Vier Frauen und ein Mann

Vier Frauen und ein Mann

Michaela Preiner

Foto: ( ORF musikprotokoll/Martin Gross )

12.

Oktober 2023

Am letzten Tag des musikprotokolls anlässlich des Steirischen Herbstes 23 lud das Institut Musiktheater der Kunstuni Graz ins Mumuth zu einer Opernaufführung.

Gezeigt wurde die Uraufführung von „canvas“ der slowenischen Komponistin Nina Šenk sowie der Librettistin Simona Semenič. Šenk wurde nach der Aufführung die Preisverleihung des Johann-Joseph-Fux Opernkompositionswettbewerbs zuteil, den sie mit dieser Oper gewonnen hatte.

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„canvas“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Erzählt wird darin die Geschichte von vier Frauen, die – ohne es zu wissen – denselben Mann lieben. Dieser flattert, wie es ihm gefällt, von einer zur anderen und versucht die Frauen in emotionale Abhängigkeiten zu manövrieren und zu halten. Ingo Kerkhof – KUG-Professor für Musikdramatische Darstellung (szenische Interpretation) führte Regie, Katharina Zotter sorgte für die Ausstattung und Gerrit Prießnitz war für die musikalische Leitung verantwortlich.

Das Orchester war an die linke Saalwand gerückt, der Dirigent stand mit dem Rücken zur Wand und hatte so sowohl das Instrumentalensemble als auch die Sängerinnen im Blick. Eine quadratische, weiß bespannte, wenige Zentimeter hohe Drehplattform markierte jenen Bereich, auf dem gespielt und gesungen wurde. Zusätzlich agierten die Sängerinnen abwechselnd an einem Schreibtisch, der am rechten Bühnenrand dem Publikum zugewandt war.

Die Studentinnen schlüpften in unterschiedliche Rollen und mimten dabei unter anderen auch eine Partie von Fabrikarbeiterinnen. Ein junges Mädchen erlebte gleich zu Beginn ihren tragischen Tod auf einer Krankenhausbahre. Ihr Alter-ego besang diesen Vorgang so, als würde die Sterbende sich selbst dabei zusehen. Die genauen Umstände, die zu diesem Tod führten, blieben nicht aufgeklärt – Spekulationen dürfen dazu klarerweise individuell ausfallen.

Das bestechende Libretto, bestehend aus kurzen, knappen Sätzen, mit Wiederholungen und zum Teil rüden Ausdrücken, bot der Komponistin eine große Menge an emotionalem Futter, das es galt, klanglich umzusetzen. Dabei gelang es Šenk die Stimmen im Vordergrund außerordentlich hörbar zu lassen und den instrumentalen Part lediglich unterstützend einzusetzen.

Nur an einer Stelle, in welcher von einem sexuellen Missbrauch erzählt wird, spielt das Orchester eine wesentlich stärkere Rolle. In diesem Teil wird der Text zum größten Teil gesprochen und der gewalttätige Vorgang durch das Wüten in den Instrumenten mit krachenden und scheppernden Geräuschen verdeutlicht. In dieser Szene stehen alle Frauen regungslos, in Schwarz gekleidet, auf dem Podest und harren in dieser Position aus, bis eine von ihnen flüstert: „I have to be quiet when it’s time to be quiet.“ Dieser Satz wird von den anderen aufgenommen und in einen Flüstergesang verwandelt, der unter die Haut geht.

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„canvas“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Gut herausgearbeitet wurden die verschiedenen Charaktere – verheiratete Frauen, die Angst um das Entdecken ihrer Affäre haben, ein junges Mädchen, das Gott bittet, sie zu erlösen, eine Fabrikarbeiterin, die in dem Mann die höchste Erfüllung sieht, eine Dame, die sich durch das Liebesglück wieder jugendlich zu fühlen beginnt. Der Womanizer selbst kommt – auch von einer der Frauen dargestellt – nur kurz ins Spiel und wird dabei weder verführerisch, noch gewalttätig gezeigt. Nur eine Frau steht außerhalb der Liebesspirale. Sie wird als dicke Italienerin angekündigt, welche ohne zu singen auf die Bühne kommt und wieder abgeht. Sie ist die einzige, die emotional nicht abhängig zu sein scheint, aufgrund der Körperbeschreibung jedoch eine starke sexuelle Anziehungskraft ausüben dürfte.

Die Komponistin setzt Quartette, aber auch Solo-Arien ein und markierte die Szenenwechsel mit lauten Atemgeräuschen, die mit Mikrofon verstärkt werden. Es ist die besonders gelungene Balance aus Sprache und Musik, die diese Aufführung so besonders macht. Hilfreich, aber ästhetisch auch gut gelöst, war die Projektion des englischen Textes auf eine große Leinwand hinter den Sängerinnen. Dazu kommt, dass diese, Studierende der Musikuni Graz, allesamt bestens disponiert waren.

Melis Demiray, Lavinia Husmann, Laure-Cathérine Beyers, Marija-Katarina Jukić, Ellen Rose Kelly, Christine Rainer und Ana Vidmar darf zu ihrer tollen Leistung gratuliert werden.

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