Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht
Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht
Michaela Preiner
Mit der Sängerin Nadine Abado an der linken Bühnenseite, dem Drummer Alexander Yannilos an der Mittelwand und dem Gitarristen Christian Musser rechts neben der Bühne sind lebendige Menschen anwesend, ganz im Gegensatz zu vielen Theateraufführungen, in welchen die Musik aus der Konserve kommt. Die Drei produzieren rockige Klänge genauso wie psychedelische, bei denen man gut wegdriften könnte, wäre da nicht das Geschehen auf der Bühne, welches man beobachten muss.
Werden zu Beginn von allen noch Heile-Welt-Geschichten präsentiert, verdüstert sich im Laufe der Performance das Geschehen hin zu Erzählungen von tristen Verhältnissen und Paarkrisen, die sich während des Lockdowns veritabel ausgewachsen haben.
Dass die Vorarlbergerin nicht das erste Mal in einem Stück des aktionstheater ensemble darauf hinweist, dass sie der „Chefredakteur vom Falstaff“ nach dem Rezept ihres sensationell guten Gulasch´ gefragt hat, betont subtil die familiär angelegte Publikumsbeziehung. Wer von uns kennt sie nicht, jene Geschichten, die bei Familientreffen immer und immer wieder von denselben Personen erzählt werden?! Das darf dann auch bei dieser Theaterfamilie nicht anders sein.
Einen besonderen Beitrag zum Lebenselend leistet Benjamin Vanjek. Die Erzählung seiner Vergewaltigung während seiner Zeit beim Bundesheer wird durch das Zeigen seiner dabei erlittenen Zahnlücke ins unerträglich Bedauernswerte gesteigert. Diese Zahnlücke, die er von zwei Männern geschlagen bekommen hat, die ihn während der Penetration durch einen Dritten festhielten, wird zum Corpus delicti, das er höchstens durch Implantate loswerden könnte, aber davon ist gar nicht die Rede.
Noch während man über die ungeheuerliche Tat nachdenkt und Michaela Bilgeri damit herausrückt, dass ihre so wunderbare Beziehung gar nicht mehr so wunderbar ist – noch während Horst Heiß erzählt, dass aus der Idee einer gemeinsamen Quarantäne mit seiner Frau nichts wurde, ganz im Gegenteil, er jetzt getrennt lebt – noch während Benjamin Vanjek verzweifelt stumm versucht, einen Kurzzeitlover aus den USA am Handy zu erreichen – kommt die Rede auf all jene Covid-Gewinner, die in den letzten Monaten Milliarden erwirtschafteten. Milliarden mit Fonds und Aktien, die die Welt um keinen Deut besser machen, einige Erdenbewohner aber so unglaublich reich, dass man sich nicht einmal die Summen ihres Reichtums mehr vorstellen kann.
Das „Über-die-Bühne-Irrlichtern“ von Benjamin in einem grauen Frauenkostüm aus dem 19. Jahrhundert und sein Hinweis, wie gern er Schnitzler mag, wenn er nur auch richtig, mit Kostümen aus seiner Zeit auf die Bühne gebracht würde, wirkt gegen die Erwähnung der unmoralischen Finanztransaktionen völlig deplatziert und verweigert dem Theater im Handumdrehen seine Legitimation.
Deplatziert mag sich Martin Gruber mit seinem Tun auch tatsächlich vorkommen und sich die Frage stellen: Macht es Sinn, hier eine Kasperliade abzuziehen, während es die Welt draußen in Stücke zerreißt? So schwarz, so düster wie im „Bürgerliches Trauerspiel“ war der Text der Truppe noch nie. So hoffnungslos und ohne Zukunftsperspektive auch nicht.
Wir brauchen euch, um uns eine Erholungspause von dem drängenden Irrsinn des aktuellen Alltags zu gönnen, der uns im Würgegriff zu haben scheint. Wir brauchen diese Art von Vorstellungen aber auch, um im gemeinsamen Erleben auch eine Kraft zu spüren, dass es anders gehen könnte. Dringender nötig als heute haben wir Theater wie dieses in den letzten Jahrzehnten wahrlich nicht gehabt.
Deswegen: Bleibt dran und beugt euch nicht, auch wenn sie mit ihren Milliarden vermeintlich alles bestimmen können was sie wollen.
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