Im Rahmen des Steirischen Herbstes inszenierte er das Stück „EMPIRE: Rooting for the Anti-Hero“ im Theater am Lend und lieferte damit eine weitere, beeindruckende Arbeit ab.
Anhand eines Foto-Tagebuchs aus dem Jahr 1934 schickt er das Publikum auf eine mehrmonatige Reise mit der Fußballmannschaft des „Grazer Sportklub Straßenbahn“ nach Indonesien. Dabei nimmt er eine fiktive Figur, den Indonesier Suwandi, der auf verschlungenen Wegen nach Graz kam, als ortskundigen Begleiter mit. Dieser entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer Art Helden wider Willen, oder, wie im Titel postuliert – zu einem Antihelden. Das Publikum erfährt von der langen Schiffsreise und dem Aufenthalt im damaligen Niederländisch-Indien. Es hört von den Spielen gegen verschiedene einheimische Mannschaften, die, bis auf eine Ausnahme, alle gewonnen wurden. Und es wird Zeuge von zwei Liebesbeziehungen, die sich durch diese Reise ergaben. Die gezeigten Fotos erzählen im Subtext viel über das Verständnis der Europäer in dem fernen Land der damaligen Zeit. Auf keinem der Fotos ist die Bevölkerung Indonesien zu sehen. Weiße Männer und vereinzelt auch Frauen sind auf den Gruppenfotos festgehalten, ganz so, wie sich die Machtverhältnisse zu der Zeit auch gestalteten.
Mit einer schauspielerischen Entdeckung ersten Ranges – dem jungen Marten Schmidt, der Allround-Musikerin Anna Anderluh und dem Grazer Gamelan-Orchester (Gamelan Nyai Rara Saraswati der KUG) stellte von Strolchen ein Ensemble zusammen, das vom ersten Moment bis zum letzten überzeugt.
Marten Schmidt agiert als Erzähler und Vorleser und darf sich in einer Szene auch selbst vorstellen. Dabei erfährt man, dass er eine indonesische Mutter und einen österreichischen Vater hat und aufgrund dieser Herkunft sich sowohl hierzulande als auch in Asien zu Hause fühlt. Er beschreibt seine Zugehörigkeit sowohl in Österreich als auch in Indonesien aber zudem als etwas, das dazwischen angesiedelt ist. Denn in Österreich wird er als Asiate wahrgenommen und in Indonesien als Österreicher. Die Tatsache, dass er sowohl Deutsch als auch Indonesisch perfekt spricht, macht den Abend spannend und authentisch.
Die Konstruktion, dass der Indonesier Suwandi, welcher den Fußballklub begleitete, sein Urgroßvater gewesen sei, von dem er erst im Zuge dieses Projektes erfahren hätte, nimmt man dem jungen Schauspieler ohne mit der Wimper zu zucken ab. Auch dieser war ein Wanderer zwischen den Welten, weder in der einen noch in der anderen hochgeschätzt, dennoch aber unentbehrlich.
Das Stück wartet mit mehreren Bedeutungsebenen auf. Zum einen kann man das politische Umfeld in Österreich im Jahr 1934 ansatzweise erfühlen. Wenige Monate nach den Februarkämpfen, bei welchen hunderte Menschen ums Leben kamen, reiste die Mannschaft ab. Im Text heißt es, dass es sich um „Menschen auf dem Zenit ihrer Verlorenheit“ handelte, die sich auf die Reise ins Ungewisse machten. Tatsächlich sind auf den Fotos der Mannschaft, die anlässlich ihrer Abreise gemacht wurden, nur ernste Gesichter zu erkennen. Dann ist es die Sprachebene, auf die ein Hauptaugenmerk der Produktion gelegt wird. Der Hinweis, dass Suwandi auch fließend Niederländisch sprach, ganz abgesehen von der perfekten Vermittlung zu seinen indonesischen Landsleuten, macht klar, dass dieser in seiner Heimat für die Fußballer plötzlich einen ganz anderen Stellenwert bekam als in Graz.
Deutlich wird auch, dass sich die Sportler offenbar ihrer Rolle als Kurzzeit-Usurpatoren überhaupt nicht bewusst gewesen sein dürften, ja vielmehr die niederländische Kolonialisierung als etwas Glücksbringendes und Legitimes ansahen. In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen, die auftauchen, wenn über das Stück im Nachgang diskutiert wird. Dass aus unserer heutigen Sicht diese Reise viele fragwürdige Momente aufwies, ist klar. Umso bemerkenswerter aber auch die dramaturgische Behandlung, die nicht wertet und verurteilt, sondern die daraus zu ziehenden Schlüsse dem Publikum überlässt.
Die Instrumente des vielköpfigen Gamelan-Orchesters nahmen einen Großteil der Bühnenfläche ein, was das Bühnenbild (Andrea Cozzi und Hanga Balla) selbst auf die Aufstellung des Ensembles und ein einziges Artefakt reduzierte. Vor dem Orchester und der Musikerin war der Sprecher platziert, flankiert von Projektoren, welche die Fotos auf zwei Leinwände projizierten. Über allem schwebte eine Lichtinstallation, die nicht nur eine optisch-ästhetische Ergänzung bot. Auch interpretatorisch verleitet sie zu mehrfachen Deutungsansätzen. „Von oben herab“ werden die Menschen erhellt, ihnen zugleich aber auch ihre Sichtbarmachung ermöglicht.
EMPIRE: Rooting for the Anti-Hero (2024) überzeugt durch seinen lokalen Bezug zur Stadt Graz, durch seine fiktiv-reale Erzählung und das auf der Bühne agierende Ensemble inklusive der Musik. Vor allem aber auch durch die klugen Meta-Botschaften, die sich hinter der plakativen Geschichte verbergen.