Lauwarme Mönchssuppe mit Ballaststoff-Croutons

Lauwarme Mönchssuppe mit Ballaststoff-Croutons

Lauwarme Mönchssuppe mit Ballaststoff-Croutons

Von Michaela Preiner

„Die interaktiv-performative Kochshow 2017“ (Foto: ECN)

28.

November 2017

Wien Modern ist nicht nur für dafür bekannt, zeitgenössischer Musik eine Plattform zu bieten. Immer wieder tauchen während des Festivals auch Formate auf, die ganz aus der Reihe tanzen.

Ein solches war „Die interaktiv-performative Kochshow 2017“ mit Götz Bury im Kuppelsaal der TU Wien. Kochshows sind seit Jahren ein sicherer Quotenbringer für diverse Fernsehsender. Dass dabei Köstliches kredenzt wird, ist selbstverständlich.

Der Künstler Götz Bury bedient sich dieser ständig ansteigenden Welle und kredenzt in seiner bewusstseinserweiternden Performance mit dem Titel „Gut leben ohne nix“, die Zubereitung einer „Lauwarmen Mönchssuppe mit Ballaststoff-Croutons“. Der Anspruch, etwas Köstliches zu essen zu bekommen, wird dabei nicht erhoben. Vielmehr achtet Bury darauf, möglichst ökonomisch nicht nur seine Performance zu gestalten, sondern auch sein Publikum zu verköstigen.

In der augenzwinkernden Contradictio in adiecto „ohne nix“ seines Performance-Titels wird schon im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Zutaten zur Suppe nicht opulent ausfallen werden. Die Überraschung ist dann jedoch dennoch groß, als der Preis pro Suppenteller kommuniziert wird: 20 Cent. Wien Modern unterstützte den Performer klanglich durch „Klangminiaturen“ als Vor- Zwischen- und Nachmusiken aus der Vorlesung Elektroakustische Musik I & II am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der TU Wien.

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„Die interaktiv-performative Kochshow 2017“ (Foto: ECN)

Ganz der Maxime von Paul Bocuse verpflichtet, je höher die Mütze, umso wichtiger der Koch, tritt Bury dabei mit einer riesigen Papiertaschen-Kochmütze auf. Die Schultern Löffel-dekoriert, an der Brust unzählige selbst gebastelte Orden, verschafft er sich von vornherein eine Aura, die ihn als hochgelobten Experten auf seinem Gebiet ausweist. Bügeleisen werden bei ihm zu Kochplatten, die tunlichst nur unter der „Leinen-Einstellung“ betrieben werden sollen, ein alter Kleiderbügel fungiert, umgebaut, als Säge. Alte Trenchcoats werden zu blütenweißen Kochjacken und hochwertige Kleideraufhänger von ihm zu Kochlöffeln umfunktioniert. Das Geräusch des kochenden Wassers wird verstärkt in eine Komposition eingebunden, genauso wie der Säge-Rhythmus, als Bury beginnt, sein aus Sägespänen gefertigtes Brot zu schneiden.

Die Klanginstallation, die zu Beginn der Performance den Raum erfüllte, vereinte Geräusche wie ein Klopfen, Piepsen, Scharren, Rauschen, Klingeln, Dröhnen genauso wie ein Teekesselpfeifen oder eine lautes Krachen beim Knäckebrotessen und diente mit seinem finalen eingespielten Stimmen-Hinweis „delicious“ als auditive Vorfreude auf Kommendes. Der „verschärfte Kabelsalat“ unter Burys „new stone age – Küche“ war zwar nicht genießbar, seine Molkesuppe, kredenzt in Schallplatten-Tellern mit Nägel-Löffeln, „im Wert von 30 Euro!“, letztlich doch.

„Die interaktiv-performative Kochshow 2017“ (Fotos: ECN)

Das Klangspektrum, das während der Show mitgeliefert wurde, war riesig: Es reichte von wabernden Elektronikklängen, eingespielten Muezzin-Rufen und verschiedenen Stimmen über eine kleine Melodie, die an die Verwendung einer Maultrommel erinnerte, bis hin zu an- und abschwellendem Elektroschnattern, Quietschflattern oder einem tropfenden Zirpeln.

Eine rein männliche Phalanx war für die Kompositionen zuständig: Alexander Farkas, Simon Maximilian Fraiss, Christoph Derwart, Thomas Bernhard Koch, Martin Tiegelnegg, Marco Cavasino und Luka Tengg.

„Gut leben ganz ohne nix“-Sackerl, prall gefüllt mit einem Schallplattenteller und einem Nagel-Löffel wanderten anschließend mit dem Publikum nach Hause. Dort bilden sie nun Erinnerungs-Relikte an eine schräg-witzige-interessante-sonntagsmittägliche-Show von Wien Modern. 

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Die Welt ist ein unfairer, wunderschöner Ort

Die Welt ist ein unfairer, wunderschöner Ort

Die Welt ist ein unfairer, wunderschöner Ort

Von Elisabeth Ritonja

„365 picture+“ (Foto: Reinhard Winkler)
17.
November 2017
„Dreihundertfünfundsechzig+“ ist ein subjektiv-objektiver Rückblick auf das Jahr 2016, nicht nur aus der Sicht der jungen Generation.
,Insgesamt 12 Jugendliche aus Wien, Graz und Linz arbeiteten an dem Text, für den sie 2016 ein Tagebuch führten und darin höchst Subjektives, aber auch Einträge zu weltpolitischen Ereignissen notierten. Die Regisseurin Claudia Seigmann verfasste gemeinsam mit Claudia Tondl (im writers-room-Einsatz auch bei der Seestadt-Saga des Schauspielhauses) die dramatische Fassung, bei der ein Chor mit acht jungen Menschen, sowie drei Schauspielerinnen und einem Schauspieler auf der Bühne des Dschungel Wien stehen.

Obwohl: „Die Bühne“ gibt es nicht, denn das Publikum nimmt auf Hockern dort Platz, wo normalerweise gespielt wird. Der Chor agiert entweder inmitten der Besucherinnen und Besucher, oder auf einem kleinen Podest an einer Seite, später auch auf den von den Sitzbänken leergeräumten Rängen.

Wen oder was hast du 2016 neu kennengelernt? Bei welchem sportlichen Ereignis hast du mitgefiebert? Wo warst du 2016 auf Urlaub? An welches Ereignis kannst du dich noch genau erinnern?

Schon im Foyer dürfen sich die in Gruppen eingeteilten Zuseherinnen und Zuseher anhand von Fragen auf Kärtchen selbst Gedanken machen, woran sie sich eigentlich erinnern und kommen darauf, dass das, was sie persönlich erlebt haben,  spontaner aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann als durch Medienereignisse kommunizierte Vorkommnisse. Kurz darauf im Saal fühlt man sich ertappt, denn  kein einziges, vorgelesenes Datum ist in der Erinnerung so abgespeichert, dass man es sofort mit einem Großereignis in Verbindung bringen kann. Und doch waren es viele: Der Flüchtlingsstrom aus Syrien, der durch den Bau neuer Zäune hintangehalten werden sollte, das Kind in Aleppo, das mit staubigem Gesicht im Krankenwagen transportiert wurde, der Anschlag auf das Kulturzentrum Bataclan, jener in der U-Bahn in Brüssel oder jener in Nizza, die österreichische Bundespräsidentenwahl oder jene von Herrn Trump in Amerika.

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„365 picture+“ (Foto: Reinhard Winkler)

Gekonnt wechselt dabei der Chor, ausgestattet mit kleinen Choreografien, mit den Auftritten der Profis ab. Im abgedunkelten Raum erhält der Auftritt Letzterer durch kleine Taschenlampen, mit denen sie sich selbst beleuchten, eine zusätzliche Dramatik. Dafür sorgt auch der höchst subtil eingesetzte Sound von Bernhard Fleischmann. Zurückhaltend dort, wo er poetischen Aussagen einen zusätzlichen Feinschliff verleiht, spannend da, wo die dramatischen Ereignisse die Jugendlichen an unserer Welt schier verzweifeln lassen. Die Musik drängt sich dabei niemals in den Vordergrund, sondern unterstützt die unterschiedlichen emotionalen Stimmungen passgenau.

Bauchschmerzen, Schularbeiten, Geburtstagsgeschenke und Überlegungen zur eigenen Zukunft, Erlebnisse in den Sommerferien und Schulpausen schieben sich zwischen Berichte dramatischer Weltvorgänge. So entsteht ein vielfältiges Kompendium der Befindlichkeit einer Generation, die aufgrund einer ausufernden Informationsflut nicht mehr das Privileg genießt, unbeschwert aufwachsen zu können. „Wieso passiert eigentlich so viel? Wieso passiert immer mehr und mehr?“, bringt eine der jungen Frauen die mediale Überflutung auf den Punkt. Die Angst vor Terroranschlägen steht der Freude eines erlebten Fallschirmsprunges gegenüber. Das Glück über die bestandene Matura wird vom politischen Rechtsruck überschattet, der den Jungen unerklärlich ist.

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„365 picture+“ (Fotos: Reinhard Winkler)
Ab und zu darf aber auch gelacht werden. Über den 94-jährigen Herrn Joseph zum Beispiel, der jeden Samstag im Tabakgeschäft nach neuen Journalen fragt, dann aber doch immer dieselben Zeitungen kauft. Oder über den Sieg beim Armwrestling in der Schulpause, bei welchem der Schiedsrichter wegen Hausabschreibungspflichten ausgefallen war. Oder über die Aussage, dass Mädchen muskulöse Jungs muskellosen bevorzugen.

„Dreihundertfünfundsechzig+“ bietet auch viele Ebenen des Nach-denkens an. Über unsere eigenen Erinnerungen und Erfahrungen, die wir rasch zuschütten, über die differenzierte Wahrnehmung ein und desselben Vorkommnisses bei Alt und Jung, Mädchen oder Burschen, über die zunehmende Medienflut genauso wie über den Wunsch, Erlebtes festzuhalten. Eine gelungene Koproduktion mit Wien Modern, die am Premierenabend hauptsächlich von erwachsenem Publikum – fünfzig+ – beklatscht wurde.

Das Ensemble: Christina Maria Ablinger, Wolfgang Fahrner, Daniela Graf, Sarah Scherer.

Der Chor: Florian Haneder/Lino Eckenstein, Anna Kassmannhuber, Lena Lammer, Lorenz Manzenreiter, Atsut Moja Calle, Viktoria Rauchenberger, Christine Tielkes, Hanna Wirleitner.

Weitere Termine auf der Homepage des Dschungel Wien.

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Helles, das der Seele schmeichelt

Helles, das der Seele schmeichelt

Helles, das der Seele schmeichelt

Von Michaela Preiner

„Rothko Chappel“ (Foto: Markus Sepperer)

23.

November 2017

Sphärisches aus zwei Generationen erklang bei Wien Modern in einem außergewöhnlichen Ambiente: der Wohnparkkirche Alt-Erlaa.

Zeit und Ort waren für ein Konzert des Festivals ungewöhnlich. Sonntag zu Mittag trafen sich mehrere hundert Menschen in der bis zum letzten Platz randvollen Wohnparkkirche Alt-Erlaa. Die Location war im Hinblick auf das Programm gut ausgesucht. Neben zwei Werken von Klaus Lang war auch Morton Feldmans „Rothko Chapel“ zu hören. Jenes Stück, das er in Erinnerung an Mark Rothko für die gleichnamige, interkulturelle Kapelle schuf, die mit Bildern von Rothko ausgestattet wurde. Die Kirche in Alt-Erlaa passt für eine Aufführung dieses Werkes deswegen so gut, weil auch sie, wie die Rothko Chapel, ein nicht allzu großer Zentralbau ist und nur 14 Jahre danach in Wien eröffnet wurde.

Rothko Chapel

Feldman, einer der wichtigsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, schuf mit dem Stück ein Werk, auf das eine seiner Aussagen besonders zutrifft: „Die Klänge sollten für sich stehen – wie Skulpturen im Raum – ohne auf etwas zu verweisen oder etwas anderes abzubilden als sich selbst.“  Es wurde von der Company of Music, begleitet vom Ensemble MUK.wien.aktuell unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger in die Mitte der beiden Lang-Kompositionen eingebettet. Das ruhige Stück, zu dem sich Feldman von Rothkos 14 Bildern inspirieren ließ, die in der Kapelle im südlichen Texas hängen, wird mit einem leisen Paukenwirbel und einer einsetzenden, ins Ohr gehenden Geigenmelodie eröffnet. Feldman schrieb dazu, dass er diese Melodie schon mit 15 Jahren komponiert hätte – am Ende rahmt sie das Gehörte noch einmal ein. Dazwischen hält das Instrument immer wieder eine kleine Zwiesprache mit einem Sopran. Der vielstimmig gesetzte Chor folgt keinem Text, sondern wird mehr leise gesummt als mit offenem Mund gesungen. Dadurch ergibt sich streckenweise der Eindruck einer kollektiven Trauer oder auch einer leisen Klage, die sich erst zum Schluss, durch die Geigenmelodie wieder verflüchtigt.

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„Rothko Chappel“ (Foto: Markus Sepperer)

New zealandic skies

Gut ausgesucht dazu war Klaus Langs reines Vokalwerk „new zealandic skies“, mit dem das Konzert schon im Vorraum eröffnet wurde. Ein tiefer Summton verdichtete sich zusehends und durch die Verteilung der Singenden unter dem auf Einlass wartenden Publikum, verbreitete sich der Klang völlig richtungslos. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, formierte sich auch der permanent weiter summende Chor und performte einen leisen, harmonisch gesetzten Choral, der zart und verhalten erklang. Der Wohlklang, der den Raum durchflutete, veranlasste viele Menschen, die Augen zu schließen und sich ganz der Musik zu widmen. Dadurch entstand eine sehr innige Atmosphäre, die selten in Konzertsälen so zu erleben ist. Wie die Sängerinnen und Sänger gekommen waren, verließen sie schließlich auch wieder den Raum. Einzeln und summend. Den Nachklang des letzten zu vernehmenden Tones kann man ohne Übertreibung mit magisch bezeichnen. Ein Stück wie dieses wäre ohne den Vorreiter des Wohlklanges in der Musik des 20. Jahrhunderts, Arvo Pärt, vielleicht nicht zustande gekommen. Es ist ein großer Fortschritt, dass heute Werke wie „new zealandic skies“ nicht gegen verbissene Tonalitätsverweigerer verteidigt werden muss, sondern gleichberechtig als zeitgenössische Komposition daneben stehen kann.

la vaca translucida

Das letzte Stück des Konzertes, „la vaca translucida“, ebenfalls von Lang, ergab auch eine wunderbare Verschränkung mit Feldmans zuvor gespieltem Werk. Nicht nur, dass sich Lang dafür auch von Bildern von Zurbaran und Zobel beeinflussen ließ. Es war die Ruhe, die das Werk ausstrahlt, aber auch einige kompositorische Äquivalente, die Instrumentierung und der Eingangspart, der sich am Schluss noch einmal zeigt, die diese Verbindung so plausibel erscheinen ließ. Geschrieben für Chor, Flöte, Schlagzeug, Klavier und Viola war es mit 42 Minuten auch das längste des Programmes. Auch hier eröffnete ein leiser Percussionwirbel – in diesem Fall allerdings jener eines Gonges, auf den der Chor bald eine – für dieses Werk so typische – Klangformation aufbringt. Langsam, breit und getragen summt er ständig sich verändernde Vokale, die ineinander überfließen. Genauso fluid gestalten sich auch die Tonskalen, die durch stufenlose, gesummte Glissandi erreicht werden. Durch den mehrstimmigen Satz ergeben sich dadurch zeitweise dissonante Unschärfen, die sich jedoch in ohrenschmeichelnden, harmonischen Akkorden auflösen, die zum Teil länger im Raum stehen bleiben. Dieses Schärfe-Unschärfe-Verhältnis ist das typischste Charakteristikum dieses Werkes, das zugleich hoch emotional unter die Haut geht. Unmerklich übernimmt eine Instrumentalpartie mit Klavier, Viola und Glocken die Führung und verweist den Chor in eine im Pianissimo durchgeführte Begleitung. Überraschend gestaltet sich ein dritter Teil, den das Klavier führend übernimmt. So, als wolle es die zuvor verwischten Strukturen klären, baut es ein Grundgerüst von Akkorden auf, klar und deutlich, langsam voneinander abgesetzt und bildet dadurch einen starken Gegensatz zu den menschlichen Stimmen. Das Instrument ist nicht, wie die menschliche Stimme, in der Lage, stufenlose Skalen wiederzugeben, was in dieser Gegenüberstellung unglaublich stark auffällt. Ein langer Chorteil, der wieder mit der Schärfe-Unschärfe-Relation agiert und ein leiser Paukenwirbel, der an den Beginn erinnert, beendet das sphärisch schöne Stück. Die lange, anschließende, hoch konzentrierte Pause, mit der Johannes Hiemetsberger den Applaus hinauszögerte, betonte noch zusätzlich die Stille, mit der der vollbesetzte Raum aufgeladen war.

Das Konzert mit dem Titel „Rothko Chapel“, in dem sich die Zuhörenden auf lange Strecken völlig kontemplativ versenken konnten, war das absolute Gegenteil zu jenem von „Two Whiskas“ – nachzulesen hier. Ein wunderbarer Beweis, dass es DIE zeitgenössische Musik nicht gibt, sondern nur Kompositionen, die, miteinander verglichen, auch ein Hörspektrum von 360 Grad aufweisen können, was ihre unterschiedlichen Ästhetiken betrifft. Der Suchtfaktor dieses Konzertes wird lange nachwirken.

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Dunkles, virtuos gespielt

Dunkles, virtuos gespielt

Dunkles, virtuos gespielt

Von Michaela Preiner

 

„Two Whiskas“ (Foto: Markus Bruckner)

22.

November 2017

„Two Whiskas“ beeindruckten nicht nur mit sieben zeitgenössischen Kompositionen, sondern auch mit einer klugen Klang- und Lichtregie.

Zwei Konzerte des Festivals Wien Modern zeigten exemplarisch die ganze Bandbreite zeitgenössischer Musik auf. Bernhard Günther, Festivalleiter, meinte sinngemäß zu Beginn, dass es ihm lieb sei, wenn das Publikum nach Ende der Konzertreihe nicht behaupten könne zu wissen, was denn zeitgenössische Musik nun wirklich ausmacht. Tatsächlich kann man alleine in der Gegenüberstellung von zwei Konzerten den Umstand der damit postulierten Vielfalt absolut bestätigen. An dieser Stelle lesen Sie über das Konzert der „Two Whiskas“ in der Galle G des Museumsquartiers am 17. November. Hier folgt eine Rezension eines musikalischen Ausfluges in die Wohnparkkirche Alt-Erlaa.

Bei einem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Auftritt der „Two Whiskas“, Ivana Pristasova an der Violine und Caroline Mayrhofer an verschiedenen Flöten, ließen die beiden virtuosen Interpretinnen zeitgenössische Musik in einer ausgeklügelten Regie (Peter Jakober) erklingen. Dabei waren sie in ein dunkles Bühnensetting getaucht, das nur die Musikerinnen – zum Teil im Halbdunkel – ein wenig beleuchtete. Die sieben Stücke von sechs unterschiedlichen Komponierenden wurden durch diese Licht- bzw. Klangregie so voneinander abgesetzt, dass kein Zwischenapplaus hervorgerufen wurde. Dadurch erhielt die Nachtvorstellung ein ganz eigenes Flair.

Due di Uno

Agostino di Scipio eröffnete mit dem zarten, einprägsamen Stück „Due di Uno“. Das hinterließ den Eindruck von leise, zirpenden Geräuschen in einer Waldumgebung, an das sich bald ein Flattern und Piepsen anschloss. Der Sound, der zusätzlich durch die Live-Electronic Ferne und Nähe suggerierte, blieb in der Geige artifizieller als in der Flöte. Sie war es auch, die einen gut erkennbaren Rhythmus produzierte und dem organisch-lebendigen Klangspektrum der Flöte und der Live-Elektronik einen artifizielleren Gegenpart entgegenstellte.

capriccio per goldner

Wolfram Schurigs „capriccio per goldner“ hinterließ schon bald das Gefühl, sich in einer musikalischen Endlosschleife zu befinden. Eine Flöte, die sich nicht beirren und aus der Ruhe bringen lässt, steht dabei einer Geige zur Seite, die beinahe fugenhafte Züge entwickelt.
Die beiden Instrumente präsentierten sich als zwei ergänzende Stimmen, die trotz ihrer unterschiedlichen, musikalischen Persönlichkeiten zum Schluss zusammenfinden. Neben jeglicher zeitgenössischer, kompositorischer Freiheit verweist Schurig darin auch auf musikhistorische Vorbilder, ohne diese jedoch mit dem Holzhammer zu bemühen.

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„Two Whiskas“ (Foto: Markus Bruckner)

Ohne Titel (Membrane)

Thomas Amann lässt gleich zu Beginn seine elektronischen, wabernden Klänge körperlich spürbar werden. Zu einem dunklen, dumpfen Ton gesellen sich bald andere Schwingungen, wie ein deutlich vernehmbares Flattern und eine Art Rauschen. Der Raum erhält dabei eine ganz eigene Dimension und eröffnet unterschiedliche Assoziationen wie das Gefühl, sich im Laderaum eines großen Transportschiffes zu befinden. Sowohl die Geigentöne als auch jene der Paetzold Kontrabassblockflöte sind kaum zu vernehmen, zu stark ist der sie umgebende Geräuschpegel, den immer wieder Störfrequenzen unterbrechen. Ivana Pristasova verlässt dabei auch ihren Platz, verschwindet ganz im Dunkel und visualisiert damit auch, wie untergeordnet Amann die menschliche Klangproduktion hier behandelt. Ein düsteres Stück, das zugleich aber jede Menge Kopfkino evoziert.

High piercing

Auf besondere Weise war Caroline Mayrhofer im Solostück „high piercing“ von Julien Feltrin gefordert. In der sechs Minuten langen Komposition für Sopraninoblockflöte hielt sie dank ihrer fulminanten Technik durchgehend einen Ton in Schwingung und unterlegte diesen mit anderen Stimmen. Erinnerungen an weite, karge Balkanfelder wurden wach, auf welchen Hirten noch vor nicht allzu langer Zeit mit ihren Flöten auch ihre Tiere lockten. Mit dieser Komposition wurde abermals der Beweis gefestigt, dass die Interpretation von zeitgenösssicher Musik vor allem auch live gesehen werden muss. Ohne Mayrhofer gesehen zu haben, wäre man sicherlich der Täuschung erlegen, mehrere Musizierende zu hören.

tintoretto: erste übung

Ivana Pristasova bewies mit Wolfram Schurigs „tintoretto: erste übung“ ihr unglaubliches Talent, Zeitgenössisches zu interpretieren. Das technisch anspruchsvolle Stück erweckt den Eindruck, mehrere Stimmen zu vernehmen. Dabei hat es den Anschein, als ob der Komponist sämtliche, möglichen Spieltechniken vereint hätte, die für Geige nur möglich sind. Kräftige Läufe wechseln dabei mit zartesten, gezupften Pianissimopassagen, Rede und Gegenrede schälen sich immer wieder gut heraus. Beeindruckend, dass es der Virtuosin zugleich gelang, ihr Verständnis der Komposition klar und deutlich hörbar zu machen.

geschiebe

Hannes Kerschbaumer schuf in seinem „geschiebe“ für Viola und Tenorblockflöte eine Reihe von Klängen, die zusätzlich durch die elektronische Verstärkung an Percussioninstrumente denken ließ. Die immer wieder abrupt abbrechende Rhythmik unterteilt das sich widerspenstig gebärdende Stück in kleinere Einheiten. Der krachende Diskant der Viola und die Windgeräusche der Flöte setzen zusätzliche, markante Hörerlebnisse.

azadi

Judith Unterpertingers „azadi“ für Violine, Blockflöten und Tape setzte den Schlusspunkt des Konzertes, das so übervoll mit unterschiedlichen Klangerlebnissen ausgestattet war. Immer wiederkehrende, anschwellende Klangwellen vom Tape begleiten die beiden Musikerinnen, die auf ihren Instrumenten Geräusche produzieren. Ein Knistern, aber auch der Eindruck von leichtem Regenprasseln taucht an unterschiedlichen Stellen auf, dazwischen vermeint man eine leise Melodie zu vernehmen, dann wieder eine menschliche Stimme, bald darauf ein Zirpen von Geige und Flöte.

„Two Whiskas“ boten mit ihrem Konzert nicht nur einen gekonnt programmierten Überblick über zeitgenössische Kompositionen für ein sehr kleines Ensemble. Sie überzeugten auch mit ihrer High-end-Performance, die auf diesem Gebiet Maßstäbe setzt.

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Die unterschiedlichen Gesichter der Schmelz

Die unterschiedlichen Gesichter der Schmelz

Die unterschiedlichen Gesichter der Schmelz

Von Michaela Preiner

„An die Grenze 1-3“ (Foto: N.Wagner-Strauss)
15.
November 2017
Wien Modern wartet immer wieder mit höchst unorthodoxen Produktionen auf. Dieses Mal war eine Kooperation von Netzzeit, Wien Modern und dem Ensemble Platypus gleich für mehrere, außergewöhnliche, musikalische Ereignisse zuständig.
Dafür wurde das Publikum auf die Schmelz entführt. Auf dem Areal im 15. Bezirk befinden sich nicht nur eine ganze Anzahl von Schrebergärten, sondern neben dem Universitäts-Sportgelände auch das Askö-Bewegungscenter, sowie ein Gasthaus mit einem großen Gastgarten, das sogenannte „Schutzhaus“. In der Tischtennishalle des Askö-Gebäudes, dem Schutzhaus und einem Seniorenheim außerhalb des Schmelz-Geländes fanden jeweils 30-minütige, voneinander unabhängige Produktionen statt, die dennoch einen roten Faden aufwiesen: Zeitgenössische Musik. Der Titel „An die Grenze 1-3“ erschloss sich während der Aufführungen in seinen vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten bestens.

Musik in der Tischtennishalle

Im Askö-Zentrum kamen sechs Kompositionen zur Aufführung. Während das Publikum am Boden auf Sportmatten und auf niedrigen Sport-Bänken Platz nahm, gingen zwei Performerinnen und ein Performer sportlich zur Sache. Unter einer Choreografie von Claire Lefèvre bespielten Veza Maria Fernandez Ramos, Johanna Nielson und Mzamo Nondlwana nicht nur mehrere Sportgeräte. Ihr Workout fand auch direkt am Boden statt – zu höchst ungewöhnlichen Klängen. Ein knarzend, schnarrendes Celloduett (Carola Bauckholt) und eines für zwei E-Klaviere (Simon Steen-Andersen), in dem Legato- mit Staccatoläufen abwechselten, eröffneten den Reigen. Im Anschluss erklang ein ausdrucksstarkes, wenngleich auch zartes, aber extrem wiedererkennbares Flötenduo von Panayiotis Korokas. Höchst ungewöhnlich stellte sich das Instrumentarium von Jorge Sánchez-Chiong dar – zwei Fliegenklatschen, die auf Plastikunterlagen getrommelt wurden. Mayke Nas hingegen ließ höchst humorvoll auf zwei E-Klavieren vier Musizierende agieren, die mit einem stampfenden Rhythmus die Klaviaturen mit den Unterarmen betätigten und ihre Klatschübungen schließlich soweit ausbauten, dass diese am Ende das alleinige Klangspektrum darstellten. Mit einem Cello-Solo von Tomasz Skweres, das mit einem Video hinterlegt war, auf dem dasselbe Stück zuvor aufgenommen worden war, endete das sportlich-musikalische Erlebnis.
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„An die Grenze 1-3“ (Foto: Markus Sepperer)

Stammtischgespräche

Das „Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz“, vielen wegen seines schönen, einladenden Gastgartens ein Begriff, wird in letzter Zeit öfter für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Dort warteten nach der ersten Station, 5 Gehminuten entfernt, ein Quintett und drei Schauspieler auf ihren Auftritt. Das Ambiente war gut gewählt, denn Michael Scheidl – selbst unter den Performern – hatte einen Text geschrieben, der von einem Männertrio (er selbst, Eric Lingens und Robert Slivovsky) rund um einen Stammtisch vorgetragen wurde. Dabei handelte es sich um ein Gespräch, wie es so, oder in ein wenig abgewandelter Form, landauf, landab in Österreich zu hören ist.

Durch den Kunstgriff von Ellipsen – bei welchen Wörter oder ganze Teile eines Satzes ausgelassen werden – durfte das Publikum die fehlenden Begriffe im eigenen Kopfkino ergänzen. Nur ein…, das erfolgreich…., kann sozial. Oder: Wenn wir uns…, dann können wir wieder…! Waren zwei dieser fragementierten Aussagen, deren Inhalt sich dennoch aus dem Kontext leicht erschließen ließ. Fremdenfeindlichkeit, aber auch parteiinternes Hakelschmeißen schwappten trotz aller künstlerischer Bearbeitung derart lebensnah ins Publikum, dass einem Angst und Bang werden konnte. Eine witzig-spritzige Idee, die den Improvisationen von Richard Barrett und Samuel Cedillo eine zusätzliche Rhythmik verlieh. Hannes Dufek (Gitarre, Objekte), Nikolaus Feining (Kontrabass), Sophia Goidinger-Koch (Viola), Irene Kepl (Violine) und Marina Poleukhina (Objekte) schufen eine dichte, hörenswerte Klangatmosphäre. Ein höchst gelungener Beitrag, der zum dritten Programmpunkt an diesem Nachmittag überleitete.

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„An die Grenze 1-3“ (Fotos: Markus Sepperer)
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Die letzte Station

Nach 15 Gehminuten im herbstlich kühlen Schmelz-Surrounding war das Pensionistenhaus „Haus Schmelz“ die letzte Station des kulturellen Herbstausfluges. Im Speisesaal warteten Familienschnappschüsse aus den vergangenen Jahrzehnten waren auf den Tischen ausgebreitet. Hochzeiten, Taufen, Urlaube an der Adria, Feste im Garten, Omas mit ihren Enkelkindern – alles, was im Laufe eines Menschenlebens fotografisch festgehalten wurde und wird, intime Momente, konnten die Besucherinnen und Besucher in aller Ruhe betrachten. Daneben lag ein Schreibblock mit der Aufschrift: Wo ist deine Zeit geblieben? Ein bereit gestellter Bleistift lud ein, sich während der Vorstellung Notizen zu machen.

Diese Aufführung lebte aber nicht allein von den Kompositionen von Tamara Friebel, Alexander Kaiser, Lorenzo Pagliei, Sergej Newski und Frederik Neyrinck. Die unbeabsichtigten Live-Darbietung einiger Heimbewohnerinnen ergänzten das Spektakel auf höchst illustrative Art und Weise. Während Kaoko Amano mit ihrer ersten Darbietung und ihrem kräftigen Sopran die Zeile „have a bucket of tears“ immer wieder und wieder beschwörte, erscheint eine alte Dame im Saal mit den Worten: „Mir ist fad oben! Kann ich dableiben?“ Kaum war die Frage an eine Betreuerin nahe der Eingangstüre gestellt und die erste Dissonanz wahrgenommen, drehte sich die Pensionistin mit den Worten um „Ich geh wieder, aber im Fernsehen ist auch nix Gescheites!“ Zwei weitere Bewohnerinnen hielten bis zum Schluss durch, wenngleich auch sie mit ihren Kommentaren zwischen den Stücken nicht hinter dem Berg hielten. „Des holt i net aus, des versteh i net“ und „i bin zu wenig intelligent“ wurden von heftigem Kopfschütteln begleitet. Auch wenn diese Interaktionen nicht geplant waren, so konnte man diese durchaus als Bestandteil der Aufführung wahrnehmen und die eigenen Gedanken während der durchgehend dunkel gefärbten, musikalischen Darbietungen in eine ganz andere Richtung schweifen lassen. Dabei ging es weniger darum, das Vergangene zu betrauern oder wieder zu beschwören, wie es intendiert war, sondern vielmehr um die Frage: Was wird mit mir sein, wenn ich in diesem Alter bin? Werde ich den Anschluss an zeitgenössisches Kunstgeschehen einmal verlieren? Was passiert in einer Umgebung, in der sich nur – oder beinahe ausschließlich – alte Menschen miteinander beschäftigen?

Die musiktheatralischen Darbietungen ließen sich im Rückblick auch zu einem sehr sinnigen Ganzen zusammensetzen. Sport, Freizeit, Alter – komprimiert auf einem kleinen Radius – ist das, was die Schmelz unter anderen Attraktionen zu bieten hat. Die große Klammer der zeitgenössischen Musik bot die Gelegenheit, sich diese Lebensvarianten einmal aus einem neuen Blickwinkel anzusehen. Sehr gelungen.

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Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Die Antilope – das rätselhafte Wesen

Von Michaela Preiner

„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)
15.
November 2017
Der Komponist Johannes Maria Staud und der Literat Durs Grünbein schufen gemeinsam eine Oper mit dem Titel „Die Antilope“.

Uraufgeführt wurde das Stück „Die Antilope“ bereits 2014 in Luzern. Wien Modern und die „Neue Oper Wien“ brachten es in der Halle E des Museumsquartiers zur österreichischen Uraufführung. Regie führte, wie bereits in der Schweiz, Dominique Mentha. Die Geschichte, gemeinsam von Staud und Grünbein entwickelt, erzählt surreale Begebenheiten im Leben eines Menschen, dem antilopische Züge zugeschrieben werden.

Wobei dieser sich gar nicht als Antilope, sondern viel mehr als ein Außenseiter einer Gesellschaft präsentiert, die ihm nichts zu sagen hat und umgekehrt. Das vermeintliche „Antilopisch“, das er spricht, stellt sich als Mischung unterschiedlicher Sprachen, als Kauderwelsch unterschiedlicher Begriffe, aber auch tatsächlich als reine Kunstsprache heraus und kann auf den seitlich angebrachten Bildschirmen synchron mitgelesen werden.

Der Tod eines Unternehmers, der bei seiner eigenen Firmenfeier mit Nasenbluten zusammenbricht, löst schließlich auch den vermeintlichen Suizid des Antilopenmenschen aus, der sich aus dem 13. Stock stürzt. Wie durch ein Wunder findet er sich in der nächsten Szene aber in einem Traumland wieder, in dem mehrere Frauen auf die Erlösung durch einen Mann warten und ein Kind – erkennbar als Antilopen-Alter-Ego – mit diesem zumindest kurz ins Gespräch kommen möchte.

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„Die Antilope“ (Foto: Armin Bardel)

Ein Zusammentreffen mit einer alten Frau, die ihn auf ein abstraktes Kunstwerk aufmerksam macht, wird schließlich für den Antilopen-Menschen entscheidend. So wie er, spricht dieses Kunstwerk ebenfalls in seiner Sprache und rührt mit einer kunstvollen Arie zutiefst sein Herz.

Ein Theaterzauber macht es möglich, dass sich in der nächsten Szenerie die Antilope im Zoo wiederfindet und dort verspürt, was es heißt, unter seinesgleichen zu sein. Zumindest für wenige Augenblicke, denn schließlich verführen ihn seine ehemaligen Firmenkollegen und -kolleginnen wieder, mit auf die Feier zu kommen, bei der das Geschehen seinen Ausgang nahm und wieder von vorne beginnt.

Dada und Surrealsimus als Blaupause

Der Kreis der Absurdität schließt sich – ohne dass sich die Rätsel rund um das Stück lösen. Anklänge an die Dadaisten sind unüberhörbar und folgen einem Trend, der in den letzten Jahren diese Kunstrichtung wieder verstärkt in den Fokus rückte. Auch surreale Traumsequenzen erinnern an eine Kunstproduktion, die nun beinahe schon 100 Jahre alt ist und für die zeitgenössischen Kreativen offensichtlich nichts an Faszination eingebüßt hat. Dies wundert überhaupt nicht, kann doch die Instabilität nicht nur der politischen Lage in vielen Ländern, sondern auch der Zustand der Natur als dermaßen herausfordernd empfunden werden, das rationale Antworten darauf auch in Opernproduktionen nicht ausreichend erscheinen.
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„Die Antilope“ (Fotos: Armin Bardel)

Stauds Musik steht nicht nur auf zwei, sondern auf vielerlei Beinen und verleiht der Oper damit viele, schillernde Klangfacetten. Seine Arien sind meist atonal angelegt, spiegeln aber die Seelenzustände der jeweiligen Figuren gut wieder. Zwei ganz tonal angelegte Einschübe – eine Rumba und ein Slow-Fox sind so instrumentiert, dass das Klangbild eine Mischung aus Goran Bregovics „Wedding and funeral orchestra“ und Unterhaltungsmusik der 30-er Jahre erzeugt. Äußerst feinsinnig setzte Staud die Chöre, die ohrenschmeichelnd über die Bühne schwappen, ganz im Gegenteil zu einem breit angelegten Percussionsapparat, in dem nicht einmal klingende Champagnerflaschen fehlen. Einspielung von Vogelgezwitscher und Wasserrauschen, aber auch elektronische Klänge zeigen, wie groß die kompositorische Vielfalt Stauds in diesem Werk angelegt ist. Walter Kobera stand am Dirigentenpult und leitete souverän den Wiener Kammerchor und das amadeus-ensemble-wien.

Ingrid Erb schuf Kostüme wie die konformistischen „kleinen Schwarzen“ und die Anzüge für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens und deren kontrastierende, tierische Kopfbedeckungen. Die Frauen in der Traumzeit tragen retro angelegte Kostüme wie in den 30er-Jahren, was als Hinweis für die Zeitlosigkeit des Themas ausgelegt werden kann. Von den leeren, stark abstrakten Räumen fasziniert das Anfangs- und Schlussbild in grellem Gelb und Schwarz, das, mit den davor sitzenden „Tieren“, zumindest für wenige Augenblicke, auch ein wunderbar surrealistisches Gemälde ergibt.

Stimmlich herausragend präsentierten sich Wolfgan Resch als Antilopenmensch Victor und Elisabeth Breuer mit ihrer Skulpturenarie, die nichts an Geschmeidigkeit und Klarheit vermissen ließ.

Die „Antilope“ kann als Parabel auf das Ausgestoßensein eines Außenseiters genauso gelesen werden wie auf die heilende Kraft der Kunst – oder beides gleichzeitig. Es ist eine Oper, die sich der aktuellen Zeit entzieht, zugleich aber dennoch hoch aktuell ist und bei der Premiere vom Publikum sehr warm aufgenommen wurde.

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