Die übliche Art Theater zu machen ist, Stücke verschiedener Autorinnen und Autoren auf die Bühne zu bringen und diese entweder im Repertoire- oder Stagionesystem aufzuführen. Aber es gibt auch andere Ansätze. Ein solcher findet sich beim Odeon-Theater in der Taborstraße in Wien, das in diesem Jahr sein 25jähriges Bestehen feiern darf. Es beheimatet das Serapions-Ensemble, das von Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits gegründet wurde und regelmäßig mit einer neuen Produktion vor das Publikum tritt. In dieser Saison ist diese mit „Paradiso“ übertitelt. Um das Odeon am Laufen halten zu können wird es zwar auch als Spielort von anderen Veranstaltern gern genutzt, sein originärer Kern jedoch trägt schon über diese lange Zeit den Serapions-Stempel, der über Österreich hinaus einen hohen Wiedererkennungswert erlangt hat.
Das Außergewöhnliche des Ensembles ist seine homogene Arbeit, in welcher sich ein Thema an das nächste anschließt oder, besser präzisiert, in welchem es einige wenige Hauptthemen gibt, die immer wieder in eine neue Bühnensprache übersetzt werden. Der Mensch auf dieser Welt, die Bedingungen die er vorfindet und in welchen er sich zurechtfinden muss und die Rolle der Kunst kommen in diesen Produktionen immer wieder leitmotivisch vor, so auch bei „Paradiso“. Diese Art von Theater, das im wahrsten Sinne des Wortes „sprachlos“ agiert, setzt auf den Ausdruck der Bewegung, auf bühnentechnische Finessen und auf den gekonnten Einsatz von Musik. Diese fungiert zugleich auch als Hauptträger der Bühnenemotionen, die zwischen Erstaunen, Freude, Angst, Trauer und Hoffnung oszillieren können.
Für die neue Produktion wurde eine hohe Mauer voll von Säcken vor die Publikumsränge gebaut. Der schmale Raum davor ist lediglich der androgynen Erscheinung von Ulrike Kaufmann gewidmet, die, als die Mauer in sich zusammenstürzt, den gesamten Abend über als nicht unwichtige „Randfigur“ das Geschehen mit einem roten Faden in der Hand begleitet. Dieser rote Faden erweist sich auch nach einiger Zeit als jenes Kontinuum, das die Menschheitsgeschichte von ihrem Anbeginn an begleitet. Das Auf und Ab zwischen befriedeten und unbefriedeten Zeiten – in der Choreografie des international bestückten Ensembles höchst nachvollziehbar umgesetzt, aber auch die alltägliche Tretmühle der Arbeit und das Eingespanntsein in ein soziales System, an dem manche zerbrechen, andere wieder ausbrechen – all das kommt an diesem Abend in Wiederholungen vor. Es ist erst diese Repetition, die letztlich diesen roten Faden erklärlich macht. Der Abend wird von intensiven Tanzszenen getragen, die meist die ganze Truppe zu starkem Rhythmusbackground interpretiert. In ihnen ballt sich die ganze Kraft des gesellschaftlichen Movens, sowohl in positiver als auch negativer Auslegung. Diesen aktiven Szenen gegenübergestellt sind jene, in welchen einzelne Ensemblemitglieder poetische Lieder anstimmen, die von den anderen Agierenden bald aufgenommen werden. Der Zauber der Stimmen und die Ruhe dieser Szenen bekommen eine ganz besondere, eigene Qualität und nehmen ein wenig das Ende voraus. In ihm verselbständigt sich der Bühnenprospekt und beginnt wie von Zauberhand über den ProtagonistInnen auf der Bühne zu schweben. Wie die Flügel eines großen Vogels belebt der zarte Stoff die Szenerie und beeindruckt durch diese poetische Bildsprache nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer. Die Kunst gewinnt durch diese Metapher die Oberhand über die Menschen, befreit sie von allen Zwängen und gestattet ihnen jene Bewegungen durchzuführen, die ihnen nicht aufoktroyiert erscheinen, sondern aus ihnen selbst kommen. Sie steht dem Erdhaften und Erdgebundenen in geistiger Leichtigkeit entgegen und begleitet mit einer zarten Geigenmelodie das Publikum nach den Ovationen noch aus dem Theaterraum. „Paradiso“ verzaubert all jene, die Theater als sinnliches Erlebnis verstehen, bei dem die Entdeckung der eigenen Gefühle eine größere Rolle spielt als ein strikt vorgegebener Inhalt.
Vorstellungen:
21., 24., 25., 29.-31. Mai /
1., 7., 8., 11., 13.-15., 18., 21., 22.,
26.-29. Juni / 3., 5., 6. Juli
jeweils 20 Uhr