Auf! Spielen wir weiter die Narren!

Auf! Spielen wir weiter die Narren!

Mit dem ersten Bild schon wird klar, dass es sich in „Zwiegespräch“ von Peter Handke um eine Rückschau handeln muss. So, wie das Kind gekleidet war, sehen Buben heute nicht mehr aus. Kaum ist der Kleine abgegangen, schiebt sich unter metallenem Ächzen und lautem Knarzen eine Faltwand über die Bühne. Bis wieder Ruhe einkehrt und sie an der richtigen Position angehalten wird, ist eine gefühlte Ewigkeit vergangen. Eine Lebensewigkeit, wie sich zeigen wird.

Mit der kargen und dennoch raumgreifenden Bühnenarchitektur wird eine unwirtliche Umgebung simuliert. Kleine, nebeneinander geschachtelte, unpersönliche Raumecken, erweisen sich bald als letztes Refugium von alten Menschen. Vier Männer und eine Frau werden, in Rollstühlen sitzend, von jungem Pflegepersonal in Position gebracht. Unter Beobachtung müssen sie, noch in Unterhosen und Unterleibchen, Morgentoilette machen und sich anschließend anziehen. Spätestens als eine junge Frau wortlos mit mehreren Urnen in ihren Händen an ihnen vorbei defiliert, weiß man, dass die Alten hier nicht mehr als ihr Tod erwartet.

Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Das Setting, das die Regisseurin Rieke Süßkow für Handkes Text verwendet, ist eindeutig. Und, so wird sich zeigen, für das Ensemble eine enorme Herausforderung. Denn im Laufe der Vorstellung wird die Bühne (Mirjam Stängl) in zwei Bereiche getrennt. Den linken, in welchem sich die alten Herrschaften zum Spiel um ihren Tod versammeln, und den rechten, in welchem die jungen Leute – das Pflegepersonal – sich zusammenfinden. Zwar kommen in Handkes Text nur zwei Sprecher vor – er hat ihn auch den beiden schon verstorbenen Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet. Dennoch werden die Sätze in der Inszenierung im Akademietheater auf drei Männer und zwei junge Frauen aufgeteilt. Und dies so, dass zwischen den Jungen und den Alten kein Blickkontakt besteht, oft aber die Staffelübergabe des Sprechens innerhalb eines Satzes vor sich geht.

Die Idee, die Dialoge und Monologe auf zwei Generationen aufzuteilen, macht durchaus Sinn. Denn auf diese Weise bleiben die beiden Handlungsstränge, die Handke kunstvoll herausarbeitet, nicht hermetisch unter den zwei alten Männern eingeschlossen. Vielmehr erhält man den Eindruck, dass die Berichte aus der Vergangenheit tatsächlich auch im Heute bei den jungen Pflegerinnen ankommen.

Erzählt wird die Lebensgeschichte eines Mannes, wie sie aus der Sicht seines Enkelkindes – nun selbst schon im Großvateralter – wahrgenommen wurde. In dieser Rolle lässt Branko Samarovski eine Figur greifbar werden, die vom Krieg gezeichnet, dennoch voll Stolz ihr Leben zu Ende lebte. Aus einigen anschaulichen Passagen, wie der Beschreibung, dass der Großvater eine Spielernatur war – obwohl dies gar nicht seine Natur gewesen sei – oder seine scheinbar aus dem Nichts gekommenen Wutanfälle, in welchen er Tiere schändete, bis hin zu den letzten Tagen, die er siechend in seiner kleinen Kammer verbrachte, setzt der Autor einen Charakter zusammen, der einerseits gut greifbar wird, andererseits aber auch viele Fragen offenlässt. Dass es sich dabei um die Beschreibung von Handkes eigenem Großvater handelt, liegt nahe. Die Beobachtung, dass er in seinen letzten Tagen, ans Bett gefesselt, manische, imaginierte Schreibbewegungen an der Wand vollführte, hallt in seinem Enkel offenkundig stark nach. In jenem Mann, der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten wurde und mit dieser Beschreibung der kindlichen Wahrnehmung, mit diesem aussagekräftigen Bild, einen starken Phrasierungsbogen von sich hin zu seinem Großvater zieht.

Die zweite Erzählung berichtet über die Suche nach einem Haus, oder besser – nach einem Zuhause. Einem Zuhause, in dem es nicht an menschlicher Wärme mangelt. Einem Zuhause, das von Kindern belebt und in eine Landschaft eingebettet ist, die von Wiesen oder Wäldern umgeben ist. Martin Schwab beschreibt immer wieder unterschiedliche Hütten oder Behausungen. Allesamt hätte er, der nun alte Mann, auf seinen Wegen durch die Landschaften gesehen. Nirgends jedoch ist er selbst darin heimisch geworden. Auch hier hat man Peter Handke vor Augen. Jenen rastlosen Wanderer, der ein genauer Beobachter seiner Umwelt und der ihn umgebenden Natur ist. Hans Dieter Knebel, der dritte alte Mann, ergänzt, wiederholt, fragt und bejaht die Gespräche seiner Kollegen, oft auch mit einem sprachlichen Ausdruck, der erkennen lässt, dass das Erzählte, die Erzählung an sich, schon zu einem Ritual geworden ist.

Wie zwei Echos ergänzen zwei junge Frauen, Elisa Plüss und Maresi Riegner, die häufig noch nicht zu Ende gesprochenen Sätze. So, als hätten auch sie diese schon unzähligen Male gehört und könnten diese auswendig mitsprechen. In einigen Passagen aber stellen sie sich auch Fragen. Fragen, auf die sie jedoch keine direkten Antworten erhalten. Fragen, die man sich erst fragt, wenn das Gegenüber nicht mehr am Leben ist.

Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Handkes typischer, poetischer Sprachstil mäandert auch in diesem Text gerne um Begriffe. Es sucht Synonyme, ihre Gegenteile, aber auch Verstärkungen oder Abschwächungen, mit dem Ziel, sich nicht wirklich festlegen zu müssen. Das, was für eine Person Wirklichkeit bedeutet, kann für eine andere utopisch sein. Sich dessen bewusst, vollführt Handke häufig sprachliche Volten, nicht zuletzt auch um klarzumachen, dass Sprache etwas ist, auf das man sich nicht immer verlassen kann. Dass Sprache etwas ist, das Menschen manipulieren kann, aber auch etwas, das selbst manipulierbar ist.

Gegen Ende des Stückes ist es ein einziger Insasse des Heimes, der noch am Leben geblieben ist. Raum ist für ihn keiner mehr vorhanden, denn die Jungen haben ihr Territorium im Laufe der Vorstellung beständig so erweitert, dass ihnen zum Schluss die gesamte Bühne gehört. Silberne und goldene Luftballons und Champagnergläser zeugen von einem Reichtum, der offenkundig von den verstorbenen Ahnen geerbt wurde. Das letzte Aufbäumen vor seinem Tod, die Aufbahrung bei lebendigem Leib, gestaltet sich als wilde, ausufernde Szene, deren tieferer Sinn jedoch abhandengekommen scheint.

Akademietheater – „ZWIEGESPRÄCH“ – Peter Handke (Foto: © Susanne Hassler-Smith)

Der finale Auftritt der bereits Verstorbenen und das Einfrieren der jungen Generation im letzten Bild, macht zweierlei deutlich: Auch wenn die Alten gestorben sind, auch wenn es die Großväter- und Großmütter-Generation nicht mehr gibt, tragen ihre Nachfahren dennoch viel von ihnen in sich weiter. Unbewusst und bewusst, je nachdem, wie stark sie sich mit ihrer Familiengeschichte selbst auseinandergesetzt haben. Die Erstarrung der Jungen macht aber auch klar, dass sich auch dieser Lebensabschnitt als vergänglich erweisen wird. Auch sie werden einmal an ihr Lebensende kommen und von ihren Enkelinnen und Enkeln abgelöst werden.

Eine intelligente Lichtregie (Marcus Loran) sorgt dafür, dass Rückblenden ohne Farbabstufungen auskommen. Die bunten Kostüme (Marlen Duken), in welcher zwischen Alt und Jung nicht unterschieden wird, die sich aber perfekt untereinander ergänzen, verstärkt die Metapher, dass Gestriges mit Heutigem zusammengehört und dass sowohl Jung als auch Alt sich denselben Prozessen des Werdens und Vergehens aussetzen müssen.

Dass die besuchte Vorstellung mit einem mehrfachen, gut hörbaren Soufflieren aufwartete, könnte man leicht als gewollt verbuchen. Geschuldet ist es aber der eingangs beschriebenen Bühnentrennung, die keinen Blickkontakt zwischen den Generationen zulässt. Dennoch schadete es der Vorstellung nicht, sondern verlieh ihr eher noch einen zusätzlichen Wahrheitsgehalt. Auch Schauspieler sind ab einem gewissen Alter nicht davor gefeit, mit schweren Texten kämpfen zu müssen. Hätte man den Souffleur bzw. die Souffleuse sichtbar auf die Bühne gesetzt, hätte dies eine weitere Interpretationsebene geboten.

Ein sehenswerter Abend, textgetreu und doch voll mit persönlichen Auslegungsideen. Sprachlich ein Meisterwerk, dazu noch hochemotional und ohne Ablaufdatum. „Zwiegespräch“ hätte das Zeug, sich zu einem Klassiker zu etablieren.

Wie klingt ein Ort?

Wie klingt ein Ort?

Kann man den Klang eines Ortes erkennen? Gibt es neben Sehens- auch Hörenswürdigkeiten? Der Kulturwissenschaftler und Kurator Thomas Felfer ist dieser Frage nachgegangen und hat Geräusche, Klänge und Gespräche eines Ortes erfasst und nun in Graz, im Museum für Geschichte hörbar gemacht. Die Ausstellung „The sound of St. Lambrecht. Der Klang eines Ortes“ ist eine Ausstellung der anderen Art. Denn viel mehr als man sehen kann, kann man hören.

Wie Sprachaufnahmen von Interviews mit Einwohnern von St. Lambrecht, schon vor Jahrzehnten aufgenommen. Stilecht hat man die Möglichkeit, diese kurzen Gesprächsausschnitte von Kassetten abzuspielen. Junges Publikum wird vielleicht die Inbetriebnahme des Kassettenrekorders vor Herausforderungen stellen. All jene, die damit aber groß geworden sind, dürfen sich auf reminiszenzhafte Gefühle freuen. Ähnliches kann man auch beim Auflegen und Hören von Schallplatten verspüren, zu welchem man sich bequem in 50er-Jahre-Fauteuils setzen kann.

Die kleinen Kassetten-Interviewschnipsel behandeln Themen wie Essen, einen Hausbau, aber lustigerweise auch „Fensterln“, wobei Ungeübte wegen des starken Dialektes nicht jedes Wort verstehen werden. Es geht aber laut dem Ausstellungsmacher gar nicht darum, alles genau zu verstehen. Das Einlassen auf eine ungewöhnliche Sprachmelodie steht vielmehr im Vordergrund – eben hören, wie man „woanders“ spricht.

Neben Sprachaufzeichnungen ist es auch möglich, in die Akustik von Räumen eintauchen. Das Stift St. Lambrecht selbst bot hierfür eine wunderbare Soundkulisse. Das metallene Geräusch eines schweren Schlüssels, der ein Schloss aufsperrt, wird abgelöst vom Knarzen einer Türe, die geöffnet wird und im nächsten Moment hört man das Hallen von Schritten in einem großen Raum. Ein kleiner Rundgang durch das Stift wurde auditiv aufgenommen und kann so ohne visuelle Eindrücke nachverfolgt werden. Ganz nebenbei beginnt man zu verstehen, oder besser – zu hören, dass blinde Menschen auf diese Art und Weise einen Eindruck von Räumen bekommen.

Ein Höhepunkt der Ausstellung wird jedoch bildgewaltig präsentiert. Die Geschichte der Glockenschmelze von St. Lambrecht im 1. Weltkrieg kann man mithilfe einer Virtual-Reality-Brille nicht nur nachhören, sondern auch sehen. Hoch oben im Kirchturm steht man der Glocke plötzlich gegenüber und erlebt mit, wie diese darüber berichtet, wie sie per Dekret abgenommen und zu Verteidigungszwecken eingeschmolzen werden musste. Der Moment in welchem sie plötzlich und unerwartet, in unzählige Teile gesprengt, zu Boden fällt, ist hochemotional. Selten wartet eine Museumsschau mit so einem beeindruckenden Moment auf.

Es war eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema der Einschmelzung von 70 % aller Glocken in Österreich während der beiden Weltkriege, die Thomas Felfer als Ausgangsbasis für diese Ausstellung diente.

Bild: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek

Sie wurde im Spätsommer 2022 einen Monat lang im ehemaligen Stiftsspital in St. Lambrecht gezeigt und steht, laut Leiterin des Museums für Geschichte, Bettina Habsburg-Lothringen, am Beginn einer Reihe. In dieser sollen mehrmals pro Jahr weitere „Schaufenster“ in die Region gezeigt werden. Das Interessante der Schau „The sound of St. Lambrecht“ ist, dass sie nicht nur ein regionales Thema aufgreift. Vielmehr sensibilisiert sie die Besuchenden Geräusche und Klänge, Lautes und Leises, kaum Hörbares, aber auch laut Lärmendes mit einem neuen Fokus wahrzunehmen.

Gewagt – aber gelungen: „Ein Hauch von Venus“ an der Grazer Oper

Gewagt – aber gelungen: „Ein Hauch von Venus“ an der Grazer Oper

Dass der Komponist nach seiner Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus in den USA am Broadway höchst erfolgreich war, ist bei uns wenig bekannt. Umso erfreulicher, wenngleich auch wagemutig war die Entscheidung, seine „Musical Comedy“ „Ein Hauch von Venus“ in der Grazer Oper als österreichische Erstaufführung zu bringen.

Der Wagemut ist dem skurrilen Inhalt zuzuschreiben – einer märchenhaften Geschichte nach einem Libretto von S.J. Perelman und Ogden Nash. Letzterer war in den USA für seine Limericks überaus bekannt und diesem, ihm eigenen Sprachwitz, kann man in einigen der Gesangtexte herrlich nachspüren. „Ohne seine Mitarbeiter wär‘ Vermeer noch heut‘ nicht weiter“ oder „Wo die Büffelherden weiden, lernt das Großstadtkind zu leiden“ sind nur zwei von vielen Beispielen, die an dem Abend zu beschmunzeln sind. Roman Hinze hat für diese Übersetzung ins Deutsche wahrlich eine Auszeichnung verdient. Allein der Text für „Ich liebe dich wie…“, köstlichst von Christof Messner interpretiert, ist atemberaubend.

Die Handlung selbst folgt einer Erzählung des Briten F. Anstey, der darin von einer Venusstatue berichtet, die lebendig wird und sich in einen einfachen Friseur verliebt. Nach vielen Irrungen und Wirrungen, in welchen Kunstführungen genauso vorkommen wie ein Beinahe-Überfall eines anatolischen Kriegers oder ein Besuch im Olymp, muss Venus letztlich doch feststellen, dass das langweilige Leben einer Hausfrau und Mutter nicht wirklich zu ihr passt. Dieser Handlungsstrang wurde in der Oper beibehalten, was zu höchst anachronistischen Unterhaltungsmomenten führt, die zeitweise ins Absurde abgleiten. Es ist primär die einfach gestrickte Geschichte, in der so gut wie jede Handlung der einzelnen Figuren vorhersehbar ist, die verblüfft und bei der man sich die Frage stellt, ob denn eine zeitgenössische Aufführung denn überhaupt Sinn macht.

„Ein Hauch von Venus“ (Foto: © Werner Kmetitsch)

Tatsächlich gelingt der Regisseurin Magdalene Fuchsberger aber das Kunststück, „Ein Hauch von Venus“ aus dem Jahr 1943 mit einer heutigen, bühnentauglichen Daseinsberechtigung auszustatten. Dabei behilflich ist ihr allen voran Henry Websdale, der die musikalische Leitung innehat. Mit Verve und viel Gespür für das Orchester, mit offenkundiger Freude am Dirigentenpult lässt er die Grazer Philharmoniker gleich zum Beginn in der Eröffnung als Big Band erklingen. Er achtet jedoch in den folgenden Nummern auch auf fein nuancierte Soli, wie jenes der zuckersüß erklingenden Geige im Vorspiel nach der Pause.

Die Vokalbesetzung ist ohne Ausnahme gut gelungen. Dionne Wudu als Venus hat nicht nur das richtige Stimmmaterial, um ihre zum Teil schwierigen Nummern wie „Wie fühlst du dich“ – in diesem Fall nur von Georgi Mladenov am Klavier begleitet – leicht erscheinen zu lassen. Sie macht auch in mehreren ausnehmend schönen Kostümen (Valentin Köhler) eine venushafte Figur. Am bekanntesten ist wohl ihr Song „Sprich leis‘“ der in der Originalfassung ‚speak low“ zu einem Jazzklassiker avancierte und in dieser musikalischen Komödie mehrfach erklingt. Ivan Oreščanin als Whitelaw Savory, Kunstexperte und Leiter einer Kunstakademie, erfreut nicht nur durch die Wärme seines stimmlichen Ausdrucks, sondern auch mit seiner gut verständlichen Aussprache. An seiner Seite glänzt Monika Staszak als seine Sekretärin und spätere Frau Molly Grant, die in einem Song sehr genau die Vorzüge von Reichtum beschreibt, der dafür sorgt, auch einen alten Mann für Frauen attraktiv zu machen. Christof Messner als unbeholfener Jungfriseur, erweckt die Venusstatue durch das Anstecken des Verlobungsringes, der für seine Freundin Gloria gedacht ist, zum Leben. Er darf seine Rolle so gestalten, dass ihm das Publikum emotional zugetan sein kann. Zuerst der Liebe abschwörend, dann als Außenseiter – konkret als Jude – von der Gesellschaft verpönt und gehetzt – und schließlich verlassen und liebeskrank, wird der Charakter des jungen, unerfahrenen Mannes tatsächlich glaubhaft. Der Traum von einem gemeinsamen Leben mit seiner Venus in einem Vorstadthäuschen mit Kindern und Garten erfährt seinen Höhepunkt in der Anschaffung eines Fernsehapparates. Mit der Schwarz-Weiß-Projektion des sogenannten „Testbildes“, wie es in den 50er und 60er-Jahren auf den Bildschirmen flimmerte, verweist die Regisseurin auf das zukünftige, erträumte Glück.

Tatsächlich wurde „One touch of Venus“ zwischen 1943 und 1945 insgesamt 567 Mal aufgeführt. Das Stück galt als leichte Unterhaltung, als Ablenkung, während der Krieg in Europa tobte und auch die USA mit sich riss. Mitbeteiligt am Erfolg waren sicher auch die beiden kuriosen Frauenfiguren von Mrs. Kramer und ihrer Tochter Gloria. Regina Schörg darf alle komödiantischen Register ziehen, um Corina Koller in der Rolle ihrer herrschsüchtigen Tochter einer standesgemäßen Heirat zuzuführen.

Immer wieder tauchen auf der opulent bestückten Drehbühne, die mit Versatzstücken von weiblichen Körperteilen ausgestattet ist und sich auch als Kerker und letztlich als Olymp präsentiert, Soldaten und Soldatinnen im Chor auf. (Bühne Monika Biegler) Ein Hinweis, der eine direkte Verbindung zur Entstehungszeit des Stückes schafft. Es sind diese Kostüme, aber auch opulente Tanzeinlagen, ganz im Stile von Broadway-Inszenierungen, welche immer wieder imaginierte Zeit- und Ortssprünge ins New York der 40er-Jahre zulassen. Genau darin liegt der Charme dieser Inszenierung. Das subtile Spiel mit dem Zeitkolorit, in welchem die tragischen Geschehnisse des 2. Weltkrieges anklingen und spürbar werden, nie aber überhandnehmen, macht die Inszenierung so außergewöhnlich und letztlich auch sehenswert. Ganz abgesehen von den vielen Ohrwürmern, die prächtigst auch am Tanzparkett Verwendung finden könnten – was man gut an den vielen wippenden Publikumsbeinen erkennen konnte. So oberflächlich leicht „One touch of Venus“ sich auch anfühlen mag, wer genau hinsieht und hinhört, kann in den 2 3/4tel-Stunden inklusive Pause in eine Zeit eintauchen, die alles andere als leicht war.

Der Sog des Weltalls

Der Sog des Weltalls

Das Publikum durfte dabei in 70 Minuten eine visuelle Zusammenfassung von der Entstehung des Weltalls – inklusive Urknall-Effekt – bis hin zur Ausbildung unseres Sonnensystems erleben. Begleitet wurde die Video-Animation von 11 Musizierenden unter der Leitung von François-Pierre Descamps.

Für das Konzept und die Dramaturgie war Kristine Tornquist verantwortlich. Mit dem Astronomen und Leiter des Planetariums, Michael Feuchtinger und dem Astronomen Konstantin Kirner, zuständig im Planetarium für Wissensvermittlung, holte sie sich zwei profunde Kenner der Materie an Bord. Gemeinsam schufen sie ein Klang-Raum-Erlebnis der besonderen Art. Das Werk wurde für fünf Stimmen – zwei Countertenöre, zwei Tenöre und einen Bassbariton sowie sechs Instrumentalisten (Trompete, drei Posaunen und zwei Schlagwerker) geschrieben. Die Entstehung des Weltalls und letztlich auch der Erde und des Menschen an sich wurde – musikalisch anschaulich – auch durch einen sich erst im Laufe der Komposition entwickelten Sprachgesang wiedergegeben. Hörte man zu Beginn nur aneinandergereihte Silben, verdichteten sich diese mit der Zeit hin zu erkennbaren Worten und Sätzen.

Häufiger Posaunen- und Paukeneinsatz, ein Glockenspiel, sowie ein großer Schlagwerkapparat verliehen dem bunten Sternenspektakel eine ebenso farbenfrohe musikalische Untermalung. Von dramatisch bis hin zu kostbaren Schwebezuständen, erzeugt von den Stimmen, reichte die klangliche Palette. Obwohl Clemencic ein ausgewiesener Kenner Alter Musik war, griff er in diesem Werk ins volle Kompositions-Repertoire der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Atonales und Dissonantes überwog über lange Strecken, dennoch gelangen ihm zum Teil auch höchst sphärisch gestaltete Momente. Wer wollte, konnte auch Assoziationen zur Orff`schen Carmina-Burana-Klangwelt assoziieren. Raues und Unbehauenes Notenmaterial entwickelte sich zu Differenzierterem und Komplexerem und ließ zugleich Spielraum für eigene Empfindungen.

Einziger Wermutstropfen war die Raumakustik. So wunderbar die visuelle Aufarbeitung mithilfe des modernsten Sternenprojektors der Welt gelang, so fein austariert auch das Ensemble musizierte, das Klangstrahlen, das durchaus in der Komposition von Clemencic vorhanden ist, blieb aufgrund der Akustik, die mehr vom Klang schluckte als preisgab, leider aus. Kopfhörer hätten in diesem Fall wahrscheinlich eine Abhilfe geschaffen. Dennoch eine abermals beeindruckende Produktion des Sirene Operntheaters.

Eine Komödie wider Willen

Eine Komödie wider Willen

Eine Schauspielerin bewegt ihre Lippen zur Musik und tritt ganz bis vor an den Bühnenrand. Im selben Moment fällt der Vorhang, um sich kurz darauf ein zweites Mal zu heben.

War es das schon oder hat sich die Regisseurin kurzfristig doch für einen anderen Beginn entschieden? Eugène Ionesco hätte seine Freude an diesem Einstieg gehabt, nannte er sein Werk „Die kahle Sängerin“ doch auch „Anti-Theater“. Dieses Stück, von ihm nicht als Komödie konzipiert, avancierte jedoch aufgrund seiner Absurdität zumindest zu etwas Ähnlichem. Dass man dennoch sozialkritische Nuancen wahrnehmen kann, ist der Regisseurin Anita Vulesica zu verdanken. Zwar werden die Figuren – Mr. und Mrs. Smith sowie Mary, deren Dienstmädchen – von Beginn an in höchst absurder Manier dargestellt. Während der Herr des Hauses auf vielerlei akrobatische Arten versucht, am Sofa bequem Platz zu nehmen, parliert seine Gattin umständlich über ein Essen bei Freunden, während sie ihre Nägel am Oberteil ihres Kleides schärft, dass man es laut raspeln hört. Mary, das Dienstmädchen, tritt in kunstvoll-absurder Lockenpracht mit dunklem Schnurrbart auf und gibt körpersprachlich mit finsterer Miene zu verstehen, dass man sich mit ihr besser nicht anlegt.

Dass bei den Smith ein ungleiches Kräfteverhältnis besteht und sie gerne aneinander vorbeireden, wird schnell deutlich.  Dass sie sich dennoch mit ihrem Dasein abgefunden haben, ist offenkundig. Ganz ähnlich geht es ihren Gästen, Mr. und Mrs. Martin.  Auch sie haben in ihrer Zweisamkeit schon bessere Zeiten erlebt. Denn, wie sich bald herausstellt, haben sie sich so gar nichts mehr zu sagen, dass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern, sich je gekannt zu haben.

Die Vorstellung der Personen und ihrer absurden Lebenseinrichtungen gerät durch die nicht enden wollenden Wortkaskaden zwischen den Martins ein wenig langatmig. Zwar dürfen Frieder Langenberger und Evamaria Salcher sich nach allen Regeln der Schauspielkunst ins Komödiantische fallen lassen, dennoch ist man sehr erfreut, als ihre Wiederholungsschleifen ein Ende finden. Der Satz – „Jetzt wird’s unterhaltsam – endlich“ kommt keine Minute zu früh. Mit ihm erreicht der Abend seinen ersten theatralen Höhepunkt. Muss doch die Frau des Hauses die steile Treppe erklimmen, um nachzusehen, wer denn an der Türe geklingelt hat. Dabei verliert sie beinahe das Gleichgewicht, um letztlich doch im hoch gelegenen Kämmerlein kurz zu verschwinden. Beatrice Frey irrlichtert als Mrs. Smith herrlich desorientiert auf der Bühne herum und präsentiert hintereinander gleich drei unmögliche Arten eine Stiege hochzusteigen. Dass einige ihrer Sätze schwer verständlich sind – immer dann, wenn sie nicht direkt in Richtung Publikum spricht – ist schade, denn bei Ionescos Text reiht sich Wortperle an Wortperle. Ein kleines Mikro würde hier Abhilfe schaffen.

Ihr Ehemann, Moritz Grove, reagiert zum Teil gereizt auf die banalen Aussagen und Fragen seiner Frau und scheut sich auch nicht, bei einem Wutausbruch richtig loszuschreien. Dass er mit keinem überragenden Intellekt ausgestattet ist, erfährt man in jener Szene, in welcher er die Geschichte von einer Schlange und einem Fuchs erzählt. Dabei erinnert er an den Kabarettisten Piet Klocke, der bei seinen Auftritten kaum einen vollständigen Satz hervorbringt. Die großartig spielende Katrija Lehmann versucht als Dienstmädchen in Männerkleidung der Absurdität der beiden Paare etwas entgegenzuhalten. Zum Zerkugeln, wie sie strengen Blickes von der Treppe rutscht oder mit dem Teppichklopfer Luftgitarre spielt. Großartig, wie sie das Gedicht vom Feuer deklamiert oder ihren Dienstgeber mit dem Staubwedel malträtiert.

Der unerwartete Auftritt des Feuerwehrhauptmannes gibt dem Geschehen einen zusätzlichen Drive. Raphael Muffs klare und deutliche Aussprache, sowie sein bestimmtes, feuerwehrmännisches Auftreten erweisen sich als wohltuender Gegenpol zu den überdrehten Charakteren der beiden Ehepaare. Bravourös löste die Regisseurin jene Szene, in welcher er lautlos zwei Geschichten erzählt. Das Sprichwort „an jemandes Lippen hängen“ erfährt eine eindringliche Visualisierung, so auf- und übereinander gruppieren sich die Smiths und die Martins um den Feuerwehrmann, um ihm besser zuhören zu können. Seine anschließende „Wer-mit-Wem-Verwandten-Erzählung“ und deren fulimant-witziger Schluss ist ganz große Komödie. Der Nonsense-Abgesang (Musik Camill Jammal) von Ionesco wird mit wunderbar kitschigen Pop-Kostümen von Janina Brinkmann umrahmt. Die Videoeinspielung von Roland Fischer, der sich als stimmgewaltige „Kahle Sängerin“ ganz und gar nicht kahl präsentiert, erweist sich als toller Regie-Einfall.

Entgegen der Zerwürfnis-Orgie, mit welcher der Autor sein Stück enden lässt, hat sich Anita Vulesica für einen anderen Schluss entschieden. Dazu erklärt sie im Programmheft: „Ich möchte das Stück nicht mit zwei aggressiven Paaren beenden, die sich anschreien, sondern ich möchte es zum Publikum hin öffnen und von der Bühne Liebe und Mitgefühl hinaussingen lassen.“ Und das tut sie auch nach allen Regeln der Theaterkunst. Wie gut und schnell das funktioniert und wie ansteckend gemeinsame, positive Vibes sein können, zeigen die letzten zehn Minuten. Es ist nicht nur das komödiantische Feuerwerk des Ensembles, sondern vor allem auch das Ende, welches diese Inszenierung für einen gelungenen Silvesterabend prädestiniert. Als solches hat ihn das Schauspielhaus in Graz auch programmiert.

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