Der Griessner Stadl on tour in Graz

Der Griessner Stadl on tour in Graz

Aurelia Gruber

Foto: ( Verena Koch )

4.

Oktober 2023

Die zeitgenössische Oper „Das Erdbeben in Chili“ fand Aufnahme im „Dom im Berg“. Musik- und Literaturfans kamen gleichermaßen zu ihrem Recht, basiert doch das Libretto auf einem über 200 Jahre alten Text und ist dennoch aktuell.

Wer zeitgenössische Opern abseits der vom Bund geförderten Häuser produziert, lernt rasch, mit Mangel umzugehen. Dass es aber noch eine Steigerungsstufe gibt, nämlich einen extrem limitierten Ort, in welchem eine Oper aufgeführt werden soll, kommt weniger häufig vor. Und dennoch schafften es die Betreiber des Griessner Stadel bei Murau, eine Oper in Auftrag zu geben und diese im nicht-operngerechten Spielort auf die Bühne zu bringen. In einer Koproduktion mit dem Steirischen Herbst 2023 wanderte diese nun nach Graz in den „Dom im Berg“. Die Location hätte hier nicht besser gewählt werden können. Der Veranstaltungsraum im ausgehöhlten Fels, mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und einem Boden, der keinerlei Wärme ausstrahlt, passte ausgezeichnet zur dramatischen Geschichte.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben in Chili“ nach einer Novelle von Heinrich Kleist, erzählt von einer tragischen Liebe. Die Tochter eines Granden verliebt sich in den Hauslehrer und wird daraufhin von ihrem Vater ins Kloster geschickt. Dort treffen sich die Liebenden jedoch und zeugen im Klostergarten einen Sohn. Dieser wird 9 Monate später bei der Fronleichnamsprozession auf den Stufen der Kathedrale geboren. Um die Schande zu tilgen, wird Donna Josephe zum Tode und ihr Geliebter, Jeronimo, zu schwerem Kerker verurteilt. Wenige Augenblicke, bevor die junge Frau geköpft wird, ereignet sich in der Stadt Santiago in Chile ein schweres Erdbeben. Josephe, ihr Kind und Jeronimo überleben dieses jedoch, finden sich in Freiheit wieder und fallen dennoch wenig später der Lynchjustiz anheim. Ein zweiter Säugling, der Sohn von Don Fernando, gelangt schließlich ebenso in die Turbulenzen der aufgebrachten Menge und wird von dieser bestialisch ermordet. Philippe, der Sohn von Josephe und Jeronimo, überlebt jedoch das Gemetzel und wird schließlich von Don Fernando und dessen Frau als Kind angenommen.

Es bedarf einer großen Portion Mut, sowie Zuversicht und der Glauben, an das eigene Projekt, um diesen Stoff in der Murauer Gegend als zeitgenössische Oper zur Uraufführung zu bringen. Das Team rund um den Obmann Ferdinand Nagele hatte diesen Mut. Und auch wenn es abgedroschen klingt, das Sprichwort „wer wagt, gewinnt“ stimmt in diesem Fall zu hundert Prozent. Anlässlich der Stückeinführung erzählte Nagele, dass sich das Leitungsteam überlegt hatte, einmal etwas zu machen, was sie noch nie gemacht hatten oder noch spitzer ausgedrückt: „Etwas, was wir nicht können.“ Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte – all das gab es schon in der Location, was fehlte, war eine Opernproduktion. Dass diese zustande kam, verdankte man nicht nur dem Netzwerk, das über die Jahre aufgebaut worden war. Eine intelligente Herangehensweise, gepaart mit einer Menge Idealismus und Kreativität, verhalf dem Projekt letztlich zum Erfolg.

Martin Kreidt, der schon häufig im Griessner Stadl Regie führte, übernahm nicht nur diese, sondern auch die Verfassung des Librettos, welches eng am Originaltext blieb. Elisabeth Harnik erhielt den Auftrag für die Komposition einer neuen „Volksoper“ und hatte auch die musikalische Leitung inne. Die Musikerinnen und Musiker des Schallfeld-Ensembles übernahmen neben den vier Hauptcharakteren aktive Rollen auf einem langen Catwalk, der als Bühne fungierte. An dessen Längsseiten waren die Publikumsreihen angeordnet, an den Stirnseiten befanden sich zum einen die Plätze für die Musizierenden, zum anderen der Aufbau eines großen Schlagwerkes, das häufig zum Einsatz kam.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

Harnik wählte eine reduzierte, musikalische Ausdrucksweise, die darauf bedacht war, das Wort in den Vordergrund zu rücken. Zugleich wies ihre Komposition jedoch einen großen Ideenreichtum auf. Gleich zu Beginn sprach das Schallfeldensemble, während es sich dazu mit den Instrumenten begleitete, den Text zur Vorgeschichte des Hauptplots. Akkordeon, E-Gitarre, Kontrabass, Flöten, eine Miniaturorgel und Percussion-Instrumente steuerten den charakteristischen Klang bei.

In vielen Passagen wurde psalmodiert, was Sinn erzeugte, spielt sich doch das Drama im Umfeld der katholischen Kirche ab. Wilde, laute Passagen mit großem Percussioneinsatz wechselten mit ganz ruhigen ab, in welchen Sprache und Musik gänzlich zum Erliegen kamen. Mit Geflüstertem und Gehauchtem sowie akzentuierten Atemgeräuschen erweiterte die Komponistin die stimmliche Ausdrucksweise ihrer Sängerinnen und Sänger. Die Wiedersehensfreude nach dem Erdbeben konnte man trefflich durch den Sprechgesang „das Herz hüpfte“, der sich wie in einer Bach’schen Kantate durch alle Stimmlagen wandte, nachempfinden. Eine lange Unisonopassage öffnete sich allmählich zu einer vielstimmigen Kantilene, in dem Augenblick, in welchem sich die Überlebenden dazu entschließen, Gott in der Kathedrale bei einer Messe zu danken. Dass sich das grauenvolle Finale vor allem auch durch stimmlichen Einsatz ankündigt – da wird flüstergebrüllt, was das Zeug hält, liegt bei dieser Kompositionsweise auf der Hand.

Die Kostüme von Andrea Fischer markierten schwarze und weiße Charaktere. Die Regie ließ jedoch Personenwechsel zu und schrieb sowohl Josephe als auch Jeronimo unterschiedlichen Solistinnen und Solisten zu. Kreidt vermischte in einem cleveren Schachzug sowohl das Instrumentalensemble als auch die Sängerinnen und Sänger, um sie danach wieder zu trennen und ihnen nun aber einen anderen Platz zuzuweisen. Auf diese Art wurden nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die kleine Ansammlung von Überlebenden oder auch die große Menschenansammlung in und vor der Kirche, in welcher letztlich wieder gegen die Liebenden gehetzt wurde, plausibel visualisiert.

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„Das Erdbeben in Chili“ (Foto: Verena Koch)

„Das Erdbeben von Chili“ beeindruckte vor allem auch durch alle Mitwirkenden, die ein homogenes Ensemble ergaben, das sich gegenseitig unterstützte und in welchem sich niemand in den Vordergrund drängte. Auch das ist eine Erfahrung, die im Musiktheater nicht häufig vorkommt. Es wäre wünschenswert, wenn der Griessner Stadl mit weiteren Produktionen nach Graz kommt und weiter frischen Wind in das alte Gemäuer des Doms im Berg bläst. Vielleicht animierte die Produktion aber auch Grazer Publikum, sich das ein- oder andere Mal in Richtung Murau zu begeben und dieses kulturelle Zentrum mit seinem interessanten Programm zu besuchen.

In Graz waren zu sehen:
Clara Sabin, Helēna Sorokina, Jessica Kaiser, Margarethe Maierhofer-Lischka, Audrey G. Perreault, Manuel Alcaraz-Clemente, Stefan Jovanovic, Walter Ofner, Herbert Schwaiger, Ivan Trenev

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