Der große Traum vom kleinen Glück

Der große Traum vom kleinen Glück

Michaela Preiner

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28.

April 2012

Joris Camelin und Rémy Héritier, Philipp und Stefan Lirsch, Wolfgang Prinz und Michel Gholam - die Aufzählung ist unvollständig, aber sie zeigt, dass die Kombination von 2 tanzenden Männern auf der Bühne eine derzeit beliebte Zusammensetzung ist. Michael O’Connor und Brandon Gonzales steuern nun ein neues Kapitel mit dem Titel „A general theory of love“ in der männlichen 2er Besetzung…

A General Theory of Love im WUK (Foto: WUK)

Welche Regeln, welche Mechanismen, welche Übereinkünfte bestimmten gleichgeschlechtliche Beziehungen? Man möchte meinen, dass sich diese Fragen schon lange erübrigt haben, aber tatsächlich ist die simple Antwort im gesellschaftlichen Mainstream noch nicht angekommen.

Joris Camelin und Rémy Héritier, Philipp und Stefan Lirsch, Wolfgang Prinz und Michel Gholam – die Aufzählung ist unvollständig, aber sie zeigt, dass die Kombination von 2 tanzenden Männern auf der Bühne eine derzeit beliebte Zusammensetzung ist. Michael O’Connor und Brandon Gonzales steuern nun ein neues Kapitel mit dem Titel „A general theory of love“ in der männlichen 2er Besetzung des zeitgenössischen Tanzes bei. Im WUK in Wien ergänzte die stimmgewaltige Inertia deWitt ihren Auftritt, welche die Aussage des Stückes der beiden Tänzer, die ansonsten über weite Strecken ohne Musik auskamen, mit 2 Liebesliedern akustisch unterstrich. Ein akustisch eingespielter Text über die Schönheit einer Rose, gesprochen Richard Feynman, dem Nobelpreisträger aus dem Jahre 1965, ließ mehrere Assoziationsebenen offen. Darin beschreibt der Quantenphysiker, dass sich aufgrund seines Wissens um die Wunder und die Herrlichkeit der zugrundeliegenden physikalischen Phänomene der molekularen, atomaren und subatomaren Prozesse in dieser Pflanze sein Erlebnis ob deren Duft und die Schönheit außerordentlich intensivierte. Im Stück der Amerikaner hätte dies auch mit Saint-Exupérys Gedanken zur Liebe einer Rose ergänzt werden können, denn die Idee, dass Liebe gehegt und gepflegt werden muss, und nur dort gedeiht, wo man auch mit dem Herzen gut sehen kann, diese Idee zog sich wie ein roter Faden durch das Geschehen. Obwohl Michael O`Connor mit dieser Inszenierung versuchte, sich auf die Spur der aktuellen Erkenntnisse der Neurowissenschaften zu machen die Liebe als etwas beschreibt, das erlernbar ist, bestand der Abend keineswegs aus theoretischen Erklärungen, sondern ganz im Gegenteil, er war randvoll mit Emotionen.

Beginnend mit einfachen, selbstständigen Bewegungsmustern, die Bühne umrundend und sich dabei anfänglich nur kurz streifend, verändert sich die Körperarbeit der beiden bis hin zu akrobatischen Einlagen, bei welchen sie sich gegenseitig in aberwitzigen Kombinationen tragen. Ob auf den Rücken, quer über den Bauch, zwischen den Beinen – immer klammert sich einer der beiden an den anderen, geht eine körperliche Symbiose mit dem anderen ein, so dass es den Anschein hat, als seien die beiden Körper untrennbar miteinander verschmolzen. Erinnerungen an die Zeiten aller anfänglichen Liebesbeziehungen tauchen beim Betrachten dieser Sequenz auf, Erinnerungen an jene Zeiten, in denen es einem lieb gewesen wäre, den Partnerkontakt 24 Stunden am Tag genießen zu können. Mit einer groovigen Nummer, in der Inertia deWitt die Unmöglichkeit der Liebe mit unter die Haut gehender Stimmgewalt veranschaulicht, ändert sich auch das Szenario. Gleichmäßig im Takt agieren nun beide Männer nebeneinander synchron – bis hin zur schier endlosen Repetition – die, wie wir alle wissen, in Beziehungen meist kontraproduktiv wirkt. Und unmerklich geschieht es – das Auseinanderdriften der beiden, das Sich-Wieder-Verselbständigen bis hin zu kleinen Rangeleien, die am Schluss dieser Szene stehen. Durch harte Lichtwechsel, die einzelnen Abschnitte immer wieder voneinander trennen, gibt O`Connor dem Publikum die Möglichkeit, sich auf Neues einzustellen. Was langsam begann, ist nun offensichtlich. Schmerzensgebärden und Zusammenbrüche machen deutlich, dass die Beziehung an ihr Ende gelangt ist. Um wenige Momente später in der schönsten und berührendsten Phase des Abends, wieder auf eine positive Ebene gehoben zu werden. Brandon Gonzales setzt sich dafür an den Flügel und intoniert eine kleine, ganz einfache Elegie, zu der sein Partner wieder zum Leben erwacht und dazu zu tanzen beginnt. Das Verzeihen und das Geben von dem, was der andere sich am sehnlichsten wünscht und braucht – diese selbstlose Geste wird hier durch das Spiel am Klavier ausgedrückt. Nicht mehr der körperliche Austausch und die körperliche Symbiose stehen nun im Mittelpunkt des Geschehens. Vielmehr ist es die Erkenntnis und die Unterstützung der Bedürfnisse des Partners, die wieder heil machen, was schon verloren schien.

Wer es bis dahin noch nicht wusste – für den dürfte die Eingangsfrage beantwortet worden sein. Es sind dieselben Regeln, Mechanismen und Übereinkünfte, die gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Beziehungen zusammenhalten oder auseinanderbrechen lassen und dafür verantwortlich sind, ob der große Traum vom kleinen Glück ein Traum bleibt – oder Realität wird.
Ein anspruchsvoller Tanzabend, der es verdient hätte, vor mehr Publikum aufgeführt zu werden.

A General Theory of Love Trailer from Mike O’Connor on Vimeo.

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