Museales und Aktuelles

Museales und Aktuelles

Noch bis 28. Oktober ist in Wien die Ausstellungsreihe curated_by zu sehen. Sie ist das Ergebnis der Bemühungen von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, die dafūr insgesamt 22 Galerien gewinnen konnte. Wie schon berichtet, zeigen diese Arbeiten von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die von 25 Kuratierenden in schlüssigen Ausstellungskonzepten zusammengeführt wurden.


Die alteingesessenen, renommierten Galerien wie die Galerie Krinzinger, die Galerie Elisabeth und Klaus Thoman oder auch die Galerie Hubert Winter agieren dabei nicht mit unbekannten Namen. Dieser Umstand lässt die Leistung der Kuratierenden weniger im Licht einer eigenen kreativen Leistung denn vielmehr in einer geschickten Kommunikation im Hinblick auf die Vermittlung selbst erscheinen. Und tatsächlich haben die genannten Galerien schon vor dieser gemeinschaftlich ausgerichteten Aktion intensive Kontakte zu den jetzt gezeigten Künstlern gepflegt. So präsentiert Ursula Krinzinger in den Räumen in der Seilerstätte den bei ihr schon 2008 mit einer Einzelausstellung vertretenen Sudarshan Shetty, der nun die raumfüllende Arbeit „The peaces earth took away“ zeigt. In dieser von Katya Garcia-Anton kuratierten Ausstellung bearbeitet er künstlerisch Rituale rund um den Tod und vermittelt mit der großen, den Raum fast sprengenden indischen Architektur aus Holz, aus deren Mitte sanft Wassertropfen zu Boden fallen, sich rasch einstellende spirituelle Gefühle. Elisabeth und Klaus Thomann riefen abermals Jürgen Klauke auf den Plan, der ebenfalls zuvor schon einmal, nämlich 2010 eine Einzelausstellung in der Innsbrucker Galerie bestreiten durfte. Der Kurator Michael Scott Hall brachte diesmal den Deutschen mit einer 2teiligen Ausstellung nach Wien, die gerade an diesem Standort bemerkenswert erscheint. Klaukes Selbstportraits aus den 70er und 80er Jahren, in welchen er die Geschlechterrollen aber auch seine eigene provokant hinterfrug, stehen ebenso wie die neuen „Schlachtfelder“ – eine aus 144 Teilen bestehende Fotoarbeit, die in Schlachthöfen entstanden ist, in einer eigentümlichen Beziehung zur österreichischen Kunst rund um die Wiener Aktionisten bis hin zu den Arbeiten von Hermann Nitsch. Trotz aller Differenz, die hier angeführt werden kann, besteht doch eine große Portion Gemeinsames, die sich im radikalen Akt der Selbstinszenierung genauso wie in der obsessiven Präsentation von rohem Fleisch, Blut und Gedärmen zeigt. Spannend dabei ist zu sehen, wie sich eine Interpretationshoheit an einem ganz bestimmten Ausstellungsort aufgrund seines eigenen historischen Kontextes verschieben kann. Bei Hubert Winter erhielt Lawrence Weiner mit der Arbeit „impeded time“ abermals einen großen Auftritt. Seine Wandbeschriftungen, die in ihrer Poesie diesmal sowohl in Englisch als auch in Deutsch Gegensätze wie selbstverständlich zusammenführen, wird als museal wahrgenommen und dies nicht nur, weil Weiner längst zu einer Institution der zeitgenössischen Kunst geworden ist. Suzy M. Halajian und Marlies Wirth standen hier kuratierend dem Galeristen zur Seite, der Weiner zu seinen Stammkünstlern zählen darf.

Neben diesen großen Namen gibt es allerdings auch eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern zu entdecken, die erstmals die Gelegenheit haben in Wien präsent zu sein. Beispielhaft – weil auch besonders mit hohem Risiko agierend, sei hier die Ausstellung im Projektraum von Viktor Bucher in der Praterstraße hervorgehoben. Die minimalistischen Interventionen von gleich sieben Kunstschaffenden erschließen sich nur mit etwas Zeit und dem Willen, sich auf das beinahe nicht mehr Sichtbare einzulassen. Belohnt wird man jedoch mit einem Denkansatz, der darauf abzielt, die Verweigerung der Produktivität, das Hinterfragen des stets immer und überall Produktiven in den Vordergrund zu stellen. Der junge Kurator Niekolaas Johannes Lekkerkerk aus den Niederlanden leistete dazu hervorragende Arbeit. Nicht nur die Internationalität der Gezeigten verweist auf ein bei ihm bereits gut ausgeprägtes Netzwerk, sondern vor allem die beinahe schon greifbaren, wenngleich unsichtbaren und doch so schlüssigen Fäden, welche die unterschiedlichen Arbeiten miteinander verbinden, beeindrucken.

In einem literaturlastigen Begleittext, der sich zu lesen lohnt, geht Lekkerkerk nicht nur auf Literaten ein, deren Protagonisten sich der Produktivität verweigerten – ohne hier Oblomow von Michael Gontscharow zu erwähnen, der sehr gut in die von ihm aufgezählte Reihe passen würde. Sondern auch Marcel Duchamp kommt hier als einziger bildender Künstler vor, die Klassiker der Verweigerung des Darstellbaren begonnen von Malewitsch bis hin zu Yves Klein finden aber keine Erwähnung, was den Besucherinnen und Besuchern sicher auffallen wird. Dabei wird klar, dass Lekkerkerk keine Anthologie des „No“ in der Galerie zeigen und besprechen wollte, sondern vielmehr ganz persönliche Zugänge aufzeigt, die den Titel der Ausstellung „Artists of the No – eine Analogie in Beispielen“ rechtfertigen.

Dazu lieferte Ryan Gander eine Videoinstallation mit dem Titel „The Last Work“, in der man ein Kamerateam durch London mitverfolgen kann, dessen Aufnahmen teilweise mit Einblendungen von Videos zusätzlich bestückt werden. Wie Gedanken, die einem bei einer Tätigkeit zeitgleich durch den Kopf schießen, nimmt man diese Einspielungen wahr, ohne aber die Haftung zum Gang durch London gänzlich zu verlieren, den man nur durch die Linse wahrnehmen kann. Gander lieferte bei der diesjährigen documenta ein noch viel reduzierteres Kunstwerk an, nämlich die Einspielung von Wind in einen Raum des Friedericianums, das beim Publikum durchgehend positiv aufgenommen wurde – gerade auch aufgrund der Abwesenheit von allem Stofflichem. David Raymond Conroy ist mit einer Farbkopie eines Fotos vertreten. Fast verschämt hängt es an der weißen Wand und ist mit „All the books I own but haven´t read, stacked up in my house, in a place where the pile reaches from the foor to the ceiling“ betitelt. Darauf zu sehen sind an Raumdurchgängen aufgestapelte Büchersäulen, die vom Boden bis an die Decke reichen und – obwohl, wie vom Künstler deklariert – ungelesen und somit ihrer originären Bestimmung nicht zugeführt, nun dennoch in einen Verwendungszweck eingebunden.

David Sherry, der sowohl im Projektraum Viktor Bucher als auch auf der Viennafair mit Performances auftrat, ist mit einem Stellvertreter präsent. Ein Sessel, auf dem ein Zettel mit seinem Namen hängt und dem Hinweis „Just popped out, back in two hours“, der auch als Titel seiner Performances fungierte. Dabei saß oder stand er tatsächlich 2 Stunden lang unbeweglich, mit leicht geöffnetem Mund und völlig geistesabwesendem Blick, so als hätte man bei ihm einen off-Schalter betätigt. Der Mensch als produktives Wesen, das man nach Belieben aus- und einschalten kann, als Teil eines Produktionsprozesses, egal ob im familiären oder beruflichen Umfeld wird bei ihm dadurch thematisiert. Aber Denkstränge gibt es noch viel mehr. Die Erwartungshaltung des Publikums einer Performance gegenüber oder auch jene Gedanken, die sich einstellen, wenn man keine Ahnung von den Performances hat, sondern nur den Text auf dem Zettel liest, der über der Sessellehne hängt. Was hat David Sherry, der jetzt Abwesende auf diesem Sessel gemacht, was macht er jetzt und wann sind die 2 Stunden eigentlich um? Warum hinterlässt er keine weiteren Informationen? So entspinnt sich rund um diese auf den ersten Blick so simple Arbeit ein ganzes Netz an Fragen zu verschiedenen sozio-kulturellen Bedeutungshöfen. Ein schönes Beispiel, wie sehr die Abwesenheit von etwas Gedanken anregen kann.

Ganz anders hingegen agiert Dora Garcia mit „Today I Wrote Nothing, (homage to Daniil Kharms). Darin bezieht sie sich direkt auf den selben Satz des russischen Avantgardisten, der auch als Titel eines im Jahr 2009 erschienen Buches fungierte. Der Satz hält eine lapidare Arbeitsabsenz an einem bestimmten, auf dem kleinen Blatt Papier notierten Tag fest. In derselben Weise wie schon bei Sherry aufgezeigt, ist es gerade die Abwesenheit von einer weiteren künstlerischen Manifestation, die zum Denken anregt. Dass sich die weltweit in unzähligen Ausstellungen vertretene Spanierin, erst zum zweiten Mal – und das nur mit dieser kleinen Arbeit – in Wien präsentiert (im Vorjahr war sie in einer Gemeinschaftsausstellung in der Sezession vertreten) verwundert sehr. Die heurige Documenta-Teilnahme kann als eines ihrer Ausstellungshighlights angesehen werden. Der zarte Hinweis auf den 1942 verstorbenen Russen eröffnet ein ganzes Universum an gedanklichen Zusammenhängen und ist ein schönes Beispiel, wie aufmerksam Betrachtende, so sie den Künstler vorher noch nicht kannten, durch anschließende Recherche sich selbst ein neues Kunstuniversum erschließen können. So gelingt es Dora Garcia auch mit einer vermeintlichen Arbeitsverweigerung Bewegung und Dynamik in die Rezeption dieses Kunstwerkes zu bringen, deren Ende völlig offen erscheint, wird dieses doch komplett an die Rezipienten delegiert.
Der Beitrag von Nina Beier & Marie Lund fällt erst auf den zweiten Blick auf, wenn man diesen nämlich zu Boden senkt. Dort ist Post der offenbar letzten Wochen auf einen Stapel geworfen – so als wäre der Empfänger schon einige Zeit nicht mehr an diesem Ort gewesen. Was hier nicht vorhanden ist, ist mehr als nur die Abwesenheit einer Person, die sich eben in beschriebenem Poststapel manifestiert. Es ist die Abwesenheit einer originären künstlerischen Handschrift, die Verweigerung derselben bis hin zur Abgabe der Produktion an eine anonyme Gesellschaft, die sich jedoch durch das Lesen der Absender schlussendlich genau definieren ließe. Die beiden Däninnen, die sowohl gemeinsam als auch jede für sich ihrer konzeptuellen Kunstproduktion widmen, beschreiten mit „All the best“ einen künstlerischen Weg, der sich intensiv damit auseinandersetzt, wer als Produzent oder Produzentin eines Kunstwerkes überhaupt infrage kommt, wo die Grenzen von Kunst anzusetzen sind und auch welche Bedingungen ein Kunstwerk als solches überhaupt erkenntlich machen.

Die wohl vergnüglichste und zugleich auch extrem anregende Videoarbeit von Pilvi Takala, „The Trainee“ aus dem Jahr 2008, die etwas mehr als 13 Minuten dauert, macht deutlich, wie sehr Arbeitsverweigerung das produktive System einer Firma ins Wanken bringen kann. Die 1981 Geborene ließ sich in der Marketingabteilung eines großen Unternehmens in Finnland einstellen und gab vor, dort für ihre universitäre Abschlussarbeit Studien durchzuführen. Dabei vermied sie allerdings jeden Kontakt mit einem Computer, setzte sich stundenlang, ohne sichtbare Produktivität, an einen zentralen Platz oder fuhr, ohne die Knöpfe zu betätigen, im Lift stundenlang auf und ab. Die jeweiligen Mitfahrenden wählten die Stockwerke und waren extremst irritiert ob der jungen Frau, die behauptete, sie könne im Fahrstuhl genauso gut denken wie in einem fahrenden Zug. Wie sehr die Künstlerin das soziale Gefüge zum Wanken brachte, ist in einem parallel gezeigten Emailverkehr zu lesen, der schließlich mit der Aufforderung endet, das Mädchen doch zu entfernen, da es offensichtlich psychische Probleme haben müsse. Hier kann als direkter Vorfahre jene Geschichte genannt werden, die Lekkerkerk in seinem kleinen Aufsatz zur Ausstellung angeführt hat. Es handelt sich um eine Kurzgeschichte von Herman Melville mit dem Titel „Bartleby, der Schreiber“ aus dem Jahre 1853. Dort ist es ebenfalls ein Büroangestellter, der von einem Tag auf den anderen jegliche Produktivität verweigert – bis hin zu letzten Konsequenz Nahrung aufzunehmen. Pilvi Takalas Interventionen im sozialen Raum kreisen stets um einen Positionswechsel der Wahrnehmung, welcher dabei neue Assoziationen und neue Erkenntnisse ermöglicht.

Zusammenfassend könnte man Viktor Buchers Projektraum derzeit als Ideenfabrik bezeichnen. Als Ort, in welchem Gedanken gebündelt auftreten, Ideen vorgeführt werden und zu weiteren Abenteuern – unter Umständen nicht nur im Kopf – aufrufen. Die Ausstellung macht deutlich, dass gute Kunst nicht zwangsläufig an eine materielle Produktion gebunden ist. Eine Ausstellung, für die völlig zu recht Lekkerkerk als Kurator verpflichtet wurde. Der Ball liegt jetzt bei Bucher, die gezeigten KünstlerInnen in Wien einem interessierten Publikum nahe zu bringen.

Kunst oder Leben

Kunst oder Leben

Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik

Unter diesem Motto steht das diesjährige Galerienprojekt „curated_by“, das von „departure“, der Kreativagentur der Stadt Wien koordiniert und gefördert wird. Diesmal hat sich Eva Maria Stadler, eine ausgewiesene Expertin für zeitgenössische Kunst, als Chefkuratorin Gedanken über das Motto dieser dislozierten Mega-Ausstellung gemacht, in welcher 25 Kuratierende insgesamt 95 Kunstpositionen in 23 Wiener Galerien gebracht haben. Dabei hinterfragten die Künstlerinnen und Künstler in welchem Verhältnis Leben und Arbeit stehen und welchen Anteil die Kunst daran hat.


Dass dabei sowohl die Regulierung als auch die Optimierung von Lebensbedingungen zur Sprache oder besser gesagt zur Schau kommt, scheint beinahe selbstverständlich. Neben ganz individuellen Positionen stehen aber auch solche, welche soziale oder politische Einflüsse auf die Gesellschaft im Allgemeinen behandeln. Räumliche Grenzziehungen gibt es dabei keine. Die Teilnehmenden kommen aus Europa, Asien sowie Nord- und Südamerika.

Gefordert ist das Publikum immer dann, wenn die Wahl der Kuratierenden auf mehrere Kunstschaffende fiel – denn nur wenige Galerien haben tatsächlich die räumliche Kapazität, dass mehrere künstlerische Positionen konfliktfrei nebeneinander positioniert werden können. Georg Kargl Fine Arts gehört dazu. Die von Thomas Locher – Kurator und Künstler in einer Person – gestaltete Schau „On signs and bodies“ vereinigt Arbeiten von gleich 12 Künstlerinnen und Künstlern zu einer Präsentation, die in sich schlüssig wirkt. Dabei wird der Generalbass zu seiner grundsätzlichen Betrachtung der Darstellbarkeit von Machtausübung auf die Gesellschaft und die Frage der Darstellbarkeit von gesellschaftlich Normativem, das jedoch ins Individuum wirkt und von diesem verstanden werden soll, gleich von mehreren Generationen getragen. Mit dem 1924 geborenen Gianfranco Baruchello von dem eine dreidimensional aufgebaute Collage aus dem Jahr 2009 (sic!) gezeigt wird bis hin zur 1970 geborenen Yael Bartana, die mit einer Videoarbeit vertreten ist, in der Otto Dix mit einem Kriegsversehrten fröhliche Urstände feiern darf, reicht der zeitliche Bogen der Teilnehmenden. Ästhetisch herausragend dabei sind die Piktogramm-Tafeln von Andreas Siekmann, die eine zeitintensive Betrachtung förmlich herausfordern, um ihren Sinn zu erfassen. Dass diese Schau trotz ihrer Fülle noch konsumierbar bleibt, ist wohl der klugen Werkauswahl zuzuschreiben, die mit einigen sehr reduzierten konkreten Arbeiten zwar dichte Informationen, aber zugleich auch eine optische Beruhigung anbieten. Hier lohnt es sich, einen längeren Besuch einzuplanen.

Ganz konträr dazu – aber nicht minder interessant – präsentiert sich die Ausstellung in der Galerie Christine König. Kurator Marius Babias setzte den Deutschen Thomas Kilpper räumlich vor Jimmie Durham, der im hinteren Bereich mit neuen Zeitungscollagen vertreten ist. Die kleinteiligen Arbeiten, in welchen der 1940 in Washington, Arkansas geborene Künstler, Schriftsteller und Aktivist sowie Mitglied des American Indian Movement private mit politischer Geschichte verbindet, wirken, obwohl erst jüngst entstanden, eigentümlich antiquiert. Sie geben so Zeugnis, dass unser Leben nicht nur von unserer eigenen Biografie gestaltet wird, sondern dass politische Entscheidungen, oft nur als mediale Schlagzeilen wahrgenommen, einen ebensolchen Einfluss darauf ausüben. Aus dieser Gleichung kann die sehr subtile Ableitung gezogen werden, sich selbst beiden Erfahrungspolen zu stellen und sie zu bedienen, möchte man nicht ein Spielball jener Mächte werden, die abseits unserer Privatsphäre bestimmend wirken. Thomas Kilpper bedient sich hingegen einer Methode, die sich ganz perfide sozusagen von hinten herum in die Köpfe der Kunsthistorikerinnen und -historiker schleicht. Er arbeitet nicht von Ungefähr mit dem uralten Medium des Holzschnittes, agiert bei der Fertigung desselben jedoch im XXX-L-Format. 1956 geboren, zeigt er in diesen Blättern Portraits, aber auch Momente, die zu visuellen Ikonen des politischen Widerstandes aber auch Terrors in Deutschland wurden. So finden sich beinahe einträchtig nebeneinander das Portrait von Rosa Luxemburg aber auch Holzschnitte nach Fotos, die vom Attentat auf Siegfried Buback im Jahr 1977 von Kilpper angefertigt wurden. Ungeachtet der grandiosen Idee, diese Schnitte in den Boden des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR einzuschneiden und dort im übertragenen Sinne Wunden zu hinterlassen, verweist diese Projektarbeit auch auf die Rolle der Medien – genauer gesagt der Printmedien – als deren Urväter jene Künstler gelten müssen, die Bilder aber vor allem auch Texte in Holz schnitten, um diese nach dem Abzug auf Papier unter möglichst viele Menschen zu bringen. Die Tatsache, dass Kilpper – einst schärfster Gegner des politischen Establishments in Deutschland – ausgerechnet durch seine Kunstproduktion und dessen Aufnahme im Kunstmarkt, wie hier bei Christine König wunderbar sichtbar, jetzt vom gesellschaftlichen Establishment absorbiert wird, ist an Ironie fast nicht mehr zu überbieten. Die Revolution hat ihre Kinder nicht gefressen, sondern weist sie heute als gesellschaftsfähig aus. Kilppers Kunstproduktion und ihre Vermarktung stehen exemplarisch dafür, dass es dem kapitalistisch ausgerichteten westlichen Gesellschaftssystem scheinbar ohne große Mühe in den letzten Jahrzehnten möglich war, revolutionäre Ideen einfach zu schlucken, zu verdauen und als kapitalismustaugliche Produkte wieder auszuspeien. Ein faszinierender Mechanismus, der sich in dieser Arbeit von Thomas Kilpper, systemkritisch betrachtet, im übertragenen Sinne zu einem bedrohlichen schwarzen gesellschaftlichen Loch verdichtet. Christine Königs Rolle in diesem Spiel ist mehr als zu bewundern, ja verlangt direkt nach erweiterter Betrachtung.

Während sich in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg gesellschaftliche Gegenbewegungen zu bereits etablierten Staats- und Lebensentwürfen formierten – bis hin zu terroristischen – zogen sich die Menschen im ehemaligen Ostblock weitestgehend ins Private zurück, so sie nicht aktive und bekennende Parteigänger waren. In der Galerie Krobath ist es dem Kurator Karel Císar gelungen, mit dem Werk von Dominik Lang (CZ) ein Zeitfenster zurück in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts aufzumachen. Damals waren es Künstler wie Jirí Lang – der Vater von Dominik – die ihre Kunstproduktion auf Themen ausrichteten, die sich als politisch völlig unverfänglich erwiesen. Nichts desto Trotz sind diese aus heutiger Sicht jedoch ein beredtes Beispiel des gesellschaftlichen Rückzugs in den privaten Raum, der auch vor den Kunstschaffenden nicht Halt machte und der zum großen Teil nicht freiwillig erfolgte. Die kleinen, aber umso beachtenswerteren Skulpturen von Jirí Lang (1927-1996) wurden von seinem Sohn unter dem Titel „The lovers“ gebündelt und auf eine eigens für den Raum Krobath ausgerichtete Ausstellungsarchitektur verbracht, die aus zwei sich gegenseitig tragenden, gebogenen Wänden besteht, was wiederum als schöne Metapher für die Arbeit der beiden Langs angesehen werden kann. Die des einen ist nicht denkbar ohne die des anderen. Dass sich hier aber auch urheberrechtliche Probleme ergeben, soll diese Symbolik nicht wirklich stören. Die zeitgeistige Präsentation ermöglicht eine völlige Neuinterpretation des Werkes, oder besser formuliert, einen unverkrampften Blick, der zwar einerseits die geschichtliche Dimension eines posthum gezeigten Werkes verdeutlicht, andererseits jedoch auch die kreative Leistung eben dieser neuen Präsentation von Dominik Lang deutlich macht. Kunst oder Leben – das übergeordnete Motto dieser Ausstellung bekommt hier aufgrund des historischen politischen Hintergrundes noch einmal eine ganz andere Dimension. Der Eingriff Langs in das Werk seines Vaters könnte aber genauso gut als Vatermord bezeichnet werden, vor allem dann, wenn man die Überlegung miteinbezieht, dass ein Kunstwerk ohne Zustimmung seiner Urheberin oder seines Urhebers nicht verändert werden darf. Von wem, so darf sich die Käuferschaft fragen, erwirbt sie denn hier eigentlich ein Werk und ist es möglich, Dominik konfliktfrei als evolutionäre nächsthöhere Stufe einer künstlerischen Entwicklung anzuerkennen? Eines künstlerischen Ausdrucks, der erst durch die Bearbeitung des Sohnes seine Vollendung findet? Was bewirkt die Präsentation und sind die gewählten Mittel der Präsentation tatsächlich adäquat? Nimmt das Publikum das Werk überhaupt erst wahr, wenn es nach gewissen ästhetischen Regeln angeordnet wird? Dominik Langs Werk „The lovers“ baut auf ästhetischen Momenten und deren Wirkung und strotzt dennoch vor Widersprüchen. Nicht nur das ästhetische Potential ist es aber, das diese Ausstellung so spannend macht, es sind auch die daran ankoppelnden Fragen, von denen es noch viel mehr als die angerissenen gibt. Getrost kann dieser Beitrag als einer der Höhepunkte der Ausstellungsserie gelten.
Felicitas Thun-Hohenstein setzte in der Galerie Charim Roberta Lima, gebürtig aus Brasilien, ins Rampenlicht. Die junge Architektin, die in Wien zusätzlich Kunst studierte, beeindruckt mit einer radikal feministischen Position, die auch vor dem schmerzhaften Einsatz ihres eigenen Körpers nicht Halt macht. Zusätzlich zu Videoarbeiten, die wie durch kleine Guckkästen bei der Betrachtung der Perfomances von Lima eine Art voyeuristischen Effekt hervorrufen, sind auch einige Skulpturen von ihr zu sehen. Dafür hat sie Kleidungsstücke, die für sie oder ihr nahestehenden Personen einen bestimmten emotionalen Wert besitzen, um lange Stangen gewickelt und anschließend mit Paraffin verschlossen. Diese könnten jederzeit – ohne die Kleidungsstücke darunter zu zerstören – wieder geöffnet werden, aufgeschnitten werden, um somit den Akt der Befreiung aus diesem Korsett wieder sichtbar zu machen. Sie stellt es den Menschen, die diese Skulpturen besitzen, frei, diese Aktionen durchzuführen und legt damit ein klares Bekenntnis ihres originären Kunstverständnisses ab. Die scheinbare Nähe zu den Wiener Aktionisten, auf die Lima schon bei der Aufnahmsprüfung an der Akademie hingewiesen wurde, ist nicht beabsichtigt. Es sind keine epigonenhafte Zitate, die in ihrer Arbeit Verwendung finden. „In meinem Land fühlte ich mich immer als freak“ erzählte die Künstlerin bei einem Interview mit Thun-Hohenstein auf der Vienna-art-fair. Erst als ich in Österreich war habe ich erkannt, dass ich kein freak bin, sondern Feministin. Und als man mich nach den Wiener Aktionisten fragte musste ich gestehen, dass ich keine Ahnung hatte wer das war und was sie gemacht hatten.“ Die Zusammenarbeit der Kuratorin mit der Künstlerin, die schon über eine längere Zeit verfolgt wird, hat nicht nur die öffentliche Vermittlung der Künstlerin zum Ziel. Bei dem bereits zitierten Gespräch wurde deutlich, dass sich der rege Gedankenaustausch der beiden Frauen auch unweigerlich im Werk Limas niederschlagen muss. Eine Entwicklung in der Kunst, die längst nicht nur in diesem Fall ihre Früchte trägt.

Eine zusätzliche, eigenständige, kreative Position verfolgt der Kurator Adam Carr in der Galerie Andreas Huber. 9 unterschiedliche künstlerische Positionen – teilweise beinahe schon unter der Wahrnehmungsschwelle – ließ er von einem pensionierten Wiener Kriminalisten untersuchen. Dabei notierte dieser, welche Ereignisse den Kunstwerken wohl zugrunde lagen und auch, wer ihre Urheber gewesen sein konnten. Hier drängt sich das Spiel mit der Kunst so in den Vordergrund, wird selbst zur Kunstaktion, dass die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler einen Schritt zurück machen, zumindest was die Einzelreflexion betrifft. Ein zu diskutierender Akt, der Kunst als Ausgangsmaterial zu einer eigenen Arbeit „degradiert“ – oder ist es vielmehr so, dass die Betrachtenden dabei erst recht tief in die Entstehungs- und Interpretationsgeschichte der Werke eintauchen können? Heiter und spannend allemal – wie wohl auch nicht ohne Reibungsverluste.

Fortsetzung folgt

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