Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Die Revolution fraß ihre Kinder

Elisabeth Ritonja

Dantons-Tod (Foto: Andrea Klem)
„Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel“ – hatte in den Kasematten in Wiener Neustadt Premiere. Die „wortwiege“ bespielt den revitalisierten Renaissance-Bau bereits zum zweiten Mal mit ihrem Festival „Bloody Crown“.
Das Festivalmotto ist Programm, sucht doch die künstlerische Leiterin, Anna Maria Krassnigg, die Stücke passgenau für die Orte aus, an denen sie aufgeführt werden. Der Verteidigungsbau unweit des Bahnhofes trägt den Flair von „the rise and fall of power“ in sich und ist bestens geeignet, mit Themen bespielt zu werden, die sich mit Macht beschäftigen.

Georg Büchners Revolutionsdrama wird in einer Fassung der Theatermacherin gespielt, die gemeinsam mit Jérôme Junod auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Charakteristisch ist die radikale Reduzierung auf die wichtigsten Figuren: Danton, sein Gegenspieler Robespierre, dessen unbarmherziger Adjutant Saint-Juste sowie Camille Desmoulins – Dantons getreuer Freund.

Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)
Die ausschließlich weibliche Besetzung hat das Kunststück zu meistern, neben diesen Wahnsinns-Charakteren auch in Frauenrollen zu schlüpfen. Die Wandlung dazu geschieht meist nur innerhalb von wenigen Augenblicken.

Einzig Isabella Wolf bleibt ausschließlich in der Rolle des unnahbaren, behandschuhten Robespierre, der die Fäden in einem elitär anmutenden Club hinter seinen Turntables zieht. Unnahbar, emotionslos und unbestechlich wie er zu sein scheint, sind für ihn Menschen nur dann nicht der Guillotine zu übergeben, wenn sie nicht nur pro-republikanisch, sondern vor allem auch lasterlos sind. Mit einer kurzen verbalen Entgleisung seiner volltrunkenen Stimme beim Befehl, Danton aus dem Kerker zum Schafott zu bringen, entlarvt das Regieduo dieses Ideal als unhaltbar. Wolfs Robespierre wirkt mondän vergeistigt und weicht keinen Millimeter von seinem vermeintlich geraden Weg auf dem langen Catwalk durch die Röhre des Spielraumes ab. Nicht fassbar, beinahe geschlechtslos, aber von einer alles überragenden Gestalt (Schuhe und ein hoher Zylinder helfen dabei kräftig), gibt Wolf diesem Geschichtstitan eine erinnerungswürdige Erscheinung.

Durch die Rollenkonzentration wird in der Inszenierung tatsächlich verstärkt das Augenmerk auf jene Frauen gelenkt, welche die Revolutionsmänner begleiteten. Nina C. Gabriel verkörpert nicht nur einen desillusionierten Danton, der seine Männlichkeit auch im Bordell ausleben muss und dessen brillanter Geist und seine Gewissensbisse ihn am Ende seines Lebens gehörig zusetzen. Ihr häufiger Rollentausch zwischen seiner Frau Julie und Danton ist mehr als beeindruckend. Die Zartheit von Julie steht in grellem Kontrast zu ihrem Mann, der sich stimmgewaltig gegen seine Verurteilung vor dem Wohlfahrtsausschuss zur Wehr setzt. Ein Highlight in ihrer Performance ist auch jene Szene, in welcher Danton Robespierre philosophisch den Gottesbeweis zunichtemacht. Jeder Satz ein Treffer, der trotz höchster Komplexität das Publikum packt und mitreißt.

Petra Staduan steht in der Rolle des Camille Desmoulins an der Seite Dantons. Ein Freund und Mitstreiter, der in seinen letzten Nachtstunden im Kerker einen wilden Traum durchleben muss und damit genauso emotional wird wie dessen junge Frau Lucile. Die nächtliche Suche nach ihrem Mann, ihre geistige Umnachtung und ihr aberwitziger Entschluss, sich durch pro-Königs-Rufe ebenso auf die Guillotine zu bringen, gehören zu den eindrucksvollsten Momenten des Stückes.

Dantons Tod (Fotos: Ludwig Drahosch)
Dantons Tod – (Fotos: Andrea Klem)
Gänzlich konträr verhält sich Judith Richter, ausgestattet mit Frauenpower pur, die sie vor allem für die Darstellung der Hure auch braucht. Unabhängig und verletzlich zugleich, voller Ideale, dass die eigene Lebenslust nicht gegen die Natur stehen kann und ausgestattet mit einem philosophischen Monolog der Sonderklasse, indem sie das Lemmingtum der Masse gut beschreibt, wird klar, warum sie für Danton eine so große Anziehungskraft besaß. Starke Charaktere lieben ein ebensolches Gegenüber – in dieser Regie wird dies auch klar und deutlich erkennbar. Saint-Just, den Judith Richter ebenfalls spielt, versteckt seine Unbarmherzigkeit hinter einer verspiegelten Pilotenbrille und stellt mit seiner Kaltschnäuzigkeit den unbeugsamen Robespierre noch in den Schatten.

Ein Sounddesign, in dem unheilvolles, wenn doch entferntes Dröhnen genauso vorkommt, wie eine Abfolge romantischer Klavierakkorde, (Christian Mair), Kostüme, die in ihrem tiefen Schwarz einen scharfen Kontrast zum Bühnenraum bieten, der in Weiß getaucht wird (Bühne Andreas Lungenschmid, Licht Lukas Kaltenbäck und Kostüme Antoaneta Stereva) fügen sich zu einem ästhetischen, zeitgenössischen Ganzen und wirken dennoch zeitlos.

„Die Revolution frisst ihre Kinder“, sagt Danton an einer Stelle. Ja, sie fraß sie alle – auch Robespierre und Saint -Just, wenngleich Büchner dieses gerechtigkeitsausgleichende Ende nicht mehr thematisierte.

Dantons Tod – (Foto: Andrea Klem)

Dantons Tod. Narren, Schurken, Engel‘, dessen Pro- und Epilog im Himmel spielen, ist alles andere als ein alter Zopf. Es stellt die immer aktuellen Fragen nach Idealen, Menschlichkeit, nach Macht und Rivalität und ist dennoch imstande, starke Emotionen auszulösen. Ein ‚must-see‘ in den Kasematten in Wiener Neustadt.

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Drei für Eine

Drei für Eine

Drei für Eine

Drei für Eine

Elisabeth Ritonja

„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
N ach dem fulminanten Festivalstart „Bloody Crown“ mit „König Johann“ in den Kasematten in Wiener Neustadt, erlebte nun „Die Königin ist tot“ von Olga Flor ihre Uraufführung.
Wie war das noch mit den „drei Schicksalsschwestern“, kurz auch „Hexen“ genannt, in Shakespeares Macbeth? Jenen 3 Frauen, die ihm und seinem besten Freund Banquo, als die beiden Männer siegreich aus der Schlacht nach Hause kehren wollen, im nebelumwobenen Feld die Zukunft weissagen?

Man hat keine Zeit, sich mit dieser Frage näher auseinanderzusetzen, während schon der Monolog jener Frau beginnt, die in Olga Flors Roman „Die Königin ist tot“, die alleinige Hauptrolle spielt.

Dramatisiert ist der Roman nun in den Kasematten in Wiener Neustadt unter der Regie von Anna Maria Krassnigg zu sehen. Ihre drei „Langzeitgefährtinnen“, wie sie Isabella Wolf, Nina C. Gabriel und Petra Staduan nennt, schlüpfen dabei in die Rolle jener Frau, der es gelingt, durch ihre weiblichen Reize vom Liftgirl zur „Trophy Woman“ eines Medienmoguls in Chicago aufzusteigen. Unterstrichen wird deren körperbetonte Agitation durch petrolfärbige, figurbetonte Kleider (Kostüme Antoaneta Stereva) von zeitloser Eleganz.

Die Blaupause für den Plot lieferte William Shakespeares „Macbeth“, jenes Königsdrama, in welchem Lady Macbeth ihren Mann zum Mord am Herrscher Duncan überredet. „Mich hat immer interessiert, warum Lady Macbeth nach dem Mord von der Bildfläche des Geschehens verschwindet“, so Flor beim Einführungsgespräch im „Salon Royal“ mit Krassnigg. Das Einzige, was man von ihr im Verlauf der Geschichte nach der Ermordung von Duncan noch hört ist, dass sie sich geistig umnachtet in einen Burgfried zurückgezogen hat, sowie schließlich die Verkündung ihres Ablebens durch den Satz: „Die Königin ist tot, Herr“.

Geht es in Shakespeares Drama um Aufstieg und Fall eines Machtbesessenen, fokussiert Olga Flor das Geschehen auf ihre moderne „Lady Macbeth“. Auf jene Beweggründe, die dazu führen, dass sie ihren zweiten Mann, Alexander – in filmischen Einspielungen von Jens Ole Schmieder gespielt – zur Tötung des Medienmoguls Duncan überredet. Dieser hat sie genauso schnell in die High Society gehoben wie daraus zugunsten einer Jüngeren auch wieder entfernt. Ein fataler Fehler, wie sich im Lauf des Geschehens herausstellt. Seine Saturiertheit, Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit wird sprachlos durch Horst Schily in raffinierten Videoprojektionen deutlich. Auch Martin Schwanda als willfähriger Polizeichef und David Wurawa als Opfer, das unbedarft in eine Falle läuft, erweitern durch diesen Kunstgriff das Ensemble (Video Christian Mair).

„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)
Die Rolle auf drei Frauen aufzuteilen, macht nicht nur deshalb Sinn, weil der Text auf diese Weise um vieles anschaulicher wird, als dies der Fall wäre, wenn er als Monolog nur von einer Person vorgetragen würde. Es sind auch die unterschiedlichen, charakterlichen Facetten, die jeder Mensch hat, die dabei präzisiert werden. Da blitzt einmal eine Femme fatale auf, die Freude an härteren Sexualpraktiken hat, genauso wie eine verwundete, einsame Seele, die das Alleinsein nicht erträgt. Da schwankt diese namenlose Figur zwischen der anfänglichen Reichtumsverblendung bis hin zum absoluten Willen ihres Machterhaltes, ja dem Wunsch nach dessen Ausbau. Da verdichten sich ihre Ängste, vergewaltigt zu werden genauso, wie ihr späterer Wunsch nach Rache in einer Art und Weise, die nachvollziehbar ist. Gerade die Vielschichtigkeit von Flors „Königin“ macht den Reiz dieses Textes aus. Dies wird durch Krassniggs Regie unterstützt, in der kein Schritt, keine Geste und keine Artikulation dem Zufall überlassen wird. Als ob Flors Sätze eine musikalische Vorlage wären, befolgen die drei Schauspielerinnen eine Choreografie, in welcher sie häufig Körper an Körper eine Einheit bilden, sich dann aber wieder voneinander entfernen und als Einzelpersonen wahrgenommen werden können.
„Die Königin ist tot“ (Foto: Andrea Klem)
Außergewöhnlich und besonders hervorzuheben ist das Bühnenbild von Andreas Lungenschmid. Er baute in das mittelalterliche Tonnengewölbe eine „Stairway to heaven“ mit Ausblick auf Chicago. Efeuberankt und im Wasser stehend vermittelt es den Eindruck einer Ruine aus dem 20. Jahrhundert und nimmt damit zugleich den Untergang der Königin voraus, die sich letztlich von Verfolgungswahn und schlechtem Wissen geplagt, von ihrem „Turm“ stürzt. Christian Mair sorgt dieses Mal mit einer sehr subtilen Sounduntermalung für Gänsehautstimmung. Diese Klänge kennt man aus Fernsehkrimis, scharf und metallen das Geschehen unaufhörlich seinem blutigen Höhepunkt zutreibend.

Bestechend an der Produktion ist nicht nur die gelungene Bühnenfassung von Flors Roman, sondern auch die Tatsache, dass die historische Vorlage sich in unsere Zeit nahtlos einfügen lässt. Verblüffend auch die Tatsache, dass diese Frau so agiert, als ob die Emanzipation des 20. Jahrhunderts gar nicht stattgefunden hätte. Diese Königin ist nur in Zusammenhang mit der Macht ihrer Männer denkbar und somit zwar als Fädenzieherin des Grauens präsent, nicht aber durch ihre eigene, selbstbestimmte Lebensweise.  Aktuelle Parallelen gibt es leider genügend.

„Bloody Crown“, so der Titel des Festivals, in dem auch Shakespeares „König Johann“ in einer rasanten Fassung von Friedrich Dürrenmatt gespielt wird, erhält durch dieses Stück eine besondere Erweiterung. Die „Krone“ die sich zeitgeistige Mitmenschen heute auf den Kopf drücken – ist sie nicht durch das Ausmaß ihres Einflusses nicht noch viel blutiger geworden, als zu Shakespeares Zeiten? Und: Wie war das noch mit den drei Hexen?

Das Festival dauert noch bis 4. Oktober und wird durch eine Gesprächsreihe im „Salon Royal“ ergänzt.
Weitere Infos hier: https://www.wortwiege.at/

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„Wenn Sie sich dafür interessieren“

„Wenn Sie sich dafür interessieren“

"Heldenplatz" (Foto: Karelly Lamprecht)

Es gibt mindestens zwei Arten ein Drama zu inszenieren. Einmal, als versuche man in die Zeit einzutauchen, in der es geschrieben wurde, oder zum anderen so, als würde es gerade brandaktuell geschrieben worden sein. Franz-Xaver Mayr, Jungregisseur, aber bereits an Bühnen wie dem Burgtheater, dem Schauspielhaus Wien oder dem Theater Basel – um nur die größeren zu nennen – tätig, schafft beides zugleich. Seine Interpretation vom „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard am Schauspielhaus in Graz bleibt in der Zeit seiner Entstehung, den 80-er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, aber mit zwei Regie-Ideen holt er das Stück in unsere Gegenwart.

Die Geschichte um die jüdische Familie eines Mathematikprofessors, der sich wegen der politischen Zustände und dem wiederaufkeimenden Antisemitismus in Wien aus seiner Wohnung in den Tod stürzt, ist in vielen Aussagen aktueller als aktuell. Mayr hebt einige dieser Passagen mithilfe eines Biedermann- und Biederfrau-Chores hervor. Dabei erscheinen Bernhards Tiraden wie jene gegen die Politik, die Fehlbesetzungen an den Hochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg und gegen die österreichische Zeitungslandschaft, als hätte er sie für unsere Tage verfasst. Die Idee des Chores funktioniert vor allem deswegen so gut, weil die Hoffnungslosigkeit, die Bösartigkeit, die Beschimpfungen oder die Trostlosigkeit, die in den Texten transportiert werden, keiner einzelnen Person zugeschrieben werden, sondern weil man sie gut als „Stimme des Volkes“ interpretieren kann. Einem Volk, das schon zu Beginn aus einer Loge seinen Unmut über das Bernhard-Stück kundtut Einem Volk, das streckenweise zu stillen Beobachtern degradiert wird, letztlich aber eine tödliche Bedrohung darstellt.

Die zweite Idee, Bernhard aktuell zu inszenieren, geht mit dem mehrfach gestellten Angebot einher: „Wenn Sie sich dafür interessieren!“ Sarah Sophia Meyer macht dieses Angebot dem Publikum schon kurz nach Beginn, nachdem sie das Setting der Uraufführung an der Burg erklärte und den Sturm der Entrüstung, der schon im Vorfeld der Premiere ausgelöst wurde. Ganz einer allumfassenden, literarisch- und sozio-kulturellen Aufklärung verpflichtet, zitiert und verweist sie auf Sekundärliteratur, die das Werk von Bernhard von vielen unterschiedlichen Seiten her beleuchtet. Mit diesem Regieeinfall wird auch klar: Wir befinden uns hier in der post-Bernhard-Ära, in der es nicht mehr nur reicht, seine Stücke nachzuspielen. Vielmehr ist in den Jahren seit der Uraufführung jede Menge an Erkenntnis hinzugewonnen worden, hat sich die politische Landschaft in Österreich verändert und können einige seiner Aussage ohne weiterführende Untersuchungen fehlinterpretiert werden. Fein wäre es gewesen, würden diese Literaturzitate auch im Programmheft auftauchen. Das hätte nicht nur eine schöne Verschränkung ergeben, sondern hätte einen zusätzlichen Mehrwert geboten.

Als dritte, zentrale Komponente, um die sich alles rankt, bleibt das Bernhard-Stück erhalten. Herausragend wird Frau Zittel, Haushälterin und Vertraute von Professor Schuster, von Florian Köhler dargestellt. In hellblauem, knielangem Kleid mit großer, weißer Plastikmasche und Perlenkette versehen, mach diese Besetzung vor allem deswegen Sinn, weil es Köhler mit Leichtigkeit gelingt, von einer Sekunde in die andere in die Rolle des verstorbenen Hausherrn zu schlüpfen, der zu Lebzeiten ein Familientyrann war. Selbstredend, dass die Rückverwandlung in Frau Zittel genauso bravourös von einer Sekunde auf die andere gelingt. Mit der Barcarole (Liebesnacht-Duett) aus der Oper Hoffmanns Erzählungen verweist der Regisseur auch auf eine Liebesbeziehung zwischen Zittl und Professor Schuster und erklärt damit viele ihrer ambivalenten Aussagen über ihren ehemaligen Chef. Raphael Muff spielt das schüchterne Hausmädchen Herta, das sich nicht genug über die Lügen zu ihrer Abstammung wundern kann, die Zittl dem Professor aufgetischt hatte. Antizipierend, ganz auf die Wünsche von ihm zugeschnitten, hatte die Haushälterin die Biografie von Herta zurechtgebogen  – sozial so unterschichtig, dass einem der Atem dabei stockt.

Auch der Bruder des Professors, sowie eine seine Töchter besetzt Mayr mit dem jeweils anderen Geschlecht. Julia Franz Richter verkörpert  Prof. Robert Schuster. Sie gibt einen zarten, alten Mann, der sich aus dem Tagesgeschehen schon lange zurückgenommen hat, sich mit seiner Passivität jedoch nicht von der Anklage des Mitläufertums freisprechen lassen kann. Oliver Chomik schlüpft in die Rolle der wortkargen Tochter Olga, die den Redefluss ihrer Schwester Anna ( Evamaria Salcher) stoisch über sich ergehen lässt. Der Auftritt der Witwe in der letzten Szene wird pompös in Szene gesetzt und evoziert unweigerlich Lacher. Julia Gräfner erscheint in einem schwarzen Kostüm, mit einem Baldachin über ihrem Kopf, den sie selbst, an einer hohen Stange befestigt, über sich trägt. Herrlich, wie schlagartig dieses Kostüm von Michaela Flück all das transportiert, womit dieser Charakter von Bernhard ausgestattet wurde. Ihre Theatralik, welche von der Familie schwer auszuhalten ist, vermischt sich mit einer Trauer, die mehr aus Schein denn als Sein besteht. Die Wahnvorstellungen, unter welchen sie leidet, werden gekonnt visualisiert. Zu Beginn noch subtil –  nehmen die abstrakten Wandprojektionen gegen Ende hinzu an Intensität jedoch zu.

In einem gesonderten Einschub des Chores ist auf einem Transparent eine höchst satirisch-lyrische Zustandsbeschreibung der politischen 80-er-Jahre zu lesen: „In den Waldheimen und Haidern“ prangt aus der Menschengruppe hervor, die kleine, beleuchtet Modelle von Kirchen und alpenländischen Häusern in Händen hält. Aber auch ein Wimpel von Casino-Austria ist gut zu erkennen. Unschwer zu erraten, warum.

Der „Heldenplatz“ in Graz kommt, über 30 Jahre nach seiner Uraufführung, ganz ohne öffentliche Aufregung aus. Aber er zeigt drastisch auf, dass Thomas Bernhards Text nichts an Aktualität verloren hat, sondern geradezu prophetisch angelegt war.

Weitere Termine auf der Homepage des Schausielhaus Graz. https://www.schauspielhaus-graz.com/

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Africa meets Rock and Pop

Elisabeth Ritonja

„Fatoumata Diawara“
Im Festspielhaus in St. Pölten brodelte es gewaltig. Fatoumata Diawara – preisgekrönte Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin, geboren in Mali und seit vielen Jahren in Paris zuhause – rockte das Publikum im Saal und holte es im wahrsten Sinne des Wortes von seinen Sesseln aufs Parkett.
„Do you wanna dance?“ – Diesem Aufruf folgten knapp 1000 begeisterte Zuseherinnen und Zuseher nach über einer Stunde Konzert mit Stillsitzen. „Do not think so much, just hear to your heart“, rief sie mehrfach in den Saal und schon verwandelte sich der Zuschauerraum in einen dancefloor.
Wenige Tage zuvor war Diawara bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles aufgetreten. Zwar verfehlte die nominierte Sängerin einen Preis, schrieb aber in ihrem Facebook-Post, dass es zwar dieses Mal nicht geklappt hätte, dass sie sich aber – inshalhah – nächstes Mal einen Grammy abholen würde.

An Selbstbewusstsein mangelt es der 37-jährigen, afrikanischen Musikikone nicht. Und davon braucht sie auch mehr als genug in ihrem Business. Ausgestattet mit einer Stimme, die vom rauchigen Alt bis zu einem hellen, klaren Sopran alles bereithält, begleitet sie sich bei ihren Auftritten selbst auf der E-Gitarre. Einem Instrument, das nach wie vor auf den Bühnen der Welt hauptsächlich von Männern gespielt wird.

Mit ihren vier Musikern, Yacouba Kone an der Gitarre, Sekou Bah am Bass, Jean Baptiste Gbadoe an den drums und Arecio Smith am Keyboard lieferte sie eine Bühnenshow, in der sich musikalisch ihre afrikanischen Wurzeln mit westlicher Rock-, Pop- und Folktradition vermischen. Einige Texterklärungen, die Fatou – wie sie ihre Freunde nennen –  dem Publikum auf Englisch anbot, wurden dankbar aufgenommen, verwendet die Sängerin in ihren Liedern doch ihre Muttersprache Bambara. Das Recht auf Bildung, zur Schule zu gehen, das Recht auf ein glückliches Leben werden darin genauso angesprochen wie kulturelle, afrikanische Traditionen. „Essen, Musik, Feste feiern gehören dazu. Musikinstrumente, die viele Jahrhunderte alt sind auch. Darauf können wir stolz sein!“, stärkt Diawara auch das Selbstbewusstsein ihrer eigenen Landsleute und versucht gleichzeitig, Afrika bei ihren Konzertauftritten in einem anderen Licht zu präsentieren als nur in jenem von Horror-Schlagzeilen.
„Fatoumata Diawara“ bei ihrem Auftritt im Festspielhaus St. Pölten (Fotos: ECN)
Neben rhythmisch mitreißenden Rockballaden waren es vor allem ihre Solo-Auftritte, in welchen sie mit ihrer Stimme und eigener Gitarren-Begleitung das Publikum verzauberte. Dabei gelang ihr die Mischung zwischen traditionellen, afrikanischen, musikalischen Formvorgaben und einer eigenen, lyrisch-rockigen Interpretation besonders gut. Zu sehen, wie sehr sie dabei in ihren Gitarrensoli versinkt und sich Zufriedenheit und tief empfundene Freude in ihrem Gesicht widerspiegelt, war einfach zauberhaft.

Ihr Bühnenoutfit – eine modern gestylte Variante traditioneller, afrikanischer Roben – gehört ebenso zu ihrem Markenzeichen wie ihre muschelverzierten Dreadlocks. Auch darin äußert sich die Grenzüberschreitung dieser Künstlerin, die mit ihrem neuen Album „Fenfo“, aus dem Tacks zu hören waren, weltweit ihr Publikum begeistert.

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Leider nicht nur ewig Gestriges

Leider nicht nur ewig Gestriges

Leider nicht nur ewig Gestriges

Elisabeth Ritonja

 

„Chikago“ wortwiege wien (Foto: Christian Mair)

29.

Oktober 2018

EEs ist eine kunstvolle Geschichte, die Theodora Bauer da geschrieben hat. So kunstvoll, dass einem das Kunstvolle daran auf den ersten Blick gar nicht auffällt. „Schuld“ daran ist vor allem auch die Sprache, die ganz wider Erwarten Vergangenes, wie in der Hochliteratur üblich, nicht im Praeterium, sondern im Perfekt wiedergibt. Jener Zeitform also, die in Österreich im täglichen Sprachgebrauch verwendet wird, wenn von Zurückliegendem gesprochen wird.

Mit „Chikago“ – wohl gemerkt mit „k“ – einer Familiengeschichte, die im Burgenland beginnt, dann nach Amerika wechselt, um schließlich wieder im burgenländischen Ausgangsort zu enden, ist ihr dieses Kunststück gelungen. Mittlerweile wurde der Roman auch für zwei Preise nominiert. (Literaturpreis Alpha, Burgenland Buchpreis)

Die Wortwiege wien unter der Leitung von Anna Maria Krassnigg, die schon Bauers „Am Vorabend“ in diesem Sommer in der Thalhof wortwiege inszenierte, nahm sich des Romans an und präsentierte ihn nun in einem äußerst stimmigen Ambiente – der „Alten Bibliothek“ in der Grünangergasse 4, dem Sitz des Verbandes des Österreichischen Buchhandels. Die Premiere wurde am 26. Oktober – dem Österreichischen Nationalfeiertag – gespielt.

Als „szenische Lesung“ wird dieser Abend tituliert. Es ist eine eher trockene Bezeichnung, die nicht im Geringsten wiedergibt, was man dabei erlebt. Am ehesten könnte man diese spezielle theatrale Form als Zwitterwesen zwischen einer Theateraufführung und einer inszenierten Buchvorstellung beschreiben. Eine Buchvorstellung jedoch, in der nicht nur angeteasert, sondern der Plot bis zum Ende erzählt wird.

Anna Maria Krassnigg hat schon mehrfach dieses subtile Format mit Suchtfaktor gezeigt, das Theaterfreaks genauso begeistert wie Leserinnen und Leser mit geringerem Theaterbesuchswillen. Krassniggs Spezialität sind Abende in nicht-theatralen Räumen. Es sind gerade diese oftmals selten, oder bislang nicht bespielten Locations, die diesen Vorführungen ihren Reiz verleihen. Dabei sitzt das Publikum sehr nahe am Geschehen, manches Mal sogar mittendrin.

Krassnigg und Luka Vlatkovic schlüpfen in unterschiedliche Rollen und begleiten Nina C. Gabriel als „Anica“ durch ihre dramatische Familiengeschichte. Auf dem Holztisch, der die Bibliothek der Länge nach beinahe zur Gänze ausfüllt, sind alte Fotoalben ausgebreitet. Schnaps, Schwarzbrot, Äpfel und Kletzen (getrocknete Birnen) laden zu einem gemütlichen, familiären Beisammensein ein.

„Chikago“ Luka Vlatkovic (Foto: Christian Mair)

Theodora Baur (Foto: Paul Feuersänger)

Bauer erzählt, intelligent aufgebaut, von einer burgenländischen Familie mit zwei ungleichen Schwestern, von der eine bei der Geburt ihres Kindes stirbt. So, wie schon ihre Mutter zuvor an ihrer Geburt starb. Sie berichtet auch von einem zweiten Geschwisterpaar in Amerika, das – wie sich herausstellt – gar kein Geschwisterpaar ist und ebenso auf dramatische Weise getrennt wird. Und sie erzählt von einem jungen Mann, der mit seiner Tante von Amerika wieder ins Burgenland zurückkehrt und dort zu einem der ersten brutalen Nazis mutiert.

Dabei verwendet sie eine einfache Sprache mit starken Bildkomponenten, die einem das Gefühl vermitteln, bei allen Szenen unmittelbar dabei zu sein. Auf diese Weise wird man zu einer Art „erweiterter Familie“, die teilhaben darf an der Geschichte, die doch weit über eine simple Familienerzählung hinaus geht.

Wenn das Ensemble unprätentiös kleine, von innen beleuchtete Pumpkins auf den Tisch stellt und Vlatkovic auf dem Hackbrett „The Stars-Spangled Banner“ anspielt, weiß man, dass man die Überfahrt nach Amerika geschafft hat. Und als das Horst-Wessel-Lied erklingt, wenngleich auch nur zart auf den Hackbrettsaiten angetippt, wird klar, dass die Zeit des Nationalsozialismus im Burgenland angebrochen ist und großes Unheil über die Familie bringen wird.

Neben den familiären Verstrickungen, in denen sich zeigt, wie sehr sich die Geschichte von Blutsverwandten in den nachfolgenden Generationen wiederholen kann, erklärt sie am Beispiel des jungen Jo – Josip oder Josef – wie es skrupellosen Regieschergen gelingt, junge Männer zu rekrutieren und sie zur Unmenschlichkeit umzupolen.

Von ersten, unbeholfenen Liebesanbahnungen bis hin zu hoch emotionalen Ausbrüchen darf Vlatkovic die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen darstellen und dabei seine große Klasse zeigen. Gabriel agiert als Bindeglied zwischen den Generationen.

Dabei reicht ihre unglaublich beredte Mimik völlig aus, den Charakter der Anica in allen Höhen und Tiefen plausibel zu verkörpern. Dass die Regisseurin und Theatermacherin Anna Maria Krassnigg selbst als Schauspielerin in drei unterschiedlichen Rollen agiert, ist nicht ganz ein Novum. Nur wenige dürften wissen, dass sie vor ihrer Ausbildung und Karriere als Regisseurin und Professorin am Max Reinhardt Seminar spielte.

„Chikago“ – Nina Gabriel, Anna Maria Krassnigg, Luka Vlatkovic (Fotos: Christian Mair)

Dass der Abend dem Publikum extrem unter die Haut geht mag wohl auch damit zusammenhängen, dass er so viele Parallelen zur Gegenwart aufweist, dass einem dabei schwindelig werden könnte. Das Erkennen, dass Bauers Roman nicht nur von ewig Gestrigem berichtet, ist harter Tobak.

Mit der ersten Produktion der Reihe „Szene Österreich“, in der Krassnigg junge Autorinnen und Autoren präsentieren möchte, hat sie sich die Latte sehr hoch gelegt.

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