Ein Ort, der erstmals bespielt wurde, ist ein ehemaliges Call-Center in Mariatrost. Der leerstehende Bau, von welchem früher aus einem Großraumbüro telefoniert wurde, erfuhr eine Umwandlung zum „Demon Radio“. Einem Ort, in dem sich das Dämonische in vielen Arten finden lässt.
Die Vier von der Tankstelle
Schon am Parkplatz, vor der Ausstellungslocation, erwartet das Publikum eine irritierende Installation: „Die Vier von der Tankstelle“ von Jos de Gruyter & Harald Thys. Seinen Titel erhielt das Werk in Anlehnung an den Film „Die Drei von der Tankstelle“ aus dem Jahr 1930, der von der NS-Zensur auf die Liste der verbotenen Filme gesetzt worden war. In dem Auto sitzen nicht drei Personen, sondern vier uniformierte Dobermänner. Hunde, die scharf abgerichtet, gerne im Umfeld von Personen auftauchen, die einen besonderen „Schutz“ benötigen. Die Nummerntafel des alten Mercedes ist dechiffrierbar, trägt sie doch verbrämt jenes Datum, an welchem Hitler 1938 die Menschenmassen in Klagenfurt begeisterte. Die beiden Künstler, die in Brüssel leben, lassen bei dieser Installation offen, ob die vier Insassen jemanden jagen oder ob sie auf der Flucht sind. Somit öffnet das Kunstwerk unterschiedliche Interpretationsfenster – eine Zugangsweise, die für die Ausstellung „Demon Radio“ signifikant ist. Die Arbeit korrespondiert mit jenen im Innenbereich – vorrangig mit jener über den ehemaligen deutschen Jazz-Experten Dr. Schulz-Köhn.
Ein zweiter künstlerischer Beitrag des Duos im Inneren der Ausstellungshalle trägt ebenfalls tierische Züge. Micro Mundo 3, 4, 5, 8 und 10, in diesem Jahr entstanden, sind kleine, surreale Terrarien, in welchen sich Nagetiere, Reptilien und anderes Getier mit menschlichen Köpfen tummeln. Faszinierend und abstoßend zugleich präsentieren sie sich den Betrachtenden und stellen ad hoc die Frage nach Genmanipulation und Mutationen, die der Mensch so nicht beabsichtigt hat.
Ein Jazzsammler, SA- und NS-Mitglied
Der Deutsche, Dietrich Schulz-Köhn, war ein Liebhaber und Kenner von Jazzmusik. Er vermachte dem Institut für Jazzforschung in Graz, zu dessen Mitbegründern er zählte, seine Sammlung von Jazz-Schallplatten, die er vor, während und nach dem 2. Weltkrieg gesammelt hatte. Selbst Mitglied der SA und der NSDAP, war er während des Krieges als junger Mann in Frankreich stationiert und konnte dort aufgrund seiner guten Kontakte zum amerikanischen Feind schnellstmöglich an die Neuerscheinungen kommen, für die er sich so interessierte. In der Ausstellung sind nicht nur einige seiner Schallplatten zu sehen, sondern es ist auch ein Radio-Mitschnitt zu hören. Als Moderator vieler Jazz-Sendungen im WDR und anderen Radiosendern gestaltete er eine Reihe von Sendungen zu diesem Thema. In jenem Beitrag, der in der Ausstellung zu hören ist, kann man gut nachvollziehen, wie nach dem Krieg bei Schulz-Köhn eine Art Dislozierung zum eigenen Tun während des Krieges stattgefunden haben musste. Spricht er doch dort über die Restriktionen während der Nazi-Herrschaft so, als wäre er nie Teil dieses Mörderregimes gewesen, sondern vielmehr von einem Sender außerhalb Deutschlands beauftragt worden, über dieses Thema zu sprechen.
In der Kontextualisierung mit den anderen Beiträgen, die sich in dieser Ausstellung noch befinden, wird deutlich, dass das Dämonische im Menschen ein Phänomen ist, das zeitabhängig unterschiedlich bewertet wird.
Serene Velocity in Practice: MC510 Signs & Wonders (Prerequisite for CS183 How to Build the Future) (2017–23)
Gegenüber des kleinen Zimmers, in welchem die Radiosendung läuft, hat Michael Stevenson, mit Stoffbahnen begrenzt, eine Art Raum im Raum gestaltet. In diesem empfand er das Setting eines praktischen Kurses über Gesundbeten und Exorzismus, den der Kirchengründer John Wimber von 1982 bis 1985 am Fuller Theological Seminary in Pasadena unterrichtete, nach. Die künstlerische Verfremdung, die dort vorgenommen wurde, verschärft noch den beklemmenden Eindruck, dass man sich in einem Surroundig befindet, in welchem Menschen psychische Gewalt angetan wurde.
Indischer Freiheitskämpfer und aktuelle Nationalismen
Insgesamt vier Videobeiträge laden ein, sich dem Dämonenhaften auf völlig unterschiedliche Art und Weise gegenüberzustellen. Die indische Theatermacherin Zuleikha Chaudhari schuf einen Film über Subhas Chandra Bose, einen Kämpfer gegen die englische Kolonialmacht. Er hatte sich in den 30er-Jahren die Unterstützung von Hitler erhofft und war deshalb nach Berlin gereist. Auf dieser Reise, aber auch anderen, die danach folgen sollten, als er unverrichteter Dinge Deutschland wieder verließ, nahm er unterschiedliche Identitäten mit unterschiedlichen Nationalitäten an. Ähnlich wie bei Schulz-Köhn ist man verblüfft, wie sehr in gewissen Lebensabschnitten Realität und Ideal auseinanderklaffen, sich zum Teil sogar ins Gegenteil verkehren. Zusätzlich vermischt die Künstlerin in dem Video auch Mitschnitte von Vorlesungen über den Nationalismus, die bei Teach-ins während der Studentenbewegung 2016 an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi gehalten wurden.
Mechanisches und zutiefst Menschliches
Der israelitische Künstler Dani Gal wurde vom Steirischen Herbst mit zwei Auftragsarbeiten bedacht. In seinem Film „Book of the Machines“ werden anhand von Nahaufnahmen von mechanischen Puppen aus dem 19. Jahrhundert, die menschliche Züge tragen und sich so benehmen wie Menschen, Fragen gestellt, die deckungsgleich mit jenen sind, die sich unsere Gesellschaft im Moment angesichts der allgegenwärtigen KI-Anwendungen stellen muss.
Book of the Machines, mit freundlicher Genehmigung des Künstler
Extrem berührend ist sein Film „Dark Continent“ geworden, der eine Fallstudie aus dem Buch Schwarze Haut, weiße Masken (1952) des Psychiaters und antikolonialen Autors Frantz Fanon nachstellt: Darin geht es um ein Mädchen, das im Alter von 12 Jahren nervöse Ticks zu entwickeln begann. Sie landete letztlich in einer Nervenheilanstalt, in welcher der leitende Primar in seiner abschließenden Diagnose Freud zitierte und meinte, dass die Sexualität von Frauen ein schwarzer Kontinent sei. Während des Filmes erfährt man, dass schon bald nach der Kolonialisierung in Afrika Buschtrommeln verboten worden waren, schlicht aus dem Grund, weil man damit über große Distanzen Nachrichten übermitteln konnte und somit die Gefahr von Revolten nicht auszuschließen war. Der Vater des jungen Mädchens, selbst ehemals in Afrika eingezogen, legte abends Musik auf, in welchem diese Trommeln zu hören waren. Eine eindeutige Bildsprache, die auf einen grausamen Zug des Mannes rückschließen lässt und die Fantasie, die man als Zusehende selbst entwickelt, lassen am Ende des Filmes an einen Kindesmissbrauch innerhalb der eigenen Familie denken. Die perfide Art, wie das Trommeln der schwarzen Bevölkerung, die als rückständig und bedrohlich dargestellt wird, aufgezeigt wird, macht sprachlos.
In der Koppelung mit den Ausdrücken, mit welchen Schulz-Köhn die schwarzen Jazzer aus Amerika im NS-Diktum erwähnte, gelingt auch hier ein Brückenschlag zwischen den einzelnen künstlerischen Beiträgen. Das Kuratorenteam rund um Ekaterina Degot – David Riff, Pieternel Vermoortel, Gábor Thury und Barbara Seyerl – hat hier ganze Arbeit geleistet.
Anna Engelhardt und Mark Cinkevic Trailer, mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen
Mit einem Video von Anna Engelhardt und Mark Cinkevic (Russland und Belarus), in welchem sie auf die dämonische Macht von russischen Hightech-Stützupunkten in besetzten Staaten verweisen, reicht der Bogen des Ausstellungsthemas in unsere Gegenwart.
Genauso wie eine Klang-Installation von Anton Kats, in welcher er sich an seine Kindheit und den Krieg in Cherson erinnert, eingesprochen von einer ruhigen Frauenstimme (Susanne Sachsse) auf dem Soundlayer „Palladium“ von Weather Reports. Jener einflussreichen Jazzband, die vom Österreicher Joe Zawinul gegründet wurde. Ausgerechnet in der UDSSR hatte Palladium Kultstatus. Fein und schön anzuhören, fließend und harmonisch täuscht die Musik und überdeckt das Grauen, das ihr in dem Text additiv zugeführt wurde.
Was von außen bunt beflaggt, sich als Spaßszenerie geriert, ist im Inneren voll von dunklen Flecken, die es wert sind, aufgedeckt zu werden.
Der Eintritt zur Ausstellung ist dank eines großzügigen Sponsor-Angebotes der AK-Steiermark gratis.
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