Mit Maurice Horsthuis und seinem Elastic Jargon setzte Jazzdor am 16.11. im Pôle-Sud in Straßburg dem Publikum ein weiteres Hörerlebnis der Spitzenklasse vor. Was schon während des Auftrittes auf die Bühne klar wurde: Ein herkömmliches Jazzerlebnis wird von Elastic Jargon nicht geliefert. So ist schon die Truppe an sich nicht jazztypisch aufgestellt. 2 Bratschen, 3 Geigen, 1 Cello, 1 Kontrabass und eine E-Gitarre – man könnte es eher als erneuertes Streicherseptett mit Gitarrenergänzung bezeichnen – das sind die Ingredienzien, die Horsthuis, zugleich Leader, Komponist und selbst an der Bratsche, benötigt, um Glück zu verbreiten. Gleich im ersten Stück zeigte sich seine Spezialität: 3 gänzlich unterschiedliche musikalische Stücke sampelt er zu einem neuen Ganzen. Ein kleiner volkstümlicher Tanz, ein Stückchen Jazz und Tango und dazwischen kratzige Harmonieauflösungen fügen sich aufgrund des wunderbaren Arrangements zu einem neuartigen, bewundernswerten Gebilde. Schier genial, wie es dem Komponisten gelingt, mit viel Augenzwinkern die Tradition des klassischen Streichquartettes in diese neue Zusammensetzung ganz natürlich einfließen zu lassen, um daraus jedoch etwas anderes, Neues zu kreieren. Ohrenschmeichelnde Melodien, wie man sie aus der Musik der Klassik her kennt, egal von welchem der Musikerinnen und Musikern als Thema in den Raum gestellt, fließen durch den Gehörgang in die Seele, lösen sich auf, verschmelzen mit rhythmisch prägnanten Partien, um schließlich als jazzige Neugeburten abermals von den Ohren wieder aufgenommen zu werden. Zarte Pizzicatoeinleitungen lösen sich in experimentale Klänge auf, alles scheint vertraut und zugleich fremd. Und gerade diese Ambiguität macht den großen Reiz dieser Musik aus, ja man könnte sagen, macht süchtig. Schluchzende Geigen, ein singendes Cello, Bratschisten, die ihre Instrumente in bester Belcantomanier einsetzen und eine swingende E-Gitarre – all das kippt und generiert zu einem völlig konträren Klangbild im welchem die Instrumente so verwendet werden, als käme niemals ein einziger harmonischer Ton aus ihnen und dennoch bleibt die Disharmonie spannend. So unterschiedlich die Stücke auch sind, in jedem einzelnen ist Elastic Jargon, in New York beheimatet, ad hoc wiedererkennbar. Die sinnliche Kreativität, die hier zum Ausdruck kommt ist schier überwältigend. Der Applaus gebührt aber auch: Jasper le Clercq, Jeffrey Buinsma, Vera van der Bie, Roderick Krauss, Nina Hitz, Brice Soniano und Wiek Hijmans.
Das Courvoisier/Feldman Quartett (c) Patrick Landolt
Das Sylvie Courvoisier/Mark Feldman Quartett
Das 26. Konzert im Rahmen des Jazzfestivals Jazzdor in Straßburg war ein absoluter Leckerbissen. Wie immer konnte man an diesem Abend im Pôle-Sud gleich zwei Konzerte hintereinander hören, die in diesem Falle noch dazu extrem gut aufeinander abgestimmt und ausgewählt waren.
Zu Beginn trat das Sylvie Courvoisier/Mark Feldman Quartett auf, das mit seiner Musik in ein völlig neues Universum eintaucht. Der Handschlag zur zeitgenössischen E-Musik ist unüberhörbar und was an jazzigen Elementen übrig bleibt, wird mit einer Zartheit vorgetragen, die niemals süßlich, aber dennoch ätherisch wirkt. Die Pianistin Courvoisier bespielt das Instrument nicht nur von den Tasten, sondern entlockt auch seinen Saiten, die sie kurzerhand zwischendurch mit Tapes umwickelt, neue Klangströme, egal ob gezupft oder gestrichen. Nichts so scheint es, kein einziger Ton, ist dem Zufall überlassen. Die im Jazz so üblichen Soli minimieren sich und sind völlig logisch in die gesamte Komposition eingebunden. Was hier förmlich zelebriert wird ist abstrahierter Minimal-Jazz, an der Grenze zur Entspannungsmusik, doch ganz weit von den üblichen Hörerlebnissen der pseudo-asiatischen Zen-Musik entfernt, der nicht mit klanglichen Überraschungseffekten spart. Und dies vor allem Dank dem großartigen Gerry Hemingway, der das Schlagzeug komplett neu definiert. So wie die Bläser ihre größten Schwierigkeiten normalerweise in den leisen Stellen sehen, so tun es meist auch die Schlagzeuger. Je lauter, je besser hat man gerade bei den Jazzschlagzeugern oft den Eindruck und auch das Publikum akklamiert immer jene Sessions ganz besonders, die vor Kraft und Dezibel nur so sprühen. Was Hemingway vorzeigt, ist das komplette Gegenteil. Nicht nur, dass er ein Meister des leisen Rhythmus ist, er behandelt seine Instrumente auch ganzheitlich, um einen modernen Begriff aus der Kybernetik zu strapazieren. Es gibt, so scheint es, keinen Teil an seinen Trommeln, der nicht bespielt wird, es gibt schier unzählige neue Experimente, seine Instrumente mit neuen Klangnuancen auszustatten und dies alles in so zarter Art und Weise, das man vor Spannung gerne auch mal den Atem anhält. In diese Spielweise fügt sich Thomas Morgan am Kontrabass harmonisch ein und betreibt wie alle anderen auch ein nobles Understatement, das unglaublich neuartig und schön ertönt. Einzig Mark Feldman an der Geige erdet das Quartett und verbindet es mit historischen Jazzwurzeln. Er ist es, der erkennbare Melodien anliefert, jazzige Impropassagen spielt und sich auch mal mit dem Klavier auf einen kräftigen Schlagabtausch einlässt, der schließlich wieder in einen schwirrenden Schwebezustand übergeht. Angesichts neuer Musik fehlen immer ein wenig die Worte, und auch die Bezeichnung experimenteller, überzeugender Minimalazz an der Grenze zum Trancezustand beschreibt auch nur auszugsweise dieses tolle Hörerlebnis. Wer diese kreative, musikalische Intelligenz einmal gehört hat, erkennt sie immer wieder. Die Truppe wird jedenfalls zu Recht zur New Yorker Avantgarde-Szene gezählt, was für ein Glück, dass sie in Straßburg zu hören war!
Samuel Blaser und Pierre Favre (c) Jacques Ditisheim
Am 13. November standen Theorie und Praxis auf dem Programm des Festivals Jazzdor. Nachmittags gab´s eine kommentiertes Konzert von Denis Levaillant, dem französischen Pianisten und Komponisten, dessen Standardwerk „Le Piano“ bereits in mehrfacher Auflage erschienen ist. Straßburg erlebte dabei eine Premiere, denn es war das erste Mal, dass Levaillant am Flügel saß und die Geschichte des Klaviers und seiner Musik im Schnelldurchgang anhand von 12 Kapiteln selbst kommentierte. Er zeigte dabei an kurzen Beispielen auf, wie sehr sich Pianisten und Komponisten gegenseitig beeinflussten und alle neuen Strömungen des Klavierbaues aufnahmen. Besonders interessant dabei waren seine Kommentare in Bezug auf die Klaviermusik des 19. Jahrhunderts und deren Beeinflussung des Jazz. Anhand von Beispielen von Chopin, aber in weiterer Folge auch Bartok oder Ravel machte er mehr als deutlich, dass der Jazz nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich organisch aus dieser Musik heraus entwickeln konnte. Die Frage, inwieweit das Dilemma zwischen Komponisten, die keine Pianisten mehr sind und somit auch eine ganz andere Herangehensweise an die Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers haben, in Zukunft vielleicht gelöst sein wird, stellte er in den Raum.
Im Kontrast dazu stand wenig später im Auditorium des MAMCS ein Konzert der beiden Schweizer Samuel Blaser und Pierre Favre. Wie schon zuvor beim Duo Sauer/Wollny, trennt die beiden Musiker eine ganze Generation und dennoch ist das Ergebnis ein Guss, aus dem kein Altersunterschied herauszuhören ist. Was beide auszeichnet – keiner von ihnen benötigt den anderen, so stark sind ihre musikalischen Ausdrucksmittel. Gemeinsam jedoch werden sie zu einem Team, in welchem sich die Freude am Spiel x-fach potenziert. Und dieses Gefühl springt in der Schnelle von wenigen Augenblicken auf die Zuhörer über. Das farbige Spiel von Favres Schlagzeug, in das er ganz natürlich eine Bongo integriert hat, steht gleichberechtigt neben jenem nicht minder bunten von Blaser. Der 30jährige Posaunist agiert mit einem Klangreichtum und einer Atemtechnik, die ihm wahre Kunsttücke erlauben. So beherrscht er die Zirkularatmung, die von der gut ausgebildeten, jungen Bläsergeneration nun beinahe schon durchgängig praktiziert werden kann, was ganz neue Klangerlebnisse bietet. Ein über Sekunden, über eine Normalatmung weit hinausgehender, gehaltener Ton beeindruckt immer wieder, noch dazu, wenn er so klug wie bei Blaser eingesetzt wird. Seine kleinen Melodien, die er immer wieder wie kleine Einsprengsel verwendet, setzen dem Konzert richtiggehende Lichtpunkte auf, die von Favre ad hoc aufgenommen und begleitet werden. Dieser Meister des Schlagzeuges verwendet im Laufe des Konzertes eine ganze Reihe unterschiedlicher Sticks, von herkömmlichen bis außergewöhnlichen. So erzeugten seine dicken, hölzernen Vierkantstäbe einen mächtigen Klang, seine offenen Plastikrohre hingegen wieder viel zartere Tonfarben. Entweder hält er sich minutenlang an ein festgezurrtes, rhythmisches Muster oder aber, was häufiger der Fall ist, er bleibt keine drei Takte lang im selben Rhythmusgeflecht hängen, variiert in hunderterlei Art und Weise vor allem durch die rasche Aufeinanderfolge von unterschiedlichen Materialien. Selten kommen mehrere Schläge von der selben Trommel oder demselben Becken, dementsprechend vielfältig und trocken klingt seine Musik. Ob die beiden von einer Einheit zu einer Defregmentation hin arbeiten, oder ihre einmal gefundene Harmonie nie verlassen, immer bietet ihre musikalische Ausdrucksweise ein reines Hörvergnügen. Einer heimischen Alphornreminiszenz begegnet Favre mit einer Schlagzeugexplosion, eine zart gehauchte, fast nur getippte Melodie, die an reinen Schnee oder vorbeiziehende Nebelschwaden erinnert und so spannend ist, das man die Luft anhält, bleibt bis zum letzten Atemzug im Pianissimo. Ihre Zugaben kommentiert der Schlagzeuger so trocken wie sein Spiel: „Wir haben unser ganzes Programm gespielt, jetzt versuchen wir zu improvisieren. Was spielen wir? Wir spielen immer dasselbe!“ Diesem extremen Understatement folgte wie zum Hohn ein Galopp, ein Ritt über eine jazzige Herbstlandschaft, bei der der Altmeister des Schlagzeuges seinem jungen Gegenpart zeigte, was pure Energie bedeutet. Immer wieder versuchte Blaser Atem zu holen, zu verschnaufen, eine kleine Pause einzulegen, immer wieder trieb in Favre erneut auf. „Weiter, weiter, noch bin ich nicht am Ende“, war die klare Aussage. Japsend und nach Luft ringend schien die Posaune schließlich um Gnade zu flehen, mit einem spitzbübischen Lächeln wurde sie gewährt. Wer war hier alt, wer jung?
Ein Jazzkonzert mit ganz viel Spaß und großer Klasse.
Mit Fat Kid Wednesday sowie dem Hélène Labarrière Quartett erlebte das Jazzdor-Publikum einen Konzertabend der Gegensätze
Jazz aus Minneapolis auf der Bühne des Pôle-Sud in Straßburg. Wahrlich ein rares Ereignis. Im Rahmen des Jazzfestivals Jazzdor trat die Gruppe Fat Kid Wednesday in Straßburgs Avantgarde-Kulturzentrum auf und zeigte den so demokratiebewussten Franzosen, was demokratischer Jazz ist. Selten trifft man auf eine so ausgewogene Formation wie dieser. Michael Lewis am Saxophon, Adam Linz am Bass und JT Bates am Schlagzeug kamen völlig paritätisch zum Einsatz, gestalteten ihre Soli mit persönlichstem Ausdruck und harmonierten vor allem in ihrem grandiosen Zusammenspiel. Das körperbetonte Spiel von Lewis schlägt sich in einem klaren, metallenem Ton nieder, der immer voll kontrolliert erscheint. Die feinfühlige Percussionperformance von Bates, der extrem gut zuhört, sich zurücknimmt, wo es nötig ist und Gas gibt, wo er darf und die lebensbejahende Agitation von Linz am Bass waren nicht nur ein Hörerlebnis, sondern auch ein Augenschmaus. Ob in fast auskomponierten Stücken oder größtenteils frei improvisierten, ob in leisen, lyrischen, in welchen der Schlagzeuger keinen Teil seiner Drums vergaß anzutippen, oder in Partien, in welchen sie richtig Gas geben und sich gegenseitig hochpushen – immer ist es die Ausgewogenheit, die fasziniert; an diesem Abend auch die extrem gute Bearbeitung des Mischpultes! Die häufigen und logisch eingebauten Soli, die nicht, wie sonst gerne, rein zur Vorstellung der Bandmitglieder dienen, zeigten am besten, welch schillernde Musikerpersönlichkeiten sich hier zusammengefunden haben. Klarerweise ist es auch die bereits über 10jährige Zusammenarbeit, welche hier in der Qualität zum Tragen kommt. Klarer, reiner Jazz mit Ohren schmeichelnden, witzigen, atemberaubenden und träumerischen Impressionen – mehr braucht man nicht, um glücklich zu sein. You did a great job, guys!
Hélène Labarrière Quartett (c) Hélène Collon
Als Kontrastprogramm gab es im zweiten Teil des Abends das Hélène Labarrière Quartett zu hören. Die französische Ausnahmebassistin, die letzes Jahr beim Festival Jazzdor einen Soloauftritt gestaltete, zeigte mit dieser Formation eine gänzlich andere musikalische Seite. Was sie, Hasse Poulsen an der Gitarre, François Corneloup am Baritonsaxophon und Christophe Marguet am Schlagzeug produzierten, waren dichte, pulsierende, manches Mal zum Bersten übervolle Klangwolken und Klangwellen, vor denen so mancher aus dem Publikum flüchtete. Wer jedoch Stand hielt wurde belohnt mit furiosen Soli, trashigen Free-Jazz-Passagen bis hin zu offenkundigen tranceähnlichen Zuständen oder dem wahrhaft atemberaubenden Durchhaltevermögen von Corneloup. Über Minuten einen einzigen Ton im Sekundentakt immer wieder und wieder anzublasen und damit dem Stück ein unumstößliches Grundgerüst zu geben, war nur eine herausragende Leistung. Labarrières Qualitäten zeigten sich nicht nur in ihrem eigenen, so charakteristischen Spiel, das sich durch vor allem durch komplizierte, aber dennoch unglaublich gut anzuhörende Klanglinien und deren furiosen Improvisationen auszeichnet. Christophe Marguet, der tags zuvor mit seinem eigenen Quintett aufgetreten war, agierte unter ihr wesentlich sensibler und musikalisch ausgereifter und hatte offene Ohren für seine Kollegen. Und das, obwohl der Großteil der Kompositionen unter Vollstrom gespielt wurde. Die Inspiration von weiblichem Feingefühl tut diesem Musiker sehr gut. Hasse Poulsen, der auch gerne solistisch als Troubadour unterwegs ist, konnte sich an diesem Abend von seiner eher harten Jazz-Rock-Seite präsentieren. Wer dieses Konzert verfolgte weiß nun: Die Jazz-Rebellion lebt, dass man sie ausgerechnet in Straßburg findet, ist nur dank Jazzdor keine Überraschung.
Heinz Sauer und Michael Wollny beim Festival Jazzdor
Heinz Sauer und Michael Wollny (c) Anna Meuer
Der Atem des alten Weisen und das Genie des ungestümen Jungen – so könnte man am besten die Qualitäten der beiden Musiker auf den Punkt gebracht beschreiben, die im Rahmen des Jazzfestivals Jazzdor im Pôle-Sud in Straßburg vor ausverkauftem Haus performten. Heinz Sauer, Saxophonurgestein und auf den Jazzbühnen der Welt seit den 50er Jahren vertreten, traf vor beinahe 10 Jahren auf den jungen Nachwuchs- und Vollblutpianisten Michael Wollny. Der drahtige, 78jährige Jazzveteran, der ohne sichtbare Mühe das Konzert bravourös abspulte, war viele Jahre lang Teil des Albert Mangelsdorff Quintetts. Sein junger Gegen- oder besser Mitspieler hat bereits einige Jazzpreise eingeheimst, darunter zwei gemeinsam mit Heinz Sauer für die Einspielung ihrer Cds Melancholia und Certain Beauty. Kennen lernten sich die beiden beim Jazzensemble des hessischen Rundfunks. Und dieses Zusammentreffen darf wohl als Sternstunde bezeichnet werden.
Auf der Bühne gestaltet das altersmäßig so ungleiche Duo – immerhin trennen die beiden 46 Lebensjahre – eine Performance, die man als paradox bezeichnen könnte. Intelligenter Jazz trifft auf Sinnlichkeit. Und man kann weder dem einen noch dem anderen die beiden vermeintlich auseinanderklaffenden Pole zuschreiben. Einmal ist es Sauer, der mit seinem samtigen, Atem verströmenden Saxophon dem Publikum die Nackenhaare aufstellen lässt, einmal ist es Wollny, der sein teilweise präpariertes Klavier so natürlich zum Erklingen bringt, dass man eine reine Tastenperformance schon als langweilig empfinden könnte. Es mag zwar technisch klingen, dass er die Saiten des Tasteninstrumentes streicht und schlägt, mit seinem Unterarm auf die Tasten drückt, das Pedal als Rhythmusinstrument verwendet, oder mit einer banalen Kaffeeschale Verfremdungen des Tones erzeugt. Der Klang jedoch ist von Technik ganz weit entfernt und Wollnys Spiel so völlig selbstverständlich und organisch, dass es schon nach kurzer Zeit unvorstellbar wird, das nicht jeder zeitgenössische Pianist dieses Instrument so wie Wollny in allen Möglichkeiten nutzt, die es bietet. Durch seinen offenen und zugleich immens musikalischem Zugang zu dem Instrument erzielt er neue Klangräume, in die Sauer behutsam eindringt, diese jäh verlässt oder auch gemessen durchschreitet.
Alles ist möglich bei einem Konzert der beiden. Komplex aufgebaute, beinahe clusterartige Strukturen ziehen sich durch eine kopflastige und dennoch spannende Komposition. Im nächsten Moment erklingt smoothy-Jazz mit romantischen Passagen so anrührend, dass man mit den Tränen kämpfen muss. Sauer – Wollny gelingt dieses Bravourstück, ohne jegliche aufgesetzte Attitüde. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich ergänzen, sich sein lassen, sich stützen, anfeuern oder zurücknehmen, um dem anderen Platz zu lassen, ergibt ein wunderbares, homogenes Klangbild, welches noch dazu ganz unverwechselbar wird. Der große alte Herr des Jazz weiß geschickt seine Energie einzuteilen und ist dennoch in jeder Sekunde präsent. Sein junger Partner sprüht vor Energie und schier unendlichen Einfällen. Der Terminus Generationenproblem scheint ihnen ein Fremdwort zu sein. Neben dem musikalischen Output ist es aber auch diese vorexerzierte, so selten zwischen Alt und Jung anzutreffende Harmonie, die bezaubert. Aber das ist legitim, wenn es darum geht, guten Jazz zu spielen. Sehr guten Jazz sogar.
DuaDueDuiDuo – Jean-Louis Marchand, Meister der Klarinetten und Christophe Rieger, ebensolcher der Saxophone, bilden das Duo mit dem unaussprechlichen Namen. Im Rahmen des Festivals Jazzdor traten sie im TJP (Theatre jeune public – Theater der Jugend) auf.
DuaDueDuiDuo (Foto:Sophie Dungler)
Ihre Musik ist mit dem Sammelbegriff Jazz nicht wirklich gut beschrieben, denn sie spielen extrem anspruchsvolle Stücke, die sich eher unter dem label „zeitgenössische Musik“ einreihen. Damit ist auch gemeint, dass Improvisationen in dem von ihnen präsentierten Konzert überhaupt nicht vorkamen, ja sie sich vielmehr striktest an die vorgegebenen Notationen hielten. Viele der Stücke sind in den Bereich der Minimalmusic einzureihen und basieren auf logischen Abfolgen von Tönen, die untereinander in einem stärkeren mathematisch-logischen Zusammenhang stehen, denn an einem an einer Hörästhetik ausgerichteten Schema. Mit ihrem ersten Auftritt wurde bereits klar, welche Ausrichtung die Musiker in diesem Konzert verfolgten. Quer über die Bühne war in Augenhöhe eine Schnur gespannt, auf der Seite an Seite Notenblätter hingen, die von den beiden horizontal – also von links nach rechts gehend – in Töne umgesetzt wurden. Am linken Bühnenrand angekommen, ging es wieder Schritt für Schritt und Ton für Ton zurück zur Ausgangsbasis, so als ob man einen Film von rückwärts wieder nach vorspulen würde. Dass Stücke, die von rückwärts gespielt werden ein anderes Hörerlebnis bieten als solche, welche der Notation in herkömmlicher Reihe folgen, war zwar keine neue Erkenntnis, aber es wurde klar, dass die beiden Musiker auch mit Spaß an die Sache gingen – trotz aller musikalischer Herausforderungen die sehr, sehr hoch waren. Steve Reich benennen die Musiker als eines ihrer Vorbilder. Lange Reihen von sich nur minimal verändernden Tonfolgen, in welchen jedoch jeder einzelne Ton differenziert behandelt wurde, ein Unisonostück, das sich nur in den letzten Tönen als intervallfähig zeigte, ein Werk, dessen Einleitung nur als aspirierend zu hören war und erst allmählich in hörbare Töne verwandelt wurde – all das zeigt auf, dass das Repertoire von DuaDueDuiDuo mehr als Kopfarbeit denn als fröhliches Musizieren aufgefasst werden kann. Dass das Konzert dennoch ein Hörerlebnis war, ist der Virtuosität und des intimen Aufeinanderhörens von Marchand und Rieger zu verdanken. Auch ihre optische Annäherung – beide treten schwarz gekleidet mit schwarzen Brillen und einer kurzrasierten Frisur auf – deutet auf die immense Harmonie, die sie auch über den Bühnenrand hinaus ausstrahlen. Gerade diese gegenseitige Akzeptanz, die sich in den gewählten Werken dadurch wiederspiegelt, dass es nur selten eine Haupt- und Nebenstimme gibt, berührte das Publikum, das an diesem Abend ein Konzert erlebte, welches auch den Übertitel „Gleichberechtigung“ hätte tragen können.