Die Jugend an der Wien probt „Figaro Royal“. Quirlig, lebendig und mit viel Spaß wird gesungen, getanzt und gespielt. Wir waren mitten drin.
„Deine bunten Socken sieht man gar nicht!“ „Wenn ich den blauen Schirm nehmen soll, dann muss er auch dort am Platz liegen wo ich dann bin; sonst geht sich das nicht aus!“ „Wie bespringt man eigentlich einen Mann?“
Lautes Lachen, hektische Gespräche zwischen den Regieverantwortlichen, ein stoischer Korrepetitor hinter dem Klavier, Geschnatter rundherum. Ich komme mir vor wie in einem Bienenschwarm, der sich aufs Ausfliegen vorbereitet. Und im übertragenen Sinne tun sie das auch. Die Jugendlichen, die in wenigen Tagen auf der großen Bühne des Theaters an der Wien stehen werden. In den Requisiten des derzeitigen „Figaro“ aber mit einer eigenen Inszenierung. Wär sonst ja auch ein wenig zu fad.
„Figaro Royal“ nennt sich „ihr“ Stück. Und das „ihr“ darf man ruhig wörtlich nehmen. Denn, mit wem auch immer ich spreche, einhellig erzählen alle, dass dafür die Ideen der Mädchen und Burschen herangezogen wurden. Ausganspunkt war Mozarts „Le nozze di Figaro“, was herauskam, ist eine bunte Mischung aus Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, die dramaturgisch mit einem roten Faden verbunden wurde. Nicht alles, was musikalisch erklingt, ist auch tatsächlich aus der titelgebenden Oper entnommen. „Um den Chor öfter einsetzen zu können, habe ich drei Notturni herausgesucht, die gut zum Stückverlauf passen. Es sind eigentlich Stücke für drei Stimmen, aber wir haben sie für den Chor adaptiert“. Raphael Schlüsselberg ist der musikalische Leiter der Jugendproduktionen, der auch hinter dem Dirigentenpult stehen wird. „Wer zu uns kommt, interessiert sich schon einmal für die Oper. Und wer hier mitmacht, muss einfach zumindest bei den Chorstücken mitsingen.“ Das ist eine klare Aussage. Und so singen sie alle. Die insgesamt 23 jungen Opernbegeisterten, denen man die Ungeduld, bald auf der Bühne stehen zu können, anmerkt. Geprobt wird bereits seit Oktober wöchentlich. Jetzt, kurz vor der Premiere, kommen sie täglich ins Theater. Ein enormer Aufwand, den alle neben der Schule auf sich nehmen. „Das macht so viel Spaß“, die spontane Aussage eines der Mädchen erklärt wohl, warum. „Unser Grundkonzept ist: Wir passen immer das Stück an die Leute an und nicht umgekehrt. Das Originalstück ist eine Fundgrube, aus der wir heraussuchen was passt. Klar muss man die Oper sehr gut kennen, um dann die richtigen Ergänzungen dazuzufinden. Aber eigentlich geht das ganz flott. Florian Reithner, der Mann am Klavier, ist mein Assistent und verantwortlich nicht nur für die Korrepetition, sondern auch für Chorproben, Transkriptionen oder auch Adaptionen einzelner Stücke für die jeweiligen Stimmen.“ Bei dieser Probe fehlt noch eines: Das Orchester. Das Jugendorchester und Unterstufen Kammerorchester des Musikgymnasiums Wien kommt zu den Proben im großen Saal. Da wird´s erst richtig spannend. Alles, was vorher Mozart-light war, bekommt dann erst den großen, unvergleichlichen Klang.
Das neue Stück trägt viel Zeitgeist in sich. Wie in einer Daily Soap gibt es unterschiedliche Handlungsstränge bzw. auch zwei ganz verschiedene soziale Welten. Nämlich die der Royals, die im oberen Stock des Hauses wohnen und die des gemeinen Volkes, das darunter angesiedelt ist. Verbindungsglied zwischen den beiden Ebenen ist „Lexi“. Ein aufgewecktes Girl, das mit ihrem ständig präsenten Handy und ihren ungenierten Fragen so manches an den Tag bringt, was den Royals gar nicht lieb ist. Wenn sie zu ebener Erd` erscheint gibt es ein Gekreische und eine Aufregung sondergleichen. „Ich hab das Neueste vom Neuesten von oben!“ Und schon hängen alle wie die Trauben rund um sie herum.
„Welche Rolle kommt denn als nächstes, welche kann den Figaro noch toppen?“, frage ich Anton. „Weiß ich nicht“ ist seine kurze Antwort. Dabei trägt er ein umwerfendes Lächeln im Gesicht. Der großgewachsene junge Mann mit dem schwarzen Wuschelkopf ist bereits ein halber Profi. Schon seit seinem 5. Lebensjahr steht er auf der Bühne. „Das ist das, was ich immer schon wollte.“ Seit 10 Jahren singt er im Kinderchor in der Volksoper mit und freut sich nun darüber, dass er in dieser Produktion als Figaro der Hahn im Korb sein kann. „Das ist nicht so schlecht, echt super!“ strahlt er freudeansteckend. Klar, welcher junge Mann wünscht sich nicht, von so vielen hübschen jungen Damen zugleich umringt zu werden.
„Ich schimpfe, weil meine Mutter ständig das gleiche kocht“. Auch diese Aussage hängt mit der Aufführung zusammen. Daniel, dessen Muttersprache Kantonesisch ist, hat einen Soloauftritt. Dabei fegt er mit einem Bündel von Regenschirmen über die Bühne und schimpft wie ein Rohrspatz. Seine Mutter würde noch nicht genau wissen, worum es dabei eigentlich geht. „Wirst du sie im Publikum suchen, während der Aufführung?“ „Ja, ich glaub schon!“. Offenbar will Daniel auf Nummer sicher gehen, und die Reaktion abchecken. So ihm das in der Situation überhaupt möglich sein wird.
„Lasst mich auch drauf, ich will auch dabei sein“. Nach dem anstrengenden und aufregenden ersten Durchgang im Kostüm an einem Samstagnachmittag, den ich mitverfolgt habe, ist die Erleichterung aller spürbar. Jetzt sind Selfies angesagt. Aber die Zeit drängt, schnell noch einmal für eine Regie- und Kostümbesprechung in den großen Sitzkreis. An jener Stelle Jacke bitte aufmachen, Pullover, wenn möglich ausziehen, wozu hat man sonst die teuren, breiten Hosenträger gekauft? Kurze, aber wichtige Instruktionen werden vom Kostümbildner Axel E. Schneider weitergegeben und bleiben hoffentlich auch im Gedächtnis. „Wo sollen wir die Sonnenbrillen und Schirme aufbewahren?“, eine wichtige Frage, denn in der Hektik einer Aufführung muss alles an seinem Platz sein. „Dort wo sie waren. Bei euren Sachen.“ Sehr logisch, aber dennoch braucht es eine Erklärung. „Wer seine Sonnenbrille verliert oder etwas anderes, der muss sich das selbst nachkaufen. Geld haben wir keines mehr!“ Vielleicht ein kleiner Anreiz, um achtsam zu bleiben.
„Toll, wirklich toll, was ihr hier gezeigt habt. Eine unglaubliche Steigerung zum letzten Mal.“ Beate Göbel ist für das Schauspieltraining zuständig und teilt sich die Verantwortung für die Inszenierung mit Catherine Leiter. Sie ist schon seit 6 Jahren mit dabei und hat schon viel erlebt. Anders als bei Inszenierungen für Erwachsene können die beiden Regisseurinnen nicht von Beginn an mit einem fixen Konzept in den Arbeitsprozess einsteigen. „Wir erarbeiten gemeinsam mit den Jugendlichen die Rollen. Das schaut so aus, dass sie über das Spielen selbst, über die ersten Workshops und Improvisationen die wir machen, ihre Rolle selbst finden.“ Regie in einer Inszenierung zu führen, die erst einmal von den Jugendlichen selbst erarbeitet wird, erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. „Diese Flexibilität hat was Lebendiges. Und wenn´s lebendig ist, dann spürt man halt alles! Wenn´s tot ist, dann spürt man halt manche Sachen nicht. Choose what you want!“ Göbel lacht, während Sie die Herausforderung an diesem besonderen Job charakterisiert. „Jetzt umziehen und in 10 Minuten sind wieder alle hier!“ In lautem Kommandoton muss sie den wieder angestiegenen Lautstärkepegel übertönen, um gehört zu werden. Der Saal leert sich in wenigen Minuten und was bleibt, ist wohltuende Stille. Zumindest für 10 Minuten.
Das bunte-Socken-Problem wurde an diesem Nachmittag noch nicht gelöst. Die Aufteilung der Schirme sehr wohl. Und wie die Gräfin aus der Parterre-Wohngemeinschaft am besten in die Arme ihres Angebeteten springt, das erfordert noch ein paar Proben mehr. Eins steht aber fest: Mozart hätte einen Riesenspaß gehabt!
Termine: 19.04 17:00 Uhr & 20.04.2015 12:00 Theater an der Wien
„Ich bin O.K“, der Kultur- und Bildungsverein der Menschen mit und ohne Behinderung präsentierte mit über 110 Teilnehmenden das orientalisches Märchen, das gekonnt in die Jetzt-Zeit transferiert wurde.
Wie könnte die Geschichte von Aladin und seiner Wunderlampe heute erzählt werden? Der Verein „Ich bin O.K.“, der seit dem Jahr 1979 ein Bildungs- und Kulturangebot für Menschen mit und ohne Behinderung anbietet, präsentiert in seiner neuesten Produktion „Aladins Erkenntnis“ nicht nur die Geschichte von Aladin und seinem dienstbaren Geist Dschinn. Darin werden am Ende des Stückes dem Publikum aber auch allen Beteiligten Ratschläge für ein gelungenes Leben mitgegeben.
Bis es allerdings soweit ist, erlebt die Hauptfigur Aladin (alternativ mit Alex Stuchlik und Mike Brozek besetzt) allerhand selbst hervorgerufene Abenteuer. Sein Geist kommt jedoch nicht aus einer Wunderlampe, sondern einem Smartphone. Stets hurtig und auf Anruf parat, erscheint Johnny K. Palmer in weiß-grauem Bodysuit mit silbern glänzendem Hut, um seinem Herren jeglichen Wunsch zu erfüllen. In giftig-grünlichen Nebel getaucht, ist er ein wahrer Sympathieträger dieser Figur und gibt zusätzlich einige, von ihm selbst komponierte und getextete Songs zum Besten, die sich auf die Wünsche Aladins beziehen.
Die über 110 Tänzer bzw. Tänzerinnen treten in einzelnen Szenen auf, wobei sie durch eine spezielle Farbsymbolik verschiedene lebens- und charakterbildende Bausteine symbolisieren. Wissen, Gesundheit, innere Freiheit, Entwicklung, Fröhlichkeit, Selbstvertrauen, Freundschaft, Bescheidenheit, Liebe, innere Kraft und Kreativität werden so in unterschiedlichsten Choreografien anschaulich gemacht. Ein aufwändiges Bühnenbild (Fam. Röper, Jakob Kraus) und farbenprächtige Kostüme von Carmen Little und Karin Oébster (Kayiko) machen die Inszenierung richtig kostbar.
Dabei steht eines sichtbar im Vordergrund: Die Freude an diesem Projekt, der Spaß, auf der Bühne zu stehen, ob in feinen Abendkleidern oder lustigen Cowboykostümen. Da wird zwischendrin ins Publikum gewinkt und die Leute zum Mitklatschen animiert. Da sitzen die Kleinsten als Elfen und Insekten mit Flügelchen auststaffiert nach ihrem Auftritt auf der Bühne und schauen ernst bis heiter aber unglaublich berührend in die Runde. Da lachen die Herren im Rollstuhl aus vollem Hals, während ihre fahrenden Hilfsgeräte quer über die Bühne sausen, dass man genötigt ist, bei diesem Spass mitzulachen. Aber es werden auch ernsthaft Schritte gezählt, versucht, Anschluss an den Vordermann oder die Nebenfrau zu halten und das ein- oder andere Mal ist der Abgang hinter die Bühne eine richtige Herausforderung. Wo geht’s da eigentlich hinaus? Diese Frage kann man an den Gesichtern ablesen und in diesem Moment zugleich die große Leistung der Menschen mit Downsyndrom nachempfinden, die dieser Bühnenauftritt für sie darstellt.
Die immer stärker werdende Fokussierung auf elektronische Hilfsmittel wie Smartphones beschäftigte die Truppe sehr. Aus diesem Grund wurde auch ein Auftritt eingebaut, bei dem die Menschen sich nur mehr wie Roboter fortbewegen und keine Notiz mehr voneinander nehmen. Die Tänzerinnen und Tänzer von „Ich bin O.K.“ bringen ihre eigenen Ideen zu jeder Produktion mit, wie auch in der letzten Produktion „Getrennt – vereint“. „Bereits während der Proben durften wir in eine Welt eintauchen, die durch ihren ungewöhnlichen Humor und ihre facettenreiche Fantasie geprägt ist.“ Dieses Statement von Hana & Attila Zanin, die die künstlerische Leitung des Vereines innehaben, zeigt, dass dieses Projekt nicht nur mit, sondern vor allem auch aus den Teilnehmenden selbst heraus entsteht. Eine wunderbare Superman-Persiflage in der in einer Videosequenz Aladin in den Weltraum fliegt und das Abheben einer Rakete in die zuvor die Tänzerinnen und Tänzer einstiegen, bringen zusätzlichen Bühnenzauber ins Geschehen.
Am Schluss erkennt Aladin, dass sein eigenes Ich, seine eigenen Fähigkeiten und sein eigenes Können das ist, was ihn wirklich ausmacht. Keine noch so tolle App mit einem dienstbaren Geist, kein Geld der Welt und keine überzogenen Wünsche.
„Ich bin O.K“ möchte die Begeisterung ALLER für Tanz und Theater entfachen und damit zu einer besseren Lebensqualität beitragen! – ist im Programmheft zu lesen. Für 90 Minuten gelingt dies auf eine Art, die herkömmliches Tanztheater nicht bieten kann. Gibt die Aufführung doch auch einen kleinen Einblick in die Welt von Menschen, die mit einer Spontanität und einer Herzlichkeit ausgezeichnet sind, wie wir diese bei Personen ohne Behinderung kaum einmal finden. Auf einer Bühne stehen, im Mittelpunkt des Publikumsinteresses; zeigen, was man durch die eigene Leistung mit seinem Körper ausdrücken kann; erfahren, wie sich tosender Applaus anhört und anfühlt. Das alles bietet der Verein mit seinem Tanzstudio und seiner Dance Company. Und anlässlich eines Auftrittes wie diesem Menschen ohne Behinderung jede Menge neue Erkenntnisse.
Astrid Griesbachs „Die Legende von Nathan dem Weisen“ in der Reihe „Weltliteratur“ besticht in der Wiederaufnahme im Dschungel Wien
„Jo wos kunnt des jetzt sein?“ fragt sich Gott in breitestem bayerischen Dialekt, während er die Welt erschafft. Und beantwortet seine Frage gleich selbst. Die Krönung der Welt nennt er „Mensch“. Und eben dieser macht ihm nichts als nur Ärger. Nach der Rückkehr aus seinem mehrtausendjährigen Urlaub muss er feststellen, dass sich niemand mehr an ihn erinnert. Und so schickt er Plagen und verlangt Menschenopfer mit dem allergrößten Vergnügen.
Mathias Lenz brilliert in der Eingangsrolle des Kinderstückes „Die Legende von Nathan dem Weisen“, das im Dschungel Wien eine Wiederaufnahme erlebte. Mit schwarzer Kurzhaarperücke und Röckchen ist seine Welterschaffungsnummer schier zum Schießen. Man biegt sich vor Lachen und kann gar nicht genug davon bekommen. Aber dies ist längst nicht die einzige Rolle, die ihm die Regisseurin Astrid Griesbach, Spezialistin für Puppentheater, zugedacht hat. Ein wenig später verkörpert er noch den Tempelritter Curt von Stauffen, eine der drei tratschenden Personen, die vor ihrem Marktgang noch schnell die letzten Neuigkeiten austauschen und einen der drei Söhne aus jener Ringparabel, mit der Lessing sein Stück eigentlich beginnen lässt.
In Griesbachs Fassung für Kinder ab 8 Jahren wird diese erst kurz vor Ende des Dramas erzählt und zwar, man glaubt es kaum, von einer der wichtigsten Bühnenfiguren für Kinder, dem Kasperl selbst. Christian Pfütze schlüpft in diese Rolle und holt das junge Publikum ganz dort ab, wo es ist. In einer verwandtschaftlich verworrenen Bühnensituation, die nur mehr durch Humor zu retten ist. Wer ist wessen Bruder oder Schwester? Wer hatte sieben Söhne, letztendlich aber nur eine adoptierte Tochter? Die Handlung, in deren Vordergrund die Frage um die Gleichberechtigung und den Wert der drei monotheistischen Religionen steht, ist bis zu diesem Zeitpunkt bereits durch. Kleine, aus Papier gefertigte Figuren, die sich zum Teil in ihre einzelnen Bestandteile auflösen, aber auch riesige, wie der gnadenlos nach Rache rufende Patriarch, der drohend an großen Stäben über die Bühne getragen wird, verleihen den einzelnen Charakteren ihre Gestalt. Meist tauchen sie für ihren Einsatz aus auf dem Boden stehenden Kartonrollen auf, die an ihrer Vorderseite mit dem jeweiligen Religionszeichen markiert sind. Dem Davidstern, dem Kreuz und dem Halbmond. Jerusalem, jene Stadt, in der sie alle miteinander friedlich kooperierten bis die Kreuzritter das Land befreien wollten, ist der Austragungsort des Geschehens.
Ganz nebenbei gibt es jede Menge Geschichtsunterricht, der jedoch in keiner Sekunde Langeweile auslöst. Myriam Rossbach, eine wunderbare Sympathieträgerin jeglicher Rolle in die sie schlüpft, agiert zwischen den beiden Männern humorvoll, naiv, zart, zerbrechlich und voller Lebenslust zugleich. Ihre Recha, jene von Nathan adoptierte Tochter, die dem Tempelritter in die Arme fällt als sie aus ihrem brennenden Haus springt, verfolgt, ohne sich beirren zu lassen, ein Ziel: Sie möchte ihrem Retter Gutes tun und verstrickt sich dabei rasch in das Gefühl der Verliebtheit. Lessings Text wird nur mit wenigen markanten Sätzen originalgetreu zitiert, meist ist eine leicht verständliche Sprache jedoch der Träger des Geschehens. Die Fragen nach der richtigen Religion bis hin zur Erzählung der blutrünstigen Auslöschung der Tempelritter werden zwar angeschnitten, ohne jedoch von Nathan beantwortet zu werden. Dies bleibt dem bunten Handpuppenhelden Kasperl überlassen.
Wunderbar Griesbachs Regieeinfall alle drei Spielenden immer wieder unter Gegacker zusammenkommen zu lassen, um mit einfachen, weißen Papierblättern die Illusion von zusammenstehenden Menschen-Hühnern zu erzeugen, die dafür sorgen, dass die Handlung durch ihr Getratsche im Eiltempo vorangetrieben wird. Diese kleinen Zwischenszenen rhythmisieren das Geschehen und geben der Inszenierung eine zusätzliche, fast musikalische Qualität. Die schwarz-weißen Kostüme, die grauen Kartonrequisiten und das weiße, verwendete Papier kontrastieren herrlich mit Kasperls buntem Outfit. Er ist es erst, der klar macht, dass es zwischen den Menschen keinerlei Unterschiede gibt. Zuvor jedoch müssen die drei Söhne aus der Ringparabel sich noch beinahe die Köpfe einschlagen und verwenden dabei einen so geschickten Text, dass man sofort weiß, dass sich hier vor den Augen aller der Kampf zwischen den drei Religionen abspielt. Ein Kampf, bei dem es keinen Sieger gibt. „Du hast ja was Komisches mitten im Gesicht“ konstatiert der kleine Geselle gegenüber seinen Mitspielenden auf der Bühne aber auch gegenüber dem Publikum. „Eine Nase!, so wie ich auch. Dann sind wir ja verwandt!“ Obwohl die Kinder und Jugendlichen diese familiäre Zuordnung mit lautem Lachen quittieren, kommt die Metabotschaft der Brüderlichkeit aller Menschen an.
Für Literaturfreaks gibt’s auch noch den versteckten Hinweis auf Lessings Beschäftigung mit der Kasperlfigur, die er in einer Abhandlung über das Drama als notwendig erachtete. Das aber ist wirklich nur ein Sidestep, der Kundigen Spaß macht, die mit einer ganz besonderen Kennerschaft ausstattet sind. Wer es nicht geschafft hat, sich „Die Legende von Nathan dem Weisen“ anzusehen, hat zumindest ab 18. Mai Gelegenheit „Die Legende von Schillers Räubern“ mitzuverfolgen. Abermals zeichnet Astrid Griesbach für die Regie verantwortlich, was ein wunderbares Theatererlebnis erwarten lässt. Wie auch bei Nathan wird es sich um eine Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin handeln, in der abermals ein Stück Weltliteratur zu ganz neuem Leben erweckt werden wird.
„Liebe und Krieg“ ist eine von drei Shakespeare – Adaptionen der Konservatorium Wien Privatuniversität im Dschungel Wien.
Nebel kriecht über den Boden, Sirenen heulen, von hinten stürmt eine Mannschaft auf die Bühne, ihre Montur ist irgendwo zwischen Football, Paintball und Computerspiel angesiedelt. Mit hypermännlicher Gestik beginnen sie zu skandieren.
Diese betonte Männlichkeit zieht sich durch das gesamte Stück, vom Kostüm (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin) über die zur Schau gestellte Körperlichkeit bis zur Besetzung. Neben Katharina Farnleitner als Cressida gibt es noch Katharina Stadtmann als deren Onkel Pandarus – mit Schnauzbart. Die anderen Rollen sind aufgeteilt auf die drei Schauspieler Valentin Postlmayr, Deniz Baser und Noah Saavedra. „Liebe und Krieg“ (Autor: Dietrich Trapp) ist eine Adaption von Shakespeares „Troilus und Cressida“ für ein Publikum ab 12 Jahren.
Durch die Liebesgeschichte von Troilus und Cressida, die durch den Trojanischen Krieg getrennt werden, soll „dem Krieg ein Gesicht gegeben werden“, wie es in der Programmankündigung heißt. Cressida, eine Trojanerin, wird im Zuge eines Gefangenenaustauschs an Griechenland ausgeliefert. Dort steht sie vor der Frage: Treu bleiben, koste es, was es wolle? Oder sich anpassen? Sie entscheidet sich für letzteres. Der Rest ist vorhersehbar. Das ganze Stück über ist keine der Figuren je anders, als man es von ihr erwartet.
Die Inszenierung schafft es nicht wirklich, ihre moralisierende Komponente abzustreifen. Sie bietet allerdings durch ihre hohe Geschwindigkeit, einen gut dosierten Witz und einen Beatbox–Battle, den das Publikum mit Szenenapplaus belohnt, gute Unterhaltung. Ein Stück, das man sich gerne ansieht, das einen aber wahrscheinlich nicht nächtelang verfolgen wird.
„War Game“ – ein „Spiel“ rund um den Krieg und seine medialen Mechanismen im Dschungel Wien.
„War Game“ ist eine von drei Shakespeare–Adaptionen für Kinder und Jugendliche die Ende März im Dschungel Wien uraufgeführt wurden. In dieser Produktion haben Studierende des Tanzpädagogikzweigs (Dorothea Altenburger, Monika Demmer, Clarissa Friedrichkeit, Lena Pirklhuber, Martin Wax) der Konservatorium Wien Privatuniversität unter der Leitung von Nikolaus Selimov gemeinsam die Choreografie erarbeitet. „Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln.“ – dieses Zitat aus „Julius Cäsar“ schlägt gemeinsam mit anderen Zitaten von William Shakespeare eine Brücke zu Konflikten in der Vergangenheit.
Mit Computer-Spielen hat „War Game“ allerdings wenig zu tun. Vielmehr wird man wird mit Bildern geflutet. Die Konflikte, die die Medien bestimmen, werden auf eine Wand projiziert. Gemeinsam mit akustischen Einspielungen vermischt sich dabei alles zu einem überschwappenden Medienbrei.
Tische stellen eine undurchdringbare Festung dar. Dann wieder werden sie zu einer wackeligen Bühne, die immer kleiner und unsicherer wird. Eine Handkamera wird auf das Bühnengeschehen gerichtet, Naheinstellungen zeigen Gewaltszenen. Aus Bewegungen, die wirken, als wären die Tänzerinnen und der Tänzer selbst getroffen worden, entwickeln sich kurze Momente der Suche nach Nähe – in einer Welt, die unter Beschuss steht.
Als Publikum wird man allerdings nur selten gezwungen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Nur manchmal nähert sich das Bühnengeschehen physisch und emotional. Dann, wenn die Tänzerinnen fallen, und noch am Boden weiter salutieren. Wenn sie, einen Marschrhythmus stampfend, auf das Publikum zukommen. Oder wenn der Arm des Verwundeten in den Medienberichten zum Arm einer Tänzerin wird. Insgesamt, obwohl das Potential vorhanden wäre, bleibt das Geschehen jedoch seltsam ungefährlich. Auch die Faszination, die Krieg und besonders Kriegsspiele auslösen können, bleibt auf der Strecke.
Dabei macht die Inszenierung einen weiten Zusammenhang der medialen Inszenierung von Krieg auf und reflektiert die Produktion von Grauens- oder Heldenbildern. Zugleich wird darauf angespielt, dass wir es in unserem Land so friedlich haben, dass wir Krieg virtuell simulieren müssen. Eingespielt werden auch Zitate von Schülerinnen, die im selben Alter wie das Zielpublikum sind. Aus ihnen lässt sich die große Entfernung, die wir zwischen uns und dem Kriegsgeschehen wahrnehmen, ablesen. Diese Entfernung bleibt unangetastet. Hängen bleibt die Quintessenz: „Ich will nicht, dass es anderen Menschen schlecht geht“. Ob das reicht?
„Heinrich V“ eine kindergerechte Inszenierung im Dschungel mit viel Augenfutter
Eine Leiter verwandelt sich in ein englisches Schiff, eine Schauspielerin mithilfe eines blauen Tuchs in den Ärmelkanal und Luftballons in sterbende Soldaten. Einen Krieg für Kinder erzählen. Kann man denn…? Und: Darf man denn…?
Der 2. Jahrgang des Studiengangs Schauspiel der Konservatorium Wien Privatuniversität spielt Shakespeares „Heinrich V“ für Kinder ab sechs Jahren (Schauspiel: Florian Appelius, Anatol Käbisch, Naemi Latzer, Maresi Riegner, Anna Woll). Die Textadaption von Ignace Cornelissen bricht die Geschichte auf einen nachvollziehbaren roten Faden herunter. In der Inszenierung unter der Regie von Frank Panhans wird deshalb auf Komplexität nicht verzichtet.
Krieg wird als ein sinnloser Streit zwischen Kindern erzählt, von dem am Ende niemand mehr weiß, wer angefangen hat, wer schuld ist und worum es ging. Trotzdem ist dieses Stück alles andere als harmlos. Gerade sprachlich wird den Kindern viel zugemutet. Die Brutalität, die ein Krieg mit sich bringt, der Tod werden nicht ausgespart.
Eine zentrale Figur ist dabei Catherine, Prinzessin von Frankreich. Sie beginnt, sich von der Geschichte, die über sie erzählt wird, zu emanzipieren. Als bloße Figur in der Erzählung ist es leicht, Verantwortung abzugeben und sich seinem Schicksal zu fügen. Dem widersetzt sie sich, fällt aus ihrer Rolle aus, erfindet eine Fledermaus hinzu und gibt sich nicht so leicht geschlagen. Damit ist sie, obwohl Spielball von Interessen, eine starke Frauenfigur. Sie gibt dadurch auch dem Publikum die Möglichkeit, die Geschichte neu und anders zu denken und vielleicht den Luftballon-Soldaten den Tod zu ersparen.
Visuell besticht die Inszenierung besonders durch den schlüssigen Einsatz der reduzierten Requisiten (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin). Das Bühnenbild ist eine Abenteuerlandschaft aus beweglichen Bühnenteilen, die fantasievoll bespielt werden.
„Heinrich der Fünfte“ ist eine von insgesamt drei Shakespeare – Adaptionen am Dschungel Wien. Das Stück ist für Publikum ab sechs Jahren konzipiert. Schauspielerisch bewegt sie sich auf hohem Niveau. Spielerisch werden die Rollen getauscht. Beliebigkeit entsteht dennoch nicht. Heinrich ist naiv und bleibt liebenswert, ohne dass man seine Grausamkeit einfach hinnimmt. Auch der französische König ist Figur und nicht nur Gegenspieler. Regiert wird die Inszenierung jedoch von den drei Frauen, die sich die Rollen von Prinzessin Catherine und den Erzählerinnen teilen.