In Turbogeschwindigkeit vom Businesskostüm in den Schlabberlook

In Turbogeschwindigkeit vom Businesskostüm in den Schlabberlook

„Tür auf, Tür zu“, ein humorvoll-gesellschaftskritisches Stück der deutschen Autorin Ingrid Lausund, erzählt anhand der Geschichte einer Frau um die Fünfzig ein Schicksal nach, das wohl millionenfach vorkommt und dennoch von jeder einzelnen Person ganz individuell wahrgenommen wird. Im Theater Spielraum, bekannt für seine intelligente, stimmige und zeitgemäße Programmierung, hat Peter Pausz die Regie dafür übernommen und eine gekonnte Mischung zwischen starken Emotionen und hoch reflexiven Momenten erschaffen.

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Fotos: Barbara Pálffy


Lausund kickt in ihrem Stück ihre Hauptprotagonistin, Anneliz, ohne Vorwarnung aus dem Arbeitsprozess in die Erwerbslosigkeit. Nicole Metzger ist mit dieser Rolle typgerecht besetzt. In den ersten Szenen noch im Businesskostüm agierend, verwandelt sie sich im Lauf des Spiels letztlich in eine desillusionierte Arbeitslose, eingemummelt in Sternchenfleece, der ihr in ihrem Zuhause noch jene Restwärme vermittelt, die sie bei ihren Mitmenschen komplett vermissen muss. Der Text, der noch zwei weiteren Personen Raum gibt, dreht sich einzig um die Gefühlslage von Anneliz, welche sich im Laufe der Zeit umstandsbedingt verändert. Zu Beginn noch ungläubig, aufmüpfig und kämpferisch, tritt bald eine Panikreaktion ein, in der jedes zielgerichtete Denken unmöglich wird. Unterstützt wird sie kräftig von einem einstimmigen Chor – Johannes Sautner, sowie der „Türe“ – Christopher Korkisch. Letzterer erklärt unablässig, in welchem Zustand sich „die Türe“ gerade befindet: offen oder geschlossen.

Mit „Türe“ wird symbolhaft jener Zustand beschrieben, welcher den Eintritt und die Zugehörigkeit in die Gemeinschaft der Werktätigen ermöglicht oder auch verhindert. Lausunds Text, über viele Strecken im Telegrammstil gehalten, in welchem jene Menschen charakterisiert werden, die durch die Türe ein- und austreten, bietet Johannes Sautner viele Möglichkeiten, sein schauspielerisches Können zu demonstrieren. Innerhalb weniger Augenblicke schlüpft er in unterschiedlichste Rollen, als da exemplarisch wären ein Dr. Leutselig, ein Adi Adrenalin, eine Gerüchteliesl oder eine Frau Spinnefeind. Es macht unglaublich Spaß, ihm bei seinen verbalen Verwandlungskünsten zuzusehen, während Korkisch als Stichwortgeber fungiert und die überbordenden, humoristischen „Chor-Einlagen“ gekonnt kontrapunktisch in Zaum hält.

Herrlich auch jener Einschub, in welchem sich der Chor darüber beklagt, bei dieser Produktion ausgenutzt zu werden, müsse er doch wesentlich mehr Rollen und Agenden übernehmen, als ursprünglich vereinbart. Es sind Hinweise wie diese, welche das Gedankenpendel zwischen dem Theater und unserer alltäglichen Realität gekonnt hin und her schwingen lässt und klarmacht: Auch im künstlerischen Bereich feiert der Neoliberalismus mit seiner Selbstausbeutung nach wie vor fröhliche Urständ.


Nicole Metzger gelingt es scheinbar mühelos, das Publikum auf die Reise ihrer Gefühlsachterbahn mitzunehmen. Dabei kommen bei so mancher Hinterfragung, ob sie denn an ihrer Kündigung nicht selbst schuld sei oder so manchem unausweichlichen Wutausbruch eigene Emotionen und Erinnerungen hoch – ein Verdienst sowohl des Textes als auch dessen Interpretation. Anna Pollack schuf ein reduziertes Bühnenbild mit einem beweglichen Türrahmen und Kostümen, die sowohl die anfängliche Zugehörigkeit zu einer Firmengemeinschaft als auch den sozialen und finanziellen Abstieg im Zustand der Arbeitslosigkeit unaufdringlich dokumentieren. Dass der Glücksmoment eines neuen Jobs nicht ihr, sondern ihrem Freund zuteilwird und es tatsächlich nur Männer sind, welche Anneliz durch die Türe eintreten sieht, verweist auf die Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt. Frauen, die schon viele Jahrzehnte Beschäftigung hinter sich haben und an einem gewissen Punkt erwerbslos werden, müssen sich einer ganzen Reihe von Fragen stellen, warum sie ausgemustert wurden, die Männer überhaupt nicht betreffen. Diesem Problemfeld widmet sich ausgiebig auch das Programmheft, in dem Julya Rabinowich, Christina Focken, Judith Fischer, Rosemarie Schwaiger, Anna Dunst, Nina Vogl und Robert Vallelunga einen Beitrag leisteten. Rosa Kornfeld-Matte ist ein Interview gewidmet, das sie der Wiener Zeitung im Rahmen ihrer Beschäftigung als UN-Expertin für die Wahrnehmung aller Menschenrechte älterer Menschen gab.

Die unerwartete Wende hin zu einem glücklichen Ende, das sich nicht an der Realität orientiert, unter der cineastischer Musikuntermalung von „Chariots of fire“ dramatisch in Szene gesetzt, rechtfertigt Anneliz folgendermaßen: „Das ist die einzige Realität, die ich auf dem Theater akzeptiere.“ Die emotionale Beruhigungspille, die dem Publikum damit verpasst wird, soll jedoch nicht daran hindern, sich Gedanken zu machen, ob und wie man dem inhumanen Arbeitsmarktwahnsinn entgegentreten kann. Die golden schimmernde asiatische Winke-Glücks-Katze, die mehrere prominente Auftritte hat, wird den betroffenen Frauen dabei leider nicht helfen.

Empfehlung: Freundinnen motivieren, Bekannte aus dem Hobby-Umfeld, Schwestern, Mütter, Tanten oder Cousinen, nicht zuletzt Arbeitskolleginnen und all jene Männer, die gerne mit dabei sein möchten und die Vorstellungen im Theater Spielraum besuchen. Gesprächsstoff für das Zusammensein danach wird reichlich geliefert.

Eine Absurdität, die schmerzt

Eine Absurdität, die schmerzt

Es gibt zwei Sätze und ein Nein, welche in aller Kürze eine Zusammenfassung für den Einakter bilden könnten, den Václav Havel an den Beginn seiner Vaněk-Trilogie setzte. Die beiden Sätze sind: „So bin ich erzogen“ sowie „Ich kann mich doch nicht selbst denunzieren“ und ein klares Nein folgt auf die Frage der Bierbrauerin, ob er, Ferdinand Vaněk, der Schriftsteller, der in ihrer Brauerei schuften muss, Kinder habe. In diesen Sätzen spiegelt sich wider, wie der junge Vaněk gestrickt ist und warum er so agiert, wie er agiert. Warum er das Angebot nicht annimmt, seine Arbeitsbedingungen zu erleichtern und warum er stattdessen lieber weiter körperlich schuftet, ohne Zeit zu haben, geistig zu arbeiten.

Havels Kunstfigur Ferdinand Vaněk muss als oppositioneller und damit unerwünschter Schriftsteller der Arbeit als Fass-Roller in einer Brauerei nachgehen, was er zur Zufriedenheit aller auch tut. Eines Tages wird er zum Braumeister gerufen. In Thiels Interpretation ist es eine Braumeisterin, womit ausgedrückt wird, dass das Agieren dieses Charakters nicht geschlechterspezifisch ist. Vaněk, der Alkohol verschmäht, weiß nicht, was ihn bei der Unterredung erwartet.

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„Audienz“ (Foto: Julia Kampichler)

Thiel lässt sowohl Nico Dorigatti in der Rolle Vaněks als auch Alexandra Schmidt in der Rolle der Braumeisterin extrem körperintensiv arbeiten. Verrenkt liegt die junge Frau, benommen wohl vom schon genossenen Alkohol, gleich zu Beginn auf einem Sessel, während ihr Angestellter mehrfach versucht, sich ihr zu nähern. Immer jedoch wird er wie von Krämpfen gebeutelt, sodass er zu Boden fällt, um sofort darauf einen neuen Anlauf zu nehmen. Unterstützt wird dieser szenische Einstieg von einer Musikeinspielung von Oscar Böhm. Ein dramaturgischer Schachzug, der sich später in abgewandelter Form wiederholen wird. Ohne noch ein Wort gesprochen zu haben, kann man verstehen, dass hier zwei unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Die Braumeisterin, die durch Alkohol ihr Gewissen betäubt und die versucht, menschenverachtende Anweisungen des Regimes auszuhalten und abzumildern und der junge Intellektuelle. Er, von Natur aus ruhig und bescheiden, wird von den Repressalien, die nicht nur ihn treffen, fast aus der Bahn geworfen. Aber nichts liegt ihm ferner, als aufzufallen oder anderen Menschen zu schaden. So viel Slapstick auch in der ersten und in weiteren Szenen steckt, so bedrückend, ja schmerzhaft kann diese physische Clownerie auch empfunden werden.

Im Laufe der Unterredung, bei der, ganz zum Leidwesen Vaněks, in Strömen Bier fließt, gibt seine Vorgesetzte ihm zu verstehen, dass sie sich für ihn einsetzen möchte, was eine Dankeskaskade bei ihm auslöst. Solange, bis es der Braumeisterin zu viel wird und sie ihn anherrscht, sich nicht dauernd zu bedanken. „So bin ich erzogen“, antwortet der junge Mann und man darf annehmen, dass dies Worte sind, die Václav Havel sich selbst oft nicht nur gedacht, sondern wahrscheinlich anderen gegenüber tatsächlich auch ausgesprochen hat.

Bis zu seinem 12. Lebensjahr war Havel in einer großbürgerlichen, angesehenen Prager Familie aufgewachsen. Vater, Onkel und ein Großvater waren erfolgreiche Bauunternehmer, der Großvater mütterlicherseits Diplomat in Wien. Im Jahr 1948 wurde jedoch der gesamte Besitz der Familie konfisziert und Vater und Mutter mussten sich als Sekretär und Fremdenführerin verdingen. Dass dieser Lebensumsturz in dem Jungen, der nach der Schulpflicht aufgrund seiner bourgeoisen Herkunft keine weiterführende Schule besuchen durfte, tiefe seelische Spuren hinterlassen hat, liegt auf der Hand. Aber auch, dass er eine Erziehung genossen hatte, die für sein gesamtes Leben prägend sein sollte. Havel galt zwar als scheu, aber überaus höflich.

Mit Ferdinand Vaněk schuf er sich ein literarisches Alter Ego. Der Autor und Dramatiker, ist den Menschen unserer Tage jedoch hauptsächlich als jener Mann in Erinnerung geblieben, der als erster Präsident der Tschechoslowakei und nach dem Zerfall des Staatenbundes als erster Präsident Tschechiens in die Geschichte Europas einging. Dass er als Dissident dazu beitrug, das menschenverachtende Regime 1989 zu Fall zu bringen, ist auch noch den meisten Menschen in Österreich bekannt. Dass seine Dramen – sieben davon – unter der Leitung von Achim Benning am Burgtheater uraufgeführt wurden, wissen schon weitaus weniger. Der Schriftsteller, der sein Land während einer gewissen Zeit nicht verlassen wollte, in der Angst, nicht mehr zurückkehren zu können und später wegen seiner Inhaftierung nicht verlassen konnte, war bei keiner der Aufführungen anwesend. Beklatscht konnte er dennoch gemeinsam mit dem jeweiligen Ensemble werden, da vom Schnürlboden eine Tafel mit seinem Namen abgesenkt wurde. Havel bezeichnete die Burg in einer außergewöhnlichen Sprachschöpfung als sein „Muttertheater“. Die Analogie zur Muttersprache liegt dabei auf der Hand und kann als etwas Essenzielles, Lebensnotwendiges verstanden werden, was es für Havel tatsächlich war.

Die Sätze, die Vaněk in „Audienz“ spricht, bis hin zur Erklärung an die Braumeisterin, dass er vier Semester Ökonomie studiert habe und dass er ihr Angebot der Arbeitserleichterung nicht annehmen könne, denn er könne sich ja nicht selbst denunzieren – entsprechen biografischen Tatsachen. Havel musste, mit Aufführungsverbot belegt, in einer Brauerei arbeiten und hat sich, trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen ihm gegenüber und trotz Gefängnisstrafe nie verbogen oder gar angedient.

In einem großartigen Monolog, in welchem Alexandra Schmidt alle Register ihres Könnens zieht, macht die Braumeisterin klar, in welchem Dilemma sie steckt und wie sehr sie die Ablehnung Vaněks missbilligt. Er, der intellektuelle Schriftsteller, sosehr er im Moment auch gedemütigt würde und am Boden sei, er fände zumindest Beachtung und stünde im Rampenlicht. Sie aber würde niemand kennen und müsse erdulden, was an sie an Ungerechtigkeit herangetragen wird. Dieser Monolog gehört zu den beeindruckendsten der neueren Literaturgeschichte. Wird doch deutlich, dass Havel, selbst Opfer und lebensbedrohlich unterdrückt, sich dennoch empathisch in sein Gegenüber versetzen konnte. Ja, dass er verstand, warum Menschen wie die Braumeisterin so handeln, wie sie handeln. Die charakterliche Größe, die hinter diesem Stück Literatur steckt, ist schier unermesslich.

Oft fragen sich Menschen, wie sie in Zeiten von Regimen agiert hätten oder agieren würden, ohne eine endgültige Antwort darauf zu bekommen. Und auch dafür liefert Havel eine Erklärung, wie Mitläufertum unter einer menschenverachtenden Regierung, zustande kommen kann. Es ist die Sorge um die eigene Familie, die Pflicht, seine Kinder bestmöglich zu erziehen und ins Leben zu begleiten. Mit der Verneinung Vaněks auf die Frage, ob er Kinder habe und dem Hinweis, dass die Braumeisterin selbst drei habe, weist er gezielt auf diesen Umstand hin.

Es ist nicht nur die exzessive Spielweise, die einem beim Zusehen den Atem raubt. Wie Nico Dorigatti das Bier aus Mund und Nase fließt, dass es nur so fontänenartig durch die Gegend spritzt und den Bühnenboden zu einem glitschigen, gefährlichen und haltlosen Untergrund verwandelt, ist ein wunderbarer Regie-Einfall. Florian Thiel lässt neben Vaněk und der Braumeisterin noch eine dritte Person auftreten. Eine junge, hübsche Frau, die sich stumm den beiden in ihren Alkoholexzessen nähert. Einmal wirkt sie anziehend, dann Liebe verströmend, ein anderes Mal hart und bedrohlich. Letztlich liegt sie wie leblos am Bühnenrand, ohne von den anderen beachtet zu werden. Die Rolle von Sophie Borchardt kann unterschiedlich ausgelegt werden. Man kann in ihr jene berühmte Schauspielerin erkennen, in welche die Braumeisterin all ihre Zukunftshoffnungen projiziert, dann erscheint sie als Verkörperung jener Dauerüberwachung, die in der CSSR üblich war. Schließlich verkörpert sie aber auch jene Idee, an welcher sich Vaněk immer wieder hochrappelt. Jenes Gerechtigkeitsprinzip, das für ihn über allem und über alle steht, sogar über ihm selbst.

Die allerletzte Szene hat Thomas Bernhardt´sche Charakterzüge. Stellt sie doch mit einem Augenblick all das auf den Kopf, was zuvor gesagt, getan und wahrgenommen wurde. Mit einem einzigen Wort und einer einzigen neuen Attitüde – nämlich die eines Bier trinkenden Vaněks – beginnt das Stück noch einmal von vorn. Dieses Mal jedoch mit gänzlich anderen Vorzeichen. Vaněk brüllt roh und rüpelhaft der Braumeisterin auf die Frage, wie es ihm gehe „Scheiße“ entgegen. Der darauffolgende wilde Zug an der Flasche und das polternde Aufstellen derselben am Tisch, dass sich der Gerstensaft in einer hohen Fontäne aus ihr ergießt, machen klar: Die Geschichte wird noch einmal erzählt, aber anders. Es wäre nicht Havel, hätte er damit nicht auch sein eigenes Handeln, seine zurückhaltende Art, die niemandem wehtun möchte, infrage gestellt. Womit er sich in eine jahrhundertealte Geistestradition einreiht. Der große Humanist und Philosoph Michel de Montaigne stellte schon im 16. Jahrhundert fest, dass es keine unumstößlichen Wahrheiten gäbe und dass man stets die eigene Meinung hinterfragen müsse. Die beiden Männer hätten sich sicherlich viel zu sagen gehabt.

Dass „Audienz“ heute nichts an Aktualität eingebüßt hat, wobei wir nicht in die Ukraine, nach Russland, China oder in den Iran blicken müssen, ist bedrückend. Umso wichtiger ist es, sich mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen.

Diese Möglichkeit bietet das Festival „Europa in Szene“ mit vielen begleitenden Diskursformaten noch bis zum 2. April.

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Ways of freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig

Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen Künstlerinnen und Künstler dort, sich von der darstellenden Malerei abzuwenden. Zugleich aber werden auch Arbeiten von hochrangigen österreichischen Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die nach dem 2. Weltkrieg expressiv-abstrakt arbeiteten und sich damit auch ihre eigenen Plätze in der Kunstgeschichte eroberten.

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„St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha (Foto: ECN)

Die Chefkuratorin und Direktorin der Albertina modern gestaltete eine Ausstellung, in der eines der zentralen Werke sogar von einem österreichischen Künstler stammt. „St. Stephan“ von Wolfgang Hollegha ist wandfüllend in einem der mittleren Säle so prominent platziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass sich rund um sein Werk vieles andere fügt. Der präzise Farbauftrag – Rot auf weißer Leinwand – vermittelt zugleich eine frei inspirierte, gestische Arbeit als auch ein enormes Gespür für Ästhetik und Reduktion.

In vielen Räumen sind Gegenüberstellungen gelungen, die formal wunderbar zueinanderpassen. So zum Beispiel in jenem, in welchem Bilder von Maria Lassnig neben und gegenüber von solchen von Wolfgang Hollegha oder Helen Frankenthaler hängen. Letztere ist unter anderen auch mit einem atemberaubenden, großen Querformat vertreten. Die Farbschichtungen auf über vier Metern Länge beeindrucken, da sie trotz der Größe nichts an Leichtigkeit eingebüßt haben.

Neben den bekannten Namen wie Pollock, Rothko, Motherwell und Newman entdeckt man auch weniger Bekanntes. Judit Reigel, Debora Remington oder Mary Abbott sind drei von insgesamt 13 Künstlerinnen, welche in der Ausstellung eine verdiente Würdigung erfahren.

Die Wandtexte geben einen schönen Querschnitt und Überblick über die Systematik der Arbeiten: In ihnen werden die Begriffe Action painting, All-over-Strukturen, Farbfeldmalerei oder auch Soak-Stain-Technik erklärt. Neben rein materialtechnischen Erläuterungen erhält man auch einen Überblick über die Blütezeit der Aktionsmalerei in Österreich und über die Malergruppe um die Galerie St. Stephan.

Die Schau verdeutlicht, wie groß die Bandbreite in der abstrakten Malerei von Beginn an angelegt war. Das Erkennen von Handschriften macht Spaß und zeugt von einer gelungenen Auswahl der Bilder. Ein Katalog zur Ausstellung ist sowohl im Shop als auch online erhältlich.

Eine spannende Mischung

Eine spannende Mischung

Bouchra Ouizguen ist seit einigen Jahren im Tournee-Plan von Kooperationspartnern des zeitgenössischen Tanzes anzutreffen. Frankreich und Belgien spielen dabei eine herausragende Rolle; die Idee, Produktionen länderübergreifend zu unterstützen, findet aber auch gerade im Festival-Business hierzulande immer mehr Zuspruch.

Obwohl sie mittlerweile ihre siebente Produktion auf die Beine gestellt hat, ist sie doch eine Grenzgängerin im zeitgenössischen Tanzgeschehen. In Interviews erzählt sie immer wieder, dass weder sie noch ihre Tänzerinnen eine dementsprechende Ausbildung genossen hätten. Das, was ihre Arbeit auszeichnet, oder vielmehr der Beginn ihrer Arbeit zu diesem Projekt, ist das Aufspüren von Menschen, die noch tradierte Lied- und Tanzformen beherrschen.

In „Elephant“ hat sich Ouizguen zum Ziel gesetzt, marokkanischen Tanz und Musik auf die Bühne zu holen, um sie dem Vergessen und Verschwinden zu entreißen. Als Metapher hat sie sich dafür den Elefanten auserkoren, der eine bedrohte Tierart ist und vielleicht im kommenden Jahrhundert schon ausgestorben sein wird.

Mit drei weiteren Protagonistinnen – einer jüngeren und zwei älteren Frauen, die schon mit Ouizguen zusammengearbeitet haben, präsentierte sie im Programm der Wiener Festwochen im Odeon das Ergebnis ihrer musikalischen und tänzerischen Spurensuche. Das gefundene Material wird bei ihr intuitiv-kreativ zu einem einstündigen Stück verarbeitet. Einem Stück, das nicht nur Traditionelles aufzeigt, sondern dieses Traditionelle in einen neuen Mantel hüllt.

Bevor jedoch ihr Spektakel tänzerisch beginnt, wird erst einmal der Bühnenboden von zwei Frauen mit großen Bodenreibtüchern sauber geputzt. Danach kommen sie – ausgestattet nicht mehr wie Putzfrauen, sondern in Festgewand, mit zwei weiteren Tänzerinnen auf die Bühne, um den Raum nun mithilfe von Weihrauch zu reinigen. Hier wird klar, dass sich das, was gezeigt werden wird, zum Teil im rituellen Bereich abspielt. Und tatsächlich erscheint ein tanzendes Wesen mit einer bunten Kopfbedeckung, die rundum mit hellen Bastschnüren bestückt ist. Bald schon wirbelt es quer durch den Raum.

Anders als ganz zu Beginn kommt die Musik jetzt nicht vom Band. Nun sind es die Frauen selbst, die auf der Bühne live singen. Vielstrophige Litaneien bilden das Hauptkonvolut des musikalischen Geschehens. Sie finden, von einer Vorsängerin ausgehend, ihren Widerhall bei den anderen und werden von ihnen gleichzeitig mithilfe von Djenbes, kleinen Bongotrommeln, rhythmisiert. Dieses musikalische Setting bleibt die ganze Aufführung über so, die einzelnen getanzten Szenen jedoch verändern sich. Man wird Zeuge einer solistischen Einlage, vorgeführt von der jüngsten Frau, die, aufgepeitscht von der Musik, die immer schneller wird, erschöpft zusammenbricht. Aber die Frauen treten auch in einer beeindruckenden Gruppenchoreografie auf.

Sie bildet den künstlerischen Höhepunkt der Performance. Als Kontakt-Improvisation angelegt, ist sie jedoch alles andere als improvisiert. Nachdem zuvor Kleidungsstücke ins Off gezogen wurden – was als eindringliche Metapher vom menschlichen Ableben verstanden werden kann, und die Frauen eine Klagelitanei anstimmten, gruppieren sich die drei Tänzerinnen zu einem einzigen Organismus. Sie bewegen ihn in immer wieder neuen Kombinationen mithilfe von Hebetechniken durch den Saal. Dabei entsteht der Eindruck, dass sie einander in ihrer Trauer und ihrem Schmerz halten und niemals fallen lassen. Es ist dies eine hochemotionale und aussagekräftige Szene. Zeigt sie doch Menschen in einer Ausnahmesituation, die für sie nur durch gegenseitigen Zusammenhalt zu bewältigen ist. Wie sie sich miteinander verbinden, sich in die anderen fallen lassen, von ihnen gezogen oder geschoben werden, wie sie in ihrem laut artikulierten Schmerz dennoch nicht zu Boden gehen, sondern sich immer und immer wieder gegenseitig stützen und halten, ist auch in höchstem Grade metaphorisch zu lesen.

Die Mischung aus tradierter Musik und neuer Choreografie erscheint in diesem Moment nicht aufgesetzt, sondern ganz natürlich. Sie versetzt das Publikum in die Lage, weit über das tänzerische Geschehen hinauszudenken. Dass sich dabei die Arbeit von Bouchra Ouizguen beinahe automatisch in einem größeren, kulturhistorischen Kontext, wiederfindet, macht ihr Werk auch für andere Disziplinen wie der Musikwissenschaft, der Kulturanthropologie oder der Soziologie interessant.

Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Alles schon da gewesen und doch viel Neues

Michael Köhlmeier wurde im deutschsprachigen Raum nicht nur durch seine Romane bekannt, sondern hauptsächlich durch seine persönlich gefärbten Erzählungen über die griechische Mythologie. Das Schauspielhaus in Graz hat ihn zu einer Lesung zu ebendiesem Thema eingeladen. Der Autor und Multikreative, sogar Liedtexte und Kompositionen stammen aus seiner Feder, erzählte über die Entstehung der griechischen Götter und deren Welt im Olymp bis hin zur Erschaffung der Menschheit und den Beginn des Trojanischen Krieges.

Wer seine CDs zu dem Thema kennt, die er vor nun schon über 20 Jahren aufgenommen hat, mag vielleicht etwas überrascht gewesen sein. Präsentierte Köhlmeier die griechische Mythologie in höchst launigem Plauderton, mit vielen Finessen, die einen guten Erzähler ausmachen. Mit wenigen Worten gelangen ihm dabei sehr lebendige Charakterisierungen der Götter und Menschen, die er zuweilen auch mit einem für diese typischen Habitus veranschaulichte. Dass er Zeus als besonders guten Liebhaber bezeichnete, ständig auf neue Abenteuer aus, war auf der Hand liegend und über Jahrtausende tradiert. Peleus, den späteren Gatten der Meeresnymphe Thetis, kennzeichnete er jedoch mit dem Hinweis, dass dieser sehr gerne „jawoll!“ sagte. Während das Publikum darüber schmunzelte, wusste es noch nicht, dass es an späterer Stelle dankbar für dieses „Jawoll“ sein würde. Zu jenem Zeitpunkt nämlich, als nach unzähligen Götteraufzählungen sein Name wieder fiel und das große Grübeln begann, wer denn dieser Peleus jetzt doch gewesen sei. „Sie erinnern sich, das ist der, der immer jawoll sagte“, half Köhlmeier so manchem Gedächtnis elegant auf die Sprünge. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie gut er sein erzählerisches Handwerk versteht.

Entlang der Göttergenese erfuhr man wie nebenbei auch allerlei kulturhistorisch Interessantes, wie die Erfindung der Gitarre durch Hermes, der dies Kunststück schon als Säugling an seinem ersten Lebenstag zustande gebracht hatte. Hörbar erstaunt waren die Zuhörenden auch, als sie erfuhren, dass die bildenden Künstler bei der Darstellung von Leda und dem Schwan schlichtweg „gelogen“ haben. Hatte Leda während der Vereinigung mit Zeus doch die Gestalt einer Gans angenommen, was aber auf den Gemälden nicht zu sehen ist. Über die Konservierungskraft göttlichen Achselschweißes durfte man ebenso stauenden wie über eine originelle Verstellungs-Aktion von Odysseus, der hoffte, damit nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Die Feststellung, dass er damit der erste Wehrdienstverweigerer der Geschichte war, fand, wie so viele andere humorige Vergleiche, beim Publikum großen Anklang.

Neben all den zum Teil mäandernden Lebensläufen und Begebenheiten teilte der Autor auch seine persönlichen Gedanken über die Entstehung dieser Mythologie. Er verwies darauf, dass dieses Erzählen von Geschichten, das von Generation zu Generation stattfand, begann, als es noch keine rechtsstaatlichen Gefüge gab. Interessant war auch seine Idee, dass diese Erzählungen Menschen auch von einer Last befreien konnte. Zu erfahren, dass man mit seinem Schicksal nicht einmalig in dieser Welt ist, dass es Handlungen wie Mord und Totschlag, Ehebruch und Verrat oder Charaktereigenschaften wie Feigheit und Überheblichkeit, überbordender Zorn und Eitelkeit und all das daraus resultierende Leid immer schon gegeben hat, bedeutete für viele Menschen eine erleichternde Erkenntnis.

Die Idee, sich in Graz mit Michael Köhlmeier jemanden auf die Bühne zu holen, dessen Name über die Theaterszene hinaus eine Strahlkraft besitzt, wurde mit einem sehr gut verkauften Haus belohnt. Ein cleverer Schachzug in einer Zeit, in der das Publikum zum Teil das kulturelle Live-Angebot nach wie vor noch zögerlich annimmt.

(Foto: ©Udo Leitner)

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