Passend zum mythologischen Ariadnethema, mit dem man sich bis 20. Februar in der Rheinoper beschäftigen kann, hier die Präsentation einer Künstlerin, für die es sich lohnt, auch eine kleine Reise ins Frankenland zu unternehmen.
Der Faden der griechischen Göttin Ariadne erlaubte einst Theseus, aus dem Labyrinth des tierköpfigen Monsters Minotaurus zu entkommen. Er rollte, nachdem er das Ungeheuer getötet hatte, den zuvor ihm von seiner Geliebten mitgegebenen und auf seinem Weg in das Innere der Höhle ausgelegten Faden wieder fein säuberlich auf, um schließlich ins rettende Freie zu gelangen.
Im Atelier in einer großen Halle in Würzburg stehen einige ihrer neuesten Arbeiten. Im Eingangsbereich dazu empfangen Körperskulpturen aus Metall die Besucherinnen und Besucher. Wie Designerstücke, frisch von der Stange, aber keineswegs anschmiegsam, machen sie deutlich, welches Material die Künstlerin Angelika Summa verwendet. Metall. Genauer gesagt sehr oft Draht in all seinen Formen. Sie schafft damit Skulpturen mit großem Volumen, die aber aufgrund ihrer Geflechte oft sehr fragil wirken. Die Bildhauerin Angelika Summa hat sich diesem speziellen Material, mit dem sie beständig arbeitet, ganz verschrieben. Unter den Flammen ihres Schweißgerätes formen sich Pyramiden, Kugeln, Quader aber auch Bekleidungsstücke, die nicht bekleiden. Ihr gelingt in ihrer Arbeit die Sichtbarmachung einer sehr weiblichen Poesie, die sie in das große, skulpturale Format überträgt. Ihre Gedanken, Assoziationen und Assoziationsketten verschweißt sie in Metall. Erst beim näheren Erkunden oder durch die Namensgebung ihrer Plastiken, zieht sie die Betrachterinnen und Betrachter in viele weiteren Ebenen, als der zuerst erfassbaren, rein ästhetischen. Als ob wir ihrem Faden unsichtbar folgen würden, ergeben sich so Schritt für Schritt neue Zusammenhänge und tiefere Bedeutungen. Unruhekissen wären ein Beispiel dieser Metall gewordenen Vorstellung von Kissen, die nicht schlafen lassen. Oder Antikörper – verschweißte Kupferdrähte, an denen man lieber nicht anstoßen möchte. Eine ihrer letzten Arbeiten „Think tank“ kann als pars prot toto gelten – als ein typisches Erklärungsbeispiel, das für die Gesamtheit Summas Schaffens steht – um in ihre künstlerische Konzeption einzutauchen.
„Think tank – the message is inside“, so ist jene Plastik betitelt, welche die Künstlerin Angelika Summa während des Symposiums 2009 in Schweinstal erarbeitet hat. Sie trägt unverkennbar ihre künstlerische Handschrift einerseits, weist aber auch nach der ersten Eindrucksphase eine Tiefenstruktur auf, die in ihrer Vielfalt kaum auszuloten ist. Wie ungezählte Hirnwindungen legen sich dicke Drahtseile über einem stabilen Zentrum, das aus einem Metallwürfel gebildet ist, in- und übereinander. Die große Form, ein zwei Meter hoher Kubus, in welchen die Drahtwindungen „eingeschrieben“ sind – wiederholt den kleinen Würfel des Zentrums, wenngleich seine Ränder nicht mit dem Lineal nachzuzeichnen sind. Mit think tank bezeichnet man gemeinhin „Denkfabriken“ die zusammen kommen, um über verschiedene Probleme in der Gesellschaft gemeinsam nachzudenken und Lösungen zu erarbeiten. Allerdings werden diese Lösungen nicht automatisch in der Realität umgesetzt. Think Tanks brauchen eine übergeordnete Einheit, die deren Ideen mit Leben und Aktivität erfüllen. Genau diese unterschiedlichen Ebenen finden sich durch die Verschachtelungen um ein bestimmtes Zentrum auch im Werk think tank von Angelika Summa und könnten als eine Interpretationsmöglichkeit gelten.
Die bewusste Positionierung dieser Arbeit vor dem Friedhof von Queidersbach evoziert jedoch noch andere Inhalte, die mit diesem Werk transportiert werden. Der programmatisch gewählte Titel gibt zwar eine Denkrichtung vor – wie immer bei Summas Arbeiten – engt aber zugleich die Interpretation der Rezipienten nicht ein. Vor einem Raum positioniert, der an sich dazu angetan ist, sich den Kernfragen unseres Lebens zu stellen, verstärkt Summas Plastik diesen gedanklichen Prozess zusätzlich. Worin besteht der Kern unseres eigenen Denkens und Lebens? Ist es möglich, in das Denken eines anderen Menschen, und steht er uns auch noch so nahe, einzudringen? Gibt es einen Stoff, eine Idee, eine Motivation, die hinter oder auch vor allen Gedanken steht? Ist der Kern alles Denkens Liebe oder Hass? Sind die Folgen unsere Handlungen, also das sichtbare Ergebnis der Verarbeitungsprozesse in unserer eigenen Black-Box, das was bleibt? Und wenn dies so ist, verändert diese Erkenntnis unser Handeln, unsere Beziehung zu den Menschen? Summas think tank wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Die Gedanken scheinen so endlos, wie die Drahtschleifen, die keinen Anfang und kein Ende aufzeigen.
Das Metall, die Drähte, aus welchen die Plastik gefertigt ist, wird im Laufe der Jahre rosten, aber ihr „Kern“, um den herum sich alles entwickelt, hält dem Korrosionsprozess aufgrund einer speziellen Behandlung länger stand. Dieser Verwitterungsprozess ist gewollt implementiert und steht Kunstrichtungen wie jener der land-art nahe, in welcher die natürliche Veränderung des Kunstwerkes zu seinem Rezeptions- und Erfahrungsprozess gehört. Er lässt Vergleiche auch mit unserem eigenen Prozess des Vergehens zu und ermöglicht doch, einen Funken von Hoffnung zu bewahren. Eine Hoffnung, die sich auf unser eigenes Zentrum, unseren eigenen Kern bezieht, der in der Spannung von Vergänglichkeit und Unsterblichkeit gefangen scheint.
Angelika Summa hält ihren Adriadnefaden fest in der Hand. Sie bietet aber jedem und jeder,die oder der es möchte, die Möglichkeit, sich auf Entdeckungsreise zu machen. Ganz tief hinein, in ihr künstlerisches Labyrinth, in dem kein Minotaurus wartet, sondern Erkenntnisse, die uns schließlich wieder sicher hinausgeleiten – in unsere eigenen Lebenslabyrinthe.
Vom 28. Februar bis 31. März gibt es eine weitere Möglichkeit, Summas Arbeiten kennen zulernen: In der Maschinenhalle, Zeche Scherlebeck in Herten sind neue Werke der Künstlerin unter dem Titel „Hand-Arbeit“ zu sehen. Weitere Infos zur Ausstellung: hier
hp von Angelika Summa: https://www.angelika-summa.de/index.html
Artikel über die Ausstellung in Der Westen
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