Von Bad Ischl in die große weite Welt und retour

Von Bad Ischl in die große weite Welt und retour

In Sichtweite des Kongress- und Theaterhauses von Bad Ischl befindet sich die ehemalige Villa des jüdischen Komponisten Oscar Straus (1870-1954). Phonetisch könnte man ihn der großen Strauß-Dynastie zuordnen, mit der er jedoch nichts zu tun hatte. Ganz im Gegenteil: Aufgrund etwaiger Verwechslungen ließ er das ursprünglich zweite s, das er am Namensende trug, sogar amtlich streichen. Anlässlich der Eröffnung der Kulturhauptstadt Bad Ischl und Salzkammergut 2024 wurde die Produktion der Komischen Oper Berlin „Eine Frau, die weiß, was sie will“ aus dem Jahr 2015 für zwei Abende nach Bad Ischl eingeladen. Ab diesem März wird das Stück in Berlin wieder aufgenommen. Die Entscheidung, Oscar Straus erklingen zu lassen und nicht auf den hier omnipräsenten Franz Lehár zurückzugreifen, macht Sinn. Denn, wie Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt mehrfach betonte, war es ihr wichtig, auch auf die jüdische Vergangenheit der Stadt hinzuweisen. Eine Vergangenheit, die lange nicht aufgearbeitet wurde.

Villa von Oscar Straus in Bad Ischl.

Eingang der Villa von Oscar Straus in Bad Ischl (Foto. European-Cultural-News)

Die Villa, in welcher der viel gereiste Komponist seinen Lebensabend verbrachte, steht zu einem Teil heute leer. Am Haupteingang liegen verwaist Zeitungen, nur im ersten Stock ist eine aktuelle Wohnsituation zu erkennen. Doch gerade dieses Haus könnte mehrere Romane allein über seinen ehemaligen Besitzer erzählen. Oscar Nathan Straus kam schon als Kind mit seinen Großeltern jeden Sommer, wie es im 19. Jahrhundert üblich war, nach Bad Ischl zur Sommerfrische. Hier erlebte er eine Stadt voller Musik. Blasmusik, öffentliche Konzerte im Kurpark, aber auch Aufführungen im Lehár -Theater oder auch im Kongresshaus standen auf der Tagesordnung. Bald wünschte sich der Junge zwei Instrumente – eine Trompete und eine Trommel. Seine liebenden Großeltern erfüllten ihm den Wunsch und dürften sich bald danach die ehemalige Beschaulichkeit der Ischler Sommerfrische zurückgewünscht haben. Denn Oscar beherrschte bald beide Instrumente und brachte das Kunststück zusammen, sie gleichzeitig zu spielen. Von seinem Wunsch, Komponist zu werden, konnte ihn seine Familie nicht mehr abbringen. Die Jugendanekdote, welche von einer der Stadtführerinnen gerne erzählt wird, beleuchtet gut das gesellschaftliche Umfeld wieder, in welchem das Einzelkind aufwuchs. Zugleich auch jene Stimmung, die Ischl damals zu einem Zentrum des kulturellen Sommerlebens in Mitteleuropa werden ließ.

Seiner Hartnäckigkeit verdankte er es schließlich, dass sein Berufswunsch letztlich von seiner Familie doch akzeptiert wurde. Ausschlag gab ein Attest des bekannten Musikkritikers Eduard Hanslick, der darin dem jungen Mann „Frische und Einfachheit“ in zwei seiner Liedkompositionen bescheinigte. Straus studierte in Wien, später in Berlin und verdiente sein erstes Geld als Kapellmeister in Brünn, Teplitz-Schönau sowie Mainz. Für das Berliner Kabarett „Überbrettl“ schrieb er über 500 Kabarett-Lieder, geschuldet auch dem Umstand, dass fast jede Aufführung tags darauf von der Zensur verboten wurde.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Der finanzielle Erfolg stellte sich bei dieser Tätigkeit jedoch nicht ein, erst mit „Ein Walzertraum“, 1907 in Wien aufgeführt, gelang Straus sein großer Durchbruch. Sosehr Straus für seine „Operetten“ auch bekannt wurde, sosehr sollte man auch seine kritischen Lieder aus Berlin und die ersten Operetten wie „Die lustigen Nibelungen“ nicht vergessen. Letzte trug einen derart deutsch-kritischen Unterton, dass es bei einer Aufführung in Graz zu Tumulten kam und diese vom Spielplan abgesetzt werden musste. Untersuchungen, welche Straus und seinen Librettisten Fritz Oliven, einen Berliner Rechtsanwalt, der unter dem Pseudonym Rideamus Texte für ihn schrieb, zu Beginn des 20. Jahrhunderts beleuchten, zeigen einen Komponisten, der sich damals schon bewusst war, dass Zeiten anbrechen würden, die Gefahr für ihn bedeuten könnten. Ein Umstand, der sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten bewahrheiten sollte.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Vor den Nazis floh der Straus zuerst von Berlin aus nach Bad Ischl, anschließend in die Schweiz, danach nach Paris und Südfrankreich und letztlich in die USA, wo er für Hollywoodfilme Musik komponierte. Ein Sohn starb an der Front im 1. Weltkrieg, ein weiterer wurde 1944 im Konzentrationslager in Auschwitz ermordet. Nur zwei seiner fünf Kinder überlebten den Vater. Kurz nachdem er 1948 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, kehrte Oscar Straus nach Bad Ischl zurück.

Als „Operette“ angekündigt, erwies sich „Eine Frau, die weiß, was sie will“ in der Fassung des Regisseurs Barrie Kosky, viel eher als eine rasante Nummern-Revue mit atemberaubenden Kostüm- und Charakterwechseln. Dagmar Manzel und Max Hopp schlüpften in insgesamt 20 Figuren, zum Teil sogar gleichzeitig in zwei verschiedene. Die Inszenierung, musikalisch geleitet von Adam Benzwi, versetzte das Geschehen in das Berlin der 30-er Jahre, also in jene Zeit, in welcher das Werk auch entstanden war. Ausgestattet mit einem einzigen Bühnenbild wird die Geschichte einer jungen, verwöhnten Frau erzählt, die nicht weiß, dass eine berühmte

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Operettendiva ihre Mutter ist. Vielmehr lebt sie in der irrigen Annahme, dass ihr diese Soubrette ihren Mann ausspannen will. Erst in der letzten Szene lösen sich die psychologischen Verwicklungen auf. Es sind die schnellen Rollenwechsel, aufgrund der Minimalbesetzung mit zwei Personen und die überzeichneten Figuren, die keinen verkitschten Operettenstaub erkennen lassen. Aber nicht nur die aberwitzige Spielfreude, die von Manzel und Hopp gezeigt wurden, sondern auch der Witz der Liedtexte selbst, bescherte dem Publikum Heiterkeit. „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ ist eines der wohl berühmtesten Lieder, das, aus dem Werk ausgekoppelt, in vielen Chanson-Abenden des deutschsprachigen Raumes zu hören war und auch wieder zu hören ist. Oscar Straus kann in diesem Werk als jemand wahrgenommen werden, der bestens auf der Unterhaltungsklaviatur des Musiktheaters seiner Zeit spielen konnte. Die Chance, dass seine Ohrwürmer auch zuhause nachgesungen werden konnten, hatte er genauso zu nutzen gewusst, wie die subtile Sichtbarmachung von moralischen Anforderungen, welchen die Menschen sowohl in den 30er-Jahren als auch heute nicht gerecht werden können.

2021 wurde anlässlich des „Festivals der Regionen“ ein Projekt in Angriff genommen, in dessen Verlauf eine Landkarte mit „Stecknadeln der Erinnerung“ für die Stadt Bad Ischl erstellt wurde. Das Straus-Haus ist darauf nicht markiert, vielleicht auch, da es in jener Zeit, welche die Spazier-Route „Jüdisches Ischl“ beleuchtet – nämlich die 30er- und 40er-Jahre – noch nicht in Besitz von Oskar Straus war. Es wäre jedoch an der Zeit, die Geschichte des Komponisten einem größeren Kreis von Interessierten bekannt zu machen, nicht nur Musikbegeisterten, die in den meisten Fällen selbst nicht darüber Bescheid wissen.

Die Aufführung in Bad Ischl darf man deshalb als Aufforderung zu weiteren, eigenen Recherchen ansehen. Was wir hier mit weiterführenden Links gerne unterstützen:

Oscar-Straus-Beiträge zur Annäherung an einen zu Unrecht Vergessenen. Im operetta-research-center.org
Oscar-Straus-Beiträge-zur-Annäherung-an-einen-zu-Unrecht-Vergessenen
Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen – Uni Hamburg
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002671
Webseite Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut</a>

Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Eine doppelt tragische Liebesgeschichte

Zeitgenössische Opern sind, was den Publikumsstrom betrifft, für ein Haus immer ein Wagnis. Umso höher ist es zu bewerten, dass der seit dieser Saison neue Intendant der Grazer Oper – Ulrich Lenz – eine österreichische Erstaufführung des Komponisten Peter Eötvös ansetzte: „Schlaflos“ nach einer Romantrilogie des Nobelpreisträgers Jon Fosse. Uraufgeführt 2021 in Berlin, wurde für Graz eine deutsche Textfassung in der Übersetzung von Errico Fresis in Auftrag gegeben, was sich als goldrichtig erwies.

"Schlaflos" von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

„Schlaflos“ von Peter Eötvös an der Grazer Oper (Foto: Andreas J. Etter

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Liebespaares, das in einem kleinen Nest in Norwegen wohnt. Das Mädchen ist von der Mutter ungeliebt, der junge Mann verwaist und nur im Besitz einer Geige. Verstoßen und nirgends angekommen, abgewiesen und gedemütigt, entwickelt sich eine Dynamik aus Gewalt und Totschlag, die den beiden auf ihrer Reise in ein vermeintlich besseres Leben begegnet. Dazu kommt eine zusätzliche psychologische Komponente, die Fosse in Form eines Nebenbuhlers ausgearbeitet hat. Dieser erweist sich letztlich jedoch auch nur als halbherziger Sieger in einem verdeckten Spiel um die Zuneigung der jungen Frau.

Die Brutalität der Handlung wird vom Regisseur Philipp M. Krenn noch verdoppelt. Er versetzt das Paar in die Zeit zwischen den 70er- und 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts und lässt sie zu Beginn an einer kalten, gekachelten Mauer im Umfeld einer Markthalle, wie man sie auch von Bahnhöfen her kennt, kauern. Heike Vollmer (Bühne) und Regine Standfuss (Kostüme) schufen dafür ein authentisches, großartig wandelbares Umfeld, das die Kälte der Charaktere glaubwürdig spiegelt. Schnell wird klar, dass Drogen im Spiel sein müssen, die Existenz der beiden an einem seidenen Faden hängt. Das Schlussbild – es ist dasselbe wie jenes im ersten Aufzug, vermittelt den Eindruck, dass all das, was geschehen ist, vielleicht nur ein Traum gewesen sein könnte. Und tatsächlich lässt Krenn auch innerhalb der Geschichte zwei Deutungsvarianten zu. Zum einen erzählt er bildlich, dass die junge, drogenabhängige Frau eine Totgeburt erleidet und sich anschließend einen goldenen Schuss setzt. Zum anderen folgt er dem Libretto und lässt sie mit ihrem Sohn weiterleben. Wie diese Doppelerzählung aufgebaut ist, ist genauso tricky wie die Erzählstruktur des Autors selbst, der mit überraschenden Wendungen in der Handlung aufwartet. Krenn erreicht dadurch zusätzlich, dass man, wenn man die Trilogie nicht gelesen hat, neugierig darauf wird.

So trostlos wie die Erzählung auch erscheinen mag, so hoffnungsvoll ist sie zugleich auch. Der Komponist Peter Eötvös hat daran einen großen Anteil. Seine Musik hebt in den Traumszenen die Stimmung in schwebende Sphären, welche die Last des Alltags vollkommen vergessen lassen. Grandios werden diese vom doppelten Vokalterzett links und rechts der Bühne in den angrenzenden Logen, gesungen. Dieselbe wohltuende, musikalische Färbung markiert den Schluss, in welchem die Liebe, die über den Tod hinaus spürbar bleibt, zu strahlen beginnt. Vergessen ist in diesen Szenen das Poltern der wilden Biergesellen in einer mobilen, kleinen Trinkhalle. Vergessen auch die kunstvollen Schrei-Koloraturen jener jungen Frau, die verblendet und eifersüchtig das schwangere Mädchen verstößt und schließlich gegen ihren Freund hetzt, sodass er von der Gesellschaft in Lynchjustiz ermordet wird.

Tetiana Miyus und Mario Lerchenberger machen mit ihren herausragenden Stimmen als Alida und Asle den Abend zu einem ganz besonderen Ereignis. Zu Recht wurden die beiden, wie auch Daeho Kim in der Rolle des Nebenbuhlers und Tetiana Zhuravel als junges, eifersüchtiges Mädchen mit Bravo-Rufen und heftigem Applaus bedacht.

Vassilis Christopoulos am Dirigentenpult erwies sich als genau hinsehender und analysierender musikalischer Leiter, dem das Orchester mit ebensolcher Präzision folgte. Eötvös lässt in einzelnen Passagen seine ungarische, musikalische Prägung durchblitzen, wenn Geigen wehmütig oder ausgelassen darüber berichten, wie schön das Leben mit Musik doch sein kann. Beeindruckend sind auch jene Passagen, in welchen sich das Unheil über den jungen Mann zusammenbraut, was durch den Einsatz von wildem Blech verdeutlicht wird. Immer wieder hat auch die Marimba beinahe solistische Einsätze und trägt, wie auch die Klarinetten zu ganz speziellen, charakterisierenden Motiven bei.

Mit „Schlaflos“ war in der Grazer Oper nach „Morgen und Abend“,  komponiert von Georg Friedrich Haas, bereits eine zweite literarische Vorlage von Jon Fosse zu sehen. Auch das darf als höchst kluge Entscheidung gewertet werden. Ermöglicht sie doch dem Publikum, sowohl aktuelle kompositorische als auch literarische Tendenzen auf höchstem Niveau zu verfolgen.

Was normal ist, wird sich zeigen.

Was normal ist, wird sich zeigen.

Theaterkritiken werden auf zweierlei Art geschrieben. Die Erste ist beschreibender Art, überspitzt möchte man sagen: Was dabei herauskommt, ist eine Nacherzählung. Wenn es hoch herkommt, spürt man noch die Zustimmung oder Ablehnung des oder derjenigen, die geschrieben hat. Die zweite Art befasst sich stärker mit den Einfällen der Regie und der Performance des Ensembles und bringt, je nach Recherchefähigkeit der Schreibenden, die eine oder andere zusätzliche Hintergrundinfo. Am Ende steht schließlich ein positives oder negatives Resümee – oder auch eine gänzliche Beurteilungs-Enthaltung.

Diese Rezension möchte sich ein wenig abseits von diesen beiden Polen umsehen und Gedanken verschriftlichen, um das Phänomen dieser Theatergruppe besser verstehen zu können. Das aktionstheater ensemble schart eine Fangruppe um sich, die sich sehen lässt. Aktuell weist die Facebookseite 10.530 Follower auf. Tendenz permanent steigend. Von nichts kommt nichts, das weiß in Österreich jedes Kind, und tatsächlich ist der stetige Zustrom einer, den sich Martin Gruber und sein Team über die Jahre hinweg mit jeder einzelnen Vorstellung erarbeitet hat. Die aktuelle Spielserie nur in Wien von sechs Abenden ist praktisch ausverkauft und liefert damit ein tröstliches Indiz, dass Theater, wenn man es richtig macht, nicht so rasch von der Bildfläche verschwinden wird.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser


Viele FB-Follower kommen auch tatsächlich über Jahre, zum Teil sogar Jahrzehnte hinweg, in die Vorstellungen und konnten dabei eine bestimmte Entwicklung verfolgen. Zwar gleicht keine Aufführung einer anderen, dennoch werden bestimmte Erwartungshaltungen immer erfüllt, als da wären: Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben Einblicke in ihr eigenes Leben. Was davon theatralisch überhöht oder erfunden ist und was tatsächlich stimmt, darf geraten werden. Spannungen innerhalb der Gruppe werden veröffentlicht, entladen sich immer verbal, ab und zu jedoch auch körperlich. Das Bühnenbild hat ein ästhetisches Konzept, das ganz subtil auch auf die Kostüme übergreift. Das Wichtigste kommt in dieser kurzen Aufzählung am Schluss: Das jeweilige Thema, mit dem sich das aktionstheater ensemble befasst, ist stets hochaktuell und von gesellschaftlicher Brisanz.

Und genau das darf als USP in der österreichischen Theaterlandschaft gesehen werden. Hier werden keine Geschichten aus uralten Zeiten nacherzählt, hier geht es nicht um exemplarisch gute oder schlechte Verhaltensweisen. Hier regiert ausschließlich der Zeitgeist, der sich jedoch – panta rhei – beständig verändert und manches Mal sogar innerhalb weniger Monate scheinbar keinen Stein auf dem anderen lässt. Waren es zu Beginn der Gruppe lange Zeit Themen, die sich mit der Rolle der Geschlechter zueinander beschäftigten, wenngleich auch dies immer mit einem gesellschaftskritischem Impetus verbunden war, so verschob sich in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk hin auf politische Entwicklungen, die einen nicht zu übersehenden Einfluss auf unser aller Alltagsleben haben. Das Lachen, das Staunen und das Entsetzen lagen in diesen Inszenierungen oft direkt nebeneinander. Meist jedoch gelang es den Zusehenden jedoch, sich selbst vom absurden Bühnen-Geschehen, von so manch abstrusen Ideen oder verrücktem Gebaren abzuschotten und von sich selbst wegzuschieben.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In der aktuellen Inszenierung ist damit jedoch gründlich Schluss. „Alles normal. Ein Salon-d‘ amour-Stück“ nennt sich die Show, die der dystopischen Vorstellung folgt, welche die Herrschaft nach der herbstlichen Nationalratswahl eines „Volkskanzlers“ voraussagt. Wieder verwenden Gruber und sein Dramaturg Martin Ojster sowie das Ensemble bereits aufgezählte, dramaturgische Konstanten. So darf Isabella Jeschke in jene nun schon weitverbreitete Irrmeinung eintauchen, die besagt, dass man unter allen Umständen alle negativen Einflüsse fernhalten müsse, um selbst glücklich werden zu können. Schönheit voran, ist ihre Devise und ein willkommenes Verhaltensmuster für all jene, die dem Wahlvolk ohnehin jegliche Intelligenzkompetenz absprechen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper, genauer dem eigenen Geschlechtsteil, wie es Thomas Kolle zelebriert, auch sie ist in keiner Art und Weise zielführend, wenn es darum geht, die Demokratie in Österreich zu bewahren. Zeynep Alan, deren Familie aus der Türkei stammt, macht sich hingegen bereits Gedanken, ihren Namen zu ändern, um nicht als jemand erkannt zu werden, der keine österreichischen Vorfahren hat. Und Michaela Bilgeri hat sich vollends aus dem gesellschaftlichen Diskurs in die eigenen vier Wände zurückgezogen, um dort am Pc zu zocken, was die Gehirnwindungen hergeben. Wieder werden aktuelle Lebensmodelle beschrieben, die man so oder in einer anderen Spielart bereits im real life kennengelernt hat und über die man sich im besten Fall noch wundern kann. Allerdings gibt es bei „Alles normal“ zwei Ausnahmen.

Zum einen liest der Autor Elias Hirschl Textpassagen mit dem Mantra „es ist normal“ vor, in welchen das Grauen von Alltagshandlungen und abgenutzten Beziehungen fröhliche Urstände feiert. Was bei vielen im Publikum Lacher auslöst, bleibt anderen ad hoc im Hals stecken. Zum anderen ist es Babett Arens, die als Conférencière durch den Abend führt und sichtbar immer wieder versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. An einer Stelle jedoch rastet sie unvermittelt und brüllt mehrfach: „Aufstehen, wir sollten aufstehen!“ Womit sie nicht das sich-Erheben von einem Sessel meint. Ihr Ruf ist der, dem alle folgen sollten, denen ihre Freiheit in unserem Land, wie wir sie bis jetzt gewohnt waren, lieb ist.

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

Alles Normal. aktionstheater ensemble (c) Stefan Hauer

In diesem Moment wird klar, was dieser Abend bezwecken soll und was auch viele Inszenierungen davor bezwecken wollten. Er ist nicht als leichte Kost einer Abendbeschäftigung anzusehen, die man nach dem Nachhause-Gehen schon wieder vergessen hat. Die musikalischen Ohrwürmer, die er bereithält, sind nicht bloße Klangstaffage, sondern gerieren sich als assoziative Texterweiterungen. Tamara Sterns Interpretation eines jiddischen Tanzliedes, eine fetzige, rein instrumental dargebotene Nummer mit Balkanflair oder Leonhard Cohens „Take this waltz“, die einen Abschluss bildet, der mehr als nachdenklich stimmt – auch das lenkt die Aufmerksamkeit auf das aktuelle politische Geschehen. Höchst bereichernd agierte das musikalische Ensemble am Premierenabend mit der Besetzung von Atanas Dinovski, Lisa Lurger, Severin Trogbacher, Daniel Neuhauser, Tobias Pöcksteiner und Monica Anna Cammerlander. Letztere greift auch ins Bühnen-Geschehen ein und erzählt von demütigenden Erfahrungen in einem Musikensemble.

Mit Laufschriften, die von der linken Saalwand kommend danach quer über die Bühne projiziert werden, bis sie am Ende der rechten Saalwand verschwinden, wird der „Marketingsprech“ unserer Konsumgesellschaft verdeutlicht. (Bühne und Kostüm Valerie Lutz, Video Resa Lut) Jeder einzelne Satz ist ein bekannter Werbeslogan, der eine heile Welt und ein heiles Ich vorgaukelt. Ob man fernsieht oder Radio hört, ins Kino geht oder Zeitung liest – all diese Slogans sind aus diesen Medien wohlvertraut und entlarven sich ob der dargebotenen Inflation in der Vorstellung als leere Satzhülsen. Der allerletzte Satz jedoch, der über die Wände kriecht, er kommt nicht von links. In blutroter Farbe schleicht er nun von der rechten Saalseite zur Mitte und schließlich nach links an der Wand entlang. „Es wird rauchen und es wird Verletzungen und Verwundungen geben – es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land. Herbert K… anlässlich seiner ‚Heimattour‘ durch Österreich.“ Das sitzt, das fährt ein, das macht stumm, ad hoc.

Damit gelingt es Gruber und seinem Ensemble, die Stimmung im Saal zu kippen. Immer wieder ist ihm das auch schon bei vorherigen Produktionen gelungen, nie jedoch derart vehement und bedrückend und nie jedoch auf so plastische und drastische Art und Weise wie dieses Mal. In dieser Inszenierung ist es nicht mehr möglich, unbeteiligt aus dem aufgebauten Szenario herauszukommen. Es gelingt nicht mehr, das Ungeheuerliche, das sich gerade über uns allen zusammenbraut, von uns zu schieben. Mit der Wahrnehmung dieses Satzes, der eine projizierte Berglandschaft in eine Wüste oder eine rot getränkte Schneelandschaft verwandelt, je nachdem wie man es interpretieren möchte, kann niemand der Zusehenden jemals mehr sagen: Dass das so kommen wird, haben wir ja nicht ahnen können.

Gruber ist an einem Punkt angelangt, an welchem die Realität derart in das theatrale Geschehen wirkt, derart in einzelne Lebensentwürfe seines Ensembles übergreift, dass ein Wegducken, Nichtmucken und ein Runterschlucken nicht mehr möglich ist. Es wird so lange nicht mehr möglich sein, solange sich diese politische Bedrohung von rechts nicht auflöst und das ist derzeit nicht zu erwarten. Für die Theaterarbeit dieser Institution bedeutet das zugleich aber auch, dass sie zukünftig noch viel mehr als bisher jeglichen Zulauf und jegliche Unterstützung braucht, die sie auch nur bekommen kann. Denn eines ist klar: Wenn ein anderer Wind zu wehen beginnt, kann er sich in einen derart bedrohlichen Sturm verwandeln, dass auf Österreichs Bühnen tatsächlich nur mehr „salon d‘ amours“ zu sehen sein werden. Seichte Unterhaltungen, ohne Tiefgang und schon gar nicht ausgestattet mit gesellschaftspolitischer Kritik, die davongeweht sein wird. Schließlich lebt man ja von politisch motivierten Subventionen.

Werdet aktiv und tut etwas – wir haben euch gezeigt, wohin es führen kann, wenn ihr euch nicht wehrt, wenn ihr nicht aufsteht. Das ist die Kernaussage nicht nur dieses Abends des aktionstheater ensembles. Die Arbeiten, die nun schon seit 35 Jahren kontinuierlich dem Publikum präsentiert werden, sind in der Rückschau eine logische, künstlerisch verwandelte Dokumentation unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. Dass sie in den vergangenen Jahren immer stärker mahnend und anklagend wurde, ist in hohem Maße konsequent und zutiefst bewundernswert. Hut ab vor der Haltung, politisch Farbe zu bekennen und koste es, was es wolle, gegen einen Prozess Stellung zu beziehen, der nicht nur gesellschaftszersetzend wirkt, sondern auch demokratiegefährdend. Es wird spürbar, dass diese theatralische Arbeit an Gewicht zunimmt, zugleich aber auch an Wichtigkeit. Deshalb heißt es für uns – und ziemlich sicher auch für den Großteil des Publikums: „Stay tuned“ aktionstheater ensemble!

GRAZ-Kunst ist keine Mäusescheiße

GRAZ-Kunst ist keine Mäusescheiße

Verteufelt und verschmäht von den einen, geliebt und vergöttert von den anderen. Einer, der das von sich einst behaupten durfte, war der Grazer Dramatiker Werner Schwab. Bis heute hat sich an dieser Zweiteilung nichts geändert, obwohl er längst einen Spitzenplatz in der deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingenommen hat.

In der Silvesternacht vor 30 Jahren, am 1. Jänner 1994, starb Schwab an Atemlähmung, hervorgerufen durch exzessiven Alkoholkonsum. Das, was der Autor in seinem kurzen Leben zwischen 1958 und 1994 seelisch zu verdauen hatte, war eine Menge. Eine schreckliche Kindheit in Elend, Not und Bigotterie gleichermaßen. Darauf aufbauend entwickelte sich ein multikausaler, künstlerischer Ausdruckswillen, der sich aller Genres gleichermaßen bedienen wollte und konnte. Seine Trunksucht, der er letztlich auch erlag, darf als logischer Ausdruck dessen angesehen werden, was sein Innerstes nicht mehr imstande war, auszuhalten.

"Schwabgasse 94" - Schauspielhaus Graz (Foto: Stella Kager)

„Schwabgasse 94“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Stella Kager)

Mit „Schwabgasse 94 – eine Hommage an Werner Schwab“ setzt ihm nun das Schauspielhaus in Graz unter der fulminanten Regie von David Bösch ein wahres Ehrendenkmal. Nicht, dass das Schauspielhaus in Graz nicht immer schon Schwab auch in vielen Uraufführungen gewürdigt hätte. Doch das, was es dieses Mal zeigt, darf als Kondensat und zugleich auch Höhepunkt gesehen werden. In eineinhalb Stunden wird aufs Ernsthafteste und Spaßigste zugleich befolgt, was Schwab tatsächlich wollte: „Das Publikum müsse sich auf die Schenkel schlagen vor Lachen und dann plötzlich die darunterliegenden Grausamkeiten entdecken“ – Zitat derselbe.

Klug zusammengesetzte Textpassagen aus „Mein Hundemund“, „Die Präsidentinnen“ und „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“, sowie Fragmente aus Schwabs Arbeitsbüchern ergeben ein neues Ganzes, in dem sich sogar eine zarte Liebesbeziehung zwischen der Klo-Superwoman Mariedl und dem gepeinigten Herrmann anbahnt.

Von Beginn an sitzt jeder Satz, passt jede Regie-Idee, beeindrucken das trashige Bühnenbild und die treffenden, ausdrucksstarken Kostüme von Patrick Bannwart. Getragen von einem Ensemble, das sich die Seele aus seinem Leib zu spielen scheint, wird schon nach wenigen Augenblicken klar, dass dieser Abend eine Sensation ist. Wie sich Olivia Grigolli als Frau Wurm und Mervan Ürkmez als ihr Sohn Herrmann anfangs eine Beschimpfungsschlacht ersten Ranges liefern und dabei ihr Innerstes nach außen kehren, ist zum Lachen und zum Erschrecken gleichermaßen. Einen Fuß in blutige Fatschen gebunden, teilweise einen martialischen Ledermantel übergezogen und eine Gasmaske auf dem Gesicht, gelingt dem unterdrückten Sohn dennoch das Kunststück, sich im Handumdrehen in jenen kleinen Jungen zu verwandeln, der von seinem Onkel missbraucht und in den Schweinestall gesteckt wurde. Grigolli in der Rolle der verhärmten Mutter taucht später als Grete, der Gegenspielerin von Erna in den Präsidentinnen wieder auf. Darin liefert sie sich mit Karola Niederhuber das Duell des Wojtyla-Leberkäses gegen eine Pistole, ausgefochten in zwei nebeneinanderstehenden Mülleimern, dass einem Hören und Sehen dabei vergehen kann. Allein für diese Szenen lohnt es sich, das Stück anzusehen, wären da nicht noch eine ganze Reihe anderer. Auch sie leben vom Spiel, vom Text und dem Zauber, dass sich dies alles zu einer Einheit fügt, die Schwab als das erkennen lässt, was er tatsächlich war: Ein Sprachen- und Erzählgigant, der der Gesellschaft einen Spiegel vorhielt, in den viele nicht schauen wollten und auch heute noch nicht schauen können. Karsten Riedels Musikbeigaben, angesiedelt zwischen Punk und Pop trennen die Szenen gekonnt voneinander, ohne als reiner Übergang wahrgenommen zu werden.

Die Auftritte von Rudi Widerhofer als Hundsmaulsepp, Dichter und Nationalratsabgeordneter – sind prämierungswürdig. Als armes Würstchen in doppeltem Sinne, zugleich aber auch verkannter Autor, macht er ein wenig später dem jungen Schwab-alter-Ego Herrmann gleichsam das Fenster in dessen mögliche Zukunft auf. Mit langen, zerzausten Haaren, nur mit Unterhose bekleidet, sitzt er als alter Mann, nicht wie einst Diogenes, in seinem Fass, sondern in einem schwarzen Müllcontainer, in welchem er einen berührenden Monolog über den Todeswunsch rezitiert. So sehr zuvor auch gelacht wurde, so still ist es in diesen Augenblicken im Publikum. Es entsteht dabei eine jener seltenen, magischen Theatermomente, in welchem kollektiv die Gefühle der Menschen sich auf jenen konzentrieren, der sie dazu bringt, Empathie zu empfinden. Mitgefühl für einen, der einer von ihnen selbst sein könnte. Hervorgerufen durch einige wenige, leise Sätze, ohne Pathos vorgetragen, aber mit einem Tiefgang versehen, der einen förmlich zu verschlingen droht.

Luisa Schwab und Chen Emilie Yan als Kovacic-Schwestern und Franz Solar in der Rolle ihres prahlerischen und despotischen Vaters, sowie abermals Karola Niederhuber als seine Ehefrau, zeigen in rosa Hausanzügen mit silberner Kovacic-Glitzeraufschrift, wie sich eine richtige Familie zu präsentieren hat. Die Ermordung des geliebten Hamsters durch den Familienvorstand und deren Nachwirkungen, bis hin zur Hamster-Beerdigung unter Blockflöten-Trauermarsch-Begleitung, hält mehrfach Atemstillstandsmomente bereit. Genauso wie die Auftritte von Annette Holzmann als Mariedl, die nach allen Regeln der Kunst tief in die bühnenmittig platzierte Kloschüssel greift. Auch wenn ihre Monologe hinlänglich bekannt sind, erschafft Holzmann eine berührende Fragilität in ihrer Mariedl, die in scharfem Gegensatz zu all dem Ungemach steht, welches ihr die Gesellschaft, allen voran der Pfarrer und die rivalisierenden Freundinnen Grete und Erna, bereitet.

Papst Johannes Paul II., mit bürgerlichem Namen Karol Wojtyla und zu Schwabs Lebzeiten Vorstand der katholischen Kirche, darf in Überlebensgröße von der Bühne winken, unbeeindruckt von der Schmierage „fuck you mother“, die über ihn verteilt wurde. Die Assoziation zum Leberkäse-Wojtyla liegt gleichermaßen auf der Hand wie zur verhassten, bigotten Muttergestalt.

Das auf alten Fernsehmonitoren eingespielte Feuerwerk mit dem Titel „Happy New Year“ und die Jahreszahl 1994 machen schlussendlich subkutan wehmütig deutlich, dass für Werner Schwab kein fröhliches neues Jahr auf ihn wartete. Letztlich markierte das Datum nur den Beginn eines Zustandes, den sich seine Figuren oft herbei gewünscht haben. Einer, in dem keine Menschen mehr vorkommen, sondern nur mehr Ruhe herrscht.

„Schwabgasse 94 – Eine Hommage an Werner Schwab“ ist wahrlich keine „Graz-Kunst-Mäusescheiße“, wie zu Beginn Herrmann über das kulturelle Geschehen in Graz räsoniert und sollte vom Publikum gestürmt werden. Dies hätte sich nicht nur der Autor, sondern das Ensemble sowie der gesamte Cast der Produktion im Schauspielhaus Graz verdient.

Der Anfang vom Ende

Der Anfang vom Ende

Nach der Uraufführung des Stückes „Bühnenbeschimpfung“ am Maxim Gorki Theater in Berlin im Dezember vergangenen Jahres, erfuhr nun das Stück der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai in Graz am Schauspielhaus seine Erstaufführung. Zur Freude, aber auch zum Ärger von Menschen aus dem Publikum.

Mit Thomas Kramer, Sarah Sophia Meyer, Luiza Monteiro, Anna Rausch und Anke Stedingk beginnt der Abend mit eingespieltem, tosendem Applaus in grellen Tüllkostümen vor dem Vorhang. Da wird auditiv geklatscht, was das Zeug hält und dementsprechend verneigt sich auch das Ensemble. Das Stück nimmt ein Ende vorweg, das es sich wünscht – schier nicht enden wollende Beifallsbekundungen. Die bunten Kostüme von Carolin Mittler, von der auch das Bühnenbild stammt, machen deutlich: Was hier zu sehen ist, ist pures Spiel. Egal, was auch immer gesagt wird, man sollte nicht vergessen, dass das Ensemble Theater spielt und nicht darauf vertrauen, dass das, was es sagt, auch seine Meinung ist.

Die Autorin verlangt nicht nur von den Schauspielerinnen und Schauspielern viel ab, schließlich sprechen diese auf lange Strecken über sich und über die anderen und nicht so, wie sie es gewohnt sind, in der direkten Rede. Auch die Regie ist in einem solchen Fall besonders gefordert. Schirin Khodadadian verleiht den Texten, die sich in drei unterschiedliche Gruppen einteilen lassen, mit ihrer Inszenierung Halt.

Geht es zuallererst um die Menschen auf der Bühne, die Schauspielerinnen und Schauspieler, schlüpft er danach die Rolle und Gedanken des Publikums, um schließlich mit einem dystopischen Szenario die Zukunft des Theaters zu beleuchten.

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Ensemble „Bühnenbeschimpfung“ (Foto: Lex Karelly)

Bei den eigenen Erfahrungen im Theaterbetrieb, die vom Ensemble erzählt werden, brilliert Anke Stedingk, der man auch später alles, was sie sagt, förmlich aus der Hand fressen möchte. Ihr komödiantisches Talent, ihre offene, konfrontative, zugleich aber selbstironische Art ist einfach umwerfend. Thomas Kramer hatte zuvor schon seinen großen Auftritt ganz in der Nachfolge des Film-enfant-terribles Klaus Kinski. Wie Letzterer beim Dreh zu Fitzcarraldo, redete sich Kramer so in Rage, dass seine Kolleginnen vor ihm zurückwichen, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Lautstark ließ er seiner Wut auf die herrschenden Verhältnisse, letztlich aber auf sein eigenes Ja-Sager-Gen, freien Lauf.

Mit der Publikumssicht, seiner Erwartungshaltung, seinen Vorbereitungen und Gedanken während der Vorführung, aber auch seiner mehrfachen Frage, wie lange das Stück denn noch dauern würde, setzt Sivan Ben Yishai einen Gegenpart zu den Erfahrungen des Ensembles. Dass die einen nichts sind ohne die anderen und umgekehrt, wird dabei klar. Nicht aber, welchen Sinn es hat, ins Theater zu gehen. Und tatsächlich schuf die Regisseurin ein Szenario, in welchem sich drei Personen dazu durchringen, die Vorführung noch vor ihrem Ende zu verlassen. Es ist eine der wunderbarsten, da humorvollsten Szenen, die das Drama zu bieten hat. Wie Anke Stedingk ihre Kollegin Anna Rausch auf ihrem Rücken trägt und Sarah Sophia Meyer vor ihr gebückt die imaginierte Sitzreihe verlässt, führt zu einer allgemeinen Erheiterung.

Kurz zuvor mussten die Schauspielerinnen, umgezogen und somit nicht mehr gut erkennbar, verteilt im Saal von ihren Plätzen wieder zurück auf die Bühne. Dies veranlasste eine ältere Dame, die dafür etwas zur Seite rücken musste, zum rüden Kommentar, dass sie „mit so einem Schas“ nicht gerechnet hätte. Schließlich bezahlte sie auch noch „richtige“ Theaterkarten. Und tatsächlich beschäftigt sich der Text ein wenig später auch mit dem Phänomen der Erwartungshaltung der Besuchenden, die ja gerne eine Geschichte erzählt bekommen würden. Etwas von einem anderen über etwas anderes. Das postdramatische Theater, sosehr die Jugend damit auch schon aufgewachsen ist, hat für manch andere wiederum eine geringere Wertigkeit. Mithilfe von Leon Jereb an der E-Gitarre und Kaya Meller an der Trompete sowie Luiza Monteiro, verwandelt sich die Szenerie auf und vor der Bühne in einen großen, professionellen Chor, der das kollektive Singen und Hören zu jenem Erlebnis gestaltet, das seine Wirkung beim Publikum niemals verfehlt. Die Gemeinsamkeit der musikalischen Darbietung, kräftig unterstützt vom Statisten-Pool des Schauspielhauses, fährt in die Gemüter und wird dementsprechend beklatscht.

Es ist die Mischung aus einer abwechslungsreichen Regie und einem ebensolchen Text, der gar nichts außen vor lässt, was das Theater selbst betrifft, welche Wirkung zeigt. Eine Wirkung, die mit einem Langzeitgen ausgestattet ist. Vieles, was man an diesem Abend hört und sieht, hallt nach. Vor allem immer wieder die Frage nach dem Warum und die Feststellung, dass Theater heutzutage nichts mehr bewirken könne. Zugleich aber blitzt immer wieder jene Lust am Spiel durch, welche dieses Medium über die Jahrtausende am Leben hielt. Im Epilog, in welchem die Autorin das Theater selbst zu Wort kommen lässt, erzählt dieses aus einer Zukunftsperspektive, in welcher die Menschen um ihr Überleben auf dem Planeten kämpfen. Lange schon ist darin das theatrale Gebäude nutzlos geworden und verfällt aufgrund der unwirtlichen Witterungen letztlich komplett. Die Natur hat sich seiner angenommen und verleibt es sich kompromisslos ein. Hier zeigt die Bühnenbildnerin, wie schon ihre Kollegen und Kolleginnen bei den Aufführungen der Saison zuvor, was auf und mit der Bühne des Schauspielhauses alles möglich ist. Die hochkant aufgestellten ersten Sitzreihen verlieren sich im Bühnendunkel, aus dem dichter Rauch emporsteigt. Heimelig fühlt sich anders an und tatsächlich erfährt man, dass von diesem Theater einst nur mehr Rudimente vorhanden sein werden. Der Zustand, in welchem sich das Theater derzeit befindet, darf zusammengefasst als Anfang vom Ende beschrieben werden. Gäbe es nicht doch einen Hoffnungsschimmer.

Trost spendet letztlich ein Text über den immer wieder kehrenden Aufbau eines Shinto-Schreines, welcher als Metapher für das Überleben und Weiterleben des Theaters gelesen werden darf. Dass sich auch die Bühnenarbeiter und -arbeiterinnen einen Applaus abholen dürfen, ist nicht nur sinnvoll, sondern auch mehr als gerechtfertigt. Ein Abend zum Nach-, aber auch Vorausdenken, nicht nur über die Zukunft des Theaters.

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