Warum ist dieser Shakespeare so unbekannt?

Warum ist dieser Shakespeare so unbekannt?

Aurelia Gruber

Foto: ( Julia Kampichler )

22.

September 2022

Die Inszenierung lebt nicht nur davon, dass sie unterschiedliche Auffassungen eines gelungenen Staatswesens und ihren jeweiligen Vertretern aufzeigt. Die Inszenierung lebt auch von starken, emotionalen Momenten.

Wenn der Name Shakespeare fällt, kommen wohl den meisten von uns die Königsdramen wie Lear, Macbeth oder Hamlet in den Sinn. Um jemanden zu finden, der Coriolanus gesehen hat, muss man aber lange suchen. Dem schafft gerade die Theatercompagnie „wortwiege“ bei ihrem Festival „Europa in Szene“ Abhilfe. Die Theatermacherin und Regie-Professorin am Max Reinhardt Seminar, Anna Maria Krassnigg, lud zur aktuellen Festival-Ausgabe zwei ehemalige Studierende ihrer Regieklasse ein, um dort ihre Abschlussarbeiten zu zeigen. Azelia Opak griff dafür tief in die Recherchekiste und zeigt mit einem Ensemble aus jungen, aber dennoch schon arrivierten Schauspielern und zwei Mitgliedern der „wortwiege“ den Aufstieg und Fall des römischen Patriziers Coriolanus. Es ist das letzte Shakespeare-Werk und wird allgemein als reif bezeichnet. Seine unterschiedliche Deutungshoheit mag vielleicht daran schuld sein, dass es nicht oft gespielt wird.

Coriolanus 0614 c Julia Kampichler web

Coriolanus (Foto: Julia Kampichler)

Der von Kindheit an auf den Kampf gedrillte Coriolanus bewirbt sich, von seiner Mutter gepusht, für das Amt eines römischen Konsuls. Die Meriten dafür hat er sich hinlänglich erkämpft, mehr als 20 Narben könnte er dem Volk, wie es vor Amtsantritt üblich war, zeigen, um sich damit als Romtreuer auszuweisen. Könnte er – wäre da nicht sein unbeugsamer Stolz. Dieser ist es schließlich auch, der ihn zu Fall bringt. Einige Jahrhunderte nach Shakespeare wird es eine zweite Figur namens Michael Kohlhaas geben, die sich genauso unbeugsam zeigen wird, wie einst Coriolanus, wenngleich auch das Motiv ein anderes ist.

Bis es jedoch so weit ist, zeigt Opak Shakespeares Figuren in all ihrer psychologischen Differenziertheit: Coriolanus (Lukas Haas), der Unbeugsame, der ein einziges Mal nicht seinen Prinzipien treu bleibt, sonst aber als Sturkopf par excellance gelten kann. Toll, wie sich Haas in einen Furor reden kann, der fast schon erschreckend wirkt. Seine Mutter Volumnia (Judith Richter), die, ähnlich heutigen Sportmüttern, alles von ihrem Sohn abverlangt, um sich schließlich in seinem Ruhm sonnen zu können. Menenius Agrippa (Jens Ole Schmieder), Angehöriger der Elite-Kaste und Coriolanus mit wohlmeinendem Rat zur Seite stehend, um seine eigene Position nicht zu gefährden. Tullus Aufidius (Philipp Dornauer), Coriolanus mehrfach im Kampf unterlegen, wartet nur darauf, im richtigen Moment Rache nehmen zu können. Trotz seiner Jugend mimt Dornauer  zwar einen heißblütigen Kämpfer, setzt aber vor jede seiner Handlungen eine große Portion Nachdenkkllichkeit. Junius Brutus (Paul Hüttinger), der als einer der ersten Volkstribune schnell gelernt hat, wie politische Intrigen funktionieren. Zwar deuten seine äußeren Attribute wie eine dicke Silberkette um den Hals auf Bürgernähe, Hüttinger verleiht seinem Tribun dennoch eine viel Verschlagenheit und Durchtriebenheit. Letztlich Sicinius Velutus (Uwe Reichwaldt), zweiter Volkstribun, der sich in Opaks Regie wie ein österreichischer Beamten-Schlawiner durch alle gefährlichen Situationen durchmogelt und dabei die Sympathie des Publikums auf seiner Seite hat.

Mit einem extrem klugen Bühnenbild (Felix Huber) wird der lange Bühnenraum getrennt. Eine runde Drehtüre – die Vorderseite in strahlendem Gold, die Rückseite pechschwarz gestrichen, gibt jeweils an, ob sich das Geschehen in Rom oder bei Roms Feind, den Volskern, abspielt. Nach der letzten gewonnen Schlacht verschmiert Coriolanus mit seinen eigenen Händen Blut auf dem großen Spiegel in der Bühnenapsis und macht damit klar, dass seine Kämpfe nicht nur ein Menschenleben gekostet haben.

Die Idee, die Produktion mit Live-Musik zu begleiten, ist nicht nur großartig, sondern macht auch dramaturgisch Sinn. Boglarka Bako und Marie Schmidt intonieren an ihren Streichinstrumenten immer wieder Beethovens Coriolanus-Motiv mit kleinen Abwandlungen. Damit werden auch jene Augenblicke unterstrichen, in welchen sich der Patrizier ganz in seinem Element als Volksführer und adeliger Herrscher versteht, der sich das Recht herausnimmt, seine Entscheidungen ohne das Volk zu machen, das er eigentlich für lästig und entbehrlich hält. Die beiden Musikerinnen sitzen links und rechts so im hinteren Bühnenabschnitt, dass man sie zwar wahrnehmen kann, sie aber das Spiel auf der begrenzten Bühne nicht stören.

Die Inszenierung lebt nicht nur davon, dass sie unterschiedliche Auffassungen eines gelungenen Staatswesens und ihren jeweiligen Vertretern aufzeigt. Die Inszenierung lebt auch von starken, emotionalen Momenten, wie jenem, in welchem Coriolans Mutter sich vor ihm auf die Knie wirft, und ihn um Gnade für Rom bittet. Wie sie sich kurz darauf an ihn klammert, zeigt überdeutlich die schicksalhafte Verbindung zwischen ihr und ihrem Sohn auf. Judith Richter bleibt mit dieser Szene unauslöschbar in Erinnerung. Aber auch Jens Ole Schmieder gelingt es, bei einem beinahe wortlosen Auftritt zu zeigen, was hohe Schauspielkunst ist. Wie er mit kurzen, abschätzigen Schnalzlauten die Volkstribunen an die Bühnenseite drängt und sie nicht mittig Platz nehmen lässt, geht unter die Haut und macht ihn in diesem Moment zutiefst verabscheuungswürdig.

Wer hier gut und wer hier böse ist, ist letztlich nicht wirklich auszumachen. Wie im richtigen Leben gibt es in diesem Stück kein wirkliches Schwarz und kein wirkliches Weiß. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Politik früher genauso wie heute von Menschen gemacht wird. Von Menschen, die einerseits kraft ihres eigenen Willens dort stehen, wo sie stehen und andererseits dank familiärer oder politischer Seilschaften sich einen Platz erobert haben, für den sie bereit sind, persönliche Opfer zu bringen, aber auch über Leichen zu gehen.

Dass das Stück wie für die Kasematten in Wiener Neustadt gemacht scheint, ist ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung. Umrahmt werden die weiteren Aufführungen von Salon-Gesprächen, aber auch einem neuen Format. Mit „Reden“ werden Reden von berühmten Menschen reenacted, die man meist nur vom Hörensagen kennt. Eine weitere tolle, künstlerische Idee, welche das große Feld der „Macht“, um das es letztlich bei „Europa in Szene“ in den Kasematten von Wiener Neustadt geht, von einer anderen Seite beleuchtet.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch Italienisch

Pin It on Pinterest