misch- und trennkunst, gemeinschaftsarbeiten und einzelwerke, 1968-2005
Die von Robert Fleck geleiteten Deichtorhallen in Hamburg warten einmal mehr mit einer Ausstellung auf, die den Bogen von bereits historisch dokumentierter Größe eines Künstlers zu dessen zeitgenössischer, aktueller Produktion spannt und offenbart, dass gute Avantgardekunst der 60er und 70er noch längst nicht in die Jahre gekommen ist. Nach dem „blockbuster“ mit dem Österreicher Erwin Wurm, der bereits vorexerzierte, dass auf den ersten Blick Witzig-Plakatives mit einer unglaublichen Tiefe ausgestattet sein kann, bringt Fleck nun abermals einen Österreicher – Arnulf Rainer.Dieses mal abertritt der international bekannte Österreichische Künstler in einem Ausstellungsteil mit seinem temporär gewählten Kunstzwilling, dem weit aus weniger bekannten Deutschen Dieter Roth, in einer Retrospektive auf.
Dass die Ausstellung nicht ausschließlich retrospektiv gestaltet ist und sich auf das gemeinsame Oeuvre von Rainer und Roth beschränkt, sondern in die die aktuelle Produktion von Rainer übergreift, erweitert die Schau um eine zusätzliche, nicht uninteressante Dimension.
Arnulf Rainer – wem fällt bei dieser Namensnennung nicht automatisch eine ganze Anzahl von Werkserien ein, mit denen sich der Künstler mit seinen Übermalungen einen internationalen Namen gemacht hat. Der Anblick von den Überarbeitungen seiner eigenen Portraits, oder die Zyklen rund um die Kreuzigung, hinterlassen bei den Rezipienten gerne Verstörung oder Betroffenheit. Zugleich erwecken diese Arbeiten den Eindruck, dass Rainer ein durch und durch ernster, tiefsinniger, schwieriger und nahe dem Tod verhafteter Mensch sei, der dies in seiner Arbeit auszudrücken versucht. Dass dem ganz und gar nicht so ist, kann man nun der Ausstellung von Fleck entnehmen, die zeigt, aus welcher künstlerischen Ecke, mit welchen kreativen Motivationen, Rainer in den 60er und 70er Jahren ans Arbeiten ging.
Entgegen der historisch korrekten und landläufigen Präsentation, die meist mit dem Frühwerk eines Künstlers beginnt und zu dessen Spätwerk führt, fällt der Besucher und die Besucherin gleich zu Beginn in die letzten Arbeiten von Arnulf Rainer. Sicherlich ein Tribut an dessen Grundhaltung, das Überraschungsmoment als integralen Bestandteil seiner Kunst aufzufassen. Rainer bleibt auch in diesen Arbeiten seinem Hauptmedium, dem Foto, welches er als Grundlage seines künstlerischen Schaffens heranzieht, treu. Allerdings sind es keine Fotoarbeiten von anderen Künstlern die er verwendet, sondern Rainer greift hier selbst zum Apparat, um die Landschaft in Teneriffa, in der er sich seit 10 Jahren winters aufhält, „malerisch“ abzubilden.Es geht ihm jedoch nicht um eine reine Wiedergabe, sondern um eine künstlerische Verfremdung durch Eingriff bzw. präziser, Vorhalten von verschiedenen Dingen vor die Kameralinse, wie z.B. durchsichtige Plastikteller, zerknüllte Papierblätter usw. Dass Rainer selbst auf den Auslöser drückt, begründet er prosaisch mit den verschärften Copyrightgesetzen. „Ich habe hunderte von Blättern in meinem Atelier, die ich aber erst 70 Jahre nach dem Tod derjenigen ausstellen darf, die ihre Urheber waren! Außer ich zahle eine Menge an Lizenzgebühren!“ Manches mal sind es eben keine theoretisch-methodischen Überlegungen, die Künstler zum Einsatz verschiedener Techniken bewegen, sondern schlichtweg finanzielle. Diese stehen bei Rainer schon sehr früh im Mittelpunkt seiner Entscheidungen zu Materialeinsatz und –verwendung. Nicht nur, dass er sich in jungen Jahren tatsächlich sparsam verhalten musste und seine Produktion auf die finanziellen Ressourcen auszurichten hatte, er war sich auch immer bewusst, dass seine Arbeiten dennoch konservatorisch optimal angelegt sein sollten, „war ich doch immer von der Musealität meines Schaffens überzeugt.“ Sein Einsatz von Fotos – zuAnfang standen eigene Portraitaufnahmen in Fotoautomaten in Bahnhöfen und großen Einkaufszentren in Wien – steht am Beginn der sich neu formierenden Medienkünste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und hat dem Künstler einen festen Platz in der Kunstgeschichte zugewiesen. Rainers bewusst gesetzte Kunstposition versucht, aus dem Jahrhunderte alten Motivkanon auszubrechen, lässt aber das Duchamp`sche Postulat nach einem erweiterten Kunstbegriff qua definitionem, nicht gelten. Schon seine frühen Arbeiten sind vom unbedingten Willen zur künstlerischen Kreativität und ausformuliertem, künstlerischem Ausdruck getragen.
Einen kreativen Höhepunkt erfuhr sein Schaffen in der Zusammenarbeit mit dem Künstler Dieter Roth, welcher in den 70er Jahren zur Wiener Avantgardeszene gehörte, seltsamerweise jedoch ganz selten in der Literatur hierzu aufscheint. Wie im Text des Ausstellungskataloges schön dargelegt, verbrachte Roth zwischen 1972 und 1979 mehrere Aufenthalte in Wien, im Atelier von Rainer wohnend, welches ihm dieser zur Verfügung stellte. Die künstlerischen Interaktionen, die zwischen den beiden entweder nur vor der Kamera oder manches Mal auch vor Publikum zustande kamen, sowie die Ergebnisse der Photoübermalungen der gemeinschaftlichen Arbeit, bilden den Hauptteil der Ausstellung. „Das waren Slapstickstücke, in Südbayern würde man Valentinaden dazu sagen“ spielt Rainer selbst die Bedeutung dieser Arbeiten herunter. Und dennoch zeigt sich gerade in diesen Werken schon die Ausformulierung der Rainer so typischen, gestischen Handschrift. Neben der oftmals urkomischen Komponente, die diese überarbeiteten Photos in sich tragen – noch betont durch Beschriftungen wie z.B. `Bevor sie zu malen beginnen, messen R. und R. ihre Bäuche`, tragen sie aber den Keim nicht nur der beginnenden, boomenden Medienkunst, sondern auch eines damals noch im Privaten agierenden Aktionismus in sich. Sicherlich trug auch Rainers stetiger Blick auf die Vermarktbarkeit seiner Arbeiten durch den Kunsthandel dazu bei, dass ein Großteil dieser Arbeiten erhalten geblieben ist. Die Aktion und Interaktion, Bestandteile von Happening und Fluxus jener Zeit, war bei Rainer und Roth immer von einer dokumentierenden und archivierenden Komponente begleitet. Der Spaß, den beide daran hatten, vermittelt sich beim Betrachten auch heute noch. Und so darf in der Ausstellung auch herzlich gelacht werden, angesichts der burlesken Szenen und Kasperliaden der beiden Protagonisten.
Dieter Roth und Arnulf Rainer führten im Atelier und in einigen, wenigen Galerien Stücke auf, die heute gesittet und künstlerisch eingeordnet als Improtheater deklariert werden. Die Radikalität, die die beiden Künstler dabei an den Tag legten, wird heute jedoch in keiner Weise erreicht. Wenngleich ich doch relativierend hinzufügen möchte, dass auch ein anderer Anspruch dahinter steht.„Damals musste man immer gegen etwas sein“ erläuterte Rainer im Künstlergespräch in Hamburg, „das war in Deutschland noch viel stärker als bei uns in Österreich“. Und so mag es wohl die Aufgabe von Dieter Roth gewesen sein, Rainer mit einer gänzlich anderen Art von Subversivität zu konfrontieren, als dies in Österreich zu dieser Zeit denkbar gewesen ist. Stillsein, kuschen, schlucken war die Parole nach dem Krieg. Roth und Rainer waren laut, haben sich gegenseitig Paroli geboten und ausprobiert, was ihnen an darstellenden Ausdrucksformen persönlich zur Verfügung stand und die dabei entstandenen Photos anschließend weiter verarbeitet. Die Ergebnisse, die in den Deichtorhallen zu sehen sind, sind umwerfend.
Es ist aber nicht allein das Verdienst der Ausstellung, die Erkenntnis zu gewinnen, dass Rainer durch die Erarbeitung dieses Werkkomplexes gar nicht die Personifizierung von Ernst und tiefer Traurigkeit sein kann. Vielmehr ist es möglich, durch die Sichtbarmachung dieser radikalen Anfänge seines Schaffens, auch die späteren Arbeiten in einem anderen Licht zu sehen. Die Würdigung der Arbeit von Dieter Roth und Arnulf Rainer geschieht in dem die Ausstellung begleitenden, überaus informativen Katalog, der wunderbarerweise auch mit allen gezeigten Arbeiten aufwartet.
Fleck scheint eine Methode der Kunstvermittlung auch von sperriger Kunst gefunden zu haben, die darauf baut, dass die Konfrontation nicht mit erhobenem Zeigefinger oder belehrender Geste einherschreitet, sondern vielmehr mit Humor und Witz unterspickt ist; Phänomenen, denen man im durchschnittlichen Ausstellungsbetrieb ansonsten eher selten begegnet. Eine Ausstellung für all jene, die Rainer einmal von einer anderen Warte aus betrachten und Dieter Roth kennenlernen wollen. Sehr sehenswert!
Arnulf rainer – diether roth
Misch- und Trennkunst
6.9.2007 – 6.1.2008, Deichtorhallen Hamburg
Alle Bilder/All images © Atelier Arnulf Rainer