In dem Gastspiel „der die mann“, das 2015 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin Premiere hatte, verarbeitete der Regisseur Herbert Fritsch verschiedene, kurze Texte des Österreichers Konrad Bayer (+1932) zu einer großen, theatralischen Collage. Bayers Naheverhältnis zur Wiener Gruppe mit Oswald Wiener, Gerhard Rühm, H.C. Artmann und Friedrich Achleitner Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, hinterließ in seinem Werk nicht nur starke Spuren. Der Autor nahm sich 1964 das Leben, wie Wikipedia zu berichten weiß, „nach einem Treffen mit besagten Künstlern, in dem seine präsentierten Werke eine äußerst kritische Aufnahme gefunden hatte“.
Die Erweckung eines wenig Bekannten
Es verwundert nicht, dass Konrad Bayer in der Literaturszene nur wenigen Insidern bekannt ist. Zu quantitativ gering war sein Werk, das er 32-jährig hinterließ. „Die Lebenschancen eines so schmalen, so verstreuten, so provisorischen, so etüdenhaften Werkes sind gering.“, schrieb der Journalist Dieter E. Zimmer in seinem Nachruf in der Zeit, eine Woche nach Bayers Tod. Und er sollte wohl Recht behalten.
Dass ausgerechnet ein Deutscher Bayers Werk zu neuem Leben erweckte, ist für Österreichs Haltung zeitgenössischen Literaten gegenüber beinahe typisch. Umso erfreulicher ist die Einladung des Stückes an das Burgtheater. So hatte, wenngleich auch nur an zwei Abenden, das Wiener Publikum Gelegenheit, in Bayers Sprachwelten einzutauchen.
In diesen dehnte er die Breiten und Tiefen der Dekonstruktion von korrekten Sprachmustern gehörig aus und stellte sie zugleich auf die Probe. Wann ist ein Text eigentlich noch verständlich? Braucht es Subjekte und Prädikate, Attribute und all die anderen sprachimmanenten Bausteine, um eine Idee vermitteln zu können? Oder genügen dadaistisch anmutende Attitüden, um einen Text interessant erscheinen zu lassen?
Die Lust an der Verwandlung – Theater pur
Herbert Fritsch benutzte das experimentelle Sprachfundament Bayers als Ausgangsbasis seines Bühnengeschehens. Dabei standen sich drei Eckpfeiler gleichwertig gegenüber. Einerseits die Lust an der Verwandlung des Ensembles, aber auch an jenen Phänomenen, welche das Theater spätestens seit dem Barock auszeichnet. Da durften die Schauspielerinnen und Schauspieler in unterschiedlichen Kostümen auftreten, eine kleine Showtreppe für ungezählte Auf- und Abgänge benutzten. Da verschwanden einzelne oder auch alle wie von Zauberhand während der Rotation auf der Drehbühne, um schließlich unerwartet wiederaufzutauchen. Fritsch brachte die Bühne außerdem durch eine Lichtpalette in den unterschiedlichsten, grellen Neonfarben zum Leuchten. Garniert mit jeder Menge Slapstickeinlagen, bis hin zu zirkusreifen Darbietungen an einem Seil, in dem die Protagonisten in luftiger Höhe hin- und hergeschwungen wurden, lotete der Regisseur viele Möglichkeiten aus, die ein Bühnengeschehen beleben können. Selbst zirzensische.
Sprache als Selbstzweck
Als zweiten Eckpfeiler setzte Fritsch völlig gleichwertig das Sprachlabyrinth von Bayer ein. Dabei arbeitete er mit vielfachen Wiederholungen ganzer Abschnitte, mit Soli aber auch Choreinlagen. Wunderbar, wie der Autor an einer Stelle in fast schon Bernhardt`schen Satz-Endlosschleifen Einblicke über das Pflücken, den Transport und Verkauf von Fallobst gibt. Herrlich, wie das Ensemble in der sprachlichen Interpretation eines Textes über ein Lichtsignal all seine gestischen Künste aufwendet, um jedes einzelne Wort im dadaistischen Zusammenhang zu visualisieren. Bewundernswert, wie intensiv die Darstellerinnen und Darsteller stark abstrahierte Texte rezitieren können, wie unterschiedlich ein- und dieselbe Passage mit Klangfarbe und gestischem Ausdruck begleitet werden kann. Und einfach bestaunenswert, wie man gefährlichste Zungenbrecher ohne Aussprechunfälle meistern kann.
Ohne Musik geht nichts
Als dritten Eckpfeiler addierte Fritsch Livemusik, bestehend aus einer Musikerin und drei Musikern, die sich am Proszenium links und rechts austoben durften. (Leitung Ingo Günther) Von experimentell bis jazzig, von Trauermusik bis zu einer kurzen Barockoper, hin zu heavy-metal-Anleihen reichte dabei das Klangspektrum, welches das Bühnengeschehen zwar beinahe permanent unterstützte, sich dabei, trotz zeitweise großer Lautstärke, aber nie in den Vordergrund schob. Sogar Klänge, die an Schubert erinnerten, durften sich einmal daruntermischen und aufzeigen, dass auch dem Musiktheater in dieser Inszenierung gehuldigt wurde.
Fritsch gelang es nicht nur mit Bravour, in den eineinhalb Stunden Aufführungsdauer einen guten Überblick über Bayers Sprachkunst zu vermitteln. Wobei es interessant war festzustellen, dass man dabei auch Sprachmuster von Jandl, Jelinek und, wie schon kurz erwähnt, von Thomas Bernhardt erkennen konnte. Wer dabei von wem beeinflusst wurde, sei hier dahingestellt. Der Regisseur schaffte es auch, mit den sperrigen Texten, die keine Handlung vorgeben oder vorantreiben, das Ensemble zu allergrößten schauspielerischen Leistungen zu animieren. Man probiere nur einmal selbst zuhause einen Zungenbrecher in unterschiedlichen Ausdrucksweisen, von larmoyant über zögerlich bis hin zu herrschsüchtig vorzutragen, um eine kleine Ahnung davon zu bekommen, welche Anforderungen das Stück „der die mann“ an das Ensemble stellt. Die überzeichneten Figuren bieten zwar den Akteurinnen und Akteuren genug Platz, um sich auszubreiten, kosten aber auch jede Menge Kraft.
War dem Publikum zu Beginn eine gewisse Irritation ob der unerwarteten Darbietungen anzumerken, lösten sich diese Spannungen im Verlauf des Abends zusehends. Dass man im Theater auch lachen darf, auch wenn man in der Burg sitzt, verstanden Junge schneller als distinguierte Damen und Herren. Soziale Prägungen sind eben nicht in wenigen Minuten mit einem Handstreich wegzuwischen. Auch nicht, wenn Konrad Bayer schon in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Vorlage dazu lieferte. Auch ein schöner Beweis, wie unglaublich aktuell seine Texte auch heute noch sind.