Klavierspielen mit Bergsteigerausrüstung

Klavierspielen mit Bergsteigerausrüstung

„IX KLA VIER E“ nannte sich die rund halbstündige Performance von Nick Acorne, für die im Vorraum 3×3 Klaviere übereinander aufgebaut worden waren. Vor ihnen erstreckte sich ein Gerüst, das von Acorne behende erklommen werden konnte. Ausgestattet mit einem Helm und einem Hüftgurt, an dem allerlei Küchengerät hing, durch ein Seil gegengesichert, schwang er sich nicht von Ast zu Ast, sondern von Klavier zu Klavier, um auf jedem kurze Passagen zu spielen. Sie alle ergaben eine wahrlich atemraubende Komposition – zuallererst jedoch für den Pianisten selbst. Musste er doch jedes Mal einige Höhenmeter überwinden, sowohl nach oben als auch nach unten oder auf den Metallverstrebungen sich quer entlanghangelnd, um zum nächsten Instrument zu gelangen. Die Klaviere selbst waren präpariert und wiesen unterschiedliche Klangcharakteristiken auf.

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„IX Kla vier e“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Das Um und Auf jeder Klavierlektion – die richtige Sitz- und Handhaltung führte sich bei dieser Performance ad absurdum. Musste Acorne in den höheren Regionen doch hängend im Seil Halt finden oder sich zum Teil im untersten Bereich vor die Klaviere knien. Erstaunlich war, dass sich trotz der sportlichen Unbillen dennoch eine improvisierte Komposition ergab, die sich auch ohne Klettereinlagen hören lassen konnte. Dass sich jede Vorstellung – insgesamt waren es drei – anders gestaltete, liegt bei dem Konzept auf der Hand. Der Künstler, der zuvor einen Kletterkurs für Anfänger absolvierte, stellte in einem Interview mit Daniela Fietzek fest, dass er die körperliche Anstrengung nicht unterschätzen würde, „aber ich weiß von mir selbst, sobald es um die Kunst geht, finde ich immer Ressourcen in meinem Körper.“

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„IX Kla vier e“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Die farblich unterschiedlichen Socken bei der 2. Aufführung – einer war gelb, der andere blau – sowie die kurze Zugabe – auf dem Kopf im Seil hängend, sprachen eine deutliche Sprache.

Man darf zwar die körperliche und künstlerische Leistung von Nick Acorne würdigen, zugleich aber nicht vergessen, dass sein Tun auch mit einer großen Menge Humor gespickt ist. Lachen und Staunen waren gleichermaßen erlaubt.

Großes Aufgebot beim  musikprotokoll im Steirischen Herbst 23

Großes Aufgebot beim musikprotokoll im Steirischen Herbst 23

Am Beginn stand Sappho / Bioluminescence von Liza Lim auf dem Programm. In ihrer Komposition wollte sie „einen Raum für Spekulationen eröffnen“, was aufgrund des Titels ein Leichtes ist. Lim spricht sowohl von der antiken Schriftstellerin, über die wir mehr ahnen, als das von ihr überliefert wäre, aber auch von einem Oktopus, der sich in einen Sternenhimmel verwandeln kann, um so seine Feinde zu täuschen. Ein Zittern in den Flöten, das in das Orchester übergeht, steht am Beginn. Bald schon ist eine harmonische Abfolge in den Bläserstimmen zu hören, die stark an die Praxis von Filmmusik erinnert. Hauptakteure sind immer wieder die Hörner, die gut hörbar aus dem Orchester herausstechen.

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Marin Alsop und das RSO (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Auffallend und charakteristisch ist auch, dass das gesamte Instrumentarium beinahe im Dauereinsatz agiert. Glockenschläge, flirrende Geigen und eine rüde Interruption der Harfen – die noch mehrfach zu hören sein wird, folgen. Wieder ist es aber ein Bläserwohlklang, der sich vom übrigen Geschehen abhebt. Nach einem majestätischen Orchesterklang und sphärischen Streichern, erklingt das Zittern, das zu Beginn zu vernehmen war, abermals. Sowohl die Blech- als auch die Holzbläser bekommen ihren eigenen Part, wobei immer wieder ein Wohlklang durch das Instrumentarium fließt. Aber auch ein kleines Geigensolo darf sich präsentieren, unterstützt von kleinen Harfeneinsprengseln. Immer wieder  wird das Schöne, in das man sich gerne fallen lässt, von unerwartet harten Klängen wie von einem Xylophon, einem Vibraphon oder Harfen unterbrochen. Dass am Ende einer Art Schwebezustand beschrieben wird, fügt sich gut und logisch an das zuvor Gehörte. Ein schönes Werk, das Lust macht, mehr von der Komponistin zu hören.

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Karl Heinz Schütz als Solist an der Flöte (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Der zweite Programmpunkt „making of – intimacy“ stammt von Clemens Gadenstätter und ist für Soloflöte und Orchester verfasst. Karl-Heinz Schütz übernahm den anspruchsvollen Solistenpart und reizte dabei eine breite Klangpalette seines Instrumentes aus. Den Beginn macht das gesamte Orchester gleichzeitig in einem aufgeregten, raschen Duktus. Die Flöte, die kurz darauf hörbar wird, wird vom großen Klangapparat rasch genutzt, um auf sie zu reagieren. Dieses Spiel zwischen Vorgabe und Reaktion wird sich bald umgekehrt, nach einem wilden Zwischenspiel ohne Flöte, wiederholen. So intensiv der Beginn war, so melancholisch setzt sich bald danach ein Flötensolo in den Raum, dessen Klageton abermals vom gesamten Instrumentarium aufgenommen wird. Das, was eben noch an Trauer hörbar war, verändert sich atmosphärisch in ein Aufbegehren. Schlagen und lautes Blech, ein Aufbrüllen und laute Trommeln prägen diesen Teil. Wie schon zuvor ändert sich das Geschehen komplett und zu Flüsterstimmen bleibt die leise Flöte lange auf einem Ton. Die lange, ruhige Passage ist auch durch ein zartes Solo gekennzeichnet, das vom Flötisten auch stimmlich während des Spiels begleitet wird. Währenddessen agiert das Orchester wie ein schlafendes Tier, das auf die Dynamik eines Flatterzungeneinsatzes von Schütz und dessen Läufe reagiert. Eine darauffolgende Klangverdichtung mit vollem Orchestereinsatz begibt sich aufwühlend in einen brüllenden Zustand, wie der eines waidwunden Tiers. Nun ist es an der Flöte, die an- und absteigenden Läufe des Orchesters zu übernehmen und ihm danach wieder die Bühne zu überlassen. Glocken, Becken, ein aufbrüllendes Blech, harte Schläge und Klopfen kennzeichnen die heftige Passage, die abermals von einer langen, leisen Passage mit Stimmhauchen abgelöst wird. Wie zuvor flammt das Geschehen abermals auf, um sich rasch wieder zu beruhigen. Zu hören sind nun Stimmen, dunkles Blech und eine flatternde Flöte – bis alles in eine lange ruhige Passage übergeht, die langsam verweht. Es ist ein Auf und Ab, ein emotionales Klagen und Brüllen genauso wie ein in sich gekehrtes, melancholisches Verweilen, das in Gadenstätters musikalische Sprache verwandelt wurde. An oberster Stelle stehen in diesem Werk hörbar gewordene Emotionen. Emotionen, welche vom Publikum ähnlich, aber nicht ident ausgelegt werden können und damit für jede und jeden genug eigenen interpretatorischen Spielraum bereithalten. Auch „strange bird – no longer navigating by a star” von Clara Iannotta, beschreibt emotionale Zustände, in welchen die Metapher eines seltsamen, flatternden Vogels, aufgenommen ist, „dessen zielloses Kreisen die Quelle der Schreie ist, die auf einem leeren Platz widerhallen“ – so die Komponistin. Ihr Klangmaterial ist nicht immer genau definierbar, eine E-Gitarre wird häufig als Rhythmusinstrument eingesetzt, Geigenbögen streichen an Becken entlang, tiefes Blechbrummen markiert einen düsteren Gesamteindruck. Immer wieder kommt es zu aufgeregten Zwitschergeräuschen und Zuständen, in welchen es den Anschein hat, als bliebe die Zeit stehen. Mit Vogellauten endet der Emil-Breisach-Kompositionsauftrag 2023 und hinterlässt den Eindruck, mithilfe der Musik kurz in einen psychischen Abgrund geblickt zu haben.

Am Ende der Konzertreihe stand „Scorching Scherzo“, ein Klavierkonzert von Bernhard Gander. Das Werk ist ein typischer „Gander“: Intensiv, pulsierend, aufpeitschend, furios. Und es belässt das Klavier in seinem ursprünglichen Aggregatzustand, ohne Präparierung oder rhythmische Erweiterungsmöglichkeiten. Diese sind auch nicht nötig, so furios ist der Part größtenteils, der ihm zugedacht ist. Joonas Ahonen benötigt Kraft und Ausdauer, um die raschen Akkordabfolgen dem Orchester so entgegenzusetzen, dass sie an der Klangspitze stehen bleiben und nicht von den Instrumenten übertönt werden. Ein einpeitschender, jazziger Rhythmus, begleitet von Pauken und Bässen zu Beginn, sowie ansteigende, repetitive Läufe, die in Bassakkorden abschließen, gehen sofort ins Ohr. Die Wildheit, die zu Beginn schon ihr Gesicht gezeigt hat, kehrt immer wieder und zerfällt an einer Stelle erst im Solopart des Klavieres. Dieses nimmt dabei die ansteigenden Läufe der Bläser, die zu Beginn zu hören waren, auf, bis sich das Orchester wieder wild zurückmeldet. Ein abermaliges Solo mit kurzen Stoßläufen lässt eine harmonische Struktur aus dem 19. Jahrhundert erkennen, die wieder von kurzen Läufen unterbrochen wird, aber abermals eine Melodie eingeschoben bekommt. Schief setzten sich die Streicher mit einer dennoch lieblichen Klangfarbe dazu und erfahren mit den Celli und wilden Pauken einen abermaligen Beginn zu einem furiosen Part. Ein wilder Rhythmus, hetzend und atemlos erfasst das Orchester und stülpt sich über das Klavier, das nun kaum mehr hörbar ist. Das Geschehen bewegt sich in einem Part, der von den Bässen, tiefem Blech und Holz geprägt ist und für sich allein, ausgekoppelt, schon ein eigenes, beeindruckendes Werk darstellen würde. Wilde Akkordabfolgen mit ebensolchen Läufen, unterstützt abermals vom ganzen Orchester, bilden gegen Ende der Komposition einen weiteren Höhepunkt, der abrupt endet und in einen abwechslungsreichen, zarten Teil mündet, der vom Klavier und den Geigen getragen wird. Nun sind es keine ansteigenden, sondern abwärts laufende Spiralen in hellem Dur, die eine neue Farbe ins Geschehen bringen. Der Einfall, im Finale jene Läufe wieder erklingen zu lassen, die zu Beginn im Bass des Klavieres hörbar waren, dieses Mal jedoch im Diskant, bildet eine wunderbare Klammer, mit welcher das Konzert endet. Es ist die Kombination aus der mitreißenden Wildheit des technisch anspruchsvollen Klavierparts und den Zitaten aus der romantischen Klavierliteratur, die das Publikum extrem begeisterte. Viermal holte es Gander, Alsop und Ahonen zur Akklamation auf die Bühne zurück. Ein Umstand, der bei Aufführungen von zeitgenössischer Musik eine absolute Ausnahme bildet. Mit diesem Abend bot das musikprotokoll eine Klang-Opulenz, die zugleich auch aufzeigte, dass Kompositionen für großes Orchester nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben. Sehr zur Freude der Zuhörerschaft.

Der Klang der Natur im Konzertsaal

Der Klang der Natur im Konzertsaal

Das musikprotokoll präsentierte dem Publikum des Steirischen Herbst pro Abend ein derart dichtes Programm, dass viele Menschen in etwa zur Halbzeit den jeweiligen Aufführungsort verließen. Das mag weniger am nicht vorhandenen Interesse liegen, als vielmehr an einem Overflow an Gehörtem und Gesehenen. Dazu kommt auch, dass die List-Halle, in welcher drei Abende hintereinander bestritten wurden, nur bis 23.15 Uhr mit der Straßenbahn in Richtung Innenstadt befahren wird. Leider blieb auf diese Weise für viele einiges auf der Strecke, was hörenswert gewesen wäre. Wie an diesem Abend die „Aria“ von Beat Furrer, an deren Aufführung wir nicht mehr teilnehmen konnten.

Eröffnet wurde der Abend fulminant mit dem „Piano Concerto“ von Kristine Tjøgersen. Am Klavier in Aktion zu sehen war Ellen Ugelvik, die dieses nicht von den Tasten aus zum Klingen brachte. Vielmehr baute sie nach und nach, während das Orchester spielte, in den Resonanzraum einen Wald von kleinen Bäumen ein, wie man sie von der Staffage von Modelleisenbahnen kennt. Die Komponistin ist von der Kommunikation der Bäume, die unter der Erde unsichtbar vonstattengeht, fasziniert und fand damit eine adäquate Umsetzung der Sichtbarmachung. Neben Klängen sind es vor allem auch Geräusche, wie ein Knistern und Knattern, aber auch ein Rauschen, Windgeräusche oder das Summen von Bienen, die neben repetitiv absteigenden Basslinien, aber auch kleinen Melodieschnipseln zu hören waren. Nachdem der Aufbau des künstlichen Waldes beendet war, kümmerte sich die Performerin um eine Live-Videoaufnahme, die auf den großen Bildschirm hinter dem Orchester projiziert wurde. Die Aufgabe, die sich die Komponistin für dieses Konzert gestellt hatte, der Natur im Konzertsaal eine Stimme zu verleihen, wurde von ihr in diesem Setting tatsächlich hör- und sichtbar umgesetzt.

Madli Marje Gildemann interessiert sich für nachtaktive Vögel und versuchte, sich bei der Observierung in diese Tiere einzufühlen. In ihrer Komposition „Nocturnal Migrants“ erzeugt sie einen Schwebeklang, der an- und abschwillt und in ähnlicher, aber nicht derselben Ausführung wiederholt wird. Ein panisches Zirpen verrät an einer Stelle der Komposition Unheil, genauso wie ein sehr dunkel eingefärbter Part, der im Bass des Klavieres nach den Vogelangstlauten auftaucht. Der Grundtenor wird von einer Aufregung beherrscht, einer permanenten Anspannung, die erst beim Ersterben der Musik am Ende der Komposition nachlässt. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit der Anziehungskraft von Licht, welche auf Vögel ausgeübt wird und letztlich fatale Folgen haben kann. Sie selbst beschreibt dies aber auch „als Metapher für die impulsiven und zwanghaften Verhaltensweisen von Menschen…die wenig Ahnung von den Motiven haben, die sie antreiben.“

„if left to soar on winds wings” von Karen Power entstand neben dem Live-Part des Klangforums aus aufgezeichneten Sounds, welche die Komponistin rund um den Erdball gesammelt hat. Bevorzugt geht sie an Orte mit wenig Menschen, um aber immer wieder aufs Neue festzustellen, dass es auf der Welt keine Orte mehr gibt, an welchen nicht schon Menschen waren und ihre Spuren hinterlassen haben. Was als Konstanzte überall zu hören ist, ist Wind – wenngleich auch in unterschiedlichen Ausformungen. Dieses Naturphänomen ist es auch, welches gleich zu Beginn ihrer Komposition zu hören ist. Auch in ihrem Werk kommen Zirpgeräusche und Vogelstimmen vor, das bestimmende Element bleibt jedoch der Wind, dem sogar die Funktion eines Generalbasses zugeschrieben werden kann. „Wie viele meiner Werke, so fordert auch „…if left to soar on winds wings…“ jeden Performer und Zuschauer auf, alle Klänge einfach als Musik zu hören, die wir noch nie zuvor gehört haben. Ich bitte uns alle, unsere Ohren zu öffnen und uns wieder mit unserer Umwelt zu verbinden, als etwas, das uns vereint, anstatt uns zu trennen, und unsere Macht und unseren Einfluss auf alles, was uns umgibt, zu überdenken.“ – so Karen Power in ihrem Statement, nachzulesen im Programmheft.

Originell zeigte sich die Aufführung von „Exercises in Estrangement II – L’animal que donc je suis“ von Sandeep Bhagwati.

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„Exercises in Estrangement II – L’animal que donc je suis“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Das Ensemble durfte sich dabei auf der Bühne choreografisch bewegen und fand dabei in immer neuen Konstellationen zueinander. Kniend zu Beginn, danach aber schreitend oder sich um die eigene Achse drehend, boten die Musizierenden in ihrem Tun nicht nur Hör- sondern auch Augenfutter. Ausgangsbasis für das Werk war ein Buch von Jacques Derrida, in welchem er den engen Verbindungen zwischen Tier und Mensch nachgeht. Die Musikerinnen und Musiker schlüpften immer wieder in die Rolle verschiedener Tiere und kommunizierten dabei beständig miteinander. Verbunden mit eingespielten Stimmen, deren Text zum Teil bewusst nicht verständlich ist, ergab sich so ein tierisch-menschlich-auditives Geflecht, dessen einzelne Komponenten keinen Schwerpunkt mehr bildeten. Vogelstimmen, Elefantenbrüllen, oder Zikadengezirpe, all das durfte man mithilfe der Umsetzung einzelner Instrumente aber auch aktivem Stimmeinsatz vernehmen.

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Schallfeld Ensemble (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Im zweiten Teil des Abends wurde vom Schallfeld-Ensemble „My fake plastic love“ von Sehyung Kim, Dune von Carlo Elia Praderio und Katharina Klements „Monde II“ aufgeführt. Das letzte Werk erlebte mit zwei wieder instand gesetzten Mischmaschinen eine Art „historische Aufführungspraxis“, wurden diese beiden doch schon in einer früheren Arbeit von Klement eingesetzt.

Aufgrund großer Ähnlichkeiten, besser gesagt, großer Verwandtschaften in Teilen der Kompositionen, darf man die Programmierung dieser Konzertabfolge als in sich sehr stimmig bezeichnen. Alle waren von immer wiederkehrenden Klangballungen sowie einem entgegen gesetzten Abschwellen gekennzeichnet. Sehyung Kim arbeitet mit unterschiedlichsten Klangfarben der Instrumente und gegen Schluss mit immer enger werdenden Intervallabständen. Praderios Komposition erfuhr man minimalistisch-kontemplativ und dunkel im Gesamteindruck. Klement setzt häufige Glockenklänge im Gegensatz zu den Geräuschen der Mischmaschinen ein. Elektronische Einspielungen erweitern ihren Klangkosmos, der auch durch immer wieder kehrende Passagen charakteristisch ist.

Ein bis zum Bersten gefüllter Konzertabend, der Neues bot, aber auch die Möglichkeit, Vergleiche zwischen einzelnen Kompositionen zu ziehen.

Raumklänge im Dom im Berg

Raumklänge im Dom im Berg

Das Programm – vier Stücke plus noch einmal drei von Einreichungen für die Student 3D Audio Competion, zeigte exemplarisch, was auch an den darauffolgenden Abenden vom Publikum gefordert wurde: Durchhaltevermögen. Von 19 Uhr bis 22.30 – mit kurzen Umbaupausen, wurden Klangerlebnisse geboten, die eine internationale Zuhörerschaft fanden.

Den Beginn machte „Organa Quadrupla“ von Heinali, der mit seinem modularen Synthesizer die grandiosen Klangmöglichkeiten der Ambisonics-Anlage im Dom im Berg nutzte. Fasziniert von polyphonen Strukturen, wie sie in der Renaissance verwendet wurden, setzte er seine Komposition in ähnlicher Weise auf. Er erzeugte den Klang von alten Orgeln, Altflöten oder einem Dudelsack und unterlegte die laufenden Melodielinien mit einer Art Basso Continuo. Nach einem Intro, noch ganz einer historischen Klangkulisse verhaftet, wird hörbar, dass es elektronische Klänge sind, die hier erzeugt werden. Das Anschwellen mit der Zunahme von Stimmen geschieht bis hin zu einem Kathedralen-Sound, in dem ein penetrantes Auf und Ab von Läufen charakteristisch zur Wirkung kommt. Geschickt wird im Bass im letzten Teil des Werkes auch ein Rhythmus hinterlegt, der sich gegen Ende hin verliert. Ein klanglich gelungener Festival-Einstieg, der mit unseren Hörgewohnheiten nicht allzu sehr bricht und deswegen beim Publikum großen Anklang fand.

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„Organa Quadrupla“ – Dom im Berg (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Im krassen Gegensatz dazu stand die Gemeinschaftsarbeit „forest Floodlights“ der Kroatin Manja Ristić, sowie Abby Lee Tee und Franziska Thurner, beide aus Österreich. Sie erhielten im Rahmen einer SHAPE+ Artist Residency einen Kompositionsauftrag und erkundeten dafür den Klang einer abgeschiedenen Gegend im Mühlviertel. SHAPE+ ist die Plattform für spannende neue Projekte aus dem Bereich der Musik und audiovisuellen Kunst des Festivalnetzwerkes ICAS, die 2014 vom musikprotokoll gemeinsam mit fünfzehn weiteren Festivals gegründet wurde. https://shapeplatform.eu/ Sie wird durch das Programm „Creative Europe“ der Europäischen Union gefördert. Einer ihrer Stützpunkte, von welchen aus das Trio arbeitete, war die Garage Drushba, ehemals von Karl Katzinger ins Leben gerufen. Sie war bis zu seinem Tod im Jahr 2021 ein Treffpunkt für ausgefallene Kulturevents im nowhere. Von diesem Place aus erkundeten sie die Gegend und schufen ein visuell-auditives, künstlerisches Tagebuch. Der Wasserreichtum der Landschaft, die Abgeschiedenheit, die altertümlichen Versatzstücke der Garage Drushba, aber auch die Schönheit der Natur wurden eingefangen. In einer Kombination aus klanglichen Aufzeichnungen und Live-Einspielungen gelang eine stimmige Performance, bei der man tief in die nördliche Grenze Österreichs mit eintauchen konnte. Die visuelle Umsetzung erhielt durch das Übereinanderlegen mehrerer Videoaufzeichnungen eine außerordentlich ästhetische Komponente. Naturklänge wie Vogelgezwitscher, Wasserrauschen oder das Rascheln von trockenen Blättern, während man über sie geht, wechselten mit E-Sounds, aber auch Live-Klängen einer Geige und Tierlauten ab. „forest floddlights“ ist eine Arbeit nicht nur mit hohem Wiedererkennungswert, sondern sie macht auch Lust, sie öfter als einmal anzusehen und anzuhören.

Die aus Taiwan stammende Künstlerin Sabiwa präsentierte gemeinsam mit ihrem Partner Nathan L. “Island N. 16 – Memories of future Landscapes“. Das Werk bezeichnet sie als einen Ort der Erinnerung, den sie während der Pandemie schuf.

Neben einer vielfältigen Video-Installation, die zwischen realen Aufnahmen, solchen in welchem reales Material verfremdet wurde und rein computergeneriertem wechselt, schuf sie ein ebenso abwechslungsreiches Sound-Geflecht. Aufgezeichnetes vermischt sich da mit Live-Einspielungen. Fische im Aquarium, zu sehen auf dem Video, frische Blumen in einer Bodenvase auf der Bühne, in welcher Gartenschläuche gesteckt werden, durch welche Luft geblasen wird, Flötenklänge, jene von einem verfremdeten Saxofon und Gesang, all das ergibt ein sowohl visuelles als auch auditives Kaleidoskop, das ständig Form, Farbe und Klang verändert. Zu Beginn bleibt das Video ganz im Asia-Klischee von Bondage-Praktiken verhaftet, wechselt aber bald zu rein computeranimierten Farbkonstellationen, später auch zu Landschafts- und Städteimpressionen und Nahaufnahmen von sich entpuppenden Schmetterlingen oder fressenden Wespen. Der Gesamtduktus spricht eine jugendliche Soundsprache mit einer hohen Geräuschdichte, in der später Passagen ins Psychedelische wechseln. “Island N. 16 – Memories of future Landscapes“ ist ein gutes Beispiel für die Fluidität musikalischer unterschiedlicher Quellen, wechselnd zwischen den Bereichen E- und U-Musik, die dadurch so nicht aufrechterhalten werden können.

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„OSWYC“ – Dom im Berg (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

In OSWYC – so der Titel der Komposition von Robert Schwarz – vereint er künstliche und natürliche Klänge, die jedoch voneinander nicht mehr zu unterscheiden sind. Mit Grillenzirpen, Windgeräuschen und einem wabernden Sound, der quer durch den Raum läuft, lässt er das Publikum in sein Werk einsteigen. Tür-Knarzen, ein Geräusch, das einer hüpfenden Roulettekugel ähnelt und ein Zirpen, begleitet von einem dumpfen Bass, wiederholen sich mit leichten Veränderungen. Ein Schnarren, Raunzen, Glucksen und Klirren wird von einem Knattern unterbrochen, kurz darauf meint man Insektengeräusche zu vernehmen. Immer wieder sind es Naturgeräusche, die man vermeint wahrzunehmen, immer wieder wandern die Klänge und Geräusche quer durch den Raum und täuschen vor, was nur elektronisch zustande gekommen ist.

Den Abschluss des Abends bestritten Beiträge von drei Studierenden, die sich für die ‚Student 3D Audio Competition‘ bewarben. Alle drei machten deutlich, wie sehr sie in die Materie der Raum-Körper-Wahrnehmungen eingearbeitet sind und zeigten noch einmal die atemberaubenden Hör-Möglichkeiten, welche die Soundanlage im Dom im Berg imstande ist, wiederzugeben.

Julius Bürger – vertrieben und wiederentdeckt I Ein Wiener Komponist kehrt zurück

Julius Bürger – vertrieben und wiederentdeckt I Ein Wiener Komponist kehrt zurück

Das RSO brachte unter der Leitung von Gottfried Rabl im großen Sendesaal des ORF RadioKulturhauses am 18.8.2023 Werke von Julius Bürger (1897–1995) zur österreichischen Erstaufführung. Und das 18 Jahre, nachdem der jüdische Komponist 98-jährig in New York verstorben war.

Portrait Buerger vor Klavier Brian Coats

Julius Bürger  (Foto: Brian Coats)

Dass die Stücke überhaupt erklingen konnten, verdanken sie dem klugen Vorgehen von Ronald S. Pohl, einem New Yorker Nachlassanwalt. Er war 1989 von Bürger engagiert worden, um die Verlassenschaft seiner kurz zuvor verstorbenen Frau Rose zu verwalten und den Großteil des Geldes jungen, israelischen Musikerinnen und Musiker zukommen zu lassen. Noch nicht wissend, dass Julius Bürger ein beachtenswertes kompositorisches Werk vorzuweisen hatte, stellte Pohl ihm die Frage, ob er denn aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht auch seinen Nachlass rechtzeitig in Angriff nehmen wollte, was sich als Glücksfall herausstellen sollte. Bürger, in Wien geboren und aufgewachsen, war als junger Mann mit Studienkollegen und seinem Kompositions-Lehrer Franz Schreker nach Berlin gezogen und pendelte danach zwischen London, Paris, Berlin und Wien. Der Einmarsch Hitlers in Österreich alarmierte ihn jedoch derart, dass er mit seiner Frau noch rechtzeitig nach Amerika auswandern konnte. Dort erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, arbeitete an der Metropolitan Opera, aber auch für Rundfunk- und Fernsehanstalten als Dirigent, Arrangeur und Auftragskomponist, ohne jedoch ganz seine eigene, unabhängige Kompositionstätigkeit aufzugeben.

In Pohl hatte Bürger glücklicherweise einen Mann der Tat gefunden. Setzte dieser doch alle Hebel in Bewegung, um seinem Kunden den Wunsch zu erfüllen, sein Cello-Konzert aus dem Jahr 1932, das 1952 uraufgeführt und seit 1991 nicht mehr erklungen war, tatsächlich noch einmal hören zu können. Pohls Bemühungen waren erfolgreich. Nach Aufführungen in den USA wurde es auch in Israel gespielt – von jenen Musikerinnen und Musikern, die von Rose Bürger Stipendien erhalten hatten. Erst nachdem der Kontakt zu Gerold Gruber, dem Leiter des  Exilarte Zentrums für verfolgte Musik der mdw hergestellt und der musikalische Nachlass von Julius Bürger nach Wien gebracht worden war, war es möglich, auch hier ein Konzert mit Werken von ihm aufzuführen. Wäre Pohl nicht mit dem Komponisten zusammengekommen, darf man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass dessen Werke, die sich gesammelt in einem kleinen Möbel befanden, nach dessen Tod bei der Wohnungsräumung entsorgt worden wären.

Das RSO Wien spielt Julius Bürger.

Foto: Benjamin Pieber – Herzog Media

Adagio für Streichorchester

Die Bandbreite der Arbeiten, die in Wien erklangen, war reichhaltig. Die Eröffnung machte ein Adagio für Streichorchester, aus dem Jahr 1978. Es war das einzige Werk, das schon einmal in Österreich aufgeführt worden war. Sanft dahinfließend, dunkelt es immer wieder kurz ein, um dabei Dramatischeres freizulegen. Die Bassgeigen drängen an einigen Stellen die Streicher förmlich zu Spannungsmomenten, die jedoch von diesen immer wieder bezwungen werden. Sie schaffen es schließlich, das Wilde, das Böse, ja beinahe Unaussprechliche, das sich immer wieder hörbar macht, hinter sich zu lassen und mit einem zarten Wohlklang das Werk ausklingen zu lassen.

Eine gute Wahl, was den Solopart des Cello-Konzertes betraf, das im Anschluss gespielt wurde, war mit Anna Litvinenko getroffen worden. Beeindruckend waren nicht nur die technisch schwierigen, bravourös gemeisterten Passagen, sondern vor allem die Innigkeit und Einfühlsamkeit ihres Solos im letzten Satz. Technik ist nur ein Bestandteil einer gelungenen Aufführung, das Werk aber mit Seele zu füllen, macht jenen Unterschied aus, den Litvinenko dem Publikum vorzeigen konnte.

Nach einer ruhigen Einleitung formieren sich die Bläser und geben einen pulsierenden Rhythmus frei, den das Orchester und das Cello aufnehmen. Bald wird das musikalische Geschehen leichtfüßig tänzerisch und entwickelt sich zu einem langsamen Fluss, in dem sich die rhythmischen Pulsschläge wiederholen. Immer wieder taucht dabei das kleine Thema, kaum 3 Takte umspannend, quer durch das Orchester auf. Den Satz lässt Bürger nur durch die Bläser enden, die vom Cello unterstützt werden.

Den 2. Satz hat der Komponist nachträglich seiner Mutter gewidmet, die von den Nazis beim Marsch nach Auschwitz getötet worden war. Gleich zu Beginn wird ein langer, schleppender Marsch intoniert und das Cello-Thema bald von der Oboe aufgegriffen. Elegisch bringen sich die Streicher ein und werden vom Solo-Instrument, welches das Thema weiterführt, dabei getragen. Der schleppende Duktus verwandelt sich allmählich in ein allgemeines Flirren und einen Übergang des Themas in ein aufgehelltes Szenario mit Harfenbegleitung. Die beruhigende, liebliche Attitüde hält nicht lange, bald schon trübt sich der Klang wieder ein. Er erfährt eine scharfe Ballung und wartet mit einer langen Bläsersequenz mit Disharmonien auf, die das Orchester aufwecken und zu einem wilden, düsteren Geschehen animiert. Nun erhält das Cello ein Solo, das man als illusionslos beschreiben kann. Keine Spur von jener beruhigten, lebensbejahenden Stelle mit Harfenbegleitung ist mehr fühlbar, vielmehr hat es den Anschein, als hätte sich das Cello den Stimmen der wilden Gewalt ergeben. Logisch folgt danach ein Schluss, in welchem das Orchester, wie zu Beginn, den schleppenden Marsch wiedergibt. Wissend um das Schicksal von Bürgers Mutter, kann man fühlen, welchen letzten Lebensmoment er hier musikalisch festgehalten hat.

Im raschen 3. Satz reagiert das Cello fast kammermusikalisch auf die einzelnen Instrumentalsoli. Immer wieder treten von den Streichern, häufig unisono unterstützte, beruhigende Passagen den zuvor erklungenen lebhaften entgegen, die dann wieder mithilfe der Bläser im Wechselspiel mit dem Cello abermals an Fahrt aufnehmen. Den Schluss bildet ein Cello-Solo mit differenzierten, schönen dynamischen Färbungen, welchen ein furioses finales Bläser- und Paukengeschehen nachgesetzt wird. Zu Recht erhielt das Orchester und die Solistin lang anhaltenden Applaus für die Darbietung.

Lieder mit symphonischer Begleitung

Die darauffolgenden zwei Lieder mit symphonischer Begleitung wurden von Matija Meić interpretiert. „Legende“ nach einem Text von Christian Morgenstern und „Stille der Nacht“ nach Gottfried Keller, ließen musikalische Vergleiche mit Gustav Mahler zu. Beinahe jede Zeile, jede Stimmung, jede Beschreibung eines Landschafts-, Seelen- oder Handlungszustandes erhält bei Bürger ihren eigenen, musikalischen Ausdruck. Ob Jesus vor seinem Gang in den Garten Gethsemane, völlig unerwartet mit einer jungen Frau zu tanzen beginnt und diese ausgelassenen Schritte hörbar werden, ob die Brandung eines Meeres bei Gottfried Keller angesprochen, musikalische Wallungen im Klangkörper auslöst, Musik und Wort unterstützen sich gegenseitig kunstvollst. Voll, warm und sehr ausgereift erklang der Bariton von Meić, ohne jedoch eine klare Aussprache vermissen zu lassen. Ihm gelang es mit Leichtigkeit, die breite symphonische Unterstützung, eine Herausforderung für den Sänger bei diesen Werken, als solche zu belassen und sich vielmehr wie ein Solo-Instrument gesanglich einzubringen.

Beide Stücke können als kleine symphonische Dichtungen, jedoch ausgestattet mit einer epischen Wucht unter der Verwendung eines großen Instrumentariums charakterisiert werden, was sie außerordentlich spannend macht. Gerne würde man davon mehr hören.

Das RSO Wien spielt Julius Bürger. Hier im Bild der Bariton Matija Meić

Foto: Benjamin Pieber – Herzog Media

„Eastern Symphony“

Den Schluss des Konzertes bildete die „Eastern Symphony“ aus dem Jahr 1931.
3-sätzig angelegt, wird sie mit einem aufgeweckten Thema in den Bläsern eröffnet, das von den Streichern beantwortet wird. Erinnerungen an den um ein Jahr älteren Gershwin werden dabei wachgerufen, vorwiegend durch die stark akzentuierten Rhythmen, die auch häufig wechseln. Auffallend ist, wie schon bei den Liedern zuvor, dass Bürger das gesamte Orchesterinstrumentarium fast ständig in Bewegung hält. Kaum eine Stelle, in welcher die Musizierenden nicht zugleich gefordert werden, was sich als ungemein reizvoll erweist. Becken, Pauken und Trommeln geben wie auch die Bläser den vorherrschenden Ton an und lassen den Satz als hymnisch-progressiv erfahrbar machen.

Der 2. Satz beginnt mit der Oboe, die vom Orchester breit unterstützt wird. Ihr antworten Geigen und Celli so, dass ein Fließen den gesamten Klangkörper erfasst und eine weite, sich öffnende Landschaft leicht imaginiert werden kann. Wieder ist es die Harfe, die zur Klarinette, dem Fagott und den Streichern, sowie dem leisen Holz überleitet. Es ist diese instrumentale Themenwanderung und zugleich die Weiterführung desselben, welches diesen Satz so interessant macht. Der ruhige Duktus bleibt beibehalten und auch das Ende klingt dementsprechend aus.

Wie könnte es anders sein, beginnt der Schluss-Satz furios im gesamten Orchester mit einem wilden Lauf. Trompeten und Trommeln geben den raschen Rhythmus vor, der sich erst durch Harfe und Oboe mit dem von den Streichern singend vorgetragenen Thema darüber beruhigt. Nun sind es die Flöten, welche diese Landschaftsbeschreibung ergänzen. Als ob man einem Fluss mit kleinen Wasserstrudeln folgen würde, schrauben sich die Geigen, von der Klarinette gehalten, in lebhafter Weise weiter und übergeben diese an die Flöten. Mit einem letzten, wuchtigen Orchestereinsatz, beendet das Thema, noch einmal präsentiert, das schöne Werk.

Die Charakteristik von Bürgers Musik ist eindeutig und kann klar benannt werden. Als Komponist steht er ästhetisch zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert, von welchem er nicht nur den Mut zu Klangunschärfen entnommen hat, sondern auch bis dahin ungewöhnliche Rhythmen und manch neue Instrumentierung. Immer jedoch ist seine Kompositionstechnik klar nachvollziehbar, sind Strukturen gut zu erkennen und – das zeichnet Bürgers symphonische Werke in besonderem Maße aus – besticht er durch einen musikalischen Farbenreichtum par excellance.

Österreich, speziell Wien, hat mit diesem Konzert keine Wiedergutmachung betrieben. Eine solche gibt es nicht. Das Statement, das jedoch gesetzt wurde, ist deutlich und war mehr als notwendig. Sich um die Nachlässe von vertriebenen Komponisten und Komponistinnen zu kümmern, ist ein absolutes Gebot der Stunde. Die Arbeit des Exilarte Zentrums der mdw sollte viel stärker in das öffentliche Bewusstsein getragen werden. Eine breitere Bewusstwerdung dieses unrühmlichen Kapitels im Rahmen der Musikgeschichte kann zumindest dazu beitragen, dass die Arbeit der Vertriebenen nicht dem Vergessen ausgesetzt wird. Wir, die wir in der glücklichen Lage sind, Nachgeborene zu sein, können uns entweder aktiv in dieses Geschehen einbringen oder – und das darf nicht unterschätzt werden – wir stürmen Konzerte wie diese und füllen die Säle bis auf den letzten Platz. Damit bekunden wir unser Interesse und geben der Musik das, was sie am Leben hält und ihr zusteht: unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

v.l.n.r Prof. Gerold Gruber, Anna Litvinenko, Ronald S. Pohl, Gottfried Rabl

v.l.n.r. Prof. Gerold Gruber, Josipa Bainac Hausknecht, Ronald S. Pohl, Gottfried Rabl (Foto: Ronald Pohl)

Der Sog des Weltalls

Der Sog des Weltalls

Das Publikum durfte dabei in 70 Minuten eine visuelle Zusammenfassung von der Entstehung des Weltalls – inklusive Urknall-Effekt – bis hin zur Ausbildung unseres Sonnensystems erleben. Begleitet wurde die Video-Animation von 11 Musizierenden unter der Leitung von François-Pierre Descamps.

Für das Konzept und die Dramaturgie war Kristine Tornquist verantwortlich. Mit dem Astronomen und Leiter des Planetariums, Michael Feuchtinger und dem Astronomen Konstantin Kirner, zuständig im Planetarium für Wissensvermittlung, holte sie sich zwei profunde Kenner der Materie an Bord. Gemeinsam schufen sie ein Klang-Raum-Erlebnis der besonderen Art. Das Werk wurde für fünf Stimmen – zwei Countertenöre, zwei Tenöre und einen Bassbariton sowie sechs Instrumentalisten (Trompete, drei Posaunen und zwei Schlagwerker) geschrieben. Die Entstehung des Weltalls und letztlich auch der Erde und des Menschen an sich wurde – musikalisch anschaulich – auch durch einen sich erst im Laufe der Komposition entwickelten Sprachgesang wiedergegeben. Hörte man zu Beginn nur aneinandergereihte Silben, verdichteten sich diese mit der Zeit hin zu erkennbaren Worten und Sätzen.

Häufiger Posaunen- und Paukeneinsatz, ein Glockenspiel, sowie ein großer Schlagwerkapparat verliehen dem bunten Sternenspektakel eine ebenso farbenfrohe musikalische Untermalung. Von dramatisch bis hin zu kostbaren Schwebezuständen, erzeugt von den Stimmen, reichte die klangliche Palette. Obwohl Clemencic ein ausgewiesener Kenner Alter Musik war, griff er in diesem Werk ins volle Kompositions-Repertoire der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Atonales und Dissonantes überwog über lange Strecken, dennoch gelangen ihm zum Teil auch höchst sphärisch gestaltete Momente. Wer wollte, konnte auch Assoziationen zur Orff`schen Carmina-Burana-Klangwelt assoziieren. Raues und Unbehauenes Notenmaterial entwickelte sich zu Differenzierterem und Komplexerem und ließ zugleich Spielraum für eigene Empfindungen.

Einziger Wermutstropfen war die Raumakustik. So wunderbar die visuelle Aufarbeitung mithilfe des modernsten Sternenprojektors der Welt gelang, so fein austariert auch das Ensemble musizierte, das Klangstrahlen, das durchaus in der Komposition von Clemencic vorhanden ist, blieb aufgrund der Akustik, die mehr vom Klang schluckte als preisgab, leider aus. Kopfhörer hätten in diesem Fall wahrscheinlich eine Abhilfe geschaffen. Dennoch eine abermals beeindruckende Produktion des Sirene Operntheaters.