Das fetzt!

Das fetzt!

„Keeping up with the Penthesileas“ von Thomas Köck und Mateja Meded bringt die Kardashians nach Wien. Oder sind es Penthesilea, die Königin der Amazonen und ihr Gefolge?

Auf die Idee, den antiken Frauenmythos mit den millionenschweren Influencerinnen zu vergleichen, muss man erst kommen. Dafür braucht es literarisches sowie historisches Wissen und die Portion an Kühnheit, die letztlich jene auszeichnet, die gewinnen.

Das 7-köpfige Ensemble darf in der rasanten, atemberaubenden Inszenierung nicht nur zeigen, was es schauspielerisch draufhat, sondern auch, wie es um seine Kondition bestellt ist. Selina Nowak aka. Zelina Power, bildende Künstlerin und Wrestlerin, stand der Regisseurin Anna Marboe tatkräftig zur Seite, um die sportlichen Herausforderungen im Ring zu meistern, welchen der Kardashian-Clan ausgesetzt ist. (Ausstattung Mirjam Stängl)

KEEPING UP WITH THE PENTHESILEAS (Foto: Bettina Frenzel)

KEEPING UP WITH THE PENTHESILEAS (Foto: Bettina Frenzel)

Martin Hammer agiert als einpeitschender Wrestling-Host, der sich alsbald aufgrund der geballten Womanpower selbst auf höchst gefährlichem Terrain wiederfindet. Zu tun hat er es mit Pilar Borower, Nina Fog, Hannah Joe Huberty, Isabella Knöll und Christoph Radakovits. Sie performen in verschiedenen Rollen – einmal als Kardashians, dann wieder als feministischer Chor, der außerhalb des Ringes Kim, dargestellt von Edwarda Gurrolla, mit peinlichen Fragen zu Leibe zu rücken versucht. Denn eines ist klar, so wie es einst war, dass dem Matriarchat das Patriarchat folgte, so spielt es sich in unserer Zeit nicht ab.

Vielmehr erfährt man, wie sehr sich Mutter und Kardashian-Töchter ein männliches Wirtschaftssystem angeeignet haben, dass sich so manche gestandene Feministin mit Schrecken abwendet. Oder aber auch vor Neid erblasst.
„Von nix kommt nix“, sagt man in Österreich, wenn man darauf verweisen möchte, dass ein erreichter Erfolg nicht über Nacht auftritt, sondern dahinter meist harte Arbeit steckt. Dass dies auch bei den Kardashians so war, wird aus vielen verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Es ist die extrem körperbezogene Theaterarbeit, welche diese Inszenierung besonders macht und von anderen abhebt. Unterbrochen wird sie – auch zum Luftholen des Ensembles und des Publikums – von feinen musikalischen Nummern. Ein Solo von Gurrolla, in welchem sie den Hit „Aye Mamá“ von Rigoberta Bandini singt, oder aber auch ein chorischer Einsprengsel, feinstens intoniert und arrangiert, beruhigen die Nerven aller Beteiligten, die teilweise blank liegen. Sie täuschen aber nicht darüber hinweg, dass es innerhalb der Familie nur um eines geht: Wer verdient wie viel, womit und wodurch – egal auf wessen Kosten.

Da stellt sich zwangsläufig die Frage: „Who did the work?“, wie es folgerichtig der Suffragetten-Chor tut, der darauf aufmerksam macht, dass ohne die mühsame und über ein Jahrhundert lange kämpferische Arbeit der Frauen ein Leben wie das der Kardashians nicht möglich wäre. Aber müssen sie deswegen dankbar sein? Oder machen sie das einzig Richtige – sich dessen zu bedienen, was die männlich dominierte Wirtschaftsgesellschaft schon seit Jahrtausenden tut?

Die Liebes-Entbehrungen, die schweißtreibenden Work-outs, die täglich zu absolvieren sind, der unbeugsame Wunsch, die Millionen, die man auf dem Konto hat, nicht Männern zu verdanken, sondern dem eigenen Tun, ist dies tatsächlich verwerflich?

Der Text, staccato vorgetragen, bietet Stoff für mehr als eine einzige Inszenierung. Themen wie „Frauen in der Werbung“, „Wie bewältige ich einen Shitstorm?“, Selbstermächtigung auf Kosten anderer, männlich dominierte Geschichtsschreibung – all das und noch mehr, kommt ebenfalls zur Sprache. Dass einem dabei nicht ein reflexiver Overload heimsucht, ist der klugen Regiearbeit zu verdanken, die mit einer großen Portion Witz in der Figurenführung arbeitet. Marboe weiß, dass auch die bittersten Pillen mit Humor gut schmecken können.

„Keeping up with the Penthesileas“ – eine Anspielung auf das Kardashian TV-Format, mit welchem sie globale Berühmtheit erlangten, ist ein Ritt zwischen gestern und heute, eine Abrechnung mit unrechtmäßiger Aneignung genauso wie mit Vertuschung und Täuschung. Es ist eine Theaterproduktion, die fetzt, unterhält und zugleich zum Nach-Denken, zum Nach-Lesen oder Nach-Schauen anregt. Mission completed.

Es ist eine schlechte Luft in der Welt

Es ist eine schlechte Luft in der Welt

Lazars Roman „Der Nebel von Dybern“ wird derzeit in einer Bühnenfassung unter der Regie von Johanna Wehner am Schauspielhaus in Graz gezeigt. Dem Verleger Albert C. Eibel ist es zu verdanken, dass mit seinen Neuauflagen sowohl die Theaterstücke als auch das restliche Werk der jüdischen Autorin wieder zugängig werden. Auf der Info-Seite über Maria Lazar der Buchhandlung Thalia, ist weiteres Interessantes zu diesem Thema nachzulesen.

Die Grazer Produktion, die zu Saisonbeginn als österreichische Erstaufführung angekündigt war, musste jedoch diese Meriten im Herbst an das Theater Nestroyhof Hamakom abgeben. Kam die Inszenierung in Wien mit nur drei Personen aus, sind in Graz neun auf der Bühne. Unter der Neuintendanz von Andrea Vilter wurde man bei den großen Produktionen im Haus bisher noch immer mit den Bühnenbildern positiv überrascht. So auch dieses Mal. Dem Ruf des Theaters an sich tut dies gut, gerade in Zeiten von schwierigeren Abo-Verkäufen, ist doch ein interessantes Bühnenbild ein nicht unwesentlicher Baustein zu einer gelungenen Produktion und lockt Publikum an.

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Benjamin Schönecker ließ für diese Inszenierung einen schmucklos-zweckmäßigen Industriebau aus den 70-ern des vorigen Jahrhunderts aufbauen. Der verglaste Eingangsbereich zu einer Chemiefabrik dient für Auf- und Abgänge. Am linken, vorderen Bühnenrand wurde eine kleine, mit Natursteinen gemauerte Sitzgelegenheit montiert. Unter bunten Glühlämpchen, die den Eingang zur „Gastwirtschaft am Rand“ markiert, treffen sich die alte, blinde Kathrine, sowie Barbara, die von Josef ein Kind erwartet und Jan. Durch diese Szenerie werden zugleich auch die Gegenpole des Dramas sichtbar. Die rurale Kuschelromantik des Gasthauses, in der sich das arbeitende Volk trifft, steht in direktem Gegensatz zum harten Business der Chemiefabrik mit ebensolchen Akteuren: Diese Dualität findet sich auch in den Figuren von Lazar wieder. Visualisiert wird dies zusätzlich durch eine raffinierte Farbgebung der Kostüme von Miriam Draxl.

Die Geschichte um den todbringenden Austritt von Giftgas, die unheimliche, aktuelle Bezüge aufweist, kann als Psychodrama gelesen werden, oder aber auch als Mahnung, mit unserer Welt pfleglicher umzugehen. Johanna Wehner konzentriert sich stark auf die Figurenführung von Maria Lazar und zeigt auf, wie verschieden die einzelnen Personen auf die Katastrophe reagieren.

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Anke Stedingk als alte Kathrine, die Kassandra-gleich das Übel, das über sie hereinbricht, nicht nur benennen, sondern auch riechen kann, spielt sich großartig direkt vom Bühnenrand aus in die Sympathien des Publikums. Sie ist es, die von Beginn an wittert, was kommen wird und mit ihrer herben und schroffen Art männerabwehrend der schwangeren Barbara eine echte Stütze bietet. Ihr Stehsatz „Es ist eine schlechte Luft in der Welt“ bezieht sich nicht nur auf die Katastrophe, die sich durch den Einsatz von Giftgas im 1. Weltkrieg ereignete und auf die sich Maria Lazar indirekt in ihrem Roman bezog. Vielmehr liegt eine Umdeutung auf heutige Zustände mehr als auf der Hand. Marielle Layher verkörpert als die junge Wirtin Barbara eine starke Frau mit einem unbeugsamen Willen, dem niemand entgegentreten kann. Die Vorstellung, dass ihr Kind einmal nicht auf grünen Wiesen in einer glasklaren Luft aufwachsen wird können, führt letztlich zum familiären Drama. Ihr Mann Josef – Mario Lopatta – ist jemand, der am liebsten vor allen Unbillen die Augen verschließt und das Schlimme wegschiebt, solange es nur möglich ist. Sein Gegenspieler Jan, Thomas Kramer, durchschaut am schnellsten von allen die Vertuschungsmechaniken der Verantwortlichen der Chemiefabrik, aus der das Giftgas auf unerklärliche Weise in die freie Natur gelangte. Seine aufbrausende Art, aber vor allem sein Nicht-locker-Lassen, wenn es darum geht, die Schuldigen aufzudecken, werden ihm zum Verhängnis.

Tim Breyvogel als Generaldirektor und Simon Kirsch als Alexis, stolzer „Leiter der Abteilung A“, personifizieren beide nicht nur das schlechte Gewissen von Unglücksverursachern. Sie versuchen vielmehr mit aller Macht zu vertuschen, dass der Nebel von Dybern kein Naturphänomen ist, sondern eine hausgemachte Umweltkatastrophe, die viele Menschen das Leben kostet. Ihrem fahrigen und hypernervösen Verhalten steht jenes von Dr. Thomsen – Sebastian Schindegger – diametral gegenüber. Er ist der Erste, der verstanden hat, dass eine toxische Substanz das Leben bedroht, durch seine Lethargie und Obrigkeitshörigkeit ist er aber nicht in der Lage, zeitgerecht zu warnen und das Gebiet evakuieren zu lassen.

Mit Clarisse – gespielt von Otiti Engelhardt – zeichnete Lazar eine höchst moderne Frauenfigur. Die Gattin des Fabrikdirektors und junge Mutter verzweifelt an ihrer Untätigkeit und kann sich bei ihrem Mann kein Gehör verschaffen. Sie hätte das Zeug zu einem wertvollen Mitglied im Krisenstab, wird aber, als „Kindchen“ tituliert, nicht ernst genommen. Dass sie, genauso wie Kathrine, einen Namen trägt, der Bezüge zu einer anderen Frauen herstellt, ist kein Zufall.  Die Frau von Fritz Haber, dem „Vater des Giftgases“ und späteren Nobelpreisträgers, hieß Clara. Sie nahm sich wenige Tage nach dem Einsatz von Chlorgas in Ypern, der 1200 Soldaten tötete, selbst das Leben.

Der Charakter der Heilsarmeeschwester, welche die geflüchtete Bevölkerung von Dybern in einem unterirdischen Kino bewachen soll, ist nicht wirklich durchschaubar. Anna Klimovitskaya spielt darin eine Frau, die sich streng an ihre Vorgaben hält, weiß aber wesentlich mehr, als es anfänglich den Anschein hat. Erst kurz vor Ende lässt sie mit einer Ansage aufhorchen, die deutlich macht, wer der eigentliche Verursacher der Katastrophe war. Eine dramaturgische Wendung, die zeitgenössischen Krimis in nichts nachsteht und deshalb an dieser Stelle auch nicht preisgegeben werden soll.

Mit einer musikalischen Untermalung von Vera Mohns, sowie einer raffinierten Lichtführung von Thomas Trummer, in welcher die bedrohlichen Nebelschwaden sichtbar werden, zieht die Regie weitere Register, die zum Gelingen des Abends beitragen.

Es ist nicht nur die Aktualität des Stoffes, die beeindruckt. Auch, dass die Geschichte nachhaltiges Denken beim Publikum hervorruft, zeigt, wie gut die Produktion gelungen ist. Die Charaktere stehen, höchst klug nachgezeichnet, für viele, die im Real-life in lebensbedrohlichen Situationen, in welchen sie Verantwortung übernehmen müssten, dies aus Feigheit jedoch nicht tun. Die Mitläufer, die Nicht-Wissen-Wollenden, die Hardliner, die Vertuscher, sie alle finden sich in jeder Gesellschaft und bilden ihren überwiegenden Teil. Jene, die das Unheil schon voraussehen und es aufdecken wollen, waren zu jeder Zeit und sind auch heute in der Minderheit. Ganz abgesehen von den vielen Namenlosen, die Opfer waren, sind und noch sein werden.

„Der Nebel von Dybern“ darf als weiterer gelungener Saison-Baustein am Schauspielhaus in Graz angesehen werden und macht zugleich auch neugierig, mehr von Maria Lazar zu lesen und auch zu sehen.

So könnte es sein

So könnte es sein

Die aktuelle Produktion „HILDE so oder so, sie und ich“ im TIB in Graz wartet sowohl mit Liedern von Hildegard Knef als auch einer Brustkrebs-Geschichte auf. „Die Knef“, wie sie in den deutschsprachigen Ländern genannt wurde, war selbst daran erkrankt und widmete diesem Kapitel ihres Lebens auch ein Buch, das Aufsehen erregte. „Das Urteil“ – so der Titel – brach mit dem Tabu, über die Erkrankung nicht zu sprechen.

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Foto: Johannes Gellner


In der Inszenierung unter der Regie von Ed. Hauswirth wechseln sich die Erzählung einer Frau, die über ihre Brustkrebserkrankung berichtet, mit Chansons der Knef ab. Martina Zinner versucht nicht, das unvergleichliche, dunkle Timbre der deutschen Sängerin zu imitieren. Auch werden die Songs elektronisch modern unterlegt (Thomas Pfeffer), sodass an ihnen nichts Angestaubtes mehr zu erkennen ist.

Ihre großen Hits wie „Von nun an ging’s bergab“, „So oder so ist das Leben“ oder „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ präsentiert Zinner ohne Pathos, dafür aber mit einer Zartheit, die sehr berührt. Beständig kippt der Eindruck, an einer Krankengeschichte teilzuhaben, um sich im nächsten Moment doch wieder darin zu finden. Erzählt Zinner von sich, von der Knef oder eine Geschichte, wie sie alljährlich tausende Frauen auf dieser Welt erleben? Es ist dieser Drahtseilakt zwischen Illusion und Realität, der über den ganzen Abend hin aufrechterhalten wird und diesen spannend macht. Aber auch viele Infos kommen ohne Besserwissergetue über die Rampe. Wenn Zinner über ihre Erfahrungen mit unterschiedlichen Ärztinnen und Ärzten berichtet, weckt dies sicher in der einen oder dem anderen unliebsame Erinnerungen an eigene Diagnosegespräche und Verständnis für die Protagonistin.


Ein Bühnenbild mit weißen Stores mit floralem Muster, wie er in den 70ern- und 80ern des vorigen Jahrhunderts modern war, ein kleines, mit weißem Plüsch überzogenes Podest, das ein skurriles Eigenleben führt, und ökonomische, aber wirksame Kostümwechsel, sowie eine kleine Hausbar, aus der sich Zinner, oder war es die Knef?, Cognac einschenkt, reichen völlig um zwischen unterschiedlichen Raum-Zeit-Gebilden mühelos zu switchen. (Ausstattung Heike Barnard)

„Ein rücksichtsloser Abend, so wie es mir gefällt“ sollte es für die Schauspielerin werden. Er wurde nicht rücksichtslos, sondern ganz im Gegenteil: empathisch, zart, witzig, mit einigen dunklen Einfärbungen, die das Thema mit sich bringt. Es wurde ein Abend, der unterhält, der nachdenklich macht, der aber auch herzlich zum Lachen anregt. Die Inszenierung mit der höchst authentischen Martina Zinner schafft es, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie es „sein könnte“ an Brustkrebs zu erkranken, ohne in mitleidtriefendes Gehabe zu verfallen. Textbeiträge von Pia Hierzegger dürften hier maßgeblich daran beteiligt gewesen sein. Die Premiere wurde zu Recht intensiv akklamiert.

Ein Pseudo-Feminismus, der keiner ist

Ein Pseudo-Feminismus, der keiner ist

Um einen Text wirklich beurteilen zu können, sollte man ihn gelesen haben. Wenn man eine Theaterkritik schreibt, dann umso mehr. „Die Party – eine Einkreisung“ von Ulrike Haidacher, wird im Schauspielhaus Graz als Ein-Personen-Stück im Schauraum gezeigt. 2022 erlangte der gleichnamige Roman der Autorin literarische Adelung, wurde Haidacher für das Werk doch mit dem „Peter-Rosegger-Literatur-Preis“ ausgezeichnet.

Der Roman oszilliert stark zwischen Realität und Fiktion, beginnt mit surrealen Situationen und erinnert alsbald an die schrecklichen Keller-Lebensumstände, die einige Kinder und Erwachsene in Österreich im vergangenen Jahrhundert durch perverse männliche Kreaturen erleiden mussten. Kampusch und Fritzl sind Namen, die auch heute noch im kollektiven Gedächtnis verankert sind.

Marlene Hauser in "Die Party" im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Marlene Hauser in „Die Party  – eine Einkreisung“ im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

In Haidachers Roman hält eine junge, gebildete Frau dem Wahnsinn einer Partygesellschaft entgegen, die sich dadurch auszeichnet, dass die feministischen Ressentiments der bourgeoisen Gemeinschaft im Laufe des Events immer stärker zum Vorschein treten. Verwoben wird die Erzählung über den Gastgeber, einen renommierten Wiener Regisseur und seine Gästeschar, mit den Erinnerungen der jungen Frau an ihre Kindheit und ihre Schwester. Haidacher arbeitete plausibel den Schwesternhass heraus, der auf beiden Seiten besteht. Plakativer sind bei ihr der regieführende „Künstler“ und seine Freunde angelegt. So plakativ, dass sie nicht mehr als reale, sondern nur mehr als überzeichnete Figuren wahrgenommen werden können, als symbolhafte Gestalten, die klischeehaft feministische Gegenbilder verkörpern. Dies tun sie mit einer Überheblichkeit und im Geiste eines unanfechtbaren Gutmenschentums, dass der jungen – namenlosen – Frau zurecht schlecht wird.

Marlene Hauser in "Die Party" im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Marlene Hauser in „Die Party  – eine Einkreisung“ im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

In der Fassung für die Aufführung im Schauspielhaus gehen leider die traumhaften Sequenzen und die surrealen Momente, welche den Roman in ein eigenes Raum-Zeit-Gebilde versetzen, fast ganz verloren. Der Keller zeigt sich erst ganz zum Schluss als eine Bedrohung, in der es um Leben und Tod gehen kann, nicht schon, wie im Roman, gleich zu Beginn. Dadurch verliert vieles, was gesagt wird, seine doppelte Ebene und bleibt nur plakativ stehen. Unter der Regie von Lukas Michelitsch verstärkt sich zwar die Körperlichkeit von Haidachers Personen, zugleich jedoch fehlen ihnen jene fatal-diabolischen Ansätze, welche dazu führen, dass die junge Frau letztlich ein grausames Ende findet. Dieses wird auf der Bühne nicht gezeigt, auch nicht angeschnitten, zumindest nicht so, dass es verstanden werden kann. Zwar bleibt der Nachspann, der auch im Roman hinter das Ende ein Zweites setzt. Die Ausgrenzung jener jungen Frau jedoch, die sich dem Mainstream aller entgegensetzt und die versteht, dass das, was um sie herum geschieht, letztlich nichts mit Feminismus zu tun hat, diese Ausgrenzung wird nicht spürbar.
Sehenswert an diesem Abend ist jedoch die Schauspielerin Marlene Hauser. Sie verkörpert nicht nur die studierte Eisverkäuferin, sondern auch alle anderen Charaktere. Innerhalb weniger Augenblicke schlüpft sie von einer Rolle in die nächste, ohne dass man auch nur ansatzweise Schwierigkeiten hat, die jeweiligen Personen zu erkennen. Ein karges Bühnenbild von Franziska Bornkamm und Eva Seiler wirft die Frage auf, ob es überhaupt eines gebraucht hätte. Fazit: Eine wunderbare schauspielerische Leistung trifft auf einen Text, dem die Schönheit abhandengekommen ist und auf eine Regie, die es sich – milde ausgedrückt, – sehr leicht gemacht hat.

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024

Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024
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Michaela Preiner
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Das Programm war breit gefächert. Buchpräsentationen, Lesungen, Konzerte in- und outdoor an verschiedenen Plätzen in der Stadt, Performances, Ausstellungen und die Eröffnung eines Genusslabors boten ein straffes Programm, bei dem die Besuchenden Lücken in Kauf nehmen mussten, so dicht waren die einzelnen Programmpunkte getaktet.

Geschichte und Anforderungen an eine Kulturhauptstadt

Im Zentrum der Stadt, in der ehemaligen Trinkhalle mit ihren charakteristischen, historischen Säulen, befindet sich der Info-Point sowie das Pressezentrum, in dem sich in- und ausländische Pressevertreterinnen und -vertreter tummelten. Es ist lange her, dass Bad Ischl einen derart internationalen Zulauf erleben durfte. Ab dem Jahr 1822 bis nach dem Ersten Weltkrieg war man in Ischl, wie es damals noch hieß, bevor es die Adelung als „Bad“ erfuhr, an hochrangige Gäste aus dem In- und Ausland gewöhnt. Erst nach dem Untergang der Donaumonarchie und dem abnehmenden Besuch des Adels und der Bourgeoisie schrumpfte die Ausstrahlungskraft des Ortes. Der Tourismus blieb dennoch erhalten, obgleich auch mit anderen Vorzeichen. Kuren in Bad Ischl wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Domäne von österreichischen Kranken, die von den verschiedenen Versicherungsträgern dorthin  geschickt wurden. Die Kultur, einst in dem kleinen Ort durch Komponierende und Literaturschaffende, Musizierende und Theatermenschen geballt vertreten, trat in den Hintergrund. Das Lehártheater verlor seine Strahlkraft, diente später als Mehrzweckveranstaltungsraum und Kino und wurde schließlich aufgrund seines maroden Zustandes geschlossen. Wer Modernes hören oder sehen wollte, musste fort von hier.

Mit dem Programm der Kulturhauptstadt 2024 ändert sich dies nun. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vergabe der „Kulturhauptstadt Europas“ teilen sich insgesamt 23 Gemeinden diese Zuschreibung. Zwar präsentiert sich Bad Ischl als Bannerträgerin des Kulturereignisses, die Teilnahme der weiteren teilnehmenden Gemeinden aus dem Salzkammergut wird sich im Laufe des Jahres verstärkt zeigen. Man erhofft sich dadurch nicht nur internationale Aufmerksamkeit, die sich auch in Nächtigungszahlen ausweisen soll. Grundidee ist jedoch, so die künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger bei ihrer Eröffnungsrede auf der Bühne im Kurpark vor mehreren Tausend Menschen, Kultur auch abseits von urbanen Zentren zu stärken. Sie sieht Kultur als ein gesellschafts- und demokratiepolitisch wichtiges Medium, das gerade in ländlichen Regionen nicht nur bei den Touristen, sondern bei den Menschen, die hier leben, viel bewirken kann. Damit erfüllt sie auch die Anforderungen, die seitens der Geldgeberin, der EU, gestellt werden. Wie es in einem Beschluss des Europäischen Parlamentes konkret heißt, soll durch den Zuschlag zur Kulturhauptstadt eine „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kultur- und Kreativsektors, insbesondere des audiovisuellen Sektors, mit Blick auf die Förderung intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums“ erreicht werden. Und weiter: „Mit dem Titel ausgezeichnete Städte sollten zudem die soziale Inklusion und Chancengleichheit fördern und so stark wie möglich darauf hinwirken, dass eine möglichst große Bandbreite aller Teile der Zivilgesellschaft an der Vorbereitung und Durchführung des Kulturprogramms beteiligt ist, wobei besonderes Augenmerk auf junge Menschen, Randgruppen und benachteiligte Gruppen gelegt werden sollte.“ Tatsächlich durfte man die Umsetzung dieser Anforderungen bereits am Eröffnungswochenende live miterleben.

Das Eröffnungskonzert

Das abendliche Eröffnungskonzert auf der großen Bühne im Kurpark lockte trotz eisiger Minustemperaturen tausende Bad Ischler und Menschen aus der Umgebung an. Mit den aus dem Salzkammergut stammenden Künstlerinnen und Künstlern – Hubert von Goisern, Tom Neuwirth aka Conchita Wurst und Doris Uhlich wurde gezeigt, dass die Region mehr als nur traditionelles Brauchtum zu bieten hat. Alle drei sind Persönlichkeiten, die sich auf den Bühnen der Welt profilieren konnten und symbolisch dafür stehen, dass auch mit regionalen Wurzeln internationale Anerkennung erarbeitet werden kann. Mit einem Auftritt von Schülerinnen der Modeschule Ebensee, die moderne Trachten-Interpretationen aus Papier präsentierten, erhielt der Abend zusätzlich einen starken regionenbezogenen Charakter, ausgestattet mit einem aktuellen Design-Twist.

Tom Neuwirth aka Conchita Wurst Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Tom Neuwirth aka Conchita Wurst (Foto: Henrieke Iring, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024)
Opening Hubert von Goisern Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Hubert von Goisern (Foto: Henrieke Iring, courtesy
Doris Uhlich Daniel Mayer courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Doris Uhlich (Foto: Daniel Mayer, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024)
Modeschule Ebensee 54 Henrieke Iring courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024
Modeschule Ebensee 54 Henrieke Iring, courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Ausstellungen und Installationen

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Maruša Sagadin – „Luv Birds in toten Winkeln“
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Altes Sudhaus Bad Ischl Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ (Fotos ECN)
Tagsüber wurden mehrere Ausstellungen eröffnet wie jene im Postgebäude mit einer Arbeit der Künstlerin Maruša Sagadin. Die österreichisch-slowenische Künstlerin installierte dort „Luv Birds in toten Winkeln“, eine mehrteilige Skulptureninstallation. Auf Säulen angeordnet, finden sich bunte Körperteile wie Zungen, Ohren oder Lippen. Sie verweisen auf intime Zonen und Handlungen, die im öffentlichen Raum aber kaum mehr einen Platz finden. Die kleinen Sitzbänke, die sich im hohen Atrium neben den Säulen befinden, dürfen tatsächlich zum Sitzen verwendet werden und verändern damit auch die bisherige Nutzung.

Gegenüber, im alten Sudhaus, war der Andrang zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ so groß, dass man auf einen Besuch am kommenden Tag vertrösten musste, da die Kapazität an Besuchenden ausgelastet war. Der Kurator, Gottfried Hattinger, hat ganze Arbeit geleistet. 18 Beiträge von insgesamt 21 Künstlerinnen und Künstlern geben einen erstaunlichen Überblick über künstlerische Beiträge zu diesem Thema. Von Installationen, die nur über eine App am Handy vor Ort abgerufen werden können bis zu Werken, die sich während der Ausstellung permanent wandeln und solchen, die eine unglaubliche statische Schönheit ausstrahlen, ist alles vertreten. Eineinhalb Stunden sind für den Besuch zu wenig. Wer sich umfassend mit den Arbeiten auseinandersetzen möchte, sollte sich reichlich Zeit dafür nehmen und nicht einen zu kalten oder zu heißen Tag aussuchen. Der Ort ist nicht heiz- und kühlbar, für wetterbedingte Ausnahmetage also eine Herausforderung.

Ganz in der Nähe, an der Hinterseite des Postgebäudes, prangt in luftiger Höhe ein „besticktes Netz“ der Künstlerin Katharina Cibulka. „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in“ ist darauf zu lesen. Es ist die 29. Ausgabe ihrer „solange“-Reihe, in welcher unter Teilnahme der ortsansässigen Bevölkerung Sätze gebildet werden, welche deutlich machen, warum es auch heute noch immer engagierte Feminist:innen geben muss. Einen Rückblick in die 1920er-Jahre kann man im Lehártheater wagen. Dort ist eine Neuinterpretation des legendären Ballet Méchanique zu sehen. Der amerikanische Komponist George Antheil schuf am ersten Höhepunkt der industriellen Revolution eine „Musikmaschine“, die über 20 Minuten lang automatisch eine Komposition abspielt, zu welcher parallel ein Schwarz-Weiß-Film von Férnand Leger projiziert wird. Winfried Ritsch, Professor für elektronische Musik und Akustik an der MUK, der Kunst- und Musikuni Graz, schuf mit seinen Studierenden eine Bearbeitung der Klanginstallation mit elektronischen Mitteln, die einige Jahre zuvor für das Kunsthaus in Graz in Auftrag gegeben worden war. Die Adaption in Bad Ischl entzückt durch das morbide Surrounding, das jedoch nicht mehr lange so bleiben wird. Bis 2027 soll das Theater auch mithilfe von Mitteln aus dem Kulturhauptstadtbudget in neuem Glanz erstrahlen. Im Moment jedoch vermischt sich der in die Jahre gekommene Raum mit seinen sichtbaren Bauwunden atmosphärisch gekonnt mit den Klängen der Pianos, Glocken, Xylofone, Trommeln und anderen Instrumenten, die wie von Zauberhand bewegt werden. Wer diese beeindruckende Installation sehen möchte, muss dies bis Mitte April tun, danach wird das Lehártheater anderweitig genutzt werden.

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Katharina Cibulka „Solange“ (Foto: ECN)

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Ballet Méchanique (Foto: ECN)

Altes Sudhaus Bad Ischl Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“

Genusslabor

Genusslabor Daniel Mayer courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Genusslabor Bad Ischl (Foto: Daniel Mayer)

Genusslabor Bad Ischl Altes Rezeptbuch

Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)

Gebusslabor Marc Schwarz Photo courtesy Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024

Genusslabor Bad Ischl (Foto: Marc Schwarz)

Genusslabor Bad Ischl Kredenz Inneneinrichtung

Genusslabor Bad Ischl (Foto: ECN)

Vorausplanung ist auch angesagt, wenn man sich im „Wirtshauslabor Bad Ischl, Genusslabor“ Feines servieren lassen möchte. Die Tourismusschule Bad Ischl belebt mit dem weit um bekannten Gastronomen Christoph „Krauli“ Heid vom Siriuskogl die ehemalige Bahnhofsrestauration. Dort dürfen die jungen Wirtinnen und Wirte ihre Idee von zeitgemäßer Gasthauskultur ausleben. Begonnen von der Auswahl der Speisen bis hin zur Bedienung, liegt es in ihrer Hand, ob der Act ein Erfolg wird. Am ersten Wochenende war dieser gleich so groß, dass viele, die kamen, um zu essen, auf ein anderes Mal vertröstet werden mussten. Jene, die Glück hatten, freuten sich nicht nur über das kulinarische Angebot, sondern vor allem darüber, mit wie viel Enthusiasmus und Freude die jungen Menschen hier ans Werk gingen. „Das hätten wir nicht gedacht, dass das so gut funktioniert“ war zu hören, aber auch „da sag noch einer, die Jungen würden nichts können!“. Das Genusslabor erweist sich in hohem Maße nicht nur als Praxisraum für die Schülerinnen und Schüler der 4 HLa. Es ist auch ein Kommunikationsort ersten Ranges, in dem man schnell mit anderen Gästen und den Betreibenden ins Gespräch kommt. Ein weiteres Wirtshauslabor wird am 29. Jänner unter der Ägide von Jochen Neustifter in Gmunden eröffnet werden. Die Einbindung der jungen Leute bietet nicht nur einen Praxisbezug. Vielmehr schafft sie eine Verbindung zur Kulturhauptstadt-Idee mit einer großen Reihe von Multiplikatoren, die sich mit dieser Idee identifizieren.

O-Töne und die „interventa-Performance

Die Menschen im Salzkammergut sind freundlich und redselig. Schnell kann man Kontakte knüpfen und erfährt so einiges, was Kulturfreaks wie mich erstaunt. Eine Aussage sollte all jene aufhorchen lassen, die für Projekte abseits der Hauptstädte in Österreich zuständig sind, nicht nur im Salzkammergut. Während der Einführung zur Performance „interventa Hallstatt 2024“, anmoderiert von Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Sabine Kienzer, wandte sich ein Besucher trocken zu seiner Begleiterin mit den Worten: „Ich versteh` gar nix“. Auf ihre Entgegnung, dass die Lautstärke ja in Ordnung sei, kam die Antwort: „Es ist nicht die Lautstärke, ich verstehe den Inhalt nicht, ich weiß nicht, was das heißen, soll, was die Frauen da sagen.“ Die beiden Initiatorinnen berichteten in wenigen Sätzen, dass im Herbst in Hallstadt das Symposium „interventa“ stattfinden wird und welchen Inhalt dieses hat. Völlig unerwartet kam von einem daneben stehenden Besucher ein fulminanter Gegenschlag: „Die Kunst hat eine eigene Sprache und in dieser Sprache wird hier gesprochen. Wir haben jetzt in dem Jahr einmal Gelegenheit, diese Sprache zu lernen“. Das saß und erregte keine Widerrede.
Die Performance, choreografiert von Esther Balfe, war ein Vorbote der „interventa Hallstatt 2024“, die von 19. – 22.9.2024 stattfinden wird. Darin wird Baukultur zwischen Tradition und Innovation interdisziplinär behandelt werden. Tänzerinnen und Tänzer von der Musik und Privatuniversität Wien, ausgestattet mit der weißen Arbeitstracht von Salinenarbeitern, hatten hölzerne Glocken umgebunden, die von der HTBLA Hallstatt gefertigt worden waren. Ein Hinweis auf die bodenständige Glöckler-Tradition der Region, die jedoch nur von Männern ausgeführt wird. Die Tanzenden trugen Schriftzeichen, die sich als einzelne künstlerische Objekte erwiesen. Gestaltet wurden sie von der Künstlerin Isabella Kohlhuber und zusammengestellt ergaben sie den Titel der Arbeit: „Glasschiebetür“. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit der Typografie auseinander und verwendete dafür ein Verputzmaterial, das beim Bauen verwendet wird. Auch hier wurde dem Gedanken des Miteinander und des Einbindens der Bevölkerung vor Ort Rechnung getragen.

Ein weiterer, interessanter Kommentar zur Eröffnung kam von einer Geschäftsinhaberin in der Innenstadt. „Ich habe mir die Tanzperformance von Doris Uhlich, den ‚Pudertanz‘, sehr genau angesehen und gemerkt, dass die nackten Menschen, die auf der Bühne waren, ganz unterschiedlich aussahen. Eine Frau mit einer amputierten Brust und sogar behinderte Menschen im Rollstuhl waren dabei. Dass sie nackt waren, fand ich in Ordnung, aber ob das auch für die Kinder gut zu sehen war, bin ich mir nicht sicher.“ Prompt kam auch hier eine Antwort – und auch hier nicht von „Zugereisten“, sondern einer Angestellten: „Für die Kinder sollte das nichts Besonderes sein, denn sie sollten zu Hause schon gesehen haben, wie ein Mann und eine Frau nackt aussehen.“ „Das ist halt Kunst“ brachte ein älterer Herr seine Meinung zu dieser Performance gegenüber Bekannten auf der Straße auf den Punkt. Uhlichs Perfomances mit nackten Menschen spaltet die Meinungen immer, verweist aber künstlerisch in allerhöchstem Maß auf eine der wichtigsten Forderungen, welche eine Kulturhauptstadt zu erfüllen hat: Soziale Inklusion und Chancengleichheit mit Augenmerk auf benachteiligte Gruppen. Dass die ästhetische Komponente an diesem Abend, wohl dank der Kälte, eine ganz besondere war, sollte erwähnt werden. Das Puder, das sie und ihr Ensemble forsch aus den Puderbehältern drückten, blieb lange in der kalten Luft schwebend stehen, bis es zu Boden sank. Die Lichtregie tat ein Übriges, diese Optik unvergesslich in Szene zu setzen.

Nicht Franz Lehár, sondern Oscar Straus

Mit der „Operette“ „Eine Frau, die weiß, was sie will.“ von Oscar Straus, einem jüdischen Komponisten, der zeitgleich mit Franz Lehár in Bad Ischl arbeitete, wurde am Eröffnungswochenende mit einer Produktion der „Komischen Oper Berlin“ auch auf einen weiteren Schwerpunkt der Kulturhauptstadt verwiesen. Verstärkt soll die Aufarbeitung von jüdischem Leben in der Stadt und im Salzkammergut vorangetrieben werden, um ein Kapitel zu beleuchten, das viele Jahrzehnte verschwiegen wurde. Zwar bedarf es, um hinter einige der Programmierungen zu blicken, eigener Recherchen. Gerade aber von jenem Publikum, das sich auf den Weg in die Region macht, um das kulturelle Geschehen hier vor Ort zu genießen, kann das erwartet werden. Der eine oder andere direkte Verweis mit Hintergrundinformationen zum leichteren Verständnis wäre dennoch angebracht, hauptsächlich für all jene, für die Kunst im Alltagsleben eine Randerscheinung darstellt. Denn die beiden angesetzten Vorstellungen dienten nicht nur zur Publikumserheiterung, sondern hätten auch ein wesentlich größeres Aufklärungspotential geboten, was das Leben und Schicksal von Oscar Straus und vielen anderen aus seinem Umkreis betrifft. Ein kleiner Einblick ist hier nachzulesen.

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Oscar Straus: „Eine Frau, die weiß, was sie will“ (Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Es sind Gespräche wie die oben angeführten, die das Salz in der Kommunikation vor Ort in diesem Jahr ausmachen. Die Auseinandersetzung mit Neuem, das Aufbrechen von alten Mustern, das Diskutieren miteinander und auch das Reden darüber werden einen Mehrwert bringen, der nicht zu monetarisieren ist. Wer sich für zeitgenössisches Kunstgeschehen interessiert, wird in Bad Ischl und dem Salzkammergut in diesem Jahr fündig und muss nicht mehr, wie bisher, fort von hier. Dass der Schwerpunkt der künstlerischen Beiträge von Frauen kommt, ist vor allem auch im internationalen Kunstgeschehen nicht nur bemerkenswert, sondern extra herauszuheben. Dies ist Elisabeth Schweeger zu verdanken, die am Eröffnungsabend laut und mit Begeisterung ins Mikrofon rief: Die Zukunft gehört den Frauen!

Alle Informationen finden sich hier:
https://www.salzkammergut-2024.at/

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