Eine Komödie, in der der Irrsinn fröhliche Urstände feiert

Eine Komödie, in der der Irrsinn fröhliche Urstände feiert

von | 6. Januar 2020 | Theater

Michaela Preiner

„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater

6.

Januar 2020

„Du legst auf und nimmst die Sardinen mit!“ So schallt es stimmgewaltig vom Balkon in Richtung Burgtheaterbühne. Dort probt Sophie (von Kessel) ihren ersten Auftritt für das Stück „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn. Martin, den Regisseur, gespielt von Norman Hacker, hält es nicht länger auf seinem Beobachtungsposten. Schnellen Schrittes durchquert er die Gänge, während er immer wieder seine Regieanweisung brüllend wiederholt und landet schließlich im Parterre. Von dort aus dirigiert er nun das Geschehen des ersten Aktes nah an der Bühne.
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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
Martin Kušej inszenierte das Stück als sein letztes am Münchner Residenztheater und übernahm es zu Silvester 2019/20 an die Burg. Wer meint, bei dieser atemberaubenden Komödie könne man nichts falsch machen, irrt. Was der Text an vermeintlich wenig Tiefgründigem und Nonsensgespicktem hergibt, gilt es durch geschickte Regie und schauspielerische Leistung auszugleichen oder zu betonen. Beides ist Kušej gelungen.

Glaubt man zu Beginn beinahe, sich in einem falschen Theater zu befinden, so Burgtheater-untauglich und seicht beginnt die Farce, weiß man am Schluss, warum es hier doch gut aufgehoben ist. Michael Frayn lieferte damit ein Meisterstück mit mehreren Interpretationsebenen ab, die bis hin zur philosophischen Fragestellung rund um die Selbst- und Fremdbestimmung und den Schein und Sein des Lebens geht. Seine Charaktere, darauf bedacht, auf der Bühne eine gute Figur zu machen, gleiten im Laufe des Geschehens in ein Chaos, das sie nicht mehr beherrschen können und verlieren darin nicht nur die Kontrolle, sondern einige von ihnen auch ihr Gesicht. Frayn beherrscht dabei die Kunst des intellektuellen Understatements perfekt und überlässt erweiterte Deutungen den Zusehenden, so sie dazu willens sind. Abgesehen von diesem aufregenden Text und dem Bühnenbild, gestaltet von Annette Murschetz, das „sauteuer war, aber billig aussieht“, wie der Regisseur moniert, ist es das Ensemble, das den Abend zu einem Glücksfall macht.

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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
Sophie von Kessel glänzt als Frau Klacker in einer charakterlichen Verwandlung, die sich über die drei Akte hinzieht. Darin entwickelt sie sich von einer mittelmäßig motivierten Schauspielerin hin zu einer psychisch angeschlagenen Trinkerin, der man nicht nur ihre seelischen, sondern auch körperlich zugefügten Blessuren ansehen kann. Ihr Kontrapart, Roger Trampelmann alias Till Firit versucht trotz aller Feindseligkeiten und Intrigen, die sich während des Stückes aufbauen und sich ins schier Unendliche steigern, auf der Bühne dennoch ein Profi zu bleiben. Schwer möglich, wenn es dahinter zugeht wie in einem Affenstall.

Frayns versah seine Charaktere mit tiefgründigen Seelen-Einblicken, in welchen es nur allzu sehr menschelt. Eifersucht, Hass, Neid bilden schon im zweiten Akt ein unheilige Mengenlage, die sich bis ins Finale noch furios steigert. Dass es dabei zu höchst witzigen Einlagen kommt, liegt bei diesem Genre auf der Hand.

Großartig, wie dabei Thomas Loibl als Franz Xaver-Hötz seine Hosen runterlässt und so die Treppe in den ersten Stock des Hauses nach oben hüpft. (Kostüme Heide Kastler) Als Steuerflüchtling darf er sich mit seiner Frau, dargestellt von Katharina Pichler, in seiner Immobilie eigentlich nicht blicken lassen und evoziert dadurch jede Menge Verstrickungen. Auch wie er sich immer wieder Taschentücher in die Nase stopfen muss, weil er vor lauter empathischer Anteilnahme an Grausamkeiten daraus zu bluten beginnt, ist einfach nur köstlich. Mit Loibl wurde diese Rolle ideal besetzt, steht doch seine stattliche Erscheinung, durch ein zusätzliches, großes Gebiss noch verstärkt, in direktem Widerspruch zu seiner zarten Seelenbesaitung.

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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
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„Der nackte Wahnsinn (Noises Off)“ – Foto: (c) Matthias Horn / Burgtheater
Genija Rykova, die als amouröses Abenteuer von Till die Szenerie in schwarzer Bikini-Unterwäsche belebt, hält man von Beginn bis zum Ende in jedem Augenblick wirklich für so dumm, wie es ihr die Rolle vorschreibt. Daran kann man erkennen, wie hoch ihre schauspielerische Leistung hier ist.

Paul Wolff-Plottegg erfüllt herzerwärmend den Part des Alkoholikers, der einen Einbrecher gibt und seine Kolleginnen und Kollegen bei jeder Vorstellung in Angst und Schrecken versetzt, wenn er nicht rechtzeitig gesichtet wurde. Dieser Mann, der seine seelische Verletzbarkeit offen zur Schau trägt, ist der einzige Charakter, der den Irrsinn, der sich ausbreitet, ohne weitere Blessuren übersteht. Ein wunderbarer, dramaturgischer Kniff, das Positive am Menschsein ausgerechnet an einem stillen Alkoholiker festzumachen, der den Wirren des Alltags komplett entrückt zu sein scheint.

Mit der Regieassistentin Mechthild (Deleila Piasko und Herrn Klemt, einem Inspizient, (Arthur Klemt) wird die Crew, die sich nach der Premiere auf Österreich-Tournee begeben muss, vervollständigt. Mit ihnen bietet Frayn einen kleinen Einblick hinter die Kulissen des Theateralltags und erklärt Berufsfelder, für die man ganz spezielle Persönlichkeitsprofile vorweisen sollte, um sie schad- und klaglos an der eigenen Psyche ausführen zu können.

„Der nackte Wahnsinn (noises off)“, so der gesamte Stücktitel, ist ein Glücksfall für die Burg und könnte sich zu einem Dauerbrenner entwickeln. Die kleinen Österreich-Adaptionen, welche Kušej vorgenommen hat, angefangen von Hinweisen auf das diesjährige Jubiläum der Salzburger Festspiele bis hin zu einem eleganten Seitenhieb auf die Wiener Festwochen oder der Verballhornung des Namens eines Wiener Feuilletonisten, trägt zusätzlich zur Publikumsakzeptanz bei, die sich in langem Applaus äußerte.

Nähere Informationen: Webseite Burgtheater

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