Auf einer Mülldeponie kann man allerhand finden

Auf einer Mülldeponie kann man allerhand finden

Wer sich je gefragt hat, wer denn er Erzähler ist, der in den Krimis von Wolf Haas dem Antihelden Brenner permanent über die Schulter schaut, dem sei eine Lesung des Autors selbst ans Herz gelegt.

In Graz wurde die Location für eine solche kurzfristig von den Kasematten auf dem Schlossberg ins Orpheum verlegt. Die Spielstätte am Schlossberg war aufgrund von Wartungsarbeiten mit der Zahnradbahn nur erschwert erreichbar. Trotz des ausklingenden, verlängerten Wochenendes und der gerade hereingebrochenen Hitze war der Saal im Orpheum nicht schlecht gefüllt. Finden Lesungen im Normalfall in Buchhandlungen statt, so füllt jemand wie Wolf Haas tatsächlich größere Säle. Einerseits hat er eine treue Lesegemeinschaft, andererseits kennen ihn viele aufgrund der Verfilmungen einiger seiner Bücher. Josef Hader spielt darin Kommissar Brenner, der sich schon bald aus dem Polizeidienst verabschiedet und danach in Eigenregie so manchen Fall zu lösen hat.

Es ist einerseits diese spezielle Figur, die das Lesepublikum fasziniert. Dieser grantelnde, eigenbrötlerische und zugleich liebenswerte Mann rutscht in schöner Regelmäßigkeit wider Willen und ohne Zutun in die Kriminalfälle.

Dabei hat er – wie das Gros des Publikums – mit alltäglichen Unbillen zu kämpfen, denen er aber auf höchst unkonventionelle Weise aus dem Weg zu gehen versucht. Andererseits ist es aber auch die lockere Sprache, die viele anspricht. Trotz dieser Leichtigkeit, werden dabei en passant tiefgründige Weltprobleme erörtert, als wären sie Marginalien. Diese spezielle Mischung bürgt für einen großen Lesegenuss.

All diese Faktoren beinhaltet auch sein neuer Roman „Müll“, aus dem Haas in Graz vorlas. Dabei verlieh er dem Erzähler nicht nur seine Stimme, sondern man konnte den Eindruck gewinnen, dass dieser eine Art Alter-Ego von Wolf Haas ist. Allerdings mit dem Paradoxon, dass dieses Alter-Ego, würde man es zum Leben erwecken, mit dem Schriftsteller selbst gar nicht viel gemeinsam hat. Denn Haas hinterlässt auf der Bühne den Eindruck eines ruhigen, besonnenen und intellektuellen Menschen mit hohem sprachlichem Ausdrucksvermögen. Sein Erzähler hingegen spricht mit x-fach wiederholenden Stehsätzen wie „Das glaubst du nicht“, „Frage nicht“ oder „Du darfst eines nicht vergessen“ und liebt es, Kommentare in Sätzen ohne Verben von sich zu geben. In „Müll“ passt sich dieser Slang wie eine zweite Haut an die darin vorkommenden Charaktere an: Es sind sogenannte „Mistler“ einer Wiener Mülldeponie, die in ihren Müllwannen eine zerstückelte Leiche finden. Dass sich unter ihnen auch Simon Brenner befindet, hat einen Grund. Arbeitet er doch selbst dort und empfindet seinen Job als den allerbesten, den er bisher hatte. Ob Udo oder der Herr Nowak, ob der junge Praktikant oder Brenner selbst – Haas gelingen wunderbare Charakterstudien von Männern, die als unkündbare Angestellte der Stadt Wien zwar eine Menge Chefs über sich wissen. Dennoch sind sie in ihrem Arbeitsumfeld stolze Herrscher darüber, wer bei ihnen gratis Mist ablagern darf oder nicht. Mit Argusaugen überwachen sie den korrekten Einwurf in die dafür vorgesehenen Wannen und dass ein wenig Trinkgeld meist zu besonderer Hilfsbereitschaft führt – wer kennt dieses Vorgehen in Österreich nicht?

Wohnhaft ist Brenner in einem schicken Appartement, hoch über den Dächern der Stadt – allerdings nur als „Bettgänger“. Als solcher nutzt er leer stehende Wohnungen, zur Übernachtung, mit dem hehren Ziel, keine Spuren zu hinterlassen.

Die große Kunst von Wolf Haas ist die Verzahnung gesellschaftlich relevanter Themen mit einer Kriminalgeschichte in einer Sprache, die – obgleich kunstvoll – so locker und flockig daherkommt, als hätte er jeden Satz in bierschwangeren Gasthäusern oder auf Zeltfesten aufgeschnappt und aufgeschrieben. Ob Müllproblem oder Organmafia, ob Beziehungsstress oder bourgeoise Lebensformen, es gibt scheinbar nichts, was Haas nicht tiefgründig und humorvoll zugleich verarbeiten kann. Zugleich wird die tragische Geschichte eines Mannes, dessen Leichenteile auf der Mülldeponie gelandet sind, in leicht verdaulichen Häppchen serviert.

Als Surplus bot Haas dem Publikum seiner Lesung eine höchst vergnügliche Geschichte über die Schwierigkeiten der Übersetzung seiner Texte ins Japanische an. Bei „Müll“ werden die Übersetzungsköpfe spätestens an jener Stelle zu rauchen beginnen, in der mit „Spuckerl“ ein kleiner Reinigungswagen benannt wird, den Brenner – klarerweise unautorisiert – in Betrieb nimmt. Die Szene, in welcher er durch den Defekt der Spritzanlage des Fahrzeuges, die sich nicht abstellen lässt, in Wien hunderten Passanten unfreiwillig die Schuhe putzt, gehört nicht nur zu den humorvollsten des Buches. Sie zeigt auch die literarische Könnerschaft von Haas, mit wenigen Sätzen in den Köpfen der Leserinnen und Leser eine komplette Filmszene ablaufen zu lassen.

Fazit: Lesungen von Wolf Haas lohnen sich. Das Lesen seiner Bücher sowieso.
 

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