Alles auf die Bühne!

Alles auf die Bühne!

„Symposion“ von Elisabeth B. Tambwe wurde im Tanzquartier Wien uraufgeführt. Ein Lehrstück über vorgefasste Meinungen und versteckte Realitäten

Bei vielen Menschen aus dem Publikum herrscht erst einmal Irritation. Die Sitzreihen sind mit Bändern abgesperrt, der Weg führt nicht in einen bequemen Stuhl, in dem man sich zurücklehnt und abwartet, was passiert. Vielmehr findet man sich unversehens mitten auf der Bühne. Gemeinsam mit Bühnentechnikern, Adriana Cubides, Radek Hewelt und Elisabeth B. Tambwe.

Letztgenannte liebt es, das Geschehen rund um eine Tanzperformance zu hinterfragen, zu dekonstruieren und Erwartungshaltungen des Publikums zu brechen.

Wer nicht krampfhaft nach zusammenhängenden Inhalten sucht, wird belohnt

In ihrem neuesten Stück „Symposium“, das im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde, kommen all jene auf ihre Kosten, die sich rasch von vorgefassten Ideen im Kopf, was denn Tanztheater sei, befreien können. Eine Sensation folgt der nächsten, einen roten Faden vermisst nur der, der ihn krampfhaft zu suchen beginnt. Da bezaubert und verblüfft gleich zu Beginn die zarte Cubides mit einer furiosen Choreografie mit, auf und unter einer kleinen Stehleiter. Wie sie mit ihr verwächst, über die Bühne hoppelt, sich mithilfe eines T-Shirts an sie bindet, ist sehenswert. Gut, dass man nahe neben ihr stehen kann. Während sie an ihrer akrobatischen Einlage arbeitet, stopft sich Radek Hewelt eine Unmenge an Papier in sein Kostüm. Bald sieht er aus wie ein Muskelprotz, der sich ungeachtet einer Verletzungsgefahr wild in allen möglichen Positionen auf den Boden wirft. Tambwe ist damit beschäftigt, das Publikum zu platzieren und mit einzelnen ein kurzes Gespräch zu führen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar: Das was hier zu sehen ist und noch sein wird, hat nur bedingt mit den herkömmlichen Gesetzen eines Tanzabends zu tun. Elisabeth B. Tambwe, geboren im Kongo, aufgewachsen in Frankreich, lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Wien. Mit Robyn Orlin oder Faustin Lyniekula, um nur zwei Bekannte aus der Tanzszene zu nennen, hat die resolute Tänzerin und Choreografin schon zusammengearbeitet. Auftritte in Frankreich, Belgien, Holland und Österreich hat sie bereits absolviert. In „Symposium“ zeigt sie zu Beginn eine Situation, in der das Ensemble für einen Auftritt eigentlich noch gar nicht bereit ist. Diese Situation hält durchgehend an. Zwar dürfen die Zusehenden nach einer Zeit doch auf den Stühlen Platz nehmen, das heißt aber nicht, dass sie dort auch in Ruhe gelassen werden.

Tambwe fordert von ihren Tänzerinnen und Tänzern Einsatz bis zur Verausgabung. Besonders in jener Szenerie, in welcher sie ihre eigene Profession kräftig aufs Korn nimmt. Schneller, schneller, intensiver, intensiver feuert sie die beiden Agierenden an und treibt sie von links nach rechts immer wieder und wieder über die Bühne. „Brich in Tränen aus“ verlangt sie von Hewelt, der nicht mehr als ein betroffenes Gesicht zu machen imstande ist. Dabei bekommt man einen Eindruck davon, wie sehr die Ausbeutung im Tanzbetrieb zur Realität geworden ist. Zählt man das klassische Ballett dazu, dann sollte man nicht vergessen, dass diese Ausbeutung immer ein Teil des Betriebes war. Tambwe macht jedoch sichtbar, was tunlichst kaschiert wird.

Tambwe, Tänzerin und Choreografin zwischen den Welten, kritisiert mit eindrucksvollen Bildern und Aktionen

Das gelingt ihr auch mit der Verteilung von Porno-Heften aus den 80er Jahren. In jedes einzelne hat sie zu den masturbierenden Protagonistinnen Sprechblasen montiert, auf denen eine Rede von Nicholas Sarkozy nachzulesen ist. Gehalten 2007 in Dakar, ist sie laut Tambwe genauso pervers, wie die Abbildungen in den Heften selbst. Shit zu shit sozusagen und tatsächlich stockt einem der Atem, beginnt man alleine schon die ersten Zeilen dieses unsäglichen Pamphlets zu lesen. Mehr Imperialismusgehabe, Kulturchauvinismus und westliche Überheblichkeit ist kaum möglich. Auf einer Leinwand verschlingt eine Boa Constrictor in unglaublicher Geschwindigkeit ein schwarzes Tier. Eine grauenhafte und einprägsame Metapher, die weit über diesen Abend im Kopf bleibt. Zeigen, was normalerweise versteckt wird, könnte man als ein Motto aus dem Abend filtern. Ob es das gemeinsame Betrachten von Pornoheften ist, wie es das Publikum tut, nachdem es diese ausgehändigt bekommen hat, ob es stilisierte Masturbationen sind oder ob es der kontinuierliche Aufbau eines Objektes ist, das erst ganz zum Schluss für wenige Minuten zum Einsatz kommt.

Die Zurschaustellung des Zustandes der Hoffnungslosigkeit und Desillusionierung, in die sich Hewelt vor einem Mikrofon begibt, oder der Schlussauftritt von Cubides, in welchem sie nackt hüpfend dem Publikum von ihren Erfahrungen in diesem Zustand berichtet – es sind immer Aktionen, die nicht nur unerwartet auftreten, sondern teilweise auch solche, die eine gehörige Portion Mut brauchen, um sie darzustellen. Oder auch eine gehörige Portion Kreativität. Das lässt sich ganz einfach mit der Frage an sich selbst verifizieren, wie man selbst denn Hoffnungslosigkeit dargestellt hätte. Nicolâs Spencer, Spezialist im Bauen von „komplizierten, ungewöhnlichen und unpraktischen Maschinen“, wie man aus dem Programmheft entnehmen kann, schuf während des Abends ständig sichtbar, eine große, aus verschiedenen Holzbalken zusammenmontierte Skulptur. Darin wurden alle möglichen Versatzstücke aus den verschiedenen Szenerien mit verwoben, ein sichtbares Amalgam, das vergängliche Bewegung und Aktion konserviert.

Elisabeth Tambwe fordert ihr Publikum auf, hinter die Kulissen zu schauen. Sie möchte vorgefasste Meinungen im Kopf aufbrechen, eventuelles Schubladendenken zerstören und bietet den Menschen dabei die Möglichkeit, eine ganze Reihe an neuen Erfahrungen zu machen. DenTransfer außerhalb des Kulturbetriebes – die Möglichkeit, Menschen ohne Ressentiments und unvoreingenommen zu begegnen – muss letztendlich jede und jeder für sich selbst bewältigen.

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Eine tiefschwarze Komödie mit Gänsehauteffekt

Eine tiefschwarze Komödie mit Gänsehauteffekt

„Noch ein Lied vom Tod“ von Juliane Stadelmann garantiert derzeit im Schauspielhaus Wien Lacher und Gänsehaut.

Zwei Kleinkinder, zwei und drei Jahre alt, verrecken – es muss so krass ausgedrückt werden – unbeaufsichtigt in einer Wohnung. Sie verdursten, weil ihre Mutter sie alleine zurückließ und niemand aus der Nachbarschaft ihnen zu Hilfe kam. Dieses Horrorszenario ist kein für die Bühne erdachtes. Vielmehr geschah dieses Drama 1999 in Frankfurt an der Oder tatsächlich. Stadelmann, Jahrgang 1985, belegte mit ihrem ersten Stück „Ingrid Ex Machina“ im Vorjahr den dritten Platz beim Münchner Förderpreis für deutschsprachige Drammatik“. Mit „Noch ein Lied vom Tod“ erhielt sie das Hans-Gratzer-Stipendium am Schauspielhaus. Darin verarbeitet sie das grausige Geschehen, für das nur die Mutter rechtlich zur Verantwortung gezogen wurde, auf eine ganz spezielle Art und Weise.

„Noch ein Lied vom Tod“ – dieser Titel evoziert ad hoc nicht nur die berühmte Mundharmonikamelodie des Italo-Westerns von Sergio Leone. Gemeinsam mit dem ersten Bild – einem Tumbleweed, das quer über die Bühne rollt und einem überdimensionalen Kaktus – wähnt man sich ad hoc in einer kargen Wildwestlandschaft. Wäre da nicht ein abstraktes Bühnenkonstrukt, in das zwei lange Gänge eingeschrieben sind, aus welchen immer wieder – kasperltheaterhaft – die Figuren unerwartet auf- und abtauchen. Und wäre da nicht der Flüsterchor, der das scheinbar vom Wind bewegte Tumbleweed in Reimform archaisch begleitet. Möge das Spiel beginnen.

Ob Westen oder Osten – das Thema ist universal

Die Regisseurin Daniela Kranz, auch für die Ausstattung verantwortlich, übersetzt das Changieren des Geschehens zwischen einer Bar im Nowhere des Wildem Westens und einer ebensolchen in einem tristem Plattenbau höchst intelligent. Sie führt die Beteiligten durch überzogene Schminke und Kostüme regelrecht vor, belässt ihnen aber jenen flapsigen Ton, mit dem Stadelmann nah an der Realität bleibt. An der knapp bemessenen Sprache gibt es kein Wort zuviel. Kommissar Udo platzt in eine Vorstadtkneipe, in der die Langeweile Stammgast ist. Florian von Manteuffel hat, so erweckt es den Eindruck, seit Beginn seines Engagements in Wien Kommissare, Polizisten und andere ähnliche Charaktere automatisch gepachtet. Der kleine Tom-Tom, alterslos, durchtrieben und undurchschaubar, hält sich dort mit der Bestatterin Clara und Hans, dem Wirt, auf. Gesprochen wird nicht viel, was auch. Man kennt sich schließlich. Simon Zagermann trägt in seiner Rolle als Tom-Tom eine schwarze Melone und einen Stock und erinnert damit an die Hauptfigur Alexander DeLarge, den Anführer der Jugendbande im Film Clockwork Orange. Clara, gespielt von Johanna Tomek, könnte auch von Fassbinder engagiert worden sein. Ihrer Berufung folgte sie nolens volens, nachdem ihre beabsichtigte Karriere als Kindergärtnerin aufgrund einer zuvor durchzechten Nacht gleich am ersten Tag beendet worden war. Hans, der wortkarge Barkeeper, wir köstlich vom sonst so schlanken Steffen Höld gespielt. Sein Embonpoint, der ihm unter die Trainingsjacke geschoben wurde, erheitert gleich zu Beginn das Stammpublikum. Die junge, naive Nadine (Barbara Horvath) ist dazu ausersehen, den Kommissar zu verführen. Das unliebsame Subjekt, das von außen die Ruhe zu stören scheint, wird auf diese Weise liebevoll neutralisiert.

Tackenförster und Ottenzwerg, von Martin Vischer und Gideon Maoz dargestellt, verkörpern zwei umherstreunende, halb verwahrloste Freunde, die sich vor dem Kommissar, aber vor allem vorm Schlafen fürchten. Nicht zu Unrecht, wie sich noch herausstellen wird. Die beiden Schauspieler brillierten im Duo bereits in Peter Lichts „Das Sausen der Welt“ und sind auch in dieser Inszenierung ein Traumpaar. Unbändig frech und dominierend der eine, ständig rotzig und wunderbar kindisch nachäffend der andere, schließt man sie umgehend ins Herz. Wenn man um die Vorgeschichte weiß, fallen einem die Lacher schwer, die sie permanent auslösen. Geht man unbeleckt in das Stück, entsteht der Kloß im Hals erst zum Schluss.

Subjektives Zeitempfinden und Wünsche en masse

Die Zeit scheint für manche Figuren stillzustehen, sich sogar nach rückwärts zu drehen, wie dies „Udo Sheriff Kommissar“ erfahren muss. Sein zu Beginn so hoffnungsfrohes Eingreifen und seine Aufklärungswut gerinnen im Laufe des Stückes zu einem Lippenbekenntnis. Andere wiederum, wie die beiden Kinder, erleben Zeit als etwas Undurchschaubares, Unkalkulierbares, am Ende Bedrohliches. Träume und Hoffnungen gibt es in diesem Stück viele. So wünscht sich Hans einen „putzigen“ Makaken als Aushilfe in seiner Kneipe, Nadine ein Kind, das ihr schon im Traum erschienen ist und Tom-Tom die Einweihung in das Geschäft von Clara. Das weitere Geschehen oszilliert zwischen Erzähltem und Erlebtem. Die Frage nach der Schuld bleibt unbeantwortet. Wenngleich klar wird: Unschuldige gibt es hier, bis auf die Opfer, keine.

Stadelmann strickt aus ihrem Text ein Gewebe aus Traum und Wirklichkeit, braut ein Amalgam aus Witz und Grauen – wie in den allerbesten Krimis der komischen Gattung. Ihre Metabotschaft kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern reduziert sich auf eine phantastische und allegorische Beschreibung eines elenden Istzustandes unserer Gesellschaft. Die vordergründig federleichte Verpackung des Themas und das Können des gesamten Ensembles machen den Reiz dieses Abends aus.

Im Schlussbild fegt ein Tumbleweed, abermals von einem halbgeflüsterten Chor begleitet, über die Bühne. Das Spiel ist aus. Bis zur nächsten Schreckensmeldung in den Medien.

In einer anderen Zeit und in einer anderen Welt

American Lulu von Olga Neuwirth als Gastspiel der Komischen Oper Berlin im Theater an der Wien

Was wäre, wenn alles anders käme? Gedankenspiele, wie ein Leben anders verlaufen wäre, wenn an gewissen Stellen andere Entscheidungen getroffen wären, diese gedanklichen Experimente kennt wohl jeder Mensch. Was aber wäre, wenn man in eine bestehende Oper eine andere Wendung einbaut oder besser noch, wenn man die bestehende Oper überhaupt uminterpretiert? Diese Frage stellte sich Olga Neuwirth anlässlich eines Kompositionsauftrages der Komischen Oper Berlin. „American Lulu“ wurde eine Neuauflage von Alban Bergs bekanntem Werk. Allerdings  setzte die Komponistin den Plot ins Amerika der 50er und 70er Jahre und schuf dazu, das erklärt sich eigentlich von selbst, eine neue Musik. Nach der Uraufführung vor zwei Jahren in Berlin erfolgte nun die Österreich-Premiere am Theater an der Wien.

Lulus Gegenspielerin Eleanor wird zur heimlichen Hauptfigur

Was aber neben all dem Genannten noch zusätzlich beeindruckt ist, dass Neuwirth mit Eleanor, Lulus Freundin, eine Figur schuf, die dieser mühelos den Rang abläuft. Ihr Name wurde ihr in Anlehnung an die Bluessängerin Billie Holiday verliehen, die mit bürgerlichem Namen Elinor Harris hieß. Neuwirth schrieb dieser weiblichen Lichtgestalt eine Musik auf den Leib, die alle Kennzeichen von einem jazzigen und erdigen Blues aufweist. So ist die Selbstbestimmung von Eleanor auch musikalisch deutlich gegenüber allen anderen Protagonisten erkennbar. Ihr Part gestaltet sich beinahe kontrapunktisch zu jenem von Lulu. Diese klingt – bis auf ein herausragendes Duett mit dem jungen Jimmy – ständig getrieben und gehetzt, mit wenig Wohlklang, dafür aber mit einer ganzen Menge an schwierigen Passagen, für die es großen Mut zur Interpretation braucht. Marisol Montalvo als Lulu trägt Neuwirths musikalisch kantige Züge. Im Gegensatz zu Eleanor, die von Della Miles gesungen wurde, kann sie ihr Leben, in dem sie als Getriebene aber auch als Treibende selbst rastlos unterwegs ist, nicht selbstbestimmt gestalten. Selbst in ihrem Glitter-Tanzkostümchen verbreitet sie keine Streichelweichaura, sondern agiert mit Wut, Trotz und dem Willen, die Lebenserfolgsleiter mithilfe von Männern nach oben zu erklimmen. Della Miles agiert mit üppiger Afro-Perücke und warmem Timbre trotz all erlittener Enttäuschungen und der Liebesverweigerung von Lulu überlegt, ja überlegen. Könnte man ihren Bruch mit Lulu kurzfristig noch als Niederlage interpretieren, wird zumindest am Ende der Oper klar, dass diese Niederlage auch etwas mit einer selbstbestimmten Entscheidung zum eigenständigen, unabhängingen Weiterleben zu tun hat.

Regie und Videoeinspielungen greifen in die Vollen

Kirill Serebrennikov, russischer Starregisseur, war auch für das Bühnenbild und die Kostüme zuständig. Tatsächlich wirkte dies alles wie aus einem Guss. Edward Hoppers berühmtes Gemälde „nighthawks“ stand Pate bei seinem schwarz-weiß gehaltenen Bühnenbild, das er in vielerlei Abwandlungen an diesem Abend zum Einsatz brachte. Lulus Männerparade agierte dort meist in Gruppen auftretend, mit Trenchcoat und Hut. Wenngleich sich die einzelnen Personen so gut wie nie austauschten und näher kamen. Im letzten Aufzug sitzen Lulus ehemalige Liebhaber wie Vögel nebeneinander auf Barhockern und erscheinen ihr mit ihren teils offen zur Schau getragenen Macken wie ein Albtraum. Sozial aufgestiegen, mit Blick über ein großstädtisches Lichtermeer, hindert sie ihre Gefühlskälte und ihre Vergangenheit daran, ihren Luxus und ihr Leben genießen zu können.

Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Abends leistete auch Gonduras Jitmoirsky, der eindrucksvolle Videosequenzen beisteuerte. Ob bei den Umbauten der einzelnen Aufzüge, oder als große, eigenständige künstlerische Beiträge zwischen die gesanglichen Partien eingefügt. Seine Bilder sind eine starke Entsprechung zu Neuwirths Musik, die an keinem einzigen Punkt beliebig wirkt und immer wieder mit Überraschungen aufwartet. Das letzte brachiale Bild, das Lulu erstochen in ihrem eigenen Blut zeigt, bleibt zwar nur kurz sichtbar, ist aber umso einprägsamer.

Johannes Kalitze und das Orchester der Komischen Oper Berlin erlebten im Theater an der Wien ein freundliches bis nahezu enthusiastisches Publikum.

Perfide, wirklich ganz perfide

Perfide, wirklich ganz perfide

„Pension Europa“ des Aktionstheater Ensemble in der Inszenierung von Martin Gruber – Wiener Uraufführung im Werk X-Eldorado

Die Bühne – schneeweiß. Wände und Boden – schneeweiß. Die Plastiksessel darauf – schneeweiß. Nur an der Stirnwand sind die Vornamen der Schauspielerinnen in großen, schwarzen Lettern zu lesen. Michaela, Susanne, Aisha, Alev, Isabella, Kirstin. Das sind die sechs weiblichen Champions, die anlässlich der Wiener Uraufführung von „Pension Europa“ in einen eiskalten Bühnenring steigen und dort ihren Kampf gegen alltägliche Widrigkeiten beginnen. Wo gut gespielt wird, braucht es kein Bühnenbild. Die Damen des Aktionstheater Ensemble kommen zu Recht ohne aus.

Der Text, der auf Interviews basiert und den Claudia Tondl zusätzlich poetisch anreicherte, ist sowohl zum Totlachen – als auch zum Totweinen. Je nach Betrachtungsweise und je nachdem, auf welcher Seite man steht. Bilgeri, Brandt, Eisa, Irmak, Jeschke und Schwab – so die Nachnamen der Akteurinnen – performen einen aberwitzigen Sprachparcours, bei dem sich das Publikum an vielen Stellen wiederfindet aber oft auch ertappt fühlt. Was genau passiert beim Haarefärben? Welche ist die beste Position beim Fotografieren – bei der die wenigsten Speckröllchen zu sehen sind? Bis dahin ist alles noch Schenkelklopftheater, das wirkt. Das Publikum johlt vor Lachen ob der zur Schau gestellten weiblichen Unzulänglichkeiten. Aber dann kommt die Geschichte über die verstorbene Schwester und die Zurückweisung der Mutter. Da stockt der Atem. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Bis von der Bühne der erlösende Satz kommt: „Alles gelogen, das hab ich mir nur ausgedacht!“ Wie jetzt, was jetzt? Ist das, war hier geboten wird ein Abbild unserer Realität, wie wir sie tag-täglich abseits des Theatersaals erleben oder doch nur Theaterwirklichkeit? Wurde tatsächlich eine männliche Liebschaft in Ägypten zurückgelassen oder sind die Geschichten einfach nur wunderbar erfunden?

Eine Theaterschaukel der besonderen Art

Die Truppe taucht gekonnt eine Wahrnehmungsschaukel an, die so rasant zwischen den Polen „oh ja, so ist es“ und „nein, das kann nicht wahr sein“ hin und her schwingt, dass einem schwindelig werden kann. Und sie beackert ein großes Feld, aus dem plötzlich unterschiedliche Versatzstücke auftauchen. Politische – „bei uns ist revolutionstechnisch ja schon lange nichts mehr los“, persönliche – „ich schaue so gern die Fernsehserie, bei der der Vater der Pastor ist“, oder auch gesellschaftsrelevante „I´m a bloody fucking Austrian girl“. Dabei wird lustvoll in jede Klischeepfütze und in jeden Vorurteilsmorast gesprungen, dass der Humor nur so spritzt. Wer Antennen hat, die auf die wahrlich schrecklichen Ausgangsmotive ausgerichtet ist, die dahinter stehen, kommt jedoch auch voll auf seine Kosten. Political correctness ist dabei – dem Aktionstheater Ensemble sei Dank – ein Fremdwort. Pension Schöller hieß ein Lustspiel aus dem 19. Jahrhundert, das Hugo Wiener in den 70er Jahren für die Wiener Kammerspiele adaptierte. Darin hielt ein soignierter Herr die Bewohner einer Pension irrtümlich für geisteskrank. In „Pension Europa“ wird dem Publikum ein Sammelsurium von Befindlichkeiten vorgeführt, die in ihrer Absurdität jener der Pension Schöller in nichts nachhinken. Mit dem Unterschied, dass die Absurdität ihre richtige Schärfe leider durch die tagesaktuellen Schreckensnachrichten erhält.

Ob Theater etwas bewirken kann, wie es an einer Stelle postuliert wird, sei dahingestellt. Dass man dieses jahrtausendealte Medium jedoch gehörig auf die Schippe nehmen kann, wurde am Aufführungsort – dem Werk X-Eldorado am Petersplatz – ausgiebigst vorexerziert. Imaginäre Theatervorhänge, theatralische Workshops, um das Betteln professionell zu erlernen, Selbstgeißelungen mit viel Theaterblut und eine Gesangsdiva, die unbeeindruckt von allem ihre Arien schmettert, als gäbe es daneben kein Sprechtheater – all das macht klar: Hier wird das eigene Tun seziert. Hier wird dem Publikum gezeigt, auf welche Spiele es sich einlässt, wenn es sich in eine Vorstellung begibt. Martin Gruber, der für die Regie verantwortlich ist und das Aktionstheater nun bereits seit 25 Jahren leitet, lässt die Damen ungeschminkt und in hautfarbener Unterwäsche auftreten. Sich bis auf die nackte Haut auszuziehen bedeutet in diesem Zusammenhang zu spielen, so wie man ist. Blank, ohne Beschönigung. Aber es sind nur die Körper, die hier unverhüllte Wirklichkeiten zeigen. Das, was gesprochen wird, hat doppelten Boden. Die Verwirrungsstiftung funktioniert auch in diesem Zusammenhang perfekt. Perfide, perfide ist so das Spiel vom Beginn bis zum lyrischen Schluss. Da darf dann jener Regen fein niederprasseln, den das Aktionstheater 25 Jahre lang bühnentechnisch nie zustande brachte. Eine feine Metapher, wie Beharrlichkeit gegen jede Widrigkeit am Ende doch zum Ziel führen kann.

Humor ist die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist. Diesen Satz prägte einst der deutsche Kabarettist Werner Finck. Das Aktionstheater Ensemble hat diese Weisheit auf der Bühne zu prallem Leben erweckt. Sehenswert!

Vom Schtetl nach New York

Vom Schtetl nach New York

Das David Orlowsky-Trio gastierte mit einem Konzert im Nestroyhof Hamakom

Kommt alle mit ins Schtetl! Stopp – umdrehen – auf nach New York! So könnte die Aufforderung des Klarinettisten David Orlowsky an sein Wiener Publikum gelautet haben, als er mit seinem Trio im Nestroyhof Hamakom gastierte. Anlässlich der Dezember-Veranstaltungsreihe „Sam`s Bar“, spielte er dort Klezmer vor ausverkauftem Haus gemeinsam mit Jens-Uwe Popp an der Gitarre und Florian Dohrmann am Bass. Und was für einen!

Das David Orlowsky Trio ist dafür bekannt, Klezmermelodien in einem neuen Gewand zu präsentieren. Da heißt´s für seine Begleiter nicht schrumm, schrumm, schrumm – fiedelt er an seinem Bass oder seiner Gitarre herum, denn Orlowsky fordert von sich und seinem Ensemble erheblich mehr. Perfektion wird von jedem einzelnen der Musiker als selbstverständlich vorausgesetzt, denn ohne diese könnten seine Klezmer-Instrumentierungen gar nicht in Angriff genommen werden. Bei Orlowskys Interpretationen der jüdischen Melodien geht es nämlich musikalisch in die Vollen. Dabei sind die Intros häufig kleine musikalische Kunstwerke an sich, oft nur von der Gitarre oder im Duett mit dem Bass vorgetragen. Seine Eigenkompositionen, wie jene, die der Stadt Istanbul gewidmet ist, können sich gar zu kompakten Sinfonetten entwickeln, die weit mehr als ein Haupt- und ein Nebenthema bereithalten. Dabei erschafft das Trio eine neue musikalische Klezmer-Welt, die man so vorher noch nicht gehört hat – eine Klezmer-Welt mit Wurzeln und Flügeln. Das  Programm, das in Wien gespielt wurde, basiert auf Kompositionen zweier legendärer Klezmer-Klarinettisten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in New York Stars dieses Genres waren.

Naftule Brandwein beeindruckt auch die heutigen Klarinettisten

Naftule Brandwein und Dave Tarras hießen die beiden Virtuosen, die „in den Vergnügungsstätten der Lower East-Side“ – wie es so schön im Erklärungstext zur vom Trio eingespielten CD heißt  – wahre Triumphe feierten. Brandwein (* 1889 in Przemyślany, Galizien; † 1963 in New York City) war kein Unbescheidener, betitelte er sich doch selbst als „King of Jewish Music“ und das, obwohl er keine Noten lesen konnte. Um ihn ranken sich zahlreiche Anekdoten, wie jene, dass er einst zu Weihnachten über und über mit elektrischen Lichtern bestückt auf die Bühne kam. Da er stark schwitzte, kam es zu einem Kurzschluss, den der Musiker beinahe mit seinem Leben bezahlte. Brandwein schaffte es nicht – ganz im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Tarras – auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Klezmer-Business erfolgreich zu sein. Seine Auffassung des damals so populären Jazz war die, dass er klingen müsse „wie Klezmer“. Eine wunderbare Kostprobe davon gab es auch am Konzertabend in Wien, neben vielen anderen Stücken des originellen Musikers, die vom Orlowsky-Trio wiederentdeckt wurden.

Brandwein erlebt derzeit eine wahre Renaissance in der Klezmer-Community. So widmete ihm auch der Klarinettist Helmut Eisel eine Aufführungsreihe, die im Rahmen von Familienkonzerten in Deutschland präsentiert werden. Darin ist der Hauptprotagonist Naftule ein genialer Musiker, der aber leider das Notenlesen nie erlernt hat. Eisel und Orlowsky verbindet aber mehr als nur das Bekenntnis zu Naftule Brandwein. Sie spielten gemeinsam in der „Clarinet Gang“ und waren Schüler von Giora Feidman. Jenem Klezmer-Klarinettisten, der international durch seine Mitwirkung bei John Williams oscargekrönter Filmmusik zu Steven Spielbergs Schindlers Liste (gemeinsam mit Itzhak Perlman) bekannt wurde. Er war auch einer jener wichtigen Musikgestalten, die das Klezmer-Spiel in den 70er Jahren wiederbelebten und durch zahlreiche Schüler die heutige Verbreitung und Akzeptanz dieser Musikrichtung einläuteten.

Der Notenfresser Dave Tarras

Dave Tarras, geboren als Dovid Tarraschuk in einem Dorf in der südlichen Ukraine, das zum ehemaligen Bessarabien gehörte, spielte eine Vielzahl von Platten ein. Dabei bewies er die Fähigkeit, sich  auch in anderen Musikrichtungen auszudrücken, wie zum Beispiel der griechischen oder russischen Volksmusik. Dafür verwendete er, je nachdem, welche Nationalität er musikalisch näher betrachtete, unterschiedliche Pseudonyme seines Namens, die er geschickt der jeweiligen Landessprache anzupassen wusste. Wie Feidman förderte er viele junge Klezmermusiker zu jener Zeit, als diese Musikrichtung gerade aus der Versenkung geholt und zum zweiten Mal wieder richtig populär wurde. Er selbst bezeichnete sich gern als „Notenfresser“ womit er sein unglaublich breit gefächertes Programm veranschaulichen wollte.

Orlowsky spielte zahlreiche Stücke dieser beiden Legenden, die unter dem Titel „Klezmer Kings – a tribute“ sowohl als CD als auch auf Vinyl erschienen sind, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Die Musik, die ihm im Blut zu pulsieren scheint, zeigt sich nicht nur an seinem einfühlsamen Spiel in den leisen, melancholischen Passagen. Dabei schafft er einen zarten, samtweichen, fast nur gehauchten Ton, der an Innigkeit kaum zu überbieten ist. Dort, wo die Lebensfreude überhand nimmt und der Rhythmus zum Tanzen einlädt, ist sein ganzer Körper ist in Bewegung. Kleine Tanzschritte und ein elegant-neckischer Hüftschwung markieren einen ganz persönlichen Stil, von dem man nicht genug bekommen kann. Jens-Uwe Popp steuert mit seinen Gitarrenklängen, die an einigen Stellen flamencohafte Züge annehmen, zum erdigen, aschkenasischen Sound einen sonnigen sephardischen bei. Eine wunderbare Ergänzung, die in dieser Art selten zu hören ist. Florian Dohrmann zupft seinen Bass mit einer Leichtigkeit, als böten ihm die langen Saiten überhaupt keinen Widerstand. Seine „Duette“ mit der Klarinette gehören zum Einprägsamsten des Abends, wohl auch deswegen, weil gerade in ihnen die Menschlichkeit dieser Musik so ausgeprägt fühlbar wird. Die Spielfreude, die das ganze Ensemble erfasste, ist in den Gesichtern der Musiker ablesbar. Stellenweise wünschte man sich eine Tanzfläche, um die eigenen zappelnden Beine in Bewegung zu bringen. Eine virtuos-fulminante Zugabe mit einer kabarettreifen Einlage beendete den Abend in Wien, der vom Publikum enthusiastisch aufgenommen wurde.

Das David Orlowsky Trio beweist, dass Klezmer keine Musikrichtung ist, die in ihren eigenen Formeln erstarrt. Ganz im Gegenteil – die drei Musiker schaffen es, Musik mit Herz und Seele, aber auch einer großen Portion Intelligenz auszustatten. Ein wahrer Ohrenschmaus.

Links:

David Orlowsky Trio

Nestroyhof Hamakom

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