Die Bühne ist kahl, weiß, kühl. Eine Umgebung, in der man sich nicht geborgen fühlt. Sarah und Marie gehen in die Schule und tauschen im Bus gegenseitig Hausaufgaben aus. Olaf träumt von einer ersten Liebe, stellt sich aber so tollpatschig an, dass daraus nichts wird. Ein Szenario wie aus dem Leben von Millionen von Teenagern rund um den Globus. Auch, dass die Eltern von Marie geschieden sind und sie bei ihrer Mutter lebt, ist ein gängiges, zeitgeistiges Muster.
In „Netboy“ von Petra Wüllenweber , das derzeit im Theater der Jugend aufgeführt wird, scheint zu Beginn alles reibungslos zu verlaufen. Bald jedoch wird klar, dass sich Marie (Mieke Biendara) von ihren Eltern alleine gelassen und nicht ernst genommen fühlt. Ihr Vater (Frank Engelhardt), zu dem sie eine gute Beziehung hat, möchte mit seiner neuen Freundin in eine andere Stadt ziehen. Wochentags ist er mit Marie öfters virtuell verbunden, jedes zweite Wochenende ist seine Tochter bei ihm. Die alleinerziehende Mutter (Elisa Seydel), genervt aber trotzdem voller Sorge um ihre Marie, hat wenig Zeit für sie. So surft diese oft im Netz und lernt in einem Chat „Netboy“ kennen. Einen gleichaltrigen Jungen, der in der Schweiz in einem Internat lebt und bald maßgeblichen Einfluss auf das Leben von Marie ausübt. Die Klassensprecherin ist fasziniert von seinen Sprüchen, die er sich hauptsächlich von Kafka ausborgt. Eine Hass-Lehrerin wird bald das Ziel einer Mutprobe, zu der sie von Netboy angestachelt wird.
Für diese defäktiert Marie vor dem Hauseingang der Chemielehrerin, weiß aber nicht, dass sie dabei heimlich fotografiert wird. Von nun an beginnt sich eine Erpressungsspirale zu drehen, der sie nicht mehr entkommen kann. Frank Panhans inszenierte das Stück für Jugendliche ab 11 Jahren ohne Schönfärberei mit Mut zur Schonungslosigkeit. Als Marie versucht, sich aus dem Netz auszuklinken und offline zu bleiben, bricht ein Shitstorm über sie herein, der sie am Handy erreicht. Jan A. Schroeder, auch für die Bühne verantwortlich, setzte diesen mit Lichteffekten beeindrucken um. Der Druck, an dem Maria schließlich beinahe zerbricht, wird so stark, dass ihr letztlich nichts Anderes übrigbleibt, als die Schule und die Stadt zu verlassen.
Dem Publikum wird ein realistisches Szenario im Umgang mit unbekannten Internetkontakten geboten, das unter die Haut geht. Die Bekanntschaft zu Fremden im Netz, die ihre Köder ganz gezielt auslegen, kann in vielen Fällen fatal ausgehen. Die Inszenierung zeigt gut auf, was sich im worst case aus einer anonymen Internetfreundschaft entwickeln kann. Dennoch gibt es auch jede Menge Humor. Bernhard Georg Rusch spielt den Klassenkameraden Olaf, der in Maria verliebt ist. Einfach herrlich, wie er mit seinem inneren Alter Ego spricht, das den jungen, verschüchterten Mann ermuntert, bei den Mädels forscher zu agieren. Das junge Publikum im Saal kreischt vor Freude, als er seine ersten Annäherungsversuche an Sarah startet. Unbeholfen und ganz so, wie es die Jugendlichen tatsächlich in vielen Fällen selbst erleben.
Sarah (Anna Rieser), Maries Freundin, steht ihr in der bedrängten Situation nur bedingt zur Seite. Sie sorgt auch für einen überraschenden Schluss, den man schon als Knalleffekt bezeichnen kann. „Netboy“ bietet nicht nur ein spannendes Theatererlebnis, sondern darüber hinaus jede Menge Gesprächsstoff für zuhause.
Termine auf der Hompeage des Theater der Jugend.