Was für eine Entdeckung! Man muss keine großen Wahrsagekünste haben, um vorauszusagen, dass Stefko Hanushevsky ein Publikumsliebling der Burg werden wird. Denn nach der Aufführung seines Stückes „Der große Diktator“ am Akademietheater ist er es schon für all jene, die ihn in dieser Inszenierung gesehen haben. Der aus Oberösterreich gebürtige Schauspieler kam mit dem jetzigen Burgtheaterdirektor von Köln nach Wien und – möge seine Bitte erhört werden – soll er hier bis zu seiner Frühpensionierung auch bleiben. Ganz zur Freude des hiesigen Publikums.
Der große Diktator (Foto: Tommy Hetzel)
Unter der Regie von Rafael Sanchez erzählt er im Plauderton, gesteigert bis zur höchsten Schauspielattitüde, von seiner Kindheit und Jugend in der Provinz. Er wuchs in einem kleinen Ort in Oberösterreich auf, in dem es von Altnazis nur so wimmelte und dem er dank eines reichen Onkels aus Amerika schließlich entkommen konnte. Dabei treibt er Storytelling auf höchstem Niveau mit der Erzählung seines Auftrittes in einer Künstlergarderobe, in welcher er Adenoid Hynkel – den Friseur aus Charly Chaplins „Der große Diktator“ zum Besten gab. Stefko weiß aber auch mit dem jähen Platzen des Traums zu fesseln, am Broadway eine große Karriere zu machen.
Alles, was er auf der Bühne tut, trieft nur so von Authentizität und das, was beim Triefen an schillernden Tröpfen verspritzt wird, darf man getrost als Surplus seiner ausufernden Fantasie bewerten, die einfach nur mitreißt. Er schlüpft in unterschiedliche Rollen wie jene von Herrn Otto Grauberger, einem Kriegsversehrten, der einen veritablen Nazi-Hausaltar sein Eigen nennt. Diese Figur, so böse er sie auch ansetzt, sowie jene des Bürgermeisters der Stadt, haben es in sich, denn von beiden zeigt er offen ihre menschlichen Schwächen. Letzterer hat bei seinen Reden Mühe, seinen erhobenen Hitlerarm unter Kontrolle zu bringen und erleidet regelmäßig schmerzhafte, psychische Flashbacks, wenn der Schützenverein seine Salven abschießt. Beide werden ohne Pathos oder Schönrederei so glasklar charakterisiert, dass verständlich wird, warum diese Männer –stellvertretend für viele andere, die im Krieg an der Front das Grauen erlebt haben – so vergangenheitsorientiert leben. Die intelligente Dramaturgie, die dahintersteckt, ist bewundernswert.
Der große Diktator (Foto: Tommy Hetzel)
Die amüsante Rahmenhandlung einer Busreise mit blasenschwachen und unterzuckerten amerikanischen Touristen zu den schönsten und interessantesten Nazi-Stätten in Deutschland ist gespickt mit sprachübergreifendem Wortwitz. Nach einem technischen Gebrechen rettet er sich mit der Ansage: „Go out, we have a Reifenplatzer, but we can now „frische Luft schnappen“. Ob seine Selbstbeschreibung stimmt, ignorant, intrigant, neurotisch, selbstsüchtig und skrupellos zu sein, kann man nicht bewerten. Wohl aber stimmt seine Aussage, lustig und nie langweilig zu sein zu hundert Prozent an diesem Abend.
Hinter dieser Fröhlichkeit und seinem unbändigem Spielwillen, der auf hohe Schauspielkunst trifft, verbergen sich im Text jedoch zugleich auch die tiefsten Abgründe, mit welchen unsere Gesellschaft derzeit zu kämpfen hat: Eifersucht, Bösartigkeit, Sadismus sowie das Erstarken rechtsradikalen Gedankenguts. Es ist nicht nur das performative Können Hanushevskys, das so fesselt. Der Aufbau seiner „Erzählung“, die er in eineinhalb Stunden abhandelt, sodass man am Ende das Gefühl hat, sich doch eben gerade erst auf seinem Platz bequem gemacht zu haben, ist schlichtweg atemberaubend. Die Mischung aus Comedy, grandiosen musikalischen Nummern, vorgetragen in gänzlich unterschiedlichen Stimmcouleurs, seine auf Schenkelklopfen angelegten Witze, die schwärzer als schwarz nicht sein können – all das fügt sich zu einem Theatererlebnis der Sonderklasse. Selbst der Höhepunkt, die Rede Charly Chaplins als großer Diktator, bekommt unter seiner Interpretation keinerlei epigonenhaften Touch. Hoch über der Bühne auf der Plattform eines kleinen Hebekrans schmettert er eine martialische, dadaistische Verballhornung nieder, in der gut die „Strrrrrrafffe“ und der „Volkskanzlerrrr“ hörbar werden. Charly Chaplin würde nicht nur diese Szene laut akklamieren.
Der große Diktator (Foto: Tommy Hetzel)
So schillernd und skurril seine Figuren auch sind, so fantastisch erfunden so manche Szene, so beeindruckend ist letztlich Stefko Hanushevsky mit seiner Performance selbst. Er produziert sich nicht als Überkünstler, sondern als bescheidener Alleinunterhalter, allerdings auf einem Niveau, das einer Burgtheaterinszenierung würdig ist. Einen besseren Einstieg in die Wiener Theaterlandschaft hätte er sich nicht bereiten können. St-efko, nicht Sch-tefko, Stefko, so wie Star Wars ergänzt die Reihe an Soloabenden an der Burg in dieser Saison nach Nicholas Ofczareks „Holzfällen“ und Nils Strunks „Schachnovelle“ auf demselben hohen Niveau und trägt dazu bei, die Vorstellungen des Hauses wieder mit dem Attribut „ausverkauft“ zu versehen.
Kleiner Nachspann: Auch das Programmheft ist es wert, gekauft und gelesen zu werden. Es bietet höchst Interessantes zur Vermarktung und Verdrängung des Obersalzbergs, inklusive eines weiterführenden QR-Codes eines Artikels von Margarete Stokowski.
Text: Stefko Hanushevsky, petschinka und Rafael Sanchez Bühne: Sebastian Bolz Kostüme: Melina Jusczyk Musikalische Komposition: Cornelius Borgolte Licht: Jan Steinfatt.
Wie Dorothy Taubmann das Klavierspiel revolutionierte
Ein Wochenende mit Edna Golandsky und der Taubman-Methode in Wien
Zu schön, um wahr zu sein
Wie Dorothy Taubmann das Klavierspiel revolutionierte
Ein Wochenende mit Edna Golandsky und der Taubman-Methode in Wien
Von Michaela Preiner
Wien, Mitte Oktober 2024. Ein warmes, herbstliches Licht taucht die Stadt in goldene Töne, als sich 27 Pianistinnen und Pianisten aus 18 Ländern in einem Konzertsaal im Musikquartier in der Kärntner Straße im Herzen Wiens versammeln. Hier können Aufführungsräume gebucht werden und viele, die in der Stadt Klavier lernen, kennen die Location. Denn da treffen sich Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Studierenden, um Eltern, Großeltern, Freunden und Bekannten vorzuführen, welche Fortschritte beim Lernen am Klavier gemacht wurden. Kleine und große Konzerte und damit verbunden eine große Menge an Aufregung hat dieser Ort schon erlebt – erstmalig aber etwas in Österreich vollkommen Neues: Einen zweitägigen Workshop der Taubman-Methode mit Edna Golandsky. Einer Umfrage an einem Brüsseler Konservatorium zufolge leiden 67 % der Klavierstudierenden unter Schmerzen in Händen und Armen. Hochgerechnet auf die Zahl weltweit Spielender erkennt man, welche Dramen sich oft hinter der vermeintlich schönsten musikalischen Beschäftigung verbergen.
Alle, die sich zum Workshop angemeldet hatten, verbindet die Leidenschaft für das Klavierspiel – eine Berufung, die gleichermaßen Begeisterung für nicht wenige, aber auch körperliche Beschwerden mit sich bringt. Das Klavier kann ein Instrument der Freude sein, doch nicht selten sind es Schmerzen in Händen, Armen oder Schultern, die diese Freude trüben. Zu oft nehmen Musizierende diese Beschwerden hin, ganz nach der Devise: no pain, no gain. Aber dieser martialische Denkansatz endet oft in einer Sackgasse. Viele sehen sich letztlich gezwungen, das Instrument und damit zugleich auch einen großen Lebenstraum aufzugeben. Aber an diesem Wochenende soll Hoffnung geweckt werden: durch die Taubman-Methode, die diese körperlichen Belastungen reduzieren oder gar verhindern kann.
Die Taubman-Methode: Ein Rettungsanker für Pianistinnen und Pianisten
Die Taubman-Methode, entwickelt von Dorothy Taubman (1917 – 2013), ist für viele Pianistinnen und Pianisten weltweit ein wahrer Rettungsanker. Taubman begann in den 30er-Jahren in New York zu unterrichten und widmete ihr Leben rasch der Suche nach einer Lösung, wie man das Klavier technisch anspruchsvoll und zugleich körperlich gesund spielen kann. In enger Zusammenarbeit mit Medizinern untersuchte sie die physischen Belastungen, die das Klavierspiel auf Hände und Arme ausübt, und entwickelte eine Methode, die Verletzungen verhindert und bereits bestehende Beschwerden lindert oder ganz verschwinden lässt. Dieser Ansatz ermöglichte es unzähligen Musikerinnen und Musikern, ihr Instrument weiter spielen zu können und letztlich damit jenen Traum zu leben, auf den sie jahrelang hingearbeitet hatten. Die einen konnten weiter ihre Bühnenkarrieren verfolgen, andere begannen zu unterrichten und wieder andere konnten ihr Hobby beibehalten und sich darin musikalisch ausleben.
Dorothy Taubman starb im Alter von 95 Jahren, hatte aber schon zu Lebzeiten für ihre Nachfolge gesorgt. Edna Golandsky, ihre engste Schülerin, setzte Taubmans Vermächtnis nach deren Tod fort. Sie gründete gemeinsam mit drei anderen Verfechtern der Methode das Golandsky-Institut in New York, das sich der Verbreitung und Weiterentwicklung der Taubman-Methode verschrieben hat. Dere Eryılmaz, eine Schülerin Golandskys, die in London nach der Taubman-Methode unterrichtet und ein Institut betreibt, organisierte Mitte Oktober einen zweitägigen Workshop in Wien, zu welchem sie Edna Golandsky einlud. 27 Pianistinnen und Pianisten – von Anfängern bis zu Lehrenden an Hochschulen – kamen zusammen, um in die Taubman-Methode zu schnuppern oder ihre eigene Spieltechnik darin zu verbessern. Manche der Teilnehmenden kamen mit großen Erwartungen, andere mit einer gewissen Skepsis, ob die Methode wirklich ihre langjährigen Beschwerden lindern könnte. Doch die gemeinsame Hoffnung auf eine schmerzfreie Zukunft am Klavier, entweder für sich selbst oder für ihre Schülerinnen und Schüler brachte sie alle zusammen.
Der Kern der Taubman-Methode
Die Taubman-Methode basiert auf der Erkenntnis, dass viele der traditionellen Techniken, die am Klavier gelehrt werden, die Ursache für physische Belastungen und Schmerzen sind. Das Spielen aus den Fingergelenken, große Dehnungen, ungünstige Fingersätze und die falsche Nutzung der Handmuskulatur – all dies führt zu Überlastungen, die Schmerzen hervorrufen können. Taubman erkannte, dass durch eine gezielte Nutzung der Kraft der Unterarme, kombiniert mit Rotationsbewegungen, die Finger entlastet und ein muskuläres Gleichgewicht hergestellt werden kann. Diese Technik macht das Spiel nicht nur gesünder, sondern auch sicherer, schneller und klanglich ausdrucksstärker. Idealerweise sollte diese Methode von der ersten Klavierstunde an vermittelt werden, doch selbst fortgeschrittene Spielerinnen und Spieler können davon profitieren, ihre Technik im Nachhinein umzustellen. Für viele Schülerinnen und Schüler war diese Erkenntnis eine Offenbarung: Die Vorstellung, dass sie durch eine Veränderung ihrer Bewegungsabläufe nicht nur schmerzfrei spielen, sondern auch musikalisch weiter wachsen könnten, war und ist zutiefst inspirierend.
Die Methode basiert auf biomechanischen Prinzipien, die Taubman durch jahrelange Erfahrung und Forschung entwickelt hat. Sie erkannte, dass der Schlüssel zur Vermeidung von Verletzungen und zur Verbesserung der Spieltechnik in einer optimalen Nutzung der Körpermechanik liegt. Die Taubman-Methode betont, dass das Spielen nicht isoliert aus den Fingern heraus erfolgen sollte, sondern dass der gesamte Unterarm und die Hand als Einheit fungieren müssen. Indem die Kraft des Unterarms, der Hand und der Finger gemeinsam genutzt wird, kann eine Balance geschaffen werden, die das Risiko von Verletzungen minimiert und gleichzeitig die Musikalität fördert. Dieser ganzheitliche Ansatz erfordert jedoch eine gründliche Schulung und ein ständiges Bewusstsein für die eigenen Bewegungen. Nach einer gewissen Zeit des Trainings automatisieren sich diese neuen Bewegungsmuster und bilden die Basis für ein freies, schmerzfreies Spiel.
Dieser Artikel diente als Basis für diesen Podcast. Er wurde automatisiert erstellt von NotebookLM und ist auch auf Englisch verfügbar
von NotebookLM | European Cultural News Features
Praxis im Workshop: Technische Korrekturen und musikalischer Ausdruck
Der Workshop in Wien bot jedoch weit mehr als nur reine Theorie. Nach einer fundierten Einführung durch Golandsky folgte die intensive Arbeit am Instrument. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten Fragen stellen, ihre persönlichen Schwierigkeiten schildern und erhielten direktes Feedback und Korrekturen. Golandsky zeigte sich als präzise und einfühlsame Lehrerin, die in kürzester Zeit falsche Handhaltungen korrigierte, unpassende Fingersätze optimierte und den Teilnehmenden half, ihre musikalischen Intentionen klarer auszudrücken. Dabei ging es nicht nur um die technische Ausführung, sondern immer auch um den musikalischen Ausdruck. Golandsky betonte wiederholt, dass physische Leichtigkeit der Schlüssel zu einem tieferen künstlerischen Ausdruck sei. „Technik und Ausdruck sind untrennbar miteinander verbunden“, erklärte sie, während sie einem Teilnehmer zeigte, wie er mit weniger Spannung in den Fingern eine melodische Linie natürlicher und fließender gestalten konnte.
Sie wies auch auf die Bedeutung der emotionalen Verbindung zur Musik hin. Ein technisches Verständnis der Bewegungsabläufe ist wichtig, doch ebenso entscheidend ist es, die Musik zu fühlen und eine tiefe emotionale Bindung zu den Stücken aufzubauen. Die physische Freiheit, die durch die Taubman-Methode erreicht wird, macht es möglich, sich intensiver auf den emotionalen Ausdruck zu konzentrieren. Diese Verbindung zwischen Körper und Geist ist es, die den musikalischen Vortrag auf ein neues Niveau hebt und die Zuhörerinnen und Zuhörer berührt.
v.l.n.r Edna Golandsky, Deren Eryılmaz, Jin Jeon
Von Skepsis zur Euphorie: Die Energie des Seminars
Die Atmosphäre des Seminars wandelte sich schon am ersten Vormittag von gespannter Erwartung zu echter Euphorie. Golandskys präzise Anweisungen, ihre tiefgehende Kenntnis der Materie und ihre empathische Art schufen eine energetische Dynamik, die alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitriss. Besonders berührend waren die Erfahrungsberichte jener, die jahrelang mit Schmerzen gekämpft und durch die Taubman-Methode wieder Freude am Klavierspielen erlangt hatten. Ein Pianist aus Zypern hatte sich die Methode während der Corona-Pandemie mithilfe von Videos des Golandsky-Instituts selbst beigebracht. Seine Erzählung über die Erfahrung als Hochschullehrer und sein Spiel am Klavier zählten zu den Höhepunkten des Workshops. Die emotionale Erleichterung, über die er berichtete, wurde mit großem Applaus gewürdigt und machte deutlich, wie tiefgreifend die Methode das Leben von Musikerinnen und Musikern verändern kann. Einige Geschichten, die an diesem Wochenende erzählt wurden, handelten von einer inneren Reise – von Frustration und Schmerz hin zu neuer Freiheit am Klavier. Viele hatten eine lange Odyssee durch Arztpraxen und Physiotherapie hinter sich, die wenig bis gar keine Erleichterung brachten, bis sie schließlich auf die Taubman-Methode gestoßen waren. Ein besonders bewegender Moment war, als Jin Jeon von seinen schmerzhaften Erfahrungen berichtete, die ihn beinahe dazu führten, das Klavierspielen aufzugeben. Als Kind hatte er in Korea ersten Klavierunterricht erhalten, ging dann aber auf Anraten seiner Lehrer nach Deutschland, um hier das Instrument zu studieren. Sein Diplom erhielt er mit Auszeichnung, jedoch plagten ihn zu dieser Zeit schon lange starke Schmerzen in den Händen und Armen. Auf seiner Suche nach der Lösung seines Problems wurde er von einem renommierten Lehrer zum anderen geschickt, aber ohne Erfolg. Seine Schmerzen wurden so stark, dass er daran dachte, seine Karriere als Pianist zu beenden, bis er durch einen Zufall von der Taubman-Methode erfuhr. Er buchte vor rund 10 Jahren einen Workshop mit Golandsky in Istanbul, die ihn dazu ermutigte, sich in New York ausbilden zu lassen. „Ich erinnere mich genau an jenes Telefon mit meiner Mutter, bei welchem sie mich nach meinem Befinden fragte, denn ich hätte schon seit Längerem nicht mehr über Schmerzen geklagt. In diesem Moment ist mir erst klar geworden, dass dieses Kapitel der Vergangenheit angehörte.“ Seine Freude und Erleichterung darüber, dass er dank der Taubman-Methode nun schon jahrelang schmerzfrei ist, führte zu einer spürbaren Empathie aller im Raum. Seine Erfahrungen mit der Taubman-Methode und seine Ausbildung bei Golandsky befähigen ihn heute, nach dieser Methode in Deutschland selbst zu unterrichten.
Gemeinschaft und Austausch: Ein wertvolles Ergebnis des Wochenendes
Ein weiterer bedeutender Aspekt des Workshops war der Austausch zwischen den Teilnehmenden. Die Internationalität der Gruppe brachte eine Vielzahl an Perspektiven und Erfahrungen zusammen. In den Pausen hörte man Gespräche in verschiedenen Sprachen – Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Bulgarisch, Türkisch, Griechisch, Niederländisch und Italienisch –, die über die gemeinsame Leidenschaft für das Klavier verbunden waren. Viele nutzten die Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen und sich über ihre persönlichen Herausforderungen und Erfolge auszutauschen. Einige beschlossen sogar, sich nach dem Workshop gegenseitig zu unterstützen und regelmäßig über ihre Fortschritte zu berichten. Diese entstehende Gemeinschaft war ein weiteres wertvolles Ergebnis dieses intensiven Wochenendes.
Für viele war es auch ermutigend zu sehen, dass sie nicht alleine mit ihren Problemen am Klavier sind, sondern dass auch andere ähnliche Herausforderungen erleben und nach dem Workshop gemeinsam diesen Weg der Veränderung beschreiten möchten.
Biomechanische Grundlagen und praktische Anwendung
Neben den persönlichen Fortschritten und Erkenntnissen, die die Teilnehmenden während des Workshops sammelten, gab es auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Taubman-Methode. Golandsky führte ausführlich in die biomechanischen Grundlagen der Methode ein und erklärte, warum bestimmte Bewegungen zu Überlastungen führen und wie durch alternative Bewegungsmuster diese Belastungen minimiert werden können. Die Bedeutung dieser biomechanischen Ansätze wurde durch anschauliche Beispiele verdeutlicht. Golandsky zeigte anhand von komplexen Klavierpassagen, wie die Anwendung der richtigen Technik nicht nur zu einer Reduktion der körperlichen Anstrengung führt, sondern auch zu einer erheblichen Verbesserung des musikalischen Ausdrucks. Es wurde deutlich, dass die Taubman-Methode nicht nur eine Technik zur Vermeidung von Schmerzen ist, sondern auch ein Werkzeug, das den künstlerischen Ausdruck fördert und erweitert. Golandsky wies immer wieder darauf hin, dass ein entspanntes und schmerzfreies Spiel die Voraussetzung dafür ist, dass die musikalische Botschaft ohne Einschränkungen transportiert werden kann.
Herausforderungen und Durchhaltevermögen
Die Taubman-Methode erfordert jedoch Geduld und Hingabe. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops erfuhren am eigenen Leib, dass die Umstellung der gewohnten Bewegungsmuster nicht von heute auf morgen geschieht. Es benötigt Zeit, um die alten, tief verankerten Spielgewohnheiten, die sich im Muskelgedächtnis festgesetzt haben, zu ändern und die neuen Bewegungsabläufe zu verinnerlichen. Golandsky betonte, dass es dabei vollkommen normal ist, Rückschläge zu erleben und der Prozess der Veränderung nicht von heute auf morgen vonstattengeht. Sie ermutigte alle, geduldig mit sich selbst zu sein und auch kleine Fortschritte zu feiern. Der Weg zu einem gesünderen Spielstil sei kein geradliniger, sondern ein Prozess des ständigen Lernens und Anpassens, mit Höhen und Tiefen. Dieser Gedanke half vielen, ihre Erwartungen zu relativieren und sich auf die kontinuierliche Verbesserung zu konzentrieren, anstatt auf sofortige Perfektion zu hoffen.
Live-Demonstrationen und Erfolgserlebnisse
Eine besonders eindrucksvolle Demonstration der Methode war, als Golandsky live mit einigen Pianistinnen und Pianisten an Stücken arbeitete, die als besonders schwierig gelten. Dabei zeigte sich immer wieder, dass selbst die kompliziertesten Passagen durch eine Anpassung der Technik deutlich leichter spielbar wurden. Problembehaftete, oftmals auch angstbesetzte Passagen, konnten durch die Unterstützung von Golandsky in wenigen Augenblicken eliminiert werden. Diese Erfolgserlebnisse waren nicht nur eine Bestätigung für die Wirksamkeit der Methode, sondern auch ein Ansporn für alle, die anwesend waren, diese Erkenntnisse in ihre eigene Praxis zu integrieren. So wurden unter anderem schnelle Läufe und Sprünge, die für viele eine besondere Herausforderung darstellen, durch den Einsatz der Rotationsbewegung des Unterarms deutlich flüssiger und sicherer. Es war beeindruckend zu sehen, wie schnell die Ergebnisse durch die Korrekturen von Golandsky sichtbar wurden.
Ein Schlusswort voller Inspiration
Wie schon erwähnt, wies Golandsky immer wieder darauf hin, dass es beim Klavierspielen nicht nur um die Technik geht. In ihrem Schlusswort erinnerte sie an ein Credo von Taubman, die den Unterricht völlig revolutionieren wollte: „Unser Unterricht muss sich grundlegend ändern, weg von Schuldzuweisungen, dass Studierende etwas nicht können oder unbegabt seien. Wir Lehrende müssen erkennen, dass es unsere Aufgabe ist, jene Worte zu finden, mit welchen wir uns verständlich machen können.“ Golandsky erzählte von ihrer eigenen Zeit als Schülerin und den vielen Momenten des Zweifels, die sie durchlebt hatte, bis sie Dorothy Taubman begegnete. In jeder einzelnen Unterrichtsstunde, die sie mit der Pinoierin dieser Klavierpädagogik erleben durfte, ging wieder eine Tür zu einer neuen Erkenntnis auf. Ihr persönlicher Erfahrungsbericht, auch über ihre Erfolge mit Schülerinnen und Schülern, inspirierte viele der Anwesenden tief und unterstrich, dass die Taubman-Methode nicht nur eine technische, sondern auch eine pädagogische Revolution ist: Es geht um Empathie, um das Erkennen der individuellen Bedürfnisse und um die Förderung jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin.
Die Verantwortung, die nächste Generation von Pianistinnen und Pianisten nicht nur technisch, sondern auch emotional und gesundheitlich zu unterstützen, wurde als zentrale Botschaft des Workshops verinnerlicht. Viele nahmen sich vor, die Prinzipien der Taubman-Methode nicht nur in ihr eigenes Spiel, sondern auch in ihren Unterricht zu integrieren, um ihren Schützlingen eine gesunde und erfüllende musikalische Zukunft zu ermöglichen. Die Ausbildung dazu erhält man in New York, im Golandsky-Institut oder in London, in der ‚Deren Piano Academy‘, oder bei zertifizierten Taubman-Lehrerinnen und -Lehrern. Diese unterrichten seit Covid nicht nur mehr in Präsenz, sondern auch online und somit quer über den Erdball.
Fazit: Die Taubman-Methode als Wegweiser für eine gesunde Zukunft
Die Taubman-Methode zeigt, dass das Klavierspiel nicht nur eine musische, sondern auch eine körperliche Kunst ist, die der Gesundheit dienen kann, wenn sie richtig vermittelt wird. Was auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, ist in einer Welt, in der Schmerzen oft als notwendiger Preis des Virtuosentums betrachtet werden, eine revolutionäre Erkenntnis. Workshops wie dieser in Wien und die Möglichkeit, mit einer Lehrerin wie Edna Golandsky zu arbeiten, sind von unschätzbarem Wert – für eine gesunde, nachhaltige musikalische Zukunft. Doch der Weg, der vor uns liegt, ist lang. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Wiener Workshops waren sich einig, dass noch viel zu tun ist, um die Taubman-Methode in der breiten Klavierpädagogik zu verankern. Es braucht weitere Lehrende, die bereit sind, sich intensiv mit der Methode auseinanderzusetzen und dieses Wissen weiterzugeben.
Die Taubman-Methode ist nicht nur eine Technik, sondern eine Philosophie des Klavierspiels, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sie zeigt, dass die Grenzen des Möglichen nicht durch physische Schmerzen oder Einschränkungen definiert sind, sondern durch den Mut, neue Wege zu gehen und alte Gewohnheiten zu hinterfragen. Workshops wie diese sind ein wichtiger Schritt auf diesem Weg – ein Schritt hin zu einem gesünderen, nachhaltigeren und künstlerisch erfüllenderen Klavierspiel. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass die Taubman-Methode weiter an Bekanntheit gewinnt und ihren festen Platz in der musikalischen Ausbildung findet. Alle, die Feuer fangen, werden zu Botschaftern und Botschafterinnen dieser Methode und tragen wie selbstverständlich das Erlernte in ihre eigenen Unterrichtspraxen und musikalischen Gemeinschaften. Auf diese Weise kann die Vision von Dorothy Taubman und Edna Golandsky weiterleben und dazu beitragen, das Klavierspiel für zukünftige Generationen gesünder und erfüllender zu gestalten.
„Das Versprechen, ohne Schmerzen zu spielen, ist nicht zu schön, um wahr zu sein. Sondern es hält tatsächlich, was es ankündigt. Nicht nur für kurze Zeit, sondern für ein ganzes Leben am und mit dem schönsten Instrument, das es gibt: dem Klavier“, so Edna Golandsky in ihrem berührenden Schlusswort.
Die Erzählungen der Odyssee mit ihrem Helden Odysseus, welcher dem Epos seinen Namen gab, sind stets mit einer Aura des Heldenhaften umgeben. Eine Aura, die in der Textfassung von Gerhard Dienstbier und Azelia Opak gehörig angekratzt wird.
Martin Brandlmayr komponierte die Musik, Azelia Opak war neben dem Libretto auch für die Regie verantwortlich. Die Erzählungen über und von Telemachos, der seinen Vater nicht kennt und sich auf die Suche nach ihm macht, werden von einem Kinderchor, einer Sängerin und zwei Sängern aufgeführt. Der Komponist agiert neben der Bühne am Schlagwerk und an der Percussion, Martin Siewert bedient neben ihm die Elektronik und spielt Gitarre.
Odyssee des Telemachos (Foto: Julia Varkonyi)
Musikalisch auf das Wesentliche reduziert, abseits von Dur- und Mollharmonik, jedoch stark rhythmisch unterlegt, bietet die Komposition dem jugendlichen Chor häufig Gelegenheit, am musikalischen Geschehen teilzuhaben. (Chor des BRG Pichelmayergasse) Die Emotionen von Telemachos, von Freude über Angst und Hoffnungslosigkeit, kommen gut zum Ausdruck. Seine Mutter, die anfangs nicht darüber sprechen will, dass ihr Mann sie verlassen hat, versucht vielmehr, ihn zum Helden hochzustilisieren. Als sie schließlich die Beherrschung verliert, poltert sie in hohen Lagen durch die Partitur, sodass man glaubhaft nachvollziehen kann, wie sehr sie als Alleinerzieherin eigentlich überfordert ist.
Anete Liepina als Penelope sowie Gustav Wenzel Most als Telemachos sind stimmgewaltig, aber auch spielfreudig. An ihrer Seite agiert Clemens Kölbl als Menelaos und Odysseus und schlüpft noch in weitere Rollen. Auch er überzeugt schauspielerisch, aber auch als Sänger.
Odyssee des Telemachos (Foto: Julia Varkonyi)
Ein einfaches Bühnenbild – ein Prospekt wie das eines Handpuppentheaters – und ein Sofa reichen aus. Die atmosphärische Bildbegleitung kommt von der großen Projektionsfläche dahinter, die sich den jeweiligen Szenerien anpasst. Die Regie erlaubt sich in der Suche nach Odysseus witzige, aktuelle Bezüge. Als der Götterbote „Hermes“ die Szenerie betritt, wird klar, dass dieser nichts anderes, ein sehr prosaischer, zeitgeistiger Postbote ist. Auf seiner Suche nach Odysseus erfährt man, dass dieser in den vergangenen Jahren immerhin schon 50 Wohnsitze innehatte. Und schon kippt das Heldenepos hin zu der Geschichte eines Mannes, der die enge Bindung an seine Familie scheut und stattdessen auf einer dauerhaften Flucht vor dieser ist. Seine Geschichten sind allesamt dick aufgetragen, vielmehr hat es den Anschein, dass er von einer Gefahr tollpatschig in die nächste fällt oder von einer Traumerzählung in die nächste stolpert. Die verführende Kirke und der verwundete Zyklop treten mit übergroßen Pappmachéeköpfen auf und sind auf den ersten Blick leicht als Fantasiewesen zu erkennen. (Ausstattung Denise Leistentritt)
Telemachos wird auf der Suche nach seinem Vater, auf welcher er nicht nur Erfreuliches über ihn erfährt, erwachsen und ist letztlich imstande, sich von seiner idealisierten Vorstellung von ihm zu lösen. Das Verdienst der Kinderoper „Die Odyssee des Telemachos“ liegt in der Umkehr des Blickes. Weg von jenem auf einen vermeintlichen Helden hin zum Blick auf seinen Sohn, der sich berechtigterweise vernachlässigt fühlt. Damit spiegelt die Inszenierung eine Situation, die für viele Kinder schmerzhafte Realität ist. Zugleich bietet Azelia Opak in ihrer Auslegung der Geschichte aber auch die tröstliche Aussicht, diesen Schmerz einmal überwinden zu können.
Der leicht fassliche Text und die gut herausgearbeiteten Charaktere sind altersgerecht und werden das junge Publikum ab 8 Jahren wie bei der Premiere fesseln.
Nach dem Erfolg von Thomas Bernhards „Holzfällen“ mit Nicholas Ofczarek als Erzähler wartet der Spielplan nun, das darf man mit Fug und Recht behaupten, mit einem weiteren Highlight dieses Genres auf.
Den Inhalt nachzuerzählen ist wohl müßig, die Bühnenumsetzung jedoch so umwerfend, dass ihr ein breiter Raum gewidmet werden muss. Die Programmierung, die Premiere für den Abend der österreichischen Nationalratswahl anzusetzen, war mehr als vorausschauend.
Vieles, was Zweig in seiner Novelle festgehalten hat, schwingt in unsere aktuelle gesellschaftlich-politische Situation herüber und macht nachdenklich, was das Wahlergebnis letztlich in Österreich, aber auch darüber hinaus der politische Zustand in ganz Europa, in Zukunft bewirken wird.
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Nils Strunk, Schauspieler, Musiker und Regisseur, hat gemeinsam mit Lukas Schrenk jene Novelle dramatisiert, die zu den besten von Stefan Zweig zählt. Dabei dachte er von Beginn an daran, den Text mit Musik zu ergänzen, die er beim Lesen wie selbstverständlich heraushörte. Gemeinsam mit drei Musikern am linken Bühnenrand, ausgestattet mit vielen Instrumenten, illustriert er gleich zu Beginn das geschäftige Treiben vor der Abfahrt des Dampfers, dessen Passagiere sich in New York nach Buenos Aires einschiffen. Ein akustisches Durcheinander aus Posaunen- und Perkussionklängen, aus welchem die Stimmen der Telegrafenboys mit ihren Rufen herauszuhören sind, veranschaulicht jene hektischen Momente, in welchen die Passagiere Abschied nehmen und sich auf ihre große Reise begeben. Die Abfahrt aus New York begleiten Jazzrhythmen, die sich alsbald hin zu einer Tangomelodie entwickeln, welche klarmacht, dass die Reise in Südamerika enden wird.
Das Charakteristikum der illustrierenden musikalischen Untermalung behält Strunk die ganze Inszenierung über bei. Einige der musikalischen Perlen hat er selbst komponiert und mit Songtexten von Lukas Schrenk in englischer Sprache ausgestattet. Viele andere zitiert und paraphrasiert er, dass es eine wahre Freude ist. Viele der Schiffsreisenden in Zweigs Novelle sind Europäer und so wundert es nicht, dass die Fahrt letztlich auch ein Exodus aus ihrer Heimat ist. „Europe is lost“, singt Strunk an einer Stelle, worauf einige Takte von Brahms ungarischem Tanz Nr. 5 erklingen, der sich rasch zu einem martialischen Marsch auswächst. Der politische Aktualitätsbezug zu unserem Nachbarn, musikalisch subtilst platziert, liegt auf der Hand.
Die Lyrics der Eigenkompositionen beleuchten den ungewöhnlichen Geisteszustand des bäuerlichen Schachweltmeisters, der sich an Bord befindet, aber auch jenen seines Kontrahenten. Auch Dr. B., durch die Isolationshaft unter den Nazis einerseits unfreiwillig zu intellektuellen Höchstleistungen angespornt und andererseits durch diese letztlich auch devastiert, ist ein Song gewidmet. In dieser Komposition kulminieren seine Gefühls- und Geisteslagen bis hin ins Extrem. Der sanfte, melodische Beginn endet in einer wilden Passage, in der die Raserei der gespaltenen Persönlichkeit nicht nur hör-, sondern auch spürbar wird, so mitreißend agieren die Musiker in dieser Szene, an ihrer Spitze Nils Strunk.
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Neben der abwechslungsreichen Musik, die dem Text unglaublich viele atmosphärische Farben beisteuert, ist es die grandiose Schauspielkunst, die Begeisterung auslöst. Alle Charaktere, inklusive des Erzählers, gibt Strunk selbst, abwechselnd in unterschiedlichen Stimmlagen und mit kleinen, aber effektiven Kostümwechseln. (Kostüme Anne Buffetrille). Wie er die Schachpartien nachspielt und dabei nicht nur die jeweiligen Gegner verkörpert, sondern auch die um sie herumstehenden Kiebitze, ist schlichtweg vom Feinsten. Die Erzählung des Rechtsanwaltes Dr. B., der berichtet, wie er sich selbst in einer höchst lebensbedrohlichen Situation das Schachspiel beigebracht hat, fesselt, nicht zuletzt auch durch die gelungene Ausleuchtung in dieser Szene. Aber auch jene, in welcher ihn beim Spiel gegen den tumben Schachweltmeister der Wahnsinn ergreift, macht atemlos beim Zusehen.
Strunk begleitet sich selbst am Klavier und tut dies mit einer Selbstverständlichkeit und Professionalität, die in keiner Sekunde erahnen lässt, dass er keine Noten lesen kann. Die Bühnenprospekte werden ebenfalls von ihm selbst verschoben, ganz so, als würde sich die Vorstellung in einem kleinen Theater ohne jegliche Bühnencrew befinden. Maximilian Lindner schuf dafür Leinwände, die in dunklen Schwarz-Grau-Schattierungen menschliche Porträts zeigen. Die Projektion architektonischer Ausschnitte des ehemaligen Hotels Metropol, des Sitzes der Gestapo in Wien, verweist auf die Haft von Dr. B. in diesem Haus, die ihm letztlich den Verstand kostete.
Die Schachnovelle am Burgtheater (Foto: Tommy Hetzel)
Die übergroße Portion an Musikalität und Kreativität macht diesen Abend so fesselnd. Zur packenden, berührenden und großmeisterlichen Performance kommt, dass Strunk bis auf Kürzungen nicht ins Textmaterial eingriff und ausschließlich Zweigs wohlklingendes Sprachdiktum, das zurecht so geschätzt wird, verwendet.
Dass man mit dieser Art zu spielen und Regie zu führen entweder kläglich scheitert oder einen Triumph einfährt, liegt auf der Hand.
Minutenlange Standing Ovation bei der Premiere, aber auch schon ein enthusiastischer Zwischenapplaus machten deutlich, wie sehr „Die Schachnovelle“ das Publikum begeisterte. Es ist zu erwarten, dass diese Inszenierung sich zu einem Dauerbrenner des Hauses auswachsen wird und das zu Recht.
In der Musikformation wechseln sich Jörg Mikula mit Sebastian Simsa, Hans Wagner mit Bernhard Moshammer und Martin Ptak mit Alois Eberl je nach Aufführungsdatum ab. Hut ab, auch vor ihrer Leistung.
Anlässlich der Veranstaltungen rund um das Jubiläum‚ 150 Jahre Favoriten‘, schufen Rita und Georg O. Luksch einen Abend mit Texten der Autorin, die ein bewegtes Leben im 19. Jhdt. hatte. Der Titel der Inszenierung ‚Ada Christen, die Stimmen der Verlorenen‘ verweist sowohl auf die Autorin selbst als auch auf jene Menschen, die sie in ihren Erzählungen so plastisch beschrieb.
In intimer Atmosphäre, dem kleinen Theaterraum des Kulturraums Gleis 21, agieren die Schauspielerin und der Musiker Georg O. Luksch zu zweit auf der Bühne. Begleitet von atmosphärischen Visuals, die Erich Heyduck gestaltete. Darauf zu sehen sind verfremdete Häuser und Menschen, deutlich aber dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen, in dem sich das Geschehen abspielte, das Rita Luksch vortrug.
Ada Christen – die Stimme der Verlorenen (Foto: Ensemble21)
Ada Christen – die Stimme der Verlorenen (Foto: Ensemble21)
Ada Christen – die Stimme der Verlorenen (Foto: Ensemble21)
Dazu schlüpfte sie in die Rolle von Christi(a)na von Breden, geb. Fr(i)ederik. Die Autorin wurde 1839 in Wien geboren und starb 1901 in Inzersdorf als Witwe ihres zweiten Mannes, Adalbar von Breden. Er war der Gründer der Inzersdorfer Konservenfabrik, erlitt jedoch am Ende seines Lebens wirtschaftlichen Schiffbruch. Es war nicht das erste Mal, dass die kämpferische Frau harte Zeiten verkraften musste. Schon als Kind erlebte sie, wie sich die Familienverhältnisse von begütert in bettelarm veränderten. Der Hunger und der Kampf ums Überleben sind in ihren Kindheitserinnerungen festgehalten und beeindrucken auch heute noch.
Rita Luksch, alias Ada Christen, alias Christl erzählt über ihre Erlebnisse in der „Blauen Gans“, einem langgestreckten Gebäude in Favoriten, in dem 20 Familien mit ihren Kindern ärmlichst zur Miete wohnten. Die Mutter verdiente den Unterhalt für sich und ihre Familie, nachdem ihr Mann verstorben war, als Handschuhnäherin. Die kleine Christl musste diese bei jedem Wetter in die Stadt tragen, um sie um ein paar Groschen einem geizigen, französischen Händler zu verkaufen, der diese mit Profit an seine noble Kundschaft weitervermittelte.
Nach einer dramatischen Episode, bei welcher das Mädchen beinahe erfroren wäre, wechselt die Erzählerin die Perspektive und berichtet über den Neubau einer Villa in unmittelbarer Nachbarschaft, welche für die Kinder ein außerordentlich interessantes Ereignis darstellte. Dabei schildert sie kunstvoll, welche Schicksale sich in dieser Villa abspielten. Was nicht direkt angesprochen wird, erklärt sich Erwachsenen von selbst und kann leicht zwischen den Zeilen herausgelesen werden.
Ada Christen – die Stimme der Verlorenen (Foto: Ensemble21)
Es ist die herausragende Schauspielkunst von Rita Luksch, die einem alles Erzählte plastisch vor Augen führt. Wie sie in die Rolle der kleinen Christl schlüpft, die angstgeweitet ihre Augen aufreißt, wenn sie sich vor Schlägen oder Zurechtweisungen fürchtet, macht tief betroffen. Wenn sie sich am Boden balgt, so als wäre sie mitten in einer veritablen Rauferei, um die so dringend benötigten Holzspäne zum Heizen für ihre Mutter zu ergattern, meint man, einer ganzen Kinderbande zuzusehen. Beeindruckend ist auch jene Szene, in der sie einem vertrauenswürdigen Erwachsenen von einem Federhut erzählt, welcher der Tochter ihres Hausherren gehört. Dass mit ihm ein Geheimnis verbunden ist, spürt das kleine Mädchen, welches aber, erschließt sich nicht ihr, sondern nur dem Publikum beim Zuhören.
Ada Christensens schriftstellerischer Verdienst besteht aus mehreren Komponenten. Einerseits ist es der Kunstgriff, das Geschehen aus Kinderperspektive zu erzählen, welches die Geschichten so plastisch werden lässt. Eine literarische Form, die erst zu ihrer Zeit aufkam. Parallelen sind in Peter Roseggers Erzählungen zu finden, allerdings aus der Sicht eines Jungen und nicht eines Mädchens, was einen großen Unterschied macht. Die Tatsache, dass sie auf diese Weise ohne moralische Bewertung das soziale Umfeld ihrer Zeit beleuchtete, stellt sie ebenbürtig an die Seite von Marie von Ebner-Eschenbach, die ihr gesamtes Werk ebenfalls dem Aufzeigen der ungerechten Lebensumstände im 19. Jahrhundert widmete. Letztere arbeitete mit demselben deutschen Verleger zusammen wie Ada Christen, erlangte jedoch, wohl auch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, einen anderen literarischen Stellenwert.
Ada Christen – die Stimme der Verlorenen (Foto: Ensemble21)
Das Elend der mittellosen Familien, die Ungerechtigkeit, mit der unverheiratete Frauen zu kämpfen hatten, die patriarchalen Strukturen, unter der auch Damen der besseren Gesellschaft zu leiden hatten, all das erzählt Ada im kindlichen Plauderton und erreichte damals wie heute die Herzen ihres Publikums.
Einen maßgeblichen Beitrag zum Gelingen der Inszenierung trägt Georg O. Luksch mit seinen musikalischen Impressionen bei. Mit elektronischer Unterstützung erklingen Volksweisen, bedrohlich wirkende Klänge oder Charakteristiken einzelner Personen wie jener eines eitlen Opernsängers. Wenige Takte von Chopins Regentropfenprelude, das zarte Zwitschern eines Kanarienvogels oder das unheimliche, rhythmische Klopfen einer vermeintlichen, männlichen Bedrohung – dies alles und mehr unterstützen die Erzählung meisterlich.
Man möchte von jener Frau mehr lesen, die sich vom „nichtsnutzigen Ding“, wie sie der Hausherr in der Kinderzeit beschimpfte, zu einer zu ihrer Zeit bekannten Schriftstellerin hocharbeitete. Dass dies der Fall ist, ist dieser Inszenierung zu verdanken, die es verdienen würde, noch viele Abende gespielt zu werden. Nicht nur im kleinen Theaterraum des Gleis 21.