Die Zeit läuft!

„Noch eine Minute, dann muss der Fisch raus! Raus damit Kevin, raus damit!“ Der große Mann in der schwarzen Kochmontur, der laute Anweisungen gibt, steht hinter einem Anrichtetresen in einer Küche der Hertha Firnbergschulen in Wien. Vor ihm, an und zwischen den Töpfen und Schneidbrettern agiert Kevin Micheli. Er ist gerade dabei, sich für die Europarunde des Bocuse d`or in Budapest zu qualifizieren. Sein Coach, Moses Ceylan, ausgerüstet mit mehreren Eieruhren, die er vor sich aufgebaut hat, lässt ihn keine Sekunde aus den Augen und unterstützt in verbal. Die beiden arbeiten gemeinsam im Einstein in St. Gallen und bilden mit Sebastian Zier an ihrer Seite ein Triumvirat, das auf Sieg aus ist. Zier achtet mit Argusaugen auch auf jeden einzelnen Handgriff von Paul Berberich, dem Commis von Micheli.

Am zweiten Arbeitsplatz in der Küche werkt Stefan Csar gemeinsam mit seinem Commis Manuel Kollmann. Csar übersiedelte in den letzten Tagen erst von der “Heimatliebe“ in Kitzbühel ins Burgenland, zum Wachter-Wieslers Ratschen in Deutsch-Schützen. Auch er würde gerne nach Budapest reisen, um sich von dort nach Frankreich zu kochen, nach Lyon, wo 2017 im Rahmen des Bocuse d`or der beste Koch der Welt gekürt werden wird. Ruhig und konzentriert arbeitet er, gibt hin und wieder kurze Anweisungen, zeigt zwischendurch Kollmann noch den einen oder anderen Handgriff. Im Gegensatz zu Micheli, der sich für diesen Auftritt ungefähr eine Woche vorbereitet hat, war es bei Csar nur ein einziger Tag. Die Übersiedlung von Tirol ins Burgenland hat Zeit gekostet, seinen Commis hat er erst wenige Tage vor dem Ereignis kennengelernt. Dennoch lässt sich das Ergebnis, das er auf die Teller zaubert, sehen.

Zu einem großen Teil mitverantwortlich, dass der Wettkampf in den Herha Firnberg Schulen stattfinden konnte, ist Johann Reisinger, der dort gemeinsam mit vielen anderen ehemaligen Großen der österreichischen Gastronomieszene unterrichtet. Anerkannter Spezialist auf dem Gebiet von ursprünglichen Lebensmitteln, erarbeitete er mit der Klasse von Günter Plessl an diesem Tag einige Gemüsegerichte, die schon ein wenig in die großen Gerichte der beiden Jung-Köche einstimmen. Helmut Österreicher wiederum kümmert sich an diesem Ausnahmetag mit seiner Jungmann- und –frauschaft um einen Teil der Desserts. Die Qualität der Lehrer ist ausschlaggebend für die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler, die hier ihr Handwerkszeug erlernen. Ein Tag wie dieser, ist allerdings etwas ganz Besonderes. Dominik Gfällner und Anna Maria De Oleivera-Zeiser, noch in der Reisinger-Klasse, haben die Ehre, direkt in der Küche der beiden Nominierten dabei zu sein. Die junge Dame unterstützt das Micheli-Team, Gfällner steht Csar zur Seite. Dabei bekommen sie live mit, was es heißt, sich unter die Besten der Besten kochen zu wollen.

Konzentration ist oberstes Gebot, auch wenn rundherum mindestens 20 Menschen stehen, die beim Arbeiten zusehen. Journalistinnen und Journalisten genauso wie die Crème de la Crème der österreichischen, gehobenen Gastronomie. Heinz Reitbauer, Sepp Brüggler, Silvio Nickol, Sepp Schellhorn, Rudi Obauer in seiner Funktion als Präsident des National Organizing Committees des Bocuse d’Or , Thomas Göls, Karl Obauer, Simon Taxacher, Thomas Dorfer, Martina Hohenlohe, Philip Rachinger, Martin Klein – sie alle sind nach Wien gekommen, um nach einem strengen Punktesystem den Sieger zu küren.

Die Jury lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, den Köchen bei ihren Vorbereitungen zuzusehen und nebenher fachzusimpeln. Wer so ein Gedränge nicht aushält, ist Fehl am Platz. Es ist eine kleine Vorbereitung für das, was im Europafinale und erst recht in Frankreich selbst auf sie wartet. Nicht nur Lebensmittel, Zutaten und kleine Gerätschaften haben sich die Köche nach Wien mitgebracht. Aus St. Gallen ist man gar mit einem ganzen Lieferwagen angereist in den die verschiedensten Küchengeräte eingepackt wurden. Und doch schlägt der Live-Dämon dem gut vorbereiteten Micheli ein kleines Schnippchen. Als er mithilfe einer Edelstahl-Schablone seine Spinatkomposition in Form einer großen See-Alge auftragen will, kommt der Schock. „Die Teller sind leicht uneben!“ Damit hat der junge Mann nicht gerechnet. Nach den ersten beiden Fehlversuchen, unter Zeitdruck wohlgemerkt, hat er dann doch den richtigen Dreh gefunden und produziert bildschöne Fischteller.

Für beide Kandidaten gibt es ein Generalmotto – Stör soll beim Fischgang serviert werden und Hirschkalbsrücken beim Fleischgang. So kann die Jury halbwegs angemessen vergleichen. Wie individuell die Gerichte dann ausfielen, mit wie viel Eleganz und Kreativität sie angerichtet wurden, hatte wirklich große Klasse.

Stör mit Mousse in der Kartoffel, Gurke, Rettich und Avocado nannte sich Csars Fischgang. Stör mit Kaviar, Kräutern, Topinamur und Beurre blanc jener von Micheli. Etwas untertrieben, wenn man sich die ausgefallenen Zubereitungsmethoden der Kreativköche näher ansah.
Hirschkalbsrücken mit Sellerie, Sanddorn, grünem Apfel und Trüffel gab es als Fleischgericht bei Csar. Micheli überzeugte mit seinem Hirschkalbsrücken mit Trüffeln, Gänseleber und ebenfalls Sellerie.

So hektisch die ersten Stunden in der Küche auch verliefen – je näher der Ausgabetermin der Gerichte nahte, umso ruhiger wurde es dort. Nicht nur, dass die Gäste das Beisammensein im festlichen Foyer für einen ausgiebigen Austausch untereinander nutzten. Die Köche selbst hatten den Großteil ihrer Arbeit hinter sich. Das Anrichten zum Schluss ist nur mehr die Kür, die Pflicht ist nur mehr durch einen Arbeitsplatz gekennzeichnet, der noch aufgeräumt werden muss.

Die Entscheidung war denkbar knapp. Rudi Obauer bedauerte, dass es nur einen Sieger geben kann, denn immerhin schafften beide über 700 Punkte. Er sei „wahnsinnsfroh“, dass für diesen Tag alles vorbei ist. Man merkte ihm, aber auch dem Zweiten, Stefan Csar die Erleichterung richtig an. Was für Kevin Micheli und sein Team nun eine weitere Runde mit immenser Vorbereitung bedeutet, für die die Zeit bereits läuft, ist für Stefan Csar nun nur mehr eine Episode in seiner Karriere. Er startet jetzt mit Volldampf an seinem neuen Arbeitsplatz im Südburgenland und wird dort die Gäste vielleicht auch mit jenen Gerichten erfreuen, die er bei der Bocuse d`or Ausscheidung in Wien gekocht hat.

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