkten Gespräch erfahren. Wer meint, in Schönbrunn findet man einen langweiligen Seminarraum mit einem Beamer und Menschen, die sich verstohlen nach einer Dreiviertelstunde das Gähnen unterdrücken, der irrt gewaltig. Vielmehr sind die Schönbrunner Seminare alles andere als Lehrstunden, in welchen trockene Inhalte vermittelt werden. Da wird gerochen und gekostet, geschmeckt und verglichen, kurz: Gegessen und getrunken. Wolfgang Palme ist Leiter der Abteilung Gemüseanbau der Gartenbauschule Schönbrunn. Der einzigen Gartenbauschule, in der man auch maturieren kann. In Reisinger fand er vor 15 Jahren einen genialen Partner, der über ein großes Netzwerk in die Gastronomie, aber auch in die Lebensmittelindustrie verfügt. Beiden gemein ist das Unterrichten. Reisinger arbeitet neben seinen Aktivitäten rund um die Vermittlung von gesund produziertem Essen als Lehrer an den Hertha-Firnberg-Schulen in Wien. Dort setzt er seinen Schülerinnen und Schülern das kleine Pflänzchen Begeisterung ein, ohne welches das Kochhandwerk nicht zu erlernen ist. Und er ist wie Palme selbst leidenschaftlicher Produzent von Gemüse. Auch auf einem eigenen Acker im steirischen Feldbach, den er mit Frau und Sohn kultiviert.
Wir treffen uns in einem ehrwürdigen Café am Schwarzenbergplatz. Kommen beide gleichzeitig an. Reisinger direkt vom Ernten, ich vom Büro. Doch bevor ich meinen großen Fragenkatalog auspacke, geht es um so etwas Triviales wie die Bestellung beim Ober. Was bestellt ein Haubenkoch in einem Wiener Caféhaus abends um acht? Eine Mehlspeise, einen kleinen Imbiss? Eingedenk seiner Aktivitäten entschließe ich mich persönlich für einen Kräutertee. Das kann nur Sympathien wecken. „Einen Verlängerten, bitte“ ordert mein Gesprächspartner ohne nachzudenken. Damit habe ich nicht gerechnet. Mein erstes Aha-Erlebnis bei diesem Gespräch. Auch ein Haubenkoch ist nur ein Mensch, der ab und zu auch Lust auf etwas Ungesundes hat.
Unser Treffen soll ein wenig Licht in die nicht alltägliche Passion von Reisinger bringen. Eine Passion, die anfänglich rundum belächelt wurde. Der Anbau von alten Gemüsesorten stieß zu Beginn auf völliges Unverständnis. „Begonnen haben wir bei Null. Sogar im eigenen Hause wurden wir belächelt“ gibt der Vielfaltsverfechter offen zu. „Als wir mit den alten Gemüsesorten begannen, haben die Spitzenköche die Lieferanten damit weggeschickt. Sie wollten nichts verwenden, was ihre Kunden nicht kannten. Alles musste „harmonisch“ schmecken. Bittere Geschmackskomponenten zum Beispiel waren überhaupt nicht erwünscht.“ Heute jedoch findet der drahtige Mann, dem man nicht ansieht, dass er Koch ist, damit überall offene Türen. Nein, das stimmt nicht ganz. Ihm werden heute seine Türen förmlich eingerannt. Ich muss wohl diesen Vergleich bemühen, um deutlich zu machen, wie groß das Interesse und die Nachfrage nach Reisingers Wissen ist. „Die Verantwortlichen in der Gastronomie haben in den letzten Jahren gelernt, dass sich die Küche der einzelnen Häuser voneinander unterscheiden muss. Heute sind sie froh, wenn sie etwas Neues angeboten bekommen. Aber das war ein langer Prozess.“
Die Schönbrunner Seminare
Auf meine Frage, was denn nun die Schönbrunner Seminare eigentlich sind, antwortet er druckreif. Wie auch auf alle anderen Fragen dieses Abends. Man merkt, der Mann ist Kommunikationsprofi – und das, weil er von dem, was wer macht, durch und durch beseelt ist.
„In den Schönbrunner Seminaren präsentieren wir jedes Jahr eine andere Gemüsegruppe. Es nehmen daran ca. 80 Leute teil, die in zwei Seminardurchgängen Platz finden. Die Nachfrage ist aber so groß, dass wir viel mehr Seminare machen könnten, wenn die Zeit dafür reichen würde“.
Der Kostenbeitrag pro Person beträgt 60 Euro und inkludiert neben der Verkostung der einzelnen Rohgemüse auch ein ganzes Menü. „Eigentlich müssten wir für die Seminarteilnahme 1.450 Euro pro Person verrechnen. So viel kostet es, bis so ein aufwändiges Seminar wirklich steht. Eineinhalb Jahre Vorlauf benötigen wir dazu. Aber wir machen es nicht, um damit Geld zu verdienen. Wir betreiben das aus Hobby, Idealismus und aus Verrücktheit.“ Reisingers und Palmes Idee, den Geschmack von so vielen Gemüsesorten wie möglich wieder auf die Teller unserer Küchen zu bringen, ist ihre Hauptmotivation. Und der Erfolg, den die beiden mit ihrer Arbeit bisher erlebten, zeigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind. „Es gibt keinen Tag, an welchem wir nicht bestätigt werden, wir stehen eigentlich jeden Tag auf dem Siegerpodest“ minimiert Reisinger seine „Verrücktheit“. Und damit meint er das Interesse nach den gesunden Gemüsen, das sich in den letzten Jahren auf den Handel, auf die Gastronomie und auf die Lebensmittelproduzenten ausgedehnt hat. „Bei den Seminaren in Schönbrunn sitzt alles, was Rang und Namen hat, an einem Tisch. Die Bio-Pioniere Sigi Lassnig und Walter Scharler, aber auch Heinz Reitbauer vom Steirereck und Leute von Rewe. Nicht zu vergessen Sigi Knasmüller, der Krebsforscher – alle kommen sie zu uns.“ Und das, weil das Angebot ein ganz Unglaubliches ist.
„Es gibt zwischen 80 und 120 Sorten Gemüse z.B. Salate, Gurken, Fisolen, Nachtschattengewächse, Kohlgewächse usw. Bisher haben wir jedes Jahr einer bestimmten Gemüsegruppe gewidmet. Heuer zeigten wir anlässlich des Jubiläums ein „best of“ von je 8 bis 12 Gemüsen.“ Und dann spricht der ausgewiesene Fachmann der alten Sorten darüber, wie die Maturaklassen der HBLFA Schönbrunn das Projekt begleiten. Von der Dokumentation der Aussaat, des Ertrags und der Witterung bis hin zur Ernte.
Pflanzensamen und Flugzeugnieten haben etwas gemeinsam
„In den letzten Jahrzehnten gingen zwei Drittel der Samenvielfalt verloren. Das passierte aufgrund von Modernisierungen im Anbau und des Aufkommens der Großkonzerne, die ja Gemüsesorten wünschen, die einen guten Ertrag und eine lange Lagerfähigkeit aufweisen. Dabei verloren wir in den letzten 60-80 Jahren einen Großteil der Sorten und erhielten unser heutiges Plastikgemüse. Gurken und Tomaten, die nach nichts schmecken.“ Wie recht Johann Reisinger hat! Wo sind die Zeiten, in welchen der Biss in eine Paradeis mit einem vollmundigen Gaumenkitzel belohnt wurde? Meine Enkeltochter kennt nur mehr wässrige Tomaten. Und kommt es doch zu jenem Ausnahmefall, bei dem man mit einem wunderbaren Geschmackserlebnis belohnt wird, dann möchte man den Tag am liebsten rot im Kalender anstreichen.
Jetzt habe ich schon mein zweites Aha-Erlebnis des Abends hinter mir. Zwei Drittel von einem Ganzen zu verlieren, das ist auch für Nichtmathematiker eine beeindruckende Größe. Vor allem, wenn man nachdenkt, was das wirklich bedeutet. Selbst Nicht-Gemüseessern müsste es kalt über den Rücken laufen, wenn sie sich über die Folgen der Entwicklung im Klaren wären. Weltweit gibt es rund 400.000 verschiedene Blühpflanzen. Das ist so viel, wie in einem durchschnittlichen Flugzeug an Nieten verbaut ist. Der Vergleich hinkt? Nicht, wenn man sich vorstellt, was passiert, wenn sich Dreiviertel der Nieten nach und nach verabschieden. Ein nietenloses Flugzeug stürzt ab der Niete X, die keiner wirklich vorherbestimmen kann, ab. Ein Ökosystem bricht nach der Xten verlorenen Spezies, die ebenfalls nicht berechnet werden kann, einfach zusammen. Eine der Auswirkungen: Das großflächige Bienensterben in den USA, dem Land, in dem die Monokulturen sich über hektargroße Felder erstrecken, ist nicht nur eine Folge des intensiven Pestizideinsatzes, sondern auch dem Verlust der Artenvielfalt geschuldet. So betrachtet betreiben Reisinger und Palme noch viel mehr als nur eine kulinarische Anreicherung unseres Speiseplanes. Der „Koch“ – wie Reisinger seinen Beruf selbst angibt – erklärt anschaulich, wie so eine Artenvielfalt anhand der Zwiebel aussieht. „Es gibt so viele unterschiedliche Arten mit unterschiedlichen Geschmäckern. Bitter, scharf, fruchtig, süß und mild kann so eine Zwiebel schmecken. Wir können bei einem Seminar 80 Sorten anbieten, die dokumentiert sind, die gruppiert und verkostet werden. Bei der Verkostung geht es darum, am Gaumen die Sensorik des jeweiligen Gemüses wahrzunehmen. Jeder Mensch hat ein unterschiedlich ausgebildetes Geschmacksempfinden. Jeder definiert „bitter“ anders. Viele sagen Rettiche und Rüben würden furchtbar schmecken, aber es gibt Sorten, die schmecken richtig gut. Wir bieten bei den Seminaren einen neuen Zugang, um eben diese Vorurteile abzubauen und Hürden zu überwinden. Bittere Gemüse können fantastisch schmecken“.
„Egal, was man macht, wenn man das lebt, was man gern tut, dann ist das immer ein Erfolg.“
Rohes und Gekochtes als geschmackliches Anschauungsmaterial
Aber es bleibt nicht bei der Rohverkostung. Das wäre zu einfach. Was bis hier mit Wolfgang Palme für ein Seminar gemeinsam projektiert wurde, geht ab nun in Johann Reisingers alleinigen Kompetenzbereich über. Denn er kreiert 8 bis 10 Gänge pro Gemüse. Wobei bei ihm die Devise gilt „weniger ist mehr“. „Aus den süß-fruchtigen Zwiebeln habe ich ein Zwiebelsorbet kreiert. Kleine, bittere Sorten habe ich in eine fruchtige Marinade mit Thymian und Rosmarin eingelegt. Dann gibt es wieder Zwiebeln, die wie Zuckermais schmecken. Mir ist es wichtig, dass beim Gemüse die Garzeiten kurz gehalten werden. Dadurch kommt die „Essenz“ des jeweiligen Gemüses richtig zur Geltung und diese ist wie eine Botschaft. Der Eigengeschmack des Lebensmittels soll nicht verändert werden. Zuviel Salz eliminiert die feinen Geschmacksnuancen. Ich koche meist so, dass ich erst zum Schluss salze.“ Gut, dass der Abend schon fortgeschritten ist und ich ein kleines Abendessen hinter mir habe. Sonst hätte ich spätestens an dieser Stelle zur Speisekarte greifen müssen.
Erfahrungen aus der großen Welt der gesunden Küche
Wenn der Geschmacksprofi einmal in Fahrt ist, dann sprudeln die Informationen aus ihm nur so heraus. Er erzählt von seiner Arbeit in Zusammenhang mit Slow Food. Jener Bewegung, der er seit 1987 angehört. Er berichtet über deren Dachorganisation Terra Madre, die alle zwei Jahre in Italien einen großen Kongress veranstaltet. Das letzte Mal war dieser im Turiner Olympiastadion. Da ging es um die Fragen der Bienen und Lachse, des Mais, des Weizens, der Urgetreide und was man unternehmen kann, um die Artenvielfalt erhalten zu können. Dort treffen sich sowohl Produzenten als auch Köche, aber auch die sogenannten „Hauptakteure“ wie Vertreter von Großkonzernen, Spitälern oder Verantwortliche für die Kantinen von Jugendeinrichtungen, Schulen usw. Und dann informiert der umtriebige Wissensvermittler noch über die Arche Kommission in Österreich. „Wir beschäftigen uns dort mit aussterbenden Lebensmitteln und Tierrassen und die Erhaltung derselben. Es gibt zum Beispiel eine Melanzanisorte, die kann roh wie ein Apfel gegessen werden. Das ist ein Produkt, das absolut schützenswert ist. Wir kümmern uns um Produkte aus einer bestimmten Region. Um diese zu erhalten, gibt es die sogenannten Presidi – das sind Initiativen, die mit Slow Food International gemeinsam betrieben werden, um diese Lebensmittel zu erhalten und letztlich auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern vorzustellen.“
Der Mensch hinter dem Wissen
Nach so viel geballtem Fachwissen interessiert mich jetzt aber der Mensch Johann Reisinger. Sein Lebenswerk und wie er zu dem geworden ist, was er heute ist. Als Koch – so kann man seiner Biographie entnehmen – war er ein „Unsteter“. Offenbar immer auf der Suche nach etwas Neuem. „Als Kind war es nicht klar, dass ich Koch werden wollte, aber den Zugang zur Natur, den habe ich schon damals gehabt. Aufgewachsen bin ich als Bauernbub in der Natur pur. Bei uns gab es ein Kräuterweiberl. Ich kann mich gut erinnern, wenn ich blutete, legte sie ein Blatt auf, und die Blutung hörte auf. Der gesundheitliche und der magische Aspekt der Planzen hat mich von da weg fasziniert. So kam ich zum Kochen, aus Interesse an den Produkten. Ich habe dann später in meinem Beruf alles erreicht, was man erreichen kann. Arbeitete in großen Häusern in mehreren Ländern und hatte auch mein eigenes Lokal. Für mich gab es irgendwann nichts Neues mehr. Anstatt nur zu kochen habe ich den Weg der Vermittlung meines Wissens gewählt. Ob in der Schule oder in den vielen Seminaren die ich gebe. Seit Langem schon will ich zurück zu gesunden Dingen. Tees machen, Kräutertinkturen und Salben produzieren, das macht mir einen großen Spaß. Dabei ruft man auch das Ursprüngliche ab. Und ich bin einer, der immer alles hinterfragen muss. Der nichts nimmt, wie es ist, weil es immer schon so war. Der Kochlöffel zum Beispiel. Der ist für mich ein völlig falsch konzipiertes Werkzeug. Er hat eine so kleine Auflagefläche und wenn man in einem Topf umrührt, dann möchte man ja auch gleichzeitig, dass am Boden nichts anbrennt. Da bräuchte man viel eher einen Spatel, mit dem man zugleich schaben kann.“
Diese Denkweise ist es wohl, die Reisingers Berufsweg geprägt hat. „Als ich in Vorarlberg mein eigenes Restaurant betrieb, war es für mich selbstverständlich, dass ich täglich am See die frischen Fische holte und schon bald auch meine eigenen Gemüselieferanten hatte. Es ist wichtig, im Einklang mit der Natur nicht gegen sie zu arbeiten, sie nicht zu zerstören, sondern zu fördern. Dabei entsteht auch eine Energie, die man auch schmeckt, wenn alles in Symbiose lebt. Und das Netzwerken war auch schon immer meins. Tradition und Kulturelles war für mich schon immer wichtig. Das Kulturelle, die Menschen, das soziale Gefüge gehört dazu. Ein Koch ist für mich ein Künstler, weil er etwas vollendet, was da ist. Alles was uns umgibt, lebt, auch die Pflanzen. Oft werden Gemüse und Pflanzen missachtet. Mein Acker, den ich mit meiner Frau und meinem Sohn bepflanze, sieht aus wie ein Dschungel. Es gibt darin so viele unterschiedliche Gemüsesorten. Dazwischen wuchert das Unkraut wie das Franzosenkraut oder die Vogelmiere und wilder Borretsch. Die Vielfalt wird dadurch immer größer. Am besten ist es, nichts zu machen, sondern die Pflanzen selber machen zu lassen. Dann vermehren sie sich auch von selbst und sind resistent gegen Pilze und Fäulnis. Alles muss sich aber erst einmal anpassen und akklimatisieren, das geht nicht von heute auf morgen.“
Jetzt ist es an der Zeit, eine brandaktuelle Frage zu stellen. „Was halten Sie von der veganen Bewegung?“
„Ich finde, diese Entwicklung ist eine Krankheit der modernen Gesellschaft. Wenn man sich dagegen stellt, dass Tiere in irgendeiner Art und Weise mit den Lebensmitteln, die man isst, in Verbindung stehen, dann dürfte man auch kein Obst und Gemüse essen. Denn ohne die Organismen, die auch Lebewesen sind und die im Boden oder der Luft oder wo immer auch verantwortlich für das Wachstum sind, würde nichts gedeihen. Ohne Bienen, also ohne tierisches Leben, gäbe es keine Pflanzen. Wenn ich wirklich vegan leben wollte, müsste ich mich komplett isolieren. Dann blieben zum Essen eigentlich nur die Selbstbefruchter übrig. Mein Credo hingegen ist: Von allem etwas und das in Balance. Man braucht nicht immer Fleisch. Ich liebe einen guten Speck oder ein feines Schweineschmalz, aber ich brauche es nicht. Die Ernährungswissenschaft hat bewiesen, dass Fette für den Körper notwendig sind. Es kommt aber immer auf die Ausgewogenheit an, mit der man sich ernährt.“ Ein klares Statement von einem, der die Vielfalt in jeder Hinsicht zu seinem Lebensmotto erhoben hat. Mit Einschränkungen kann der Kreativkoch nicht gut leben.
Der Anbau von Biogemüsen und alten Sorten hat aber auch seine Grenzen. Das zeigt mir der im Gespräch leicht nachdenklich Gewordene auch auf. „Wir geben zwar Seminare auch für Abnehmer wie Rewe, allerdings haben wir bei der Erzeugungsmenge ein Problem. Man muss feststellen, dass man für die Masse auf großen Anbauflächen nicht gesund produzieren kann. Man muss in einer Vielfalt anbauen, um das Immunsystem der Pflanzen zu stärken. Dabei ist der Boden ausschlaggebend.“ Aber Reisinger wäre nicht Reisinger, würde sein Kopf hier nicht auch ständig nach Lösungen suchen. „Es gibt viele kleinere Organisationen in Österreich, die Gemüse liefern. Oder aber man macht „city gardening“ auf den Dächern, am Balkon, in der Wohnung. Man braucht dazu nicht viel. Eine gute Paradeispflanze gibt den ganzen Sommer über Paradeiser. Ich hatte ein Exemplar, das hat gezählte 1200 Cocktailparadeiser erzeugt. Es gab einen Wettbewerb, da haben die Hobbyproduzenten genau dokumentiert, was sie geerntet haben. Daran haben einige Tausend Personen teilgenommen. Daraus entstand dann das „City-Farming in Schönbrunn.“ Wobei wir wieder bei unserem Gesprächsbeginn angekommen wären.
Zukunftswünsche gibt`s auch noch
Zum Abschluss möchte ich noch wissen, welche Projekte ihn noch reizen würden. Und überraschenderweise beginnt mein Gesprächspartner die Ausführungen über seine Zukunftspläne mit etwas Vergangenem. „Vor Kurzem war ich in Davos und habe auf 1700 Meter im Freien gekocht. Das Seminar hieß „Koch am Feuer“. Dabei haben wir Brot gebacken, Gemüse im Ganzen geschmort. Und das alles in einem Lehmbackofen und in einem Ziegelofen. Dort war ein ganz spezielles, internationales Publikum. Im November und im Dezember habe ich einen ähnlichen Kinderkochkurs im Freien in der Steiermark vor. „Kochen und Backen am offenen Feuer“. Ganz puristisch also. Wahrscheinlich werden wir auch Lebkuchen am Feuer zubereiten. Es soll nichts Spektakuläres sein, einfach nur ohne High-tech auskommen. Und was ich auch noch möchte, ist eine Plattform schaffen, bei der es den Jungen möglich wird, eine ganzheitliche Ausbildung zu bekommen. Eine Ausbildung, in der sich der Koch mit dem Gärtner austauscht. Ein guter Koch muss mit einem Fuß in der Landwirtschaft stehen. Er muss nicht an einem Tag 20 Gerichte anbieten. Drei bis fünf sind das Optimum. Das will ich an meine Schülerinnen und Schüler weitergeben, denn das ist meine Überzeugung.“ Und als ob es noch eines würdigen Abschlusssatzes und eines Resümees bedurft hätte fügt Johann Reisinger nahtlos hinzu: „Egal, was man macht, wenn man das lebt, was man gern tut, dann ist das immer ein Erfolg.“
Ein wirklich toller Bericht!
Nebenbei gibt es Johann Reisingers Gaumenküche auch als eines seiner „Side-Projects“ in seiner Heimat hier zu erleben: https://pur.herrenhof.net