Das Konzert vom 6. November des OPS (Philharmonisches Orchester Straßburg) stellt Konzertkritiker vor eine Herausforderung. Was soll geschrieben werden, wenn es absolut nichts, aber auch schon gar nichts zu kritisieren gibt?
Was denken sich die Leserinnen und Leser, wenn, wie schon in den letzten Kritiken dieser Saison, eine Jubelbotschaft nach der anderen zu verkünden ist? Für solche Fälle hilft nur die Flucht nach vorne: Beschreiben und aufzeigen was schön war und das OPS als das hinstellen, was es tatsächlich ist: Ein Orchester, das mit den besten Orchestern dieser Welt messen kann.
Die Saison 09/10 ist eine ganz besondere. Marc Albrecht, der musikalische Direktor des OPS, hat es sich zum Ziel gesetzt, „sein“ Orchester Stücke spielen zu lassen, die in Straßburg schon lange nicht mehr aufgeführt wurden. Das war – und das kann man nun nach den ersten Konzerten bereits feststellen – eine ausgezeichnete Idee. Das jüngste Konzerte vereinte noch dazu einen Kontrast, der größer nicht sein hätte können. Im ersten Teil lud die Violinistin Viviane Hagner zu Mozarts Konzert Nr. 3 für Orchester und Violine, vom Komponisten selbst auch als „Die -Symphonie“ betitelt.
Die junge, in München geborene Geigerin spielt auf einer Sasserno Stradivari, einer Leihgabe der Nippon. Den Zusatz erhielt sie von ihrem ehemaligen französischen Besitzer, dem Comte Sasserno, der 1845 in Besitz dieses einzigartigen Instrumentes kam. Geigen dieser Qualitätsklasse werden genauso behandelt wie historische Kunstwerke, was bedeutet, dass sie meist mit einer lückenlosen Provenienz ausgestattet sind, wie eben in diesem Fall. Die Sasserno Stradivari muss im Zusammenhang mit diesem Konzert besonders hervorgehoben werden, denn Viviane Hagner entlockte dem zarten Instrument eine Klangfülle, die auch in den zartesten Passagen noch bis in die letzten Winkel des Saales zu vernehmen war. Das Instrument ist mit einer Resonanzkraft ausgestattet, die ihresgleichen sucht und überzeugt mit einem hellen, klaren und zugleich unglaublich voluminösem Ton. Dass Viviane Hagner sie meisterlich spielt, mit einer ausgeprägten Fingerfertigkeit und einer extrem subtilen Bogenführung, kann hier schon nur mehr als Fußnote bemerkt werden. Eine Zaubergeige wird eben nur einer zauberhaften Geigerin offeriert.
Neben dieser Idealbesetzung war es aber auch der Gastdirigent Petri Sakari, der musikalische Leiter der Philharmonie Turku, der das Werk zu einem besonderen Hörerlebnis machte. Er nämlich nahm das Orchester von seiner Lautstärke her so stark zurück und ließ nur ganz wenige dynamische Passagen zu, sodass das Konzert eigentlich als Violinkonzert mit Orchesterbegleitung tituliert werden könnte. Dieser Grundidee blieb er von den ersten bis zu den letzten Takten treu und man muss ihm bescheinigen, dass diese einen ganz besonderen Reiz ausübt. Gerade im Fall des Duettes „Hagner Stradivari“ profitierte das Publikum von dieser Interpretation. Das Orchester wurde von Sakari ganz verhalten eingesetzt, zärtlich und beinahe hauchend räumten sie der Solisten breitesten Raum ein. Sowohl die Streicher als auch die Bläser folgten dieser Idee, mit dem Erfolg, dass der Walzer zu Ende des zweiten Satzes schwebend durch den Raum klang. Petri Sakari erwies dem jungen, feinfühlenden Mozart seine Reverenz und nicht dem unumstößlichen Klassiker, der über alles erhaben zu sein scheint.
In der Zugabe, der Paganiniana von Nathan Milstein, ließ Viviane Hagner ihrer Virtuosität freien Lauf. Der dunkle, in Trauer verhangene Beginn kippte im zweiten Satz in ein rasantes, ja virtuoses Tempo in dem alle Schwierigkeiten zu bewältigen waren, die es im Geigenspiel gibt. Doppelgriffe waren mit Pizzicato-Stellen gewürzt, klare Glissandi wechselten mit Ricochets ab, also Partien, in welchen der Bogen im Abstrich mehrfach rasch von der Seite abprallt. Die Auswahl gerade dieser Zugabe war mehr als gelungen, denn sie bedeutete zugleich eine wunderbare Überleitung zum zweiten Teil.
Wie schon angedeutet, konnte auf Mozart kein größeres Kontrastprogramm folgen als DimitriSchostakowitsch`s Symphonie Nr. 11 in G-Moll, die den Titel „Das Jahr 1905“ trägt. Petri Sakari, der für den erkrankten Yakov Kreizberg eingesprungen war, hatte Glück. Denn es ist eine alte Weisheit, dass Dirigenten auch für die Qualität der Komposition beklatscht werden, die in diesem Fall das Straßburger Publikum zu anhaltendem Applaus hinriss. Ihm ist es aber zu verdanken, dass er dem Werk genau jene Dramatik entlockte, die ihm innewohnt. Nämlich die Erzählung des Winteraufstandes von 1905 in Moskau, bei welchem Arbeiter von Kosakeneinheiten getötet wurden. Schostakowitsch, der Zeit seines Lebens von den Repressalien des stalinistischen Regimes zu leiden gehabt hatte, schuf mit diesem Werk eine andauernde Erinnerung dieses gräueldurchtränkten Tages. In vier Sätzen – langsam- schnell – langsam- schnell, betitelt mit „Der Platz vor dem Palast“, „Der 9. Januar“, „Ewiges Gedenken“ und „Sturmgeläut“ breitet er ein Panorama des Geschehens und der inneren Zustände der Beteiligten aus, das mit vielen Höhepunkten ausgestattet ist. Aber auch in diesem monumentalen Stück erweist sich Sakari nicht als Mann des brachialen Taktstockes. Vielmehr dosiert er schon im ersten Satz die Bläserfanfaren auf ein Minimum um die Spannung dieses kalten, verschneiten Wintertages nicht vorzeitig aufs Spiel zu setzen. In den dramatischen Höhepunkten des zweiten und vierten Satzes jedoch können ihm die Bläser nicht brüllend und schneidend genug agieren, die Becken und Pauken nicht laut genug geschlagen werden, bis hin zu jenem Höhepunkt im Werk – dem Ende des zweiten Satzes, der abrupt im stärksten Fortissimo abbricht und noch lange in einem sofortig einsetzenden, nervösen Geigenflimmern nachhallt – die Arbeiter sind erschossen und Trauer legt sich über den großen Platz. Der Trauermarsch des 3. Satzes, von den Bläsern vorgegeben, wird von den Streichern aufgenommen und breitet sich im ganzen Orchester aus, aber es wäre nicht Schostakowitsch, würde nicht auch dieser Satz mit einer Steigerung ins Fortissimo ausgestattet sein. Im Schlusssatz beeindruckt der spannende Streicherpart, der sich durch alle Lagen zieht und ein Höchstmaß auch an körperlicher Arbeit von den Musikern abverlangt. Trauer, aber auch trotzige Hoffnung in die Zukunft ,bestimmen die Grundaussage des Finales.
In den lauten Tutti-Passagen zeigte sich Sakari förmlich berauscht, ihm stand der Konzertmeister, Vladen Chernomor in nichts nach – stellenweise war er kaum auf seinem Stuhl zu halten. Das klare Kompositionsschema, in welchem sich Motive wiederkehrend durch mehrere Sätze ziehen und viele russische Volks- und Arbeiterlieder eingearbeitet wurden, macht den besonderen Reiz dieses Stückes aus. Es ist wohl nur ideologischen Überlegungen zuzuschreiben, dass dieses Werk in Westeuropa so selten gespielt wurde.
Die OPS-Musiker zeigten sich einmal mehr als biegsam und anpassungsfähig und schlüpften mit scheinbarer Leichtigkeit in die Rollen, die ihnen Petri Sakari in diesen beiden, so unterschiedlichen Werken zugedacht hatte. Er dankte dem Publikum mit sichtbarer Freude an der Leistung der Musiker, indem er sie in den Mittelpunkt des Schlussapplauses stellte.
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