"Der große Marsch" (Georg Soulek/Burgtheater)
„Wir machen hier zeitgenössisches Theater und Sie singen Arien von der Netrebko unter der Dusche!“ Die junge, blonde Moderatorin (Eva Maria Schindele) der schrillen Theatershow „Der große Marsch“ von Wolfram Lotz ist sicht- und hörbar außer sich. Josef Ackermann, ausgestattet mit einem breiten Geldscheingürtel, (Kristóf Gellén), ehemaliger Chef der Deutschen Bank, muss sich von ihr nicht nur einen verbalen Frontalangriff gefallen lassen, sondern gleich eine ganze Reihe. Aber er befindet sich in illustrer Gesellschaft. Ihm folgen unter anderen der wohl bekannteste Anarchist Michail Alexandrowitsch Bakunin, Hamlet alias Horst Mahler (Teresa Haber) auf einem fahrbaren Podest, der Verfasser des einzigen RAF-Manifestes, ein dreiradelnder Regisseur, die Mutter des Autors, die eindeutig Sprechdiarrhoe hat, ein Dinosaurier, der vorgibt, eine Schlange zu sein (Sören Kneidl) und, und, und.
Die Aufführung unter der Regie von Martina Gredler war eine Kooperation zwischen der MUK, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und dem Burgtheater. Insgesamt sechs Studierende durften an der Seite von Brigitta Furgler und Stefan Wieland, die dem Burgtheaterensemble angehören, im Kasino am Schwarzenbergplatz ihr Können präsentieren. Und das ist mit einem Wort ausgedrückt: erstaunlich.
Dabei legte sich der Schauspielnachwuchs so ins Zeug, dass man vergessen konnte, dass sich die jungen Leute noch in ihrer Schauspielausbildung befinden. Nicht nur, dass die Charaktere ausdrucksstark gespielt wurden, die Artikulation aller war bemerkenswert. Kräftige und klare Stimmen, eine schöne, hochdeutsche Aussprache oder – wo gefordert – im tiefsten Wiener oder Steirischen Dialekt parlierend – gab es kein einziges Mal akustische Verständigungsschwierigkeiten. Soweit die Beurteilung der Technik: Glatte 10 Punkte. Was die Spielfreude betrifft, so kommt man auf die gleiche Punktezahl.
Der Text von Wolfram Lotz versucht ironisch alle Fallstricke, die das Theater bietet, zu umgehen und gerät gerade deswegen lustvoll aus allen Fugen. Das vor allem, weil er sich keinen geringeren Themen wie dem Umgang mit dem Tod oder der Wahrheit, dem Kapitalismus und dem linken Widerstand widmet. Und dies alles eingebettet in eine große Dosis Klamauk. Dennoch bleibt das Stück in dieser Inszenierung eine Nummernrevue, wenngleich mit hohem Unterhaltungswert. Dies vor allem, weil es auch musikalische Einlagen enthält, in denen die Schauspielerinnen und Schauspieler auch ihre tänzerischen und sängerischen Begabungen zeigen dürfen. Rupert Derschmidt schuf einen adäquaten, schrägen Sound. Richard Strauss` Zarathustra, Richard Wagners Walkürenritt, den allermeisten nur aus diversen Filmeinsätzen bekannt, sowie die Signation der 20th Century Fox lassen dabei allerlei cineastische Assoziationen zu.
Wenn Bakunin gleich mit zwei Rauschebärten und Langhaarmähne auf die Bühne kommt und während seines Interviews sein „Nachfahre im Geist“, Slavoj Zizek, via Einspielung parallel zu hören ist, wenn sich der ehemalige, deutsche Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt (Constanze Winkler) am Ende einer Debatte auf alle Viere begibt und sein Bein zum Pinkeln hebt, wenn Mr. Trump und Kim-Jong-Un auf T-Shirts ihre Konterfeis vor sich hertragen und gemeinsam einem Nonsens-Chor aufstellen, dann macht die Regisseurin deutlich, dass sie dem ohnehin schon bewusst schrägen Text noch eine gehörige Portion Theaterwahn hinzufügt. (Kostüme Anna Luisa Vieregge)
Bei einer Regisseur-Persiflage, höchst humorig von Lukas Weiss interpretiert, muss sich die bedrohliche, letztlich aber besiegte Schlange brav in das Eck eines Boxringes verkriechen und dort auf Kommando sterben. (Bühne Claudia Vallant) Der philosophische Exkurs, den der Regisseur während des Verzehrs eines picksüßen Punschkapferls in den derzeitigen Regierungsfarben – außen türkis und innen braun – von sich gibt, endet mit der weisen Aussage: „Es gibt viele miteinander konkurrierende Wahrheiten, das kann nicht jeder ertragen. Das ist die Wahrheit!“
Die Deutungs-Wahrheit dieser schrillen Lotz-Inszenierung mag so multipel sein, wie die Zahl der Zuseherinnen und Zuseher. Eines steht jedoch fest: Die Präsentation der MUK-Studierenden spricht für eine derzeit hervorragende Ausbildung unter der Studiengangsleitung von Karoline Exner. Der Output, der dem Publikum gezeigt wurde, muss den Vergleich mit dem derzeit noch bekannteren Max Reinhardt Seminar keinesfalls scheuen.