Baby ist nicht mein Name

Sie sind jung, rotzfrech, haben jede Menge Energie und ihre eigene Vorstellung vom Leben. Fünf „Blutsschwestern“ zeigen im Dschungel Wien in welchem sozialen Spannungsfeld sich junge Frauen von heute bewegen.

Corinne Eckenstein, die designierte Leiterin des Hauses, hat dort abermals ein Stück choreografiert und in Szene gesetzt. „Blutsschwestern“ ist ein Aufruf zu einem selbstbestimmten Leben, zu einem Bekenntnis zu sich selbst aber auch zu einer Solidarität unter Frauen. Was offenbar am allerschwierigsten sein dürfte.

Denn die fünf Tänzerinnen – jede eine Klasse für sich – harmonieren auf lange Strecken überhaupt nicht miteinander. Vielmehr gibt es Szenen, in welchen jede gegen jede auftritt und Rempeleien schon einmal richtig handfest enden. Es gibt aber auch Momente, in welchen sich Lilie Lin, Sandra Müller, Maria Teresa Tanzarella, Caroline Weber und Yuri Yoshimura als eingeschworene Clique outen und anmerken, dass man als Blutsschwestern im Geiste nicht blutsverwandt sein muss.

Die Bühne kommt mit einem von der Decke bis zum Boden reichenden Kleiderturm und einem Aluminiumgestänge aus, das durch Scharniere zu unterschiedlichen geometrischen Formen verändert werden kann. Einige Requisiten wie zwei Waschmaschinentrommeln und zwei Holzschubfächer, viel mehr benötigen die Tänzerinnen nicht, um ihr Lebensgefühl über die Rampe zu bringen.

Und das besteht hauptsächlich aus Zorn und Aufbegehren, aber auch aus einer gehörigen Portion Nachdenklichkeit und dem absoluten Willen, auch gegen den Strom sein Leben selbstbestimmt leben zu wollen. „Baby ist nicht mein Name!“, ruft an einer Stelle eine der Performerinnen ins Publikum, in dem viele junge Männer sitzen. Die Botschaft dürfte wohl angekommen sein, denn obwohl in der besuchten Vorstellung sehr redefreudige Schülerinnen und Schüler saßen, gab es an dieser Stelle keine Äußerung dazu.

Eckenstein lässt jeder Tänzerin einen Freiraum mit einem Solo, in dem sich die jeweilige Persönlichkeit wunderbar spiegelt. So zeigt Caroline Weber, die als Rhythmische Gymnastin an zwei Olympischen Spielen teilgenommen hat, unglaubliche 55 Staatsmeistertitel errang und lt. Wikipedia-Eintrag „die erfolgreichste Gymnastin in der Geschichte des Österreichischen Fachverbandes für Turnen“ ist, in einer atemberaubenden Choreografie ihr Können mit dem Hula-Hoop-Reifen. Ganz nebenbei, so als wäre ihre Performance ein Spaziergang, erzählt sie von ihrer Rolle als Spaßvogel, sobald sie sich in einer Gruppe befindet, aber auch über Frauenratgeber, die einem vorgaukeln, wie frau zu sein hat oder auch nicht. Für Weber, die nach ihrem Ausstieg aus dem Profisport Schauspielunterricht genommen hat, ist es ihre erste größere Bühnenrolle, die ihr wie auf den Leib geschneidert erscheint.

Es sind drastische Bilder und derbe Worte, die in der Inszenierung verwendet werden. Zungen- und Achselfürze, Verbalinjurien in Richtung Publikum und Schreiduelle erlauben den jungen Zuseherinnen und Zusehern eine größtmögliche Identifikation. Oder bieten an unterster Stelle einen unerwarteten Spaßfaktor. Pädagogisch korrekt kann man die Inszenierung nicht bezeichnen, als solche will sie sich aber sicher auch gar nicht präsentieren. Spannend und abwechslungsreich sind die Kostüme von Andrea Simeon gestaltet. Meist tragen die Frauen mehrere Kleidungsschichten übereinander, in denen ein Mix- und Match zwischen männlichen und weiblichen Stilelementen zu erkennen ist. Die BHs, die zuoberst umgeschnallt werden, machen deutlich, mit welch panzerartigem Kleidungsstück sich Frauen auch heute noch ohne wirkliche Hinterfragung wie selbstverständlich behängen.

Tänzerisch agiert das Ensemble mal in Hip-Hop-Manier, dann mit jeder Menge gymnastischer Elemente, immer jedoch mit Tempo und einer Vielfalt an choreografischen Einfällen, die den Zeitgeist der tänzerischen Jugendkultur gut wiedergeben.

Dass Maria Teresa Tanzarella mit einer Ode an eine junge Mutterschaft aufhorchen lässt, ist richtig mutig. Widersetzt sich der Wunsch, jung Kinder zu bekommen, doch jeglichem Mainstream. Glückwunsch dazu von meiner Seite.  Vor nunmehr schon 33 Jahren habe ich aus denselben Beweggründen diese Lebensentscheidung getroffen über die ich heute, als „junge“ Großmutter, unglaublich froh bin.

„Blutsschwestern“ bietet jede Menge Diskussionsstoff, nicht nur generationsübergreifend, sondern vor allem auch zwischen den Geschlechtern. Und es zeigt eines: Dass sich ein aktueller Stoff durch eine höchst ästhetische und spannende Choreografie an Jugendliche mühelos vermitteln lässt. Wo Tanz drauf steht, kann auch Spannung drin sein!

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