Richard III – Macht und Gewalt auf der Opernbühne
Anlässlich des Festivals Musica in Strasbourg wurde die zeitgenössiche Oper Richard III am 19. 9. 2009 in Frankreich uraufgeführt.
Der italienische Komponist Georgio Battistelli schuf gemeinsam mit Ian Burton, welcher das Libretto verfasste und Robert Carsen, der für die Regie verantwortlich zeichnet, ein Werk, das sich mit dem zeitlosen Thema Macht und Machtmissbrauch auseinandersetzt. Anhand von Originaltexten des gleichnamigen Schauspiels von William Shakespeare – von Ian Burton gekonnt gekürzt und neu arrangiert, jedoch immer auf dem originalen Wortlaut basierend – wird der Aufstieg und Fall Richards III zum König von England gezeigt. Das Werk wurde vor 6 Jahren vom jetzigen Straßburger Operndirektor Marc Clémeur angeregt, und 2005 an seinem damaligen Schaffensort, der flämischen Oper in Antwerpen, uraufgeführt. Clémeur sorgte mit der Übernahme der Oper nach Straßburg, dass das Werk, zuvor auch 2007 in Deutschland gezeigt, weiter in den Opernhäusern zirkuliert – und das nicht ganz zu unrecht.
Handelt es sich doch hier um ein Unterfangen, welches zeigt, dass Oper auch heute noch lebendig geschrieben und wiedergegeben werden kann, allen Abgesängen zum Trotz. Battistellis Musik kann mehr als vorantreibendes und unterstützendes Element der Handlung bezeichnet werden, denn als tragender Körper. Vielmehr zeichnet sich die Aufführung gerade dadurch aus, dass sich die gezeigten Bilder, der Text und die Musik völlig ausgleichend die Waage halten. Bis auf wenige Ausnahmen, wie der Introduktion, dem Terzett der adeligen Frauen, der rhythmisch wider Erwarten exakten und mehr getragenen als wilden Schlachtmusik, oder dem Schlussgesang des Chores, gibt es nur wenige erinnerbare Hörereignisse. Dies trägt jedoch dazu bei, dass hier Oper im wahrsten Sinne des Wortes als Gesamtkunstwerk exerziert wird.
Der Boden des Bühnenraums, welcher Shakespeares Globe Theater Einblick rekonstruiert, wird von rotem Sand ausgefüllt, auf welchem das Drama seinen Lauf nimmt. Robert Carsen wählte dieses Material, um einerseits auf die Vergänglichkeit und Ewigkeit der Lebensläufe in unserer Welt hinzuweisen, andererseits imitiert er damit eine Arena, die sich über die Jahrhunderte hinweg als Ort nicht nur der gespielten, sondern auch der lebendigen Dramen präsentierte. Jeder, der sich auf diesem roten Sand tummelt – tut dies aufgrund einer belasteten Vergangenheit. Eine schönes und intelligentes Bild, das lange nachwirkt. Die weiß geschminkten Gesichter und die schwarzen Kostüme aller Sängerinnen und Sänger – mit Ausnahme der gedungenen Schlächter, die in blutbefleckten Gummimänteln auftreten – reduzieren die optischen Informationen der Personen auf ein Minimum. Dies stellt jedoch auch eine absolute Verdichtung der Aussagen der jeweils agierenden Personen dar.
Streckenweise fühlt man sich stärker an eine Kinovorstellung erinnert, denn an eine Opernaufführung, was vor allem auch damit zu tun hat, dass Scott Hendricks, der einen schauspielerisch extrem ausdrucksstarken Richard III gibt, sowohl in seiner Mimik als auch in seiner Gestik stark an Heath Ledgers Oscar gekrönten Auftritt als Joker in Batman erinnert. Obwohl die Masken und das Bühnenbild der Oper bereits 2004/2005 entstanden sind, zeigt sich in der sofortigen, gedanklichen Verbindung zum Kinobösewicht, wie stark die Bilder der Leinwand und des Fernsehens unsere Assoziationen und Sehgewohnheiten beeinflussen. Neben Batman und Richard III war auch Mephisto eine jener großen literarischen Gestalten, denen das Böse weiß in ihr Gesicht geschrieben war. Als unvergesslich ist hier Gustav Gründgens zu nennen, der 1960 als menschenverachtender Dämon Filmgeschichte schrieb. Einen Hinweis, dass es aber nicht nur einzelne Menschen sind, welche dem Bösen verfallen, sondern das Böse in jedem Humanum wohnt, geben die weiteren, allesamt weiß geschminkten Gesichter der Solisten und des Chores. Sie treten dadurch entpersonifiziert auf, was wiederum der Inszenierung eine über den historischen Bezug hinaus zeitlose Gültigkeit verleiht. Diese Transferierung in eine nicht an eine Historie gebundene Dimension ist der ganzen Inszenierung von Carsen eigen und bezeichnet zugleich die Stärke der Aufführung.
Richard agiert von Beginn an als sich zu seinem Bösen bekennendes Ungetüm, dessen Gewissensbisse nur in seinen Alpträumen und Ängsten am Abend vor der Schlacht sichtbar werden. Er schont weder Familie noch Freunde, um an die Macht zu kommen und diese zu erhalten und kann, solange er sich innerhalb seines eigenen Ränkespiels befindet, sich sicher sein, auf keine Gegenwehr zu stoßen. Die musikalische Idee Battistellis, Richards blutrünstige Ideen jeweils mit einem ansteigenden Pfeifton zu unterstützen, wird nur sehr subtil wahrgenommen und kann als satirischer, augenzwinkernder Verweis auf Wagners Leitmotivthematik verstanden werden. Dem machtbesessenen König bietet einzig seine Mutter, die Herzogin von York, interpretiert von Sara Fulgoni, die Stirn. Sie klagt ihn in einem der musikalisch ausdrucksstärksten Momente der Oper an und spricht jenen Fluch aus, der sich auf dem Schlachtfeld erfüllen soll. Obwohl sich der Librettist getreu an Shakespeares Vorgabe hält, schafft es Caron, die Rolle der Frauen aus einem Blickwinkel zu beleuchten, der in der literarischen Vorlage nicht so stark zum Ausdruck kommt: Als Lady Anne, die Frau Richards III, gesungen von Lisa Houben, Queen Elisabeth, seine Schwägerin, interpretiert von Lisa Griffith und die Herzogin von York gemeinsam in einem berührenden lyrischen Terzett die jungen Thronfolger beweinen, die Richard in den Tower sperren ließ, wird klar, dass es sich um ein Lamento handelt, das vor und nach ihnen auch Millionen anderer Frauen betraf.
Sie weinen stellvertretend für all jene, deren Männer, Väter und Söhne durch Gewalt ums Leben gekommen sind. Sie sind es auch, die das von Männern verursachte Leid tragen müssen, wenngleich sie auch nicht immer jede Schuld von sich weisen können. Lady Anne steht für jene lustvolle Verbindung zur Macht, die sich sehr wohl ihrer Schuld bewusst ist und schließlich auch daran zerbricht.
Nach der Traumszene, in welcher die von Richard Ermordeten diesem seinen Tod voraussagen, und der anschließenden Schlachtszene, in der viel Blut geschaufelt wird, endet die Oper mit einem tonalen Chor aus dem Off. Battistelli hat das Sprichwort, dass man mit Speck Mäuse fängt, wörtlich genommen und hebt mit dem Schlusschor, der einer Sphärenmusik gleicht, das Publikum auf Wolken. Man mag dies als geschmäcklerisch abtun, der Erfolg, der auf den zufriedenen Gesichtern der aus dem Saal Strömenden zu sehen war, gibt ihm jedenfalls recht.
Scott Hendricks stellte nicht nur mit seinem ausdrucksstarken Spiel sondern auch mit seiner stimmlichen Kapazität den Mittelpunkt des Ensembles dar und nicht nur wie im Text, war sein stärkster Gegenpart Sara Fulgoni. Buckingham, gesungen von Urban Malmberg, ließ seinen hellen Baß-Bariton klar ertönen, was in den vielen Konversationen mit Richard ein ausgleichendes Element zu dessen ungestümer Schärfe darstellte. Daniel Klajner leitete das Philharmonische Orchester Moulhouse einfühlsam und wahrte die vorgegebene Ausgewogenheit zwischen Singstimmen und Orchesterpart bis zum Schluss.
Dass sich diese Oper in einem neuen Gebäude noch wohler fühlen würde als im historischen, nicht allzu großen Haus in Strasbourg, ist leicht vorstellbar. Hierzu bedarf es aber wahrscheinlich ganz abseits des Bühnengeschehens noch einiger Kämpfe.