Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht

Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht

Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht

Private und globale Desaster – und trotzdem wird gelacht

Michaela Preiner

„Bürgerliches Trauerspiel“ (Foto: © Gerhard-Breitwieser)
Jeder halbwegs intelligente Mensch, der sich einer künstlerischen Tätigkeit widmet, egal welcher Art, kommt wohl irgendwann an den Punkt, das eigene Treiben im sozialen Kontext zu hinterfragen. Martin Gruber, Leiter des aktionstheater ensemble, hat dies bei jedem Stück zu seinem Credo erhoben. Dennoch ist sein neuestes eine ultraharte Abrechnung mit dem Theater. Und damit auch mit dem, was er und sein Ensemble macht.
„Bürgerliches Trauerspiel“, nennt sich die letzte Produktion, die trotz Covid-Beschränkungen permanent ausverkauft war und ein Trauerspiel, möchte man meinen, ist es auch, was sich derzeit auf unserer Welt abspielt. Die karge Ausstattung – nie wirklich im Mittelpunkt bei den Inszenierungen von Gruber – ist dieses Mal trostloser als trostlos. Hohe Gitterkörbe auf Rollen, als ob sie von einem großen Warenlager entstammten, das aber offenbar nicht mehr gebraucht wird. Darin nichts, was auch nur irgendeinen Kaufanreiz bieten würde. Einzig eine bunte Torte mit grellem Zuckerguss sticht ins Auge – essen mag man das chemisch wirkende Ungetüm aber auch nicht.

Mit der Sängerin Nadine Abado an der linken Bühnenseite, dem Drummer Alexander Yannilos an der Mittelwand und dem Gitarristen Christian Musser rechts neben der Bühne sind lebendige Menschen anwesend, ganz im Gegensatz zu vielen Theateraufführungen, in welchen die Musik aus der Konserve kommt. Die Drei produzieren rockige Klänge genauso wie psychedelische, bei denen man gut wegdriften könnte, wäre da nicht das Geschehen auf der Bühne, welches man beobachten muss.

Buergerliches Trauerspiel. Urauffuehrung c Gerhard Breitwieser 9
„Bürgerliches Trauerspiel“ (Foto: © Gerhard-Breitwieser)
Beim ersten Auftritt zelebriert Thomas Kolle genussvoll mehrfach das Übertreten der Covid-Abstandslinie zum Publikum hin – mit seinem Zehenspitzerl. Dass es bei dieser Light-Protest-Variante bleibt, verwundert nicht. Schließlich spiegeln Grubers Stücke stets jene Befindlichkeiten, die er bei einem Großteil seines Publikums erkennt. Kolle darf von Anfang bis zum Schluss den exhibitionistischen Sunny-boy markieren und verliert auch während der düstersten Textpassagen seiner Kollegin Michaela Bilgeri, sowie seiner Kollegen Horst Heiß und Benjamin Vanjek nie sein Strahlemannlachen.

Werden zu Beginn von allen noch Heile-Welt-Geschichten präsentiert, verdüstert sich im Laufe der Performance das Geschehen hin zu Erzählungen von tristen Verhältnissen und Paarkrisen, die sich während des Lockdowns veritabel ausgewachsen haben.

Dass die Vorarlbergerin nicht das erste Mal in einem Stück des aktionstheater ensemble darauf hinweist, dass sie der „Chefredakteur vom Falstaff“ nach dem Rezept ihres sensationell guten Gulasch´ gefragt hat, betont subtil die familiär angelegte Publikumsbeziehung. Wer von uns kennt sie nicht, jene Geschichten, die bei Familientreffen immer und immer wieder von denselben Personen erzählt werden?! Das darf dann auch bei dieser Theaterfamilie nicht anders sein.

Einen besonderen Beitrag zum Lebenselend leistet Benjamin Vanjek. Die Erzählung seiner Vergewaltigung während seiner Zeit beim Bundesheer wird durch das Zeigen seiner dabei erlittenen Zahnlücke ins unerträglich Bedauernswerte gesteigert. Diese Zahnlücke, die er von zwei Männern geschlagen bekommen hat, die ihn während der Penetration durch einen Dritten festhielten, wird zum Corpus delicti, das er höchstens durch Implantate loswerden könnte, aber davon ist gar nicht die Rede.

Buergerliches Trauerspiel. Wann beginnt das Leben. Urauffuehrung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble c Stefan Hauer 2
„Bürgerliches Trauerspiel“ (Fotos: © Stefan Hauer)
Buergerliches Trauerspiel. Wann beginnt das Leben. Urauffuehrung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble c Stefan Hauer 3
„Bürgerliches Trauerspiel“ (Fotos: © Gerhard-Breitwieser)
Buergerliches Trauerspiel. Wann beginnt das Leben. Urauffuehrung von Martin Gruber c Gerhard Breitwieser 3
Buergerliches Trauerspiel Benjamin Vanyek c Gerhard Breitwieser 8
„Bürgerliches Trauerspiel“ (Fotos: © Gerhard-Breitwieser)
Diese theatralische Aktion, die Präsentation des geschundenen Gebisses, lässt keinen Zweifel an der Authentizität der Geschichte aufkommen. Und dennoch bleibt eine gehörige Portion Zweifel. Wir sind doch am Theater, oder?

Noch während man über die ungeheuerliche Tat nachdenkt und Michaela Bilgeri damit herausrückt, dass ihre so wunderbare Beziehung gar nicht mehr so wunderbar ist – noch während Horst Heiß erzählt, dass aus der Idee einer gemeinsamen Quarantäne mit seiner Frau nichts wurde, ganz im Gegenteil, er jetzt getrennt lebt – noch während Benjamin Vanjek verzweifelt stumm versucht, einen Kurzzeitlover aus den USA am Handy zu erreichen – kommt die Rede auf all jene Covid-Gewinner, die in den letzten Monaten Milliarden erwirtschafteten. Milliarden mit Fonds und Aktien, die die Welt um keinen Deut besser machen, einige Erdenbewohner aber so unglaublich reich, dass man sich nicht einmal die Summen ihres Reichtums mehr vorstellen kann.

Das „Über-die-Bühne-Irrlichtern“ von Benjamin in einem grauen Frauenkostüm aus dem 19. Jahrhundert und sein Hinweis, wie gern er Schnitzler mag, wenn er nur auch richtig, mit Kostümen aus seiner Zeit auf die Bühne gebracht würde, wirkt gegen die Erwähnung der unmoralischen Finanztransaktionen völlig deplatziert und verweigert dem Theater im Handumdrehen seine Legitimation.

Deplatziert mag sich Martin Gruber mit seinem Tun auch tatsächlich vorkommen und sich die Frage stellen: Macht es Sinn, hier eine Kasperliade abzuziehen, während es die Welt draußen in Stücke zerreißt? So schwarz, so düster wie im „Bürgerliches Trauerspiel“ war der Text der Truppe noch nie. So hoffnungslos und ohne Zukunftsperspektive auch nicht.

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„Bürgerliches Trauerspiel“ (Foto: © Gerhard-Breitwieser)
Und doch muss man Gruber und seinem Team zurufen: Macht weiter, auch wenn ihr glaubt, auf einem Vulkan zu tanzen und jeden Moment abstürzen zu können. Ein Theater wie das eure brauchen wir, um zu erfahren und zu spüren, dass wir alle miteinander mit denselben Problemen kämpfen. Wir brauchen euch, um uns wieder vor Augen zu halten, dass wir uns alle miteinander ein schönes Leben wünschen, obwohl einige Tausend Kilometer weit weg vielleicht Menschen verhungern und wir nichts dagegen tun.

Wir brauchen euch, um uns eine Erholungspause von dem drängenden Irrsinn des aktuellen Alltags zu gönnen, der uns im Würgegriff zu haben scheint. Wir brauchen diese Art von Vorstellungen aber auch, um im gemeinsamen Erleben auch eine Kraft zu spüren, dass es anders gehen könnte. Dringender nötig als heute haben wir Theater wie dieses in den letzten Jahrzehnten wahrlich nicht gehabt.

Deswegen: Bleibt dran und beugt euch nicht, auch wenn sie mit ihren Milliarden vermeintlich alles bestimmen können was sie wollen.

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Der Durst der Hyäne • Der Fremde

Der Durst der Hyäne • Der Fremde

Der Durst der Hyäne • Der Fremde

Der Durst der Hyäne • Der Fremde

Michaela Preiner

„Der Fremde“ –  Foto: © Helmut Hussian
„Das Sirene Operntheater legt in diesem Herbst eine glanzvolle Leistung vor. In seiner 7-teiligen Opernserie, übertitelt mit „Die Verbesserung der Welt“ wurden 7 Kurzopern in Auftrag gegeben, wobei sich jede einzelne einer der sieben Barmherzigkeiten widmet.

Der Durst der Hyäne

Die dritte Oper trug den Titel „Der Durst der Hyäne“. Das Libretto stammt von Kristine Tornquist und handelt von einer kongolesischen Bauernfamilie, deren Kuh stirbt, da sie aus einem Fluss getrunken hat, der durch eine nahe gelegene Mine verunreinigt wurde. Ihrer Existenzgrundlage beraubt, macht sich die Frau auf den Weg zum Minenbesitzer, um von ihm einen Ersatz zu fordern. Dieser jedoch ist von jener Gier gepackt, die in Europa mit der Idee der Gewinnoptimierung und Kapitalakkumulation einhergeht. Metaphorisch transferiert wird diese Gier durch die Metapher der durstigen Hyäne, die trotz dauernden Trinkens ihren Durst nicht stillen kann. Nachdem der Bäuerin nicht geholfen wird, beschließt sie, mit ihrem Mann und drei Hühnern einen Zauberer aufzusuchen, um ihn um Hilfe zu bitten.

Als der Minenbesitzer von einem nicht löschbaren Durst befallen wird, macht sich dessen Frau auch auf den Weg zu diesem Zauberer, der schließlich als Bindeglied und Vermittler zwischen den Welten agiert.

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„Der Durst der Hyäne“ Sirene Operntheater (Foto: © Armin Bardel)
Besetzt wurde die Oper durchgängig mit Schwarzen Menschen mit herausragenden sängerischen Qualitäten. Eine absolut richtige Entscheidung, die dem Publikum in Wien eine einzigartige Erfahrung bot. Zwar gab es zuvor auch schon Besetzungen dieser Art wie zum Beispiel bei den Wiener Festwochen, jedoch handelte es sich dabei um hoch dotierte, internationale Produktionen mit Tourneecharakter. An dieser Stelle wie schon mehrmals – Hut ab, vor den dafür Verantwortlichen beim Sirene Operntheater.

Antoin Herrera-López Kessel, Owen Metsileng, Caroline Modiba, Bibiana Nwobilo und Tye Maurice Thomas bildeten ein Ensemble, das eine verblüffende, qualitative Homogenität aufwies. Jeder und jede waren theatralisch ausdrucksstark und stimmlich bestens disponiert und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck.

Die Musik von Julia Purgina verblüffte einigermaßen. Ließ sie doch gleich zu Beginn mit ganz und gar nicht afrikanischer Instrumentalbesetzung aufhorchen. Ganz im Gegenteil kommt bei ihr ein Instrument zum Einsatz, das wohl eines der europäischsten in der Musikgeschichte ist: einem Cembalo. Die Vermeidung jeglicher Art musikalischer Afrikanismen transferierte die Oper ad hoc in unsere Zeit, in welcher die Globalisierung auch die Musik erfasst hat und westliche Klänge auch in die entferntesten Winkel der Erde transportiert werden.

Nicht nur, dass die Komponistin bei der Instrumentalisierung von zu Erwartendem Abstand genommen hat. Sie vermittelte mit ihrer Arbeit auch den Eindruck, dass der Gesang und das Geschehen im Orchester nur sehr reduziert miteinander korrespondierten. Dennoch verwendete sie wiedererkennbare Charakter-Motive wie jenes des ewig lamentierenden Bauern, der bei seinen Wehklagen kräftig von der Klarinette unterstützt wurde. Der Zauberer wiederum erschien mit Flötentönen und hohem Geigenzirpen auf der Bühne. Stark emotionale Stellen erhielten ein orchestrales Echo aus donnernden Posaunen und Trommeln oder dunklen Bläsern.

Das Bühnenbild bestand aus einer im Raum aufgezogenen Stoffbahn, auf der Schwarz-Weiß-Projektionen sichtbar wurden. Diese Art einer „ärmlichen“ Ausstattung weckte Erinnerungen an die Kunst von William Kentridge, ohne diese jedoch zu kopieren.

Das Ende, das nicht von Zauberkünsten hervorgerufen wurde, jedoch von geschickt eingefädelten Ausgleichszahlungen, romantisiert nichts. Es zeigt aber, dass es auch in einer Welt wie der unseren möglich ist, aus dem Irrwitz des kapitalistischen Geschehens auszubrechen und Menschlichkeit an den Tag zu legen.

Besetzt wurde die Oper durchgängig mit Schwarzen Menschen mit herausragenden sängerischen Qualitäten. Eine absolut richtige Entscheidung, die dem Publikum in Wien eine einzigartige Erfahrung bot. Zwar gab es zuvor auch schon Besetzungen dieser Art wie zum Beispiel bei den Wiener Festwochen, jedoch handelte es sich dabei um hoch dotierte, internationale Produktionen mit Tourneecharakter. An dieser Stelle wie schon mehrmals – Hut ab, vor den dafür Verantwortlichen beim Sirene Operntheater.

Antoin Herrera-López Kessel, Owen Metsileng, Caroline Modiba, Bibiana Nwobilo und Tye Maurice Thomas bildeten ein Ensemble, das eine verblüffende, qualitative Homogenität aufwies. Jeder und jede waren theatralisch ausdrucksstark und stimmlich bestens disponiert und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck.

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„Der Durst der Hyäne“ • Fotos: © Armin Bardel
Die Musik von Julia Purgina verblüffte einigermaßen. Ließ sie doch gleich zu Beginn mit ganz und gar nicht afrikanischer Instrumentalbesetzung aufhorchen. Ganz im Gegenteil kommt bei ihr ein Instrument zum Einsatz, das wohl eines der europäischsten in der Musikgeschichte ist: einem Cembalo. Die Vermeidung jeglicher Art musikalischer Afrikanismen transferierte die Oper ad hoc in unsere Zeit, in welcher die Globalisierung auch die Musik erfasst hat und westliche Klänge auch in die entferntesten Winkel der Erde transportiert werden.

Nicht nur, dass die Komponistin bei der Instrumentalisierung von zu Erwartendem Abstand genommen hat. Sie vermittelte mit ihrer Arbeit auch den Eindruck, dass der Gesang und das Geschehen im Orchester nur sehr reduziert miteinander korrespondierten. Dennoch verwendete sie wiedererkennbare Charakter-Motive wie jenes des ewig lamentierenden Bauern, der bei seinen Wehklagen kräftig von der Klarinette unterstützt wurde. Der Zauberer wiederum erschien mit Flötentönen und hohem Geigenzirpen auf der Bühne. Stark emotionale Stellen erhielten ein orchestrales Echo aus donnernden Posaunen und Trommeln oder dunklen Bläsern.

Das Bühnenbild bestand aus einer im Raum aufgezogenen Stoffbahn, auf der Schwarz-Weiß-Projektionen sichtbar wurden. Diese Art einer „ärmlichen“ Ausstattung weckte Erinnerungen an die Kunst von William Kentridge, ohne diese jedoch zu kopieren.

Das Ende, das nicht von Zauberkünsten hervorgerufen wurde, jedoch von geschickt eingefädelten Ausgleichszahlungen, romantisiert nichts. Es zeigt aber, dass es auch in einer Welt wie der unseren möglich ist, aus dem Irrwitz des kapitalistischen Geschehens auszubrechen und Menschlichkeit an den Tag zu legen.

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„Der Durst der Hyäne“ © Armin Bardel
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Der Fremde

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„Der Fremde“ –  Foto: © Helmut Hussian
Einer der bisherigen Höhepunkte war die Kurzoper „Der Fremde“, komponiert von Gerhard E. Winkler, intoniert vom Ensemble Phace unter dem Dirigat von Francois-Pierre Escamps.

Vom Publikum auch am letzten Aufführungstag zu Recht noch heftigst akklamiert, erzählte der Plot von einem arabischen Flüchtling, der von einem Familienvater zum Übernachten in sein Haus aufgenommen wird. Der Text von Martin Horváth trägt selbst jede Menge Musikalität in sich und wirkt in einigen Passagen stark holzschnitthaft.

Nur zwei der Figuren, nämlich die Tochter der „Gastfamilie“, sowie der Flüchtling tragen Namen, die nicht von ungefähr so gewählt wurden. „Eleonore“ bedeutet die Barzmherzige und „Gharib“ heißt übersetzt „Fremder“. Die anderen Familienmitglieder werden nur als Tochter, Sohn, Mann oder Frau bezeichnet. Ein subtiler Hinweis auf die Prototypenhaftigkeit dieser Personen.

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„Der Fremde“ –  Foto: © Helmut Hussian
Bald schon nach der Aufnahme von Gharib kommt es zu Spannungen in der Familie, denn der Sohn meint das geltende Recht verletzt, das die Aufnahme von Flüchtlingen verbietet, während die Mutter die Ablehnung ihres Sonntagsbratens als Beleidigung ersten Ranges ansieht. Immer wieder hält sie den Teller mit dem aufgeklebten und somit gut sichtbaren Frankfurterwürstel anklagend über ihrem Kopf in die Höhe und zeigt damit deutlich, dass sie nicht imstande ist, die religiös bedingte Kulturdifferenz zu überwinden.

Kristine Tornquists Regie arbeitet mit plakativen Kostümen (Katharina Kappert), so als ob die Figuren direkt aus den Geschichten von Wilhelm Busch entsprungen wären. Der Vater trägt ein grünes Kostüm – die Hoffnung symbolisierend, die Mutter ein grell gelbes – der Neid spielt in der Entwicklung der Figur eine nicht unerhebliche Rolle. In grellem Orange hampelt der xenophobe Junge herum, seine bedachte Schwester trägt ein Kleid in hellem Blau. Nicht zu vergessen jenes Trachtenpärchen, das von Beginn an in stereotypen Tanzschritten um das kleine Hausidyll immer wieder herumwirbelt und dabei einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Sie verkörpern jene Gesinnungshaltung, die das traditionell-Alpenländische dem Fremden feindselig gegenüberstellt. Dass es mit diesen Ingredienzien zu einer bedrohlichen Klimax des Geschehens kommen muss, ist von Beginn an klar.

Der Fremde

Einer der bisherigen Höhepunkte war die Kurzoper „Der Fremde“, komponiert von Gerhard E. Winkler, intoniert vom Ensemble Phace unter dem Dirigat von Francois-Pierre Escamps.

Vom Publikum auch am letzten Aufführungstag zu Recht noch heftigst akklamiert, erzählte der Plot von einem arabischen Flüchtling, der von einem Familienvater zum Übernachten in sein Haus aufgenommen wird. Der Text von Martin Horváth trägt selbst jede Menge Musikalität in sich und wirkt in einigen Passagen stark holzschnitthaft.

Nur zwei der Figuren, nämlich die Tochter der „Gastfamilie“, sowie der Flüchtling tragen Namen, die nicht von ungefähr so gewählt wurden. „Eleonore“ bedeutet die Barzmherzige und „Gharib“ heißt übersetzt „Fremder“. Die anderen Familienmitglieder werden nur als Tochter, Sohn, Mann oder Frau bezeichnet. Ein subtiler Hinweis auf die Prototypenhaftigkeit dieser Personen.

Bald schon nach der Aufnahme von Gharib kommt es zu Spannungen in der Familie, denn der Sohn meint das geltende Recht verletzt, das die Aufnahme von Flüchtlingen verbietet, während die Mutter die Ablehnung ihres Sonntagsbratens als Beleidigung ersten Ranges ansieht. Immer wieder hält sie den Teller mit dem aufgeklebten und somit gut sichtbaren Frankfurterwürstel anklagend über ihrem Kopf in die Höhe und zeigt damit deutlich, dass sie nicht imstande ist, die religiös bedingte Kulturdifferenz zu überwinden.

Kristine Tornquists Regie arbeitet mit plakativen Kostümen (Katharina Kappert), so als ob die Figuren direkt aus den Geschichten von Wilhelm Busch entsprungen wären. Der Vater trägt ein grünes Kostüm – die Hoffnung symbolisierend, die Mutter ein grell gelbes – der Neid spielt in der Entwicklung der Figur eine nicht unerhebliche Rolle. In grellem Orange hampelt der xenophobe Junge herum, seine bedachte Schwester trägt ein Kleid in hellem Blau. Nicht zu vergessen jenes Trachtenpärchen, das von Beginn an in stereotypen Tanzschritten um das kleine Hausidyll immer wieder herumwirbelt und dabei einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Sie verkörpern jene Gesinnungshaltung, die das traditionell-Alpenländische dem Fremden feindselig gegenüberstellt. Dass es mit diesen Ingredienzien zu einer bedrohlichen Klimax des Geschehens kommen muss, ist von Beginn an klar.

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„Der Fremde“ –  Foto: © Helmut Hussian
Musikalisch ist das Geschehen extrem klug aufgesetzt. Während Vater, Sohn und Mutter mit deutlich erkennbaren Zitaten konotiert sind – von Sarastros großer Arie bis hin zu swingenden, jazzigen Klängen oder „Over the rainbow“ spannt sich dieser Bogen – zeigt die blinde Eleonore in einer berückend schönen, unabgekupferten, beinahe spätromantischen Arie ihren Charakter und wird dabei von zarten, singenden Geigen, Celli und Flöten begleitet. Gharib wird erst zum Schluss der Aufführung mit seinem Gesang in seiner Muttersprache „redend“. Zuvor waren es nur einzelne Töne auf ein- bis zweisilbigen Wörtern, die von ihm zu hören waren. Eine schöne Metapher für die Sprachlosigkeit von neu eingewanderten Menschen und deren Hilflosigkeit, sich in einer fremden Sprache auszudrücken.

Der Reiz der Oper basiert zu gleichen Teilen auf der musikalisch klugen Umsetzung, sowie der Regie, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Barmherzigkeit über einer stupiden Gesetzestreue steht.

Romana Amerling, Bernd Fröhlich, Johanna Krokovay, Johannes Schwendinger und John Sweeney boten gesangliche Glanzleistungen, Bärbel Strehlau und Harald Wink steuerten die markanten Tanzeinlagen bei. Fazit: Hier wurde ein grandioses Kleinod präsentiert.

Musikalisch ist das Geschehen extrem klug aufgesetzt. Während Vater, Sohn und Mutter mit deutlich erkennbaren Zitaten konotiert sind – von Sarastros großer Arie bis hin zu swingenden, jazzigen Klängen oder „Over the rainbow“ spannt sich dieser Bogen – zeigt die blinde Eleonore in einer berückend schönen, unabgekupferten, beinahe spätromantischen Arie ihren Charakter und wird dabei von zarten, singenden Geigen, Celli und Flöten begleitet. Gharib wird erst zum Schluss der Aufführung mit seinem Gesang in seiner Muttersprache „redend“. Zuvor waren es nur einzelne Töne auf ein- bis zweisilbigen Wörtern, die von ihm zu hören waren. Eine schöne Metapher für die Sprachlosigkeit von neu eingewanderten Menschen und deren Hilflosigkeit, sich in einer fremden Sprache auszudrücken.
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Der Reiz der Oper basiert zu gleichen Teilen auf der musikalisch klugen Umsetzung, sowie der Regie, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Barmherzigkeit über einer stupiden Gesetzestreue steht.

Romana Amerling, Bernd Fröhlich, Johanna Krokovay, Johannes Schwendinger und John Sweeney boten gesangliche Glanzleistungen, Bärbel Strehlau und Harald Wink steuerten die markanten Tanzeinlagen bei. Fazit: Hier wurde ein grandioses Kleinod präsentiert.

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Medeas zeitlose Aktualität

Medeas zeitlose Aktualität

Medeas zeitlose Aktualität

Medeas zeitlose Aktualität

Michaela Preiner

„Medea. Stimmen“ (Foto: Andrea Klem)
M edea – theateraffine Personen assoziieren die Figur ad hoc mit jener Frau aus der griechisch-antiken Mythologie, die ihre Kinder umgebracht hat. Dafür sorgte die Überlieferung – eine nun schon Jahrtausende alte.
​Erst 1996 warf eine Frau ein gänzlich anderes Licht auf das tragische Geschehen im griechischen Korinth. Die deutsche Schriftstellerin Christa Wolf „hörte“ in die Vergangenheit und schuf mit ihrem Roman „Stimmen: Medea“ ein Werk, in dem sie hinterfragt, wer denn eigentlich davon profitierte, Medea, die Heilerin aus Kolchis, die mit ihrem Liebsten Jason nach Korinth geflohen war, als Kindsmörderin hinzustellen.

Hans-Christian Hasselmann präsentierte im Max Reinhardt Seminar seine Regie-Abschlussarbeit, die schon im Frühling fertig gestellt worden war. Corona-bedingt wurde sie erst jetzt dem Publikum gezeigt – aber auch jetzt noch einem zahlenmäßig handverlesenen. Er selbst verantwortete nicht nur die Regie, sondern auch die Bühnenfassung, die Wolfs Medea auf 90 Minuten und einige wenige Charaktere komprimiert.

Stefan Neuhold schuf ein abstraktes Bühnenbild, dass sich dank metallener Seilzüge von einem dunklen Raum mit schwarzem Boden in einen hellen Ort mit weißer Bodenfläche und reflektierenden, schräg über der Bühne hängenden Paneelen verwandelt. Die Assoziation des Aufdeckens eines dunklen Geheimnisses hin zu einer heilenden Kraft, die Medea in Korinth anstößt, liegt nahe. Wenngleich damit zugleich das traurige Schicksal der „Fremden“ bewusst außer Acht gelassen wird.

Hanne Konrad gelang eine schlüssig Kostümverwandlung: Zuerst präsentiert sich das ausschließlich weibliche Ensemble – Jeanne-Marie Bertram, Paula Kroh, Johanna Mahaffy, Katharina Rose und Maren Streich in eleganten, existentialistischen, schwarzen Outfits. Sie befragen das Publikum noch während des Saaleinlasses, warum es denn auch heute noch Sündenböcke brauche. Im Laufe des Geschehens verwandeln sich die Frauen in Gestalten, deren weiße Schminke, wie auch Teile ihrer Bekleidung marmorhaft bröckeln. Mit dieser Veränderung wird gekonnt auf die antike Überlieferung verwiesen, ohne dem Geschehen jedoch einen altbackenen Anstrich zu verleihen.

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„Medea. Stimmen“ (Foto: Andrea Klem)
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„Medea. Stimmen“ (Foto: Andrea Klem)
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Hasselmanns Fassung gewährt – bis auf König Jason, Astronomen Akamas und dessen Freund Leukon den weiblichen Charakteren viel Raum und Text. Mit der Figur von Agameda, der ehemaligen Schülerin von Medea, wird jene Eifersucht verdeutlicht, die sie kaltblütig dazu antreibt, gegen Medea zu intrigieren. Agameda und ihr männlicher Widerpart Akamas zeichnen hauptverantwortlich für jenes Desaster, dass nicht nur Medeas Tod, sondern auch den ihrer Kinder bedeuten wird. Die Kaltblütigkeit und die Wendigkeit in ihrer beider Argumentation für die Verbannung der „fremden Frau“ steht in krassem Gegensatz zu den emotionalen Ausbrüchen von Iphinoe und ihrer Schwester Glauke.

In einer hoch emotionalen Szene zeigt Hasselmann die Schlachtung der älteren Königstochter auf, ihre Panik und ihr Leid kurz vor ihrem sinnlosen Tod, sowie den Selbstmord ihrer Amme. Beides steht in diametralem Gegensatz zur Überlieferung, in der Iphinoe sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt und deswegen über Nacht und ohne Lebewohl den Königspalast verlassen habe. Mit Glaukes Auftritt wird deutlich, dass Medeas Heilkunst hauptsächlich aus ihrer Menschenkenntnis und – zeitgeistig ausgedrückt – psychologischen Kenntnis von Verdrängung – begründet war. Die junge, leidende Königstochter fand in Medea ein Gegenüber, dass sie darauf drängt, in die Kindheit zurückzuschauen, um den Grund der eigenen Krankheit aufdecken zu können. Packend zeigt Hausmann auch hier die Nöte des Mädchens auf, die vom Grauen des Geschehenen völlig überfordert ist und hofft, all das, was in ihr hochgekommen ist, so schnell wie möglich wieder zu vergessen.

Medea selbst lässt er nur mit wenigen Sätzen gegen Schluss der Inszenierung zu Wort kommen. Alle Schauspielerinnen schlüpfen immer wieder in unterschiedliche Rollen, zum Teil mit sparsamen Kostümveränderungen. Selbstverständlich darf auch das Stilmittel eines griechischen Chores nicht fehlen, wenn drängende Fragen oder auch nur einzelne Worte von allen gesprochen, geflüstert oder laut – bis hin zu einer veritablen Kakophonie – intoniert werden.

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„Medea. Stimmen“ (Fotos: Andrea Klem)

Hasselmanns Inszenierung oszilliert – wie Wolfs Text selbst – zwischen dem entfernten Gestern und dem aktuellen Heute und gibt dem Ensemble genügend Gelegenheit, sich einzeln in tragenden Rollen mit Monologen zu präsentieren. Und er scheut sich nicht, den feministischen Ansatz von Christa Wolf durch die pointierte Herausarbeitung der verlogenen oder schwachen Männercharaktere noch zu verstärken. Gerade die Verschmelzung zwischen Vergangenheit und Gegenwart durch den Einsatz hoch emotionaler Szenen und dem unterstützenden Bühnenbild sowie den herausragend cleveren Kostümen machen diese Inszenierung nicht zeitgeistig, sondern zeitlos.

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Sieben in einem Herbst

Sieben in einem Herbst

Sieben in einem Herbst

Sieben in einem Herbst

Michaela Preiner

„Ewiger Frieden“ Sirene Operntheater (Foto: © Armin Bardel)
„Das Sirene Operntheater präsentiert in diesem Herbst sieben! Uraufführungen zum Thema „Die Welt verbessern“
Für zeitgenössische Opernmusik gibt es nicht wirklich viel Publikum. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Hörgewohnheiten trotz rund 100 Jahren Atonalität noch nicht auf aktuelle Klänge umgestellt. Zum anderen trauen sich viele Menschen keine eigene Meinung zu, wenn es darum geht, das Gehörte und Gesehene zu beurteilen. Und last but not least ein nicht unwichtiger Punkt: Viele zeitgenössische Opern sind inhaltlich eine schwer verdauliche Kost. Happy Ends sind – so kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen – meist verpönt.

Berücksichtigt man all diese Aspekte, ist die Produktion dieser Kunst-gattung per se ein Wagnis. In Corona-schwangeren Zeiten noch viel mehr. Umso höher ist es den Sirene-Operntheater-Verantwortlichen anzurechnen, dass sie in diesem Herbst gleich mit 7 Uraufführungen von in Auftrag gegebenen Kurzopern aufwarten. Und diese quasi im staccato-Tempo im Abstand von rund 2 Wochen zur Aufführung bringen. Kristine Tornquist und Jury Everhartz ist aber noch ein zweites Kunststück gelungen. Der Generaltitel der Opernreihe lautet „Die Verbesserung der Welt – ein Kammeropernfestival in sieben Runden“. Er weist schon darauf hin, dass die Geschichten, die erzählt werden, mit einer Idee zu tun haben, die derzeit verpönt zu sein scheint. Nämlich jener, dass unsere Welt zu verbessern ist.

Als grundsätzliche Blaupause dienten den Auftragswerken die „sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit“, abgeleitet aus dem Matthäus-Evangelium. Und – was man nach den ersten beiden Premieren sagen kann: Die Idee ist aufgegangen und man darf sich auf die weiteren Produktionen mehr als freuen.

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„Ewiger Frieden“ Sirene Operntheater (Foto: © Armin Bardel)

„Ewiger Frieden“

Zu Beginn der Reihe stand „Ewiger Frieden“ nach einem Text von Dora Lux, einem Pseudonym von Kristine Tornquist und der Musik von Alexander Wagendristel. Das Ensemble Reconsil setzte musikalisch eine Geschichte um, die von einem Toten handelt, den es eigentlich nicht geben darf. Dora Lux, Ehefrau von Jury Everhartz und mit ihm Begründerin des Sirene-Operntheaters, berichtet darin von einem jungen russischen Soldaten, der im Ukraine-Konflikt ums Leben gekommen ist. Seine Leiche wird an ein Bestattungs-unternehmen in seinen Heimatort gebracht, wo ihn seine Ehefrau identifizieren soll. Das wissen jedoch die beiden Bestatter zum Glück zu verhindern. Zu schlimm sind die sichtbaren Verletzungen, als dass sie diese der Frau zeigen würden. Dazu kommt noch ein glücklicher Umstand: Diese erhält noch rechtzeitig vor der geplanten Identifikation einen Brief vom Militär, in dem die Rede von einer Verwechslung des Toten ist und ihr der Sold ihres Mannes weiter zugesichert wird. Nun aber sind die beiden Bestattungsunternehmer mit der Tatsache konfrontiert, dass sie den Leichnam beerdigen müssen, ohne dafür aber je Geld zu bekommen. Nach kurzer Beratung tun sie dies im eigenen Garten, und legen ihn – wie man aus dem Libretto erfährt – zu anderen, die dasselbe Schicksal ereilt hat. Lux spielt hier auf die Barmherzigkeit „Tote zu bestatten“ an. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der sich, so hat es den Anschein, auch jegliche zwischenmenschliche Beziehung „rechnen muss“, ist dieser stille Bestattungsakt tatsächlich ein barmherziger.

Die Musik von Alexander Wagendristel, der selbst am Pult stand, weist eine ganze Reihe von folkloristischen Russland-Bezügen auf, ohne jedoch jemals ins Süß-Kitschige abzugleiten. Ob Glocken oder ein Akkordeon, dessen Melodie das Orchester bereitwillig aufnimmt, ob einige kurze Einsprengsel der russischen Hymne, oder auch ein „Ewigkeitsmarsch“ – seine Musik verankert das Geschehen auch auditiv in Putins Land. Letzterer spricht durch einen amüsanten Regie-Einfall auch „live“ aus dem Fernsehen (Evert Sooster). Interessant auch jene musikalische Idee, durch die Wagendristel sowohl die göttliche Fügung als auch die aktuelle politische Führung im gleichen Diktum erklingen lässt.

Die überzeichneten Figuren der beiden gegensätzlichen Bestatter, wunderbarst von Robert Chionis und Gebhard Heegmann gesungen und gespielt, sowie die pantomimische Begleitung von Bärbel Strehlau, die einen Helfer im Unternehmen „Ewiger Friede“ köstlich auf die Bühne bringt, rücken die Geschichte in die Nähe von Slapstick-Aufführungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kinosäle beherrschten. Tehmine Schaeffer schraubt das Lamento über ihren zuerst tot geglaubten Ehemann in höchste Höhen, um sich schließlich ganz erfreut über die Weiterzahlung des Soldes von jeglicher weiterer Frage ob des Verbleibes ihres Mannes – fernzuhalten.

Ein „naiv gebasteltes“ Bühnenbild – erinnert nicht von ungefähr an Entbehrungen und zugleich kreativem Ideenreichtum von Menschen in einem Land, in welchem die Schere zwischen Reich und Arm noch viel stärker ist als bei uns.

Für diese Regie, aber auch für jene der restlichen sechst Kurzopern ist ebenfalls Kristine Tornquist verantwortlich. Auffallend dabei ist auch der sensible Umgang mit kleinsten Gefühlsregungen, welche die Sängerin und die Sänger gekonnt erkennbar umsetzten.

„Ewiger Frieden“

Zu Beginn der Reihe stand „Ewiger Frieden“ nach einem Text von Dora Lux, einem Pseudonym von Kristine Tornquist und der Musik von Alexander Wagendristel. Das Ensemble Reconsil setzte musikalisch eine Geschichte um, die von einem Toten handelt, den es eigentlich nicht geben darf. Dora Lux, Ehefrau von Jury Everhartz und mit ihm Begründerin des Sirene-Operntheaters, berichtet darin von einem jungen russischen Soldaten, der im Ukraine-Konflikt ums Leben gekommen ist. Seine Leiche wird an ein Bestattungs-unternehmen in seinen Heimatort gebracht, wo ihn seine Ehefrau identifizieren soll. Das wissen jedoch die beiden Bestatter zum Glück zu verhindern. Zu schlimm sind die sichtbaren Verletzungen, als dass sie diese der Frau zeigen würden. Dazu kommt noch ein glücklicher Umstand: Diese erhält noch rechtzeitig vor der geplanten Identifikation einen Brief vom Militär, in dem die Rede von einer Verwechslung des Toten ist und ihr der Sold ihres Mannes weiter zugesichert wird. Nun aber sind die beiden Bestattungsunternehmer mit der Tatsache konfrontiert, dass sie den Leichnam beerdigen müssen, ohne dafür aber je Geld zu bekommen. Nach kurzer Beratung tun sie dies im eigenen Garten, und legen ihn – wie man aus dem Libretto erfährt – zu anderen, die dasselbe Schicksal ereilt hat. Lux spielt hier auf die Barmherzigkeit „Tote zu bestatten“ an. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der sich, so hat es den Anschein, auch jegliche zwischenmenschliche Beziehung „rechnen muss“, ist dieser stille Bestattungsakt tatsächlich ein barmherziger.

Die Musik von Alexander Wagendristel, der selbst am Pult stand, weist eine ganze Reihe von folkloristischen Russland-Bezügen auf, ohne jedoch jemals ins Süß-Kitschige abzugleiten. Ob Glocken oder ein Akkordeon, dessen Melodie das Orchester bereitwillig aufnimmt, ob einige kurze Einsprengsel der russischen Hymne, oder auch ein „Ewigkeitsmarsch“ – seine Musik verankert das Geschehen auch auditiv in Putins Land. Letzterer spricht durch einen amüsanten Regie-Einfall auch „live“ aus dem Fernsehen (Evert Sooster). Interessant auch jene musikalische Idee, durch die Wagendristel sowohl die göttliche Fügung als auch die aktuelle politische Führung im gleichen Diktum erklingen lässt.

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„Ewiger Frienden“ • Fotos: © Armin Bardel
Die überzeichneten Figuren der beiden gegensätzlichen Bestatter, wunderbarst von Robert Chionis und Gebhard Heegmann gesungen und gespielt, sowie die pantomimische Begleitung von Bärbel Strehlau, die einen Helfer im Unternehmen „Ewiger Friede“ köstlich auf die Bühne bringt, rücken die Geschichte in die Nähe von Slapstick-Aufführungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kinosäle beherrschten. Tehmine Schaeffer schraubt das Lamento über ihren zuerst tot geglaubten Ehemann in höchste Höhen, um sich schließlich ganz erfreut über die Weiterzahlung des Soldes von jeglicher weiterer Frage ob des Verbleibes ihres Mannes – fernzuhalten.

Ein „naiv gebasteltes“ Bühnenbild – erinnert nicht von ungefähr an Entbehrungen und zugleich kreativem Ideenreichtum von Menschen in einem Land, in welchem die Schere zwischen Reich und Arm noch viel stärker ist als bei uns.

Für diese Regie, aber auch für jene der restlichen sechst Kurzopern ist ebenfalls Kristine Tornquist verantwortlich. Auffallend dabei ist auch der sensible Umgang mit kleinsten Gefühlsregungen, welche die Sängerin und die Sänger gekonnt erkennbar umsetzten.

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„Ewiger Frienden“ (oben) „Elsa“ (unten) • Fotos: © Armin Bardel
Trotz des letalen Ausganges verströmt diese Oper eine starke Hoffnung. Sie zeigt, wie es auch in der zweiten Oper „Elsa“ der Fall ist, dass Barmherzigkeit oder, um es schlicht Menschlichkeit zu nennen, nicht von Verordnungen und sozialen Zwängen abhängt. Vielmehr sind es die Herzen, die sich öffnen, wenn zwischen brutaler Wahrheit oder tröstender Lüge, zwischen unbarmherzigem Recht und einfühlsamer, individueller Entscheidung gewählt werden muss.

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„Elsa“ –  Fotos: © Armin Bardel
Die zweite Produktion mit dem Titel „Elsa“ widmete sich der barmherzigen Tugend „Nackte zu bekleiden“. Der Text dazu stammt von Irene Diwiak, die Musik schrieb Margareta Ferek-Petric. Edo Mici leitete das Ensemble Zeitfluss, das viel mit der Produktion von Geräuschen zu tun hatte. Die Komponistin setzt über weite Strecken auf ungewöhnliche Geräuscherzeugung der Instrumente, wie sie in der aktuellen Kompositionspraxis gerne eingesetzt wird. Neben einzelnen Soli, aber auch Duetten und Terzetten, wird auch gesprochen. Das Orchester wiederholt des Öfteren Wörter oder ganze Sätze, oder lacht laut auf, um das Gesagte atmosphärisch stärker zu unterstreichen.

Die Geschichte spielt in einer Oberstufenklasse eines katholischen Internates. Dort wetten drei junge Männer vor den Ferien, wem es gelänge, eine nackte Frau zu fotografieren. Markus und Michael Liszt sorgen für ein außergewöhnliches Bühnenbild: drei nebeneinanderliegende Toiletten, nach vorne zum Publikum hin offen und einsichtig. Dort dienen die Wasser-Reservoirs als Verstecke von Alkohol und Zigaretten – bis sie von Schwester Immaculata – die ihren Auftritt unter Glockengeläut absolviert – gefunden werden. Bärbel Strehlau agiert abermals, in dieser Produktion auch als Turnlehrerin, die weiß, wie man junge Männer schindet.

Moser, Staudinger und Doorsday – so die Namen der drei Schüler, sind darauf angewiesen, ihre ersten libidinösen Erfahrungen aus dem Internet zu konsumieren. Mit Vladimir Cabak, Kevin Elsnig und Georg Klimbacher sind die jungen Männer optimal besetzt.

Im zweiten Bild liegt der junge Doorsday im Bett in seinem Jugendzimmer und kommt dort auf die Idee, die Putzfrau Elsa zu fragen, ob sie sich auszieht und er sie nackt fotografieren dürfe. Pochende Streicher und flirrende Bläser lassen erahnen, wie es dem Jungen in diesem Moment dabei geht. Ein kurzes Nachäffen der Tonlage der Putzfrau lässt erkennen, wie groß der Druck ist, unter dem er steht und die Trompeten ahmen echohaft seine Fragen an die verunsicherte Frau nach. Adeli Solmaaz brilliert in ihrer Rolle als Putzfrau, die sich nach anfänglichem Zögern bereiterklärt, und sich auf den Deal einlässt, der ihr immerhin einige Tausender einbringt. In ihrer Arie, in der sie über ein „gutes Leben“ singt, werden harmonische Kurzinformationen hörbar, die den Traum vom besseren Leben musikalisch leicht rosa einfärben. Die Regie agiert geschickt in der Szene, in welcher sie sich vor dem jungen Mann auszieht und achtet ganz besonders auf dessen seelische Befindlichkeit, die sehr gut visualisiert wird. Ängstlich und fordernd, zurückhaltend und tollpatschig – jedes Gefühl wird erkenn- und nachvollziehbar.

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„Elsa“ –  Fotos: © Armin Bardel
Die zweite Produktion mit dem Titel „Elsa“ widmete sich der barmherzigen Tugend „Nackte zu bekleiden“. Der Text dazu stammt von Irene Diwiak, die Musik schrieb Margareta Ferek-Petric. Edo Mici leitete das Ensemble Zeitfluss, das viel mit der Produktion von Geräuschen zu tun hatte. Die Komponistin setzt über weite Strecken auf ungewöhnliche Geräuscherzeugung der Instrumente, wie sie in der aktuellen Kompositionspraxis gerne eingesetzt wird. Neben einzelnen Soli, aber auch Duetten und Terzetten, wird auch gesprochen. Das Orchester wiederholt des Öfteren Wörter oder ganze Sätze, oder lacht laut auf, um das Gesagte atmosphärisch stärker zu unterstreichen.

Die Geschichte spielt in einer Oberstufenklasse eines katholischen Internates. Dort wetten drei junge Männer vor den Ferien, wem es gelänge, eine nackte Frau zu fotografieren. Markus und Michael Liszt sorgen für ein außergewöhnliches Bühnenbild: drei nebeneinanderliegende Toiletten, nach vorne zum Publikum hin offen und einsichtig. Dort dienen die Wasser-Reservoirs als Verstecke von Alkohol und Zigaretten – bis sie von Schwester Immaculata – die ihren Auftritt unter Glockengeläut absolviert – gefunden werden. Bärbel Strehlau agiert abermals, in dieser Produktion auch als Turnlehrerin, die weiß, wie man junge Männer schindet.

Moser, Staudinger und Doorsday – so die Namen der drei Schüler, sind darauf angewiesen, ihre ersten libidinösen Erfahrungen aus dem Internet zu konsumieren. Mit Vladimir Cabak, Kevin Elsnig und Georg Klimbacher sind die jungen Männer optimal besetzt.

Im zweiten Bild liegt der junge Doorsday im Bett in seinem Jugendzimmer und kommt dort auf die Idee, die Putzfrau Elsa zu fragen, ob sie sich auszieht und er sie nackt fotografieren dürfe. Pochende Streicher und flirrende Bläser lassen erahnen, wie es dem Jungen in diesem Moment dabei geht. Ein kurzes Nachäffen der Tonlage der Putzfrau lässt erkennen, wie groß der Druck ist, unter dem er steht und die Trompeten ahmen echohaft seine Fragen an die verunsicherte Frau nach. Adeli Solmaaz brilliert in ihrer Rolle als Putzfrau, die sich nach anfänglichem Zögern bereiterklärt, und sich auf den Deal einlässt, der ihr immerhin einige Tausender einbringt. In ihrer Arie, in der sie über ein „gutes Leben“ singt, werden harmonische Kurzinformationen hörbar, die den Traum vom besseren Leben musikalisch leicht rosa einfärben. Die Regie agiert geschickt in der Szene, in welcher sie sich vor dem jungen Mann auszieht und achtet ganz besonders auf dessen seelische Befindlichkeit, die sehr gut visualisiert wird. Ängstlich und fordernd, zurückhaltend und tollpatschig – jedes Gefühl wird erkenn- und nachvollziehbar.

Trotz des letalen Ausganges verströmt diese Oper eine starke Hoffnung. Sie zeigt, wie es auch in der zweiten Oper „Elsa“ der Fall ist, dass Barmherzigkeit oder, um es schlicht Menschlichkeit zu nennen, nicht von Verordnungen und sozialen Zwängen abhängt. Vielmehr sind es die Herzen, die sich öffnen, wenn zwischen brutaler Wahrheit oder tröstender Lüge, zwischen unbarmherzigem Recht und einfühlsamer, individueller Entscheidung gewählt werden muss.

Elsa

Die zweite Produktion mit dem Titel „Elsa“ widmete sich der barmherzigen Tugend „Nackte zu bekleiden“. Der Text dazu stammt von Irene Diwiak, die Musik schrieb Margareta Ferek-Petric. Edo Mici leitete das Ensemble Zeitfluss, das viel mit der Produktion von Geräuschen zu tun hatte. Die Komponistin setzt über weite Strecken auf ungewöhnliche Geräuscherzeugung der Instrumente, wie sie in der aktuellen Kompositionspraxis gerne eingesetzt wird. Neben einzelnen Soli, aber auch Duetten und Terzetten, wird auch gesprochen. Das Orchester wiederholt des Öfteren Wörter oder ganze Sätze, oder lacht laut auf, um das Gesagte atmosphärisch stärker zu unterstreichen.

Die Geschichte spielt in einer Oberstufenklasse eines katholischen Internates. Dort wetten drei junge Männer vor den Ferien, wem es gelänge, eine nackte Frau zu fotografieren. Markus und Michael Liszt sorgen für ein außergewöhnliches Bühnenbild: drei nebeneinanderliegende Toiletten, nach vorne zum Publikum hin offen und einsichtig. Dort dienen die Wasser-Reservoirs als Verstecke von Alkohol und Zigaretten – bis sie von Schwester Immaculata – die ihren Auftritt unter Glockengeläut absolviert – gefunden werden. Bärbel Strehlau agiert abermals, in dieser Produktion auch als Turnlehrerin, die weiß, wie man junge Männer schindet.

Moser, Staudinger und Doorsday – so die Namen der drei Schüler, sind darauf angewiesen, ihre ersten libidinösen Erfahrungen aus dem Internet zu konsumieren. Mit Vladimir Cabak, Kevin Elsnig und Georg Klimbacher sind die jungen Männer optimal besetzt.

Im zweiten Bild liegt der junge Doorsday im Bett in seinem Jugendzimmer und kommt dort auf die Idee, die Putzfrau Elsa zu fragen, ob sie sich auszieht und er sie nackt fotografieren dürfe. Pochende Streicher und flirrende Bläser lassen erahnen, wie es dem Jungen in diesem Moment dabei geht. Ein kurzes Nachäffen der Tonlage der Putzfrau lässt erkennen, wie groß der Druck ist, unter dem er steht und die Trompeten ahmen echohaft seine Fragen an die verunsicherte Frau nach. Adeli Solmaaz brilliert in ihrer Rolle als Putzfrau, die sich nach anfänglichem Zögern bereiterklärt, und sich auf den Deal einlässt, der ihr immerhin einige Tausender einbringt. In ihrer Arie, in der sie über ein „gutes Leben“ singt, werden harmonische Kurzinformationen hörbar, die den Traum vom besseren Leben musikalisch leicht rosa einfärben. Die Regie agiert geschickt in der Szene, in welcher sie sich vor dem jungen Mann auszieht und achtet ganz besonders auf dessen seelische Befindlichkeit, die sehr gut visualisiert wird. Ängstlich und fordernd, zurückhaltend und tollpatschig – jedes Gefühl wird erkenn- und nachvollziehbar.

Die zweite Produktion mit dem Titel „Elsa“ widmete sich der barmherzigen Tugend „Nackte zu bekleiden“. Der Text dazu stammt von Irene Diwiak, die Musik schrieb Margareta Ferek-Petric. Edo Mici leitete das Ensemble Zeitfluss, das viel mit der Produktion von Geräuschen zu tun hatte. Die Komponistin setzt über weite Strecken auf ungewöhnliche Geräuscherzeugung der Instrumente, wie sie in der aktuellen Kompositionspraxis gerne eingesetzt wird. Neben einzelnen Soli, aber auch Duetten und Terzetten, wird auch gesprochen. Das Orchester wiederholt des Öfteren Wörter oder ganze Sätze, oder lacht laut auf, um das Gesagte atmosphärisch stärker zu unterstreichen.

Die Geschichte spielt in einer Oberstufenklasse eines katholischen Internates. Dort wetten drei junge Männer vor den Ferien, wem es gelänge, eine nackte Frau zu fotografieren. Markus und Michael Liszt sorgen für ein außergewöhnliches Bühnenbild: drei nebeneinanderliegende Toiletten, nach vorne zum Publikum hin offen und einsichtig. Dort dienen die Wasser-Reservoirs als Verstecke von Alkohol und Zigaretten – bis sie von Schwester Immaculata – die ihren Auftritt unter Glockengeläut absolviert – gefunden werden. Bärbel Strehlau agiert abermals, in dieser Produktion auch als Turnlehrerin, die weiß, wie man junge Männer schindet.

Moser, Staudinger und Doorsday – so die Namen der drei Schüler, sind darauf angewiesen, ihre ersten libidinösen Erfahrungen aus dem Internet zu konsumieren. Mit Vladimir Cabak, Kevin Elsnig und Georg Klimbacher sind die jungen Männer optimal besetzt.

Im zweiten Bild liegt der junge Doorsday im Bett in seinem Jugendzimmer und kommt dort auf die Idee, die Putzfrau Elsa zu fragen, ob sie sich auszieht und er sie nackt fotografieren dürfe. Pochende Streicher und flirrende Bläser lassen erahnen, wie es dem Jungen in diesem Moment dabei geht. Ein kurzes Nachäffen der Tonlage der Putzfrau lässt erkennen, wie groß der Druck ist, unter dem er steht und die Trompeten ahmen echohaft seine Fragen an die verunsicherte Frau nach. Adeli Solmaaz brilliert in ihrer Rolle als Putzfrau, die sich nach anfänglichem Zögern bereiterklärt, und sich auf den Deal einlässt, der ihr immerhin einige Tausender einbringt. In ihrer Arie, in der sie über ein „gutes Leben“ singt, werden harmonische Kurzinformationen hörbar, die den Traum vom besseren Leben musikalisch leicht rosa einfärben. Die Regie agiert geschickt in der Szene, in welcher sie sich vor dem jungen Mann auszieht und achtet ganz besonders auf dessen seelische Befindlichkeit, die sehr gut visualisiert wird. Ängstlich und fordernd, zurückhaltend und tollpatschig – jedes Gefühl wird erkenn- und nachvollziehbar.

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„Elsa“ Sirene Operntheater (Foto: © Armin Bardel)
Groß ist die Überraschung mit einer erzählerischen Volte zum Schluss. Es ist ausgerechnet Nicholas Doorsday, der die Wette ursprünglich angezettelt hat und Elsa für sein Ansinnen viel Geld zahlte, der davon absieht, die Fotos seinen Freunden zu zeigen. Er hat in einem Reifeprozess die Unmoral seines Tuns verstanden und steht lieber als Verlierer da, als jene Frau bloßzustellen, der er geschworen hat, dass die Fotos niemand zu sehen bekommt.

Neben dieser schönen Auflösung kommt es aber noch zu einem weiteren Happy End. Er, der von allen nur Doorsday genannt wird, wird nach seinem eindringlichen Bitten an seine Kommilitonen – die sich in diesem Moment als wahre Freunde herausstellen – endlich mit seinem Vornamen, Nicholas, angesprochen.

Im Orchester wirbelt, wie es auch ganz zu Beginn der Fall war, der Wind und verbläst letztlich ein zartes, langes Trompetensolo, das immer leiser werdend, schließlich ganz verhallt.

Eine sehr gelungene Produktion, die ohne moralinsauren Zeigefinger auskommt und zugleich einen höchst vergnüglichen Abend bereitet.

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Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

Das Unsagbare gegen das Vergessen sichtbar machen.

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Michaela Preiner

„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
„Die Passagierin“ erlebte an der Oper Graz eine fulminante Premiere. Zum Auftakt in eine ungewöhnliche Saison.
Den Auftakt der Opernsaison in diesem Ausnahmejahr gestaltete die Oper in Graz mit der schon für den Frühling angesetzten Produktion „Die Passagierin“. Dieses Werk vollendete der Komponist Mieczyslaw Weinberg 1968.

Aber erst 2006, 10 Jahre nach seinem Tod, kam es in Moskau konzertant zur Aufführung, szenisch erst 2010 bei den Bregenzer Festspielen. Das Libretto von Alexander Medwedew wurde nach einem Roman der Polin Zofia Posmysz verfasst.

Sie war selbst ab 1942 zwei Jahre in Auschwitz-Birkenau inhaftiert und danach bis Kriegsende im KZ in Ravensbrück. Nach der Befreiung hatte es Posmysz auf Anraten ihrer Mutter vermieden, über das erlebte Grauen zu erzählen. Diese hatte gemeint, dass Verdrängen die beste Möglichkeit sei, damit leben zu können. In den 50-er Jahren hatte sie in Paris jedoch ein Schlüsselerlebnis. Da vernahm sie auf der Straße die Stimme einer Frau, von der sie glaubte, dass es ihre ehemalige, deutsche KZ-Wärterin war. Mit einem Mal kam mit Vehemenz all das wieder hoch, das verdrängt werden hätte sollen und Posmysz wusste, dass sie das Erlebte festhalten musste und schrieb die Novelle „Die Passagierin“.

 

In dem Text, der 10 Jahre später auch auf Deutsch erschienen war, und der zuvor als Hörspiel in Polen für Furore gesorgt hatte, hielt sie ihre Erinnerungen fest, vor allem um jener zu gedenken, welche die Konzentrationslager nicht überlebt hatten. Die Autorin, die heute 97 Jahre alt ist, wurde vom Grazer Dramaturgieteam vor wenigen Monaten in ihrer Wohnung in Warschau besucht. Dabei wurde Video- und Fotomaterial aufgenommen, das zum Teil auch in die Inszenierung einfloss. 

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Die Passagierin
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„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
Die Geschichte handelt von der Überfahrt eines Passagierschiffes von Deutschland nach Brasilien. Auf ihm befindet sich der deutsche Diplomat Walter Kretschmar mit seiner Frau, der seiner neuen Stelle entgegenreist. Er ahnt nicht, dass seine Lisa, geborene Franz, eine ehemalige KZ-Aufseherin war. Als diese jedoch Marta, eine ehemalige Inhaftierte am Schiff zu erkennen glaubt, bricht in ihr alles auf, was sie bis dahin zu verheimlichen versuchte. Die Beichte, die sie ihrem Mann gesteht, ist der Hauptplot, der auf das Geschehen im Konzentrationslager zurückgreift. Die Szenen wechseln zwischen Ereignissen in Auschwitz und dem Aufenthalt auf dem Schiff und enden schließlich in einem Epilog von Marta.

Die dramaturgische Vorarbeit mit der Autorin selbst kam sicherlich der Regie von Nadja Loschky sehr zugute, die mit mehreren ungewöhnlichen Kunstgriffen aufwartet. Durch einen zeigt sie die Hauptprotagonistin nicht nur als erschütterte Ehefrau, die sich an ihre Zeit als Aufseherin zurückerinnert, sondern auch als Alte, die das Geschehen auf der Bühne permanent begleitet. Das ist sinnvoll und transportiert das Erzählte nicht nur in die erinnerte Vergangenheit, sondern auch in eine Zukunft, die im Libretto nicht mehr vorkommt. Lisa wird von den Geschehnissen, in die sie verwickelt war und von den Gräueltaten, die sie selbst zu verantworten hat, ihr Leben lang nicht mehr losgelassen.

Aber auch was die individuellen psychischen Verfasstheiten der anderen Figuren betrifft, hat Loschky sehr gut hingesehen. Es sind kleine Gesten wie das immer wieder urplötzlich erschrockene Kopfheben der alten Lisa, die deutlich machen, wie sehr sie die Vergangenheit peinigend verfolgt. Es ist das Wanken und die schwere Zunge ihres Mannes an Bord des Schiffes, nachdem er von der Betätigung seiner Frau in Auschwitz erfuhr. Er muss zum Alkohol greifen, um mit dieser Erkenntnis irgendwie umgehen zu können. Es sind die unbeholfenen Fluchtversuche auf eine Leiter einer jungen Frau im Lager, die diesen Zufluchtsort, der keiner ist, aus Panik in Sekundenschnelle mit wenigen Schritten erklimmt. Diese sichtbaren Emotionen machen nachvollziehbar, mit welchen Angstzuständen und mit welcher Zerrissenheit die Beteiligten zu kämpfen haben und stellen gleichzeitig subtil auch immer wieder die Frage, wie man denn selbst agiert und reagiert hätte.

Wissend, dass das Geschehene nie angemessen wiedergegeben werden kann, findet die Oper dennoch sowohl passende szenische als auch musikalische Mittel. Die Regie scheut sich nicht, drastische Bilder zu zeigen, die einem den Hals zuschnüren. Mit Gewaltverherrlichung hat dies jedoch nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Die Idee, die SS-Aufseher mit heruntergelassenen Hosen (Kostüme Irina Spreckelmeyer) auf nebeneinanderstehenden Toiletten zu zeigen, erinnert an Hannah Arendts 5-teiligen Essay, den sie nach dem Gerichtsprozess gegen den Naziverbrecher Adolf Eichmann verfasste. Sie wohnte dem Prozess in Jerusalem als Beobachterin bei und sprach danach bewusst von der „Banalität des Bösen“, was ihr große Kritik einbrachte. Mit diesem brachialen Bild, der Notdurft verrichtenden Wachmannschaft auf der Bühne, wird diese Banalität jedoch mehr als deutlich. In einer der letzten Szenen, in welcher Tadeusz, der Verlobte von Marta, ermordet wird aber auch, dass Banalität, mit legitimierter Macht ausgestattet, menschen-verachtend und todbringend ist.

Besonders berührend und gelungen ist der Regieeinfall, die Fotos von Zofia Posmysz, auf der sie als alte Dame, sitzend in Seitenansicht zu sehen ist, in die letzten Szene einzublenden. Ihr Schreiben, angesiedelt im Bereich der Kunst, trägt dazu bei, die Erinnerung wach zu halten und rechtfertigt die künstlerische Aufarbeitung von Ereignissen, deren Darstellung angesichts der Ermordung von 6 Millionen Menschen doch niemals auch nur annähernd adäquat sein kann. Theodor W. Adorno schrieb 1949: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“ – eine Aussage, die er jedoch 1966 folgend revidierte: „Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben.“ Wie gut, dass Posmysz erkannt hat, dass das Erinnern auch über einen künstlerischen Ausdruck möglich, ja notwendig ist.

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„Die Passagierin“ (Foto: © Werner Kmetitsch)
Das Bühnenbild ( Étienne Pluss) zeigt nicht – wie man vermuten möchte, ein Schiff, sondern einen grauen Raum mit unendlich vielen Türen und Schubladen. Nicht heimelig, sondern kalt und unbewohnbar. Das Grauen, das sich hinter all den geschlossenen Türen verbirgt, wird nur nach und nach sichtbar.

Am Pult agierte bei der Premiere Roland Kluttig, der neue Chefdirigent der Oper Graz. Unaufgeregt leitete er das große Orchester mit Präzision durch Weinbergs klanglichen Kosmos. In diesem kommen jede Menge rhythmische Swing-Passagen vor, die den atonalen Gesang in die 50-er Jahre verorten. Emotional wird Weinbergs Musik jedoch in jenen Szenen, in welchen die infhaftierten Frauen in volksliedhaften Melodien über ihr Schicksal und ihre ehemalige Heimat singen. Nicht zuletzt sind es so bekannte Melodien wie „Oh du lieber Augustin“, der von den Wärtern in rauschhafter Feierlaune intoniert wird und Bachs Chaconne – die Tadeusz anstelle eines georderten Walzers auf einer Geige intoniert – die Referenzen an die deutsche Musikkultur liefern. Eine Kultur, die gerade in den Konzentrationslagern eine Perversion erfuhr, die zuvor nicht denkbar gewesen war.

Extra hervorzuheben ist die stimmliche Spitzenbesetzung. Dshamilja Kaiser lässt kraftvoll eine Lisa hörbar werden, die zwischen Verzweiflung und Verteidigung ihre Tuns schwankt. Ihr zur Seite Will Hartmann als Walter, der auf seine eigene Karriere mehr als auf den Gefühlszustand seiner Frau bedacht ist. Nadja Stefanoff verkörpert eine kluge, unbeugbare, jedoch hilfsbereite Marta, deren lyrische Stimme extrem einnehmend wirkt. Ihr Verlobter Tadeusz findet mit Markus Butter eine perfekte Besetzung. Sämtliche weitere Solistinnen ergänzen stimmlich ebenso fulminant das Ensemble – jede einzelne mit bestechender Klangfülle und Präzision, Wärme, Kraft und geforderter Zerbrechlichkeit zugleich. Interessant, dass Weinberg alle Frauen in derselben Stimmlage angelegt hat – vielleicht ein subtiler Hinweis auf ihre Gleichschaltung in den Lagern. (Tetiana Miyus, Antonia Cosmina Stancu, Anna Brull, Mareike Jankowski, Sieglinde Feldhofer, Joanna Motulewicz, Ju Suk)

Die Oper wird mit einem breit angelegten Rahmenprogramm begleitet – am Premierentag wurden vor dem Haus im Gedenken an die Sängerin Ella Flesch, den Dirigenten und Chordirektor Fritz Jahoda, sowie die Schauspielerin Hertha Heger „Stolpersteine“ verlegt. Weiters stehen im Angebot: Gesprächsrunden nach der Aufführung, eine Filmvorführung im Filmzentrum im Rechbauerkino, ein Kammerkonzert, ein OpernCampus, der einen Nachmittag lang dauert, ein Stadtspaziergang mit dem Historiker Heimo Halbrainer an Orte der Opfer, Täter und des Widerstandes, sowie das Stummfilmkonzert „Die Stadt ohne Juden“ mit Musik von Olga Neuwirth

Nähere Infos unter: Oper Graz

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