Paintball und Shakespeare

Paintball und Shakespeare

„Liebe und Krieg“ ist eine von drei Shakespeare – Adaptionen der Konservatorium Wien Privatuniversität im Dschungel Wien.

Nebel kriecht über den Boden, Sirenen heulen, von hinten stürmt eine Mannschaft auf die Bühne, ihre Montur ist irgendwo zwischen Football, Paintball und Computerspiel angesiedelt. Mit hypermännlicher Gestik beginnen sie zu skandieren.

Diese betonte Männlichkeit zieht sich durch das gesamte Stück, vom Kostüm (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin) über die zur Schau gestellte Körperlichkeit bis zur Besetzung. Neben Katharina Farnleitner als Cressida gibt es noch Katharina Stadtmann als deren Onkel Pandarus – mit Schnauzbart. Die anderen Rollen sind aufgeteilt auf die drei Schauspieler Valentin Postlmayr, Deniz Baser und Noah Saavedra. „Liebe und Krieg“ (Autor: Dietrich Trapp) ist eine Adaption von Shakespeares „Troilus und Cressida“ für ein Publikum ab 12 Jahren.
Durch die Liebesgeschichte von Troilus und Cressida, die durch den Trojanischen Krieg getrennt werden, soll „dem Krieg ein Gesicht gegeben werden“, wie es in der Programmankündigung heißt. Cressida, eine Trojanerin, wird im Zuge eines Gefangenenaustauschs an Griechenland ausgeliefert. Dort steht sie vor der Frage: Treu bleiben, koste es, was es wolle? Oder sich anpassen? Sie entscheidet sich für letzteres. Der Rest ist vorhersehbar. Das ganze Stück über ist keine der Figuren je anders, als man es von ihr erwartet.
Die Inszenierung schafft es nicht wirklich, ihre moralisierende Komponente abzustreifen. Sie bietet allerdings durch ihre hohe Geschwindigkeit, einen gut dosierten Witz und einen Beatbox–Battle, den das Publikum mit Szenenapplaus belohnt, gute Unterhaltung. Ein Stück, das man sich gerne ansieht, das einen aber wahrscheinlich nicht nächtelang verfolgen wird.

Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln

Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln

„War Game“ – ein „Spiel“ rund um den Krieg und seine medialen Mechanismen im Dschungel Wien.

„War Game“ ist eine von drei Shakespeare–Adaptionen für Kinder und Jugendliche die Ende März im Dschungel Wien uraufgeführt wurden. In dieser Produktion haben Studierende des Tanzpädagogikzweigs (Dorothea Altenburger, Monika Demmer, Clarissa Friedrichkeit, Lena Pirklhuber, Martin Wax) der Konservatorium Wien Privatuniversität unter der Leitung von Nikolaus Selimov gemeinsam die Choreografie erarbeitet.  „Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln.“ – dieses Zitat aus „Julius Cäsar“ schlägt gemeinsam mit anderen Zitaten von William Shakespeare eine Brücke zu Konflikten in der Vergangenheit.

Mit Computer-Spielen hat „War Game“ allerdings wenig zu tun. Vielmehr wird man wird mit Bildern geflutet. Die Konflikte, die die Medien bestimmen, werden auf eine Wand projiziert. Gemeinsam mit akustischen Einspielungen vermischt sich dabei alles zu einem überschwappenden Medienbrei.

Tische stellen eine undurchdringbare Festung dar. Dann wieder werden sie zu einer wackeligen Bühne, die immer kleiner und unsicherer wird. Eine Handkamera wird auf das Bühnengeschehen gerichtet, Naheinstellungen zeigen Gewaltszenen. Aus Bewegungen, die wirken, als wären die Tänzerinnen und der Tänzer selbst getroffen worden, entwickeln sich kurze Momente der Suche nach Nähe – in einer Welt, die unter Beschuss steht.

Als Publikum wird man allerdings nur selten gezwungen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Nur manchmal nähert sich das Bühnengeschehen physisch und emotional. Dann, wenn die Tänzerinnen fallen, und noch am Boden weiter salutieren. Wenn sie, einen Marschrhythmus stampfend, auf das Publikum zukommen. Oder wenn der Arm des Verwundeten in den Medienberichten zum Arm einer Tänzerin wird. Insgesamt, obwohl das Potential vorhanden wäre, bleibt das Geschehen jedoch seltsam ungefährlich. Auch die Faszination, die Krieg und besonders Kriegsspiele auslösen können, bleibt auf der Strecke.

Dabei macht die Inszenierung einen weiten Zusammenhang der medialen Inszenierung von Krieg auf und reflektiert die Produktion von Grauens- oder Heldenbildern. Zugleich wird darauf angespielt, dass wir es in unserem Land so friedlich haben, dass wir Krieg virtuell simulieren müssen. Eingespielt werden auch Zitate von Schülerinnen, die im selben Alter wie das Zielpublikum sind. Aus ihnen lässt sich die große Entfernung, die wir zwischen uns und dem Kriegsgeschehen wahrnehmen, ablesen. Diese Entfernung bleibt unangetastet. Hängen bleibt die Quintessenz: „Ich will nicht, dass es anderen Menschen schlecht geht“. Ob das reicht?

Krieg für Kinder

Krieg für Kinder

„Heinrich V“ eine kindergerechte Inszenierung im Dschungel mit viel Augenfutter

Eine Leiter verwandelt sich in ein englisches Schiff, eine Schauspielerin mithilfe eines blauen Tuchs in den Ärmelkanal und Luftballons in sterbende Soldaten. Einen Krieg für Kinder erzählen. Kann man denn…? Und: Darf man denn…?
Der 2. Jahrgang des Studiengangs Schauspiel der Konservatorium Wien Privatuniversität spielt Shakespeares „Heinrich V“ für Kinder ab sechs Jahren (Schauspiel: Florian Appelius, Anatol Käbisch, Naemi Latzer, Maresi Riegner, Anna Woll). Die Textadaption von Ignace Cornelissen bricht die Geschichte auf einen nachvollziehbaren roten Faden herunter. In der Inszenierung unter der Regie von Frank Panhans wird deshalb auf Komplexität nicht verzichtet.

Krieg wird als ein sinnloser Streit zwischen Kindern erzählt, von dem am Ende niemand mehr weiß, wer angefangen hat, wer schuld ist und worum es ging. Trotzdem ist dieses Stück alles andere als harmlos. Gerade sprachlich wird den Kindern viel zugemutet. Die Brutalität, die ein Krieg mit sich bringt, der Tod werden nicht ausgespart.

Eine zentrale Figur ist dabei Catherine, Prinzessin von Frankreich. Sie beginnt, sich von der Geschichte, die über sie erzählt wird, zu emanzipieren. Als bloße Figur in der Erzählung ist es leicht, Verantwortung abzugeben und sich seinem Schicksal zu fügen. Dem widersetzt sie sich, fällt aus ihrer Rolle aus, erfindet eine Fledermaus hinzu und gibt sich nicht so leicht geschlagen. Damit ist sie, obwohl Spielball von Interessen, eine starke Frauenfigur. Sie gibt dadurch auch dem Publikum die Möglichkeit, die Geschichte neu und anders zu denken und vielleicht den Luftballon-Soldaten den Tod zu ersparen.

Visuell besticht die Inszenierung besonders durch den schlüssigen Einsatz der reduzierten Requisiten (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin). Das Bühnenbild ist eine Abenteuerlandschaft aus beweglichen Bühnenteilen, die fantasievoll bespielt werden.
„Heinrich der Fünfte“ ist eine von insgesamt drei Shakespeare – Adaptionen am Dschungel Wien. Das Stück ist für Publikum ab sechs Jahren konzipiert. Schauspielerisch bewegt sie sich auf hohem Niveau. Spielerisch werden die Rollen getauscht. Beliebigkeit entsteht dennoch nicht. Heinrich ist naiv und bleibt liebenswert, ohne dass man seine Grausamkeit einfach hinnimmt. Auch der französische König ist Figur und nicht nur Gegenspieler. Regiert wird die Inszenierung jedoch von den drei Frauen, die sich die Rollen von Prinzessin Catherine und den Erzählerinnen teilen.

Die Vergangenheit ist kein treuer Begleiter

Die Vergangenheit ist kein treuer Begleiter

Die Compagnie 3637 aus Belgien beeindruckte mit einem französischsprachigen Stück beim Szene Bunte Wähne Tanzfestival im Dschungel Wien

Mit einem Knall geht das Licht aus. Die Bühne ist dunkel bis auf den Lichtkegel einer Taschenlampe, die über die Bühne getragen wird.

Zu Beginn von Cortex, einem Stück der belgischen Compagnie 3637, das im Rahmen des Szene Bunte Wähne – Festivals im Dschungel Wien aufgeführt wird, befindet man sich in einem Keller, den man aber durch die Musik von Damien Zuidhoek schnell verlässt. Der Einsatz akustischer Räume ist über das gesamte Stück ebenso unaufgeregt wie spannend. Man folgt den beiden Tänzerinnen in ihr Inneres, ihre Erinnerung. Über Sinneseindrücke wie das Kosten von Marmelade, das Riechen an einem alten Schal oder das Durchwühlen einer Kiste alter Fotos kommen Bilder hervor, die deutlich und doch alles andere als klar sind.

Erst scheint die Orientierung für das Publikum einfach. Eine Tänzerin trägt Trenchcoat und Stöckelschuhe und repräsentiert eine Erwachsene (Bénédicte Mottart), die andere, in kurzen Hosen und mädchenhafter Bluse, ist ihr jüngeres Ich (Coralie Vanderlinden). Schnell fächert sich das Stück jedoch sehr viel komplexer auf. Erinnerungen trügen, werden absichtlich und unabsichtlich verfälscht, sind an der einen Stelle ungenau und an anderen detailreich, so dass vielleicht niemand recht hat in der Frage, ob der Vater immer oder nie unpünktlich, immer oder nie da war und ob die immer gleiche Geschichte, die er erzählt hat, die Lieblingsgeschichte oder langweilig war.

Eigentlich für ein französischsprachiges Publikum konzipiert, wird Cortex in Wien mit akustischen „Untertiteln“ in deutscher Sprache aufgeführt. Was für ein so vieldeutiges Stück eine Chance sein könnte, den Fokus verstärkt auf den tänzerisch-performativen Aspekt und die Freiheit in der Interpretation zu legen, wird durch ein schlecht funktionierendes Mikrofon leider erheblich erschwert. Die Entscheidung, manches unübersetzt zu lassen und somit die Aufmerksamkeit nicht weg von der akustischen Qualität, sondern hin zur Verarbeitung von Information zu lenken, gibt der Aufführung in französischer Sprache jedoch einen eigenen Charme.

Mit zu den spannendsten Momenten zählen jene der Kommunikation zwischen den auf der Bühne Agierenden. Für das Publikum entsteht dadurch eine ernsthafte, wertschätzende Atmosphäre: Hier und jetzt, auf dieser Bühne, wird etwas verhandelt, zwischen der Hauptfigur „Ella“ und ihren Erinnerungen, aber auch zwischen den Tänzerinnen, der Musik und dem Publikum.

So ist am Ende nicht eindeutig, wer wem eine Geschichte erzählt, ob das Kind aus den Erinnerungen die Erwachsene braucht oder umgekehrt und wer sich mit wem am Ende ausgesöhnt hat. Möglich ist auch, dass es sich bei den beiden Figuren um Schwestern oder beste Freundinnen handelt, wie im anschließenden Publikumsgespräch Kinder vorschlagen. „Das ist eine der großen Fragen, die wir nie beantworten.“, sagt Bénédicte Mottart. „Es verändert nicht, was du gesehen und gefühlt hast.“

Es bleibt anzumerken, dass dieses Stück nicht zuletzt durch tänzerisches Können und durchdachte Choreografie überzeugt. Bei aller Genauigkeit in der Inszenierung lässt es Raum, den man als Zuseher oder Zuseherin füllen kann. Der Titel „Cortex“ ist ein Wortspiel aus dem fanzösischen cœur, Herz, und Text. Man kommt mit seinem eigenen „Herztext“ in die Vorstellung und überschreibt, was man sieht, mit der eigenen Erinnerung. Das Spiel damit ist in Cortex gelungen.

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