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Aus Kindern werden alte Leute
Aus Kindern werden alte Leute
Michaela Preiner
3. Februar 2010
Lesezeit: 3 Minuten
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Ein kleines Mädchen ist in ihrem Zimmer dabei, sich auf einzelnen Blättern Papier ihr Häuschen aufzumalen. Sie stellt sich vor, wie es aussehen könnte, das Häuschen, in dem sie leben würde, in dem es ihr gefallen könnte. Mit wenigen Worten umschreibt sie das Geschehen, kommentiert ihre Zeichnungen und legt sie zurecht. „Licht aus!“ sagt sie […]
Ein kleines Mädchen ist in ihrem Zimmer dabei, sich auf einzelnen Blättern Papier ihr Häuschen aufzumalen. Sie stellt sich vor, wie es aussehen könnte, das Häuschen, in dem sie leben würde, in dem es ihr gefallen könnte. Mit wenigen Worten umschreibt sie das Geschehen, kommentiert ihre Zeichnungen und legt sie zurecht. „Licht aus!“ sagt sie noch, bevor sie sich schlafen legt und im nächsten Moment ist es stockdunkel. „Licht an!“ hört man eine sehr ähnliche, wenngleich auch ältere Stimme den Befehl zur Erhellung geben und dann folgt ein kleiner Schockmoment. Das eben noch kleine Mädchen ist nun eine ältere, grauhaarige Frau geworden. Unter der sehr intelligenten Regie von Denis Woelffel kam im TJP, dem Theater der Jugend in Straßburg, das Stück „In meinem Haus aus Papier habe ich Gedichte auf dem Feuer“ von Philippe Dorin zur Aufführung. Ein Kinderstück eigentlich, das aber auch bei jenen Erwachsenen seine Wirkung nicht verfehlt, die sich auf eine einfache Sprache einlassen können, in der dennoch viel verborgen liegt, was nicht auf Anhieb zu erkennen ist. Dorin schrieb einen wunderbar lyrischen Text, der sich mit dem Tod, gespielt von Quentin Lemaire, auseinandersetzt. Mit der Vergänglichkeit und dem, was vielleicht bleibt – oder auch nicht. Der nichts beschönigt, aber auch keine Angst verbreitet. Das kindliche Alter Ego der Frau, bei der der Tod anklopft und ihr Rosen überreichen will, die sie aber nicht annimmt, rebelliert gegen das nahe Ende. Knipst das Licht immer wieder an, so wie es Kinder tun, die sich vor dem Dunkel der Nacht fürchten, und versucht mit allerlei Tricks den Tod, von dem es doch nur eine vage Ahnung hat, was er sein könnte, hinauszuschieben. „Hast du Hunger? Hast du Durst? Ist dir kalt? Hast du Angst?“ All diese Fragen, die sie der alten Frau stellt, die ihr den Tod versucht begreiflich zu machen, kann diese verneinen. Tröstliche Gedanken, die versuchen, das Unbeschreibliche mit wenigen Worten doch begreifbar zu machen. Orianne Bernard und Sandra Denis spielen berührend das kleine Mädchen und die ältere Frau, die beide den Tod, in zu kurzen Hosen und mit einem kleinen, schwarzen Hut auf dem Kopf, mehr staunend als fürchtend bemerken. Dorin, der hauptsächlich für Kinder schreibt, gelang mit dem Stück ein Kunstgriff, der gleichermaßen über die realen Ängste der Kinder erzählt, wie auch über das allmähliche Loslassen älterer Leute vom Leben. So einfach sich der Text auf den ersten Blick auch präsentiert, so kunstvoll ist die Verschränkung der beiden Erzählebenen gelungen. Selbst als die alte Frau alle Rosen zu einem Strauß in ihrer Hand aufgenommen hat und das Licht ein letztes Mal erlischt, bleibt weder Angst noch Bitterkeit.