An enormously sophisticated eye
Von Michaela Preiner
Ich kann hier auf jene nennenswerten Artikel verweisen, die bisher anlässlich dieses Geschehens veröffentlicht wurden, mit dem Vorteil, mich eben nicht dieser Objektivität unterordnen zu müssen und die Betrachtung über die Künstlerin Francesca Woodman aus einem sehr subjektiven Blickwinkel aus durchführen zu können. Zudem war es mir auch möglich, mich dem Studium des die Ausstellung begleitenden Kataloges zu widmen und mir auch den 2010 entstandenen Dokumentarfilm „The Woodmans“ anzusehen, um so noch intensiver in die Welt der Künstlerin einzutauchen.
All diese Freiheiten habe ich mir ganz bewusst genommen, da Woodman eine jener seltenen Neuentdeckungen im Ausstellungsgeschehen darstellt welche auch Auswirkungen auf meine zukünftigen Betrachtungen bestimmter Kunstströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben wird. Eine Ausnahmekünstlerin also, die ich zu einem Zeitpunkt entdecke, von welchem aus man nur mehr geschichtlich auf ihre Arbeit blicken kann.
Vom Geheimtipp zum Star
Die Gelegenheit, nun die gesamte Sammlung der Verbund – 80 Werke sind es insgesamt – zu sehen, ist eine Großartige. Vor allem durch die Herausgabe der ersten deutschsprachigen Monographie, die anlässlich dieser Ausstellung verfasst wurde, wird sich ihr Bekanntheitsgrad sicher auch in Europa verstärken und das auch zu Recht. Vorweg ist anzumerken, dass Woodmans Werk innerhalb eines Zeitraumes von nur 8 Jahren zustande kam. Von ihrem ersten Foto aus dem Jahr 1973 bis zu ihrem letzten im Jahre 1981. Das Werk, das in Wien zu sehen ist, konzentriert sich hauptsächlich auf Woodmans Fotos, beinhaltet jedoch auch einige Videos. Ausgespart sind nur die allerletzten Arbeiten der Künstlerin, die in Farbe ausgeführt und in einem großen Format reproduziert wurden. Sonst jedoch findet sich quer durch die unterschiedlichen Themenschwerpunkte tatsächlich alles, was zu einem monographischen Überblick von Francesca Woodman notwendig ist.
Historische Bezüge im Werk von Woodmann
Darin geht sie unter anderen auch auf dieses Bild ein und beschreibt es als ein „Bündnis“ mit Michelangelo, da sowohl auf einem Ausschnitt des Jüngsten Gerichts in der Sixtina als auch in diesem Bild von Woodman ein Messer und ein bzw. mehrere Selbstportraits eine Rolle spielen, was bei näherer Betrachtung und Überlegung schlüssig erscheint. Mit dieser Interpretation, die auf historische Vorbilder Bezug nimmt, spricht Schor auch ein weiteres Charakteristikum an, das, wie sie ebenfalls richtig feststellt, offenbar bis heute in der Untersuchung zum Werk der Fotografin nicht ausreichend beleuchtet wurde.
Die Tatsache nämlich, dass sie in vielen ihrer Bilder explizite Bezüge zu historischen Bildern aber auch antiken oder christlichen Überlieferungen abgegeben hat. Als weiteres Beispiel wird ein Portrait mit einer Venusmuschel, das Botticellis Geburt der Venus gegenübergestellt wird, angeführt. Die Abbildung, in der sie mit erhobenen und mit Rinden umwickelten Armen in einem Wald steht, verweist wiederum auf den griechischen Daphne-Mythos. Von Apoll verfolgt, ersuchte sie ihren Vater um Verwandlung, die ihr tatsächlich in Gestalt eines Baumes zuteil wurde. Interessant zu wissen, dass die Künstlerin sich zu jener Zeit auch von der Liebe ihres Geliebten verfolgt fühlte. Ein ausgezeichnetes Beispiel, wie sehr es Francesca Woodman gelang, ihr eigenes Erleben in einen kunsthistorischen Bezug einzubetten und daraus ein eigenes Werk mit einer Formensprache zu entwickeln, die dennoch nur von Menschen dechiffriert werden kann, deren Wissen und Bildung sich im gleichen kulturellen Kanon bewegen wie dem ihren.
Die Samson-Legende, das Ecce-homo-Motiv, Kleopatras Tod, Leda mit dem Schwan und Caravaggios Narziss-Interpretation finden sich ebenfalls in Schors Untersuchungen, die auf diesem Gebiet höchst aufschlussreich sind. Interessant dabei ist, dass es sich nicht ausschließlich um weiblich besetzte Themen handelt, die Woodman in ihr Werk integrierte.
Mit dem Ecce-homo-Motiv und jenem des Narziss sind es allgemein gültige psychologische Erscheinungen, die von beiden Geschlechtern nachempfunden werden können. Vor allem die narzisstische Interpretation lässt sich sehr schlüssig auf Woodman selbst übertragen. Ihr Vater äußerste dazu im Dokumentarfilm seine damaligen Bedenken bezüglich einer allzu obsessiven Beschäftigung seiner Tochter mit sich selbst, um dies jedoch kurz danach zu relativieren. In der Tat gibt es ein weiteres Charakteristikum, das in den Fotos von Woodman augenfällig ist.
Die Tatsache, dass sie selbst auf den allermeisten Bildern auftaucht mag vielleicht auf den ersten Blick verblüffen. Ihre Argumentation, dass sie sich selbst als ihr eigenes Modell sah, zu dem der Zugang jederzeit möglich war, deckt sich mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, wie dies zum Beispiel auch Arnulf Rainer zur gleichen Zeit tat. Auch er argumentierte die Aufnahme der Selbstportraits zuallererst im Fotoautomaten, dann zuhause mit Hilfe von Assistenten, dass dies einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits auch aus der Idee heraus entstanden sei, nicht auf bereits von anderen Künstlern oder Fotografen vorgefertigtes Material zurückgreifen zu müssen, was auch mit Urheberrechtsproblemen einher gegangen wäre.
Es sind also oft nicht nur künstlerische Überlegungen, die zur Ausführung eines Werkes in einer bestimmten Art und Weise drängen. Vieles, was Woodman im Kopf hatte, war für sie selbst sicherlich auch de facto leichter umzusetzen. Ihre penible Vorbereitung, bei der ohnehin jedes Attribut seinen bestimmten, unverrückbaren Platz hatte, konnte sich so auf das Anordnen von Gegenständen im Raum beschränken. Anweisungen zu ihrer eigenen Platzierung und ihrem eigenen Tun, mussten nicht umständlich ausgesprochen und erklärt werden.
Die feminine Sicht und Interpretation
In einer Zeit tätig, in welcher eine Reihe von Frauen ihren eigenen Körper und ihre Sexualität als Motiv ihres künstlerischen Handelns entdeckten, thematisiert Woodman einen scheinbar völlig ungezwungenen Zugang zu ihrer Nacktheit. Diese ist in den meisten Fällen mit einem Selbstverständnis aufgeladen, welches im Gegensatz zum männlichen Blick steht, der die nackte Frau an vorderster Stelle als Sexualobjekt verstanden wissen will. Francesca Woodmans Zugang ist ein anderer. Sie verwendet Nacktheit so selbstverständlich, wie sie es aus vielen musealen Kunstwerken einerseits her kennt, andererseits gelingt es ihr in einer sehr unprätentiösen Art und Weise ihren Körper in einen sinnhaften Bezug zu ihrer Umgebung zu setzen. Sei es in der Serie, in welcher sie am Strand, teils eingegraben liegt, sei es in ihrer „mirror“-Serie, in welcher sie trotz ihrer Nacktheit durch ihre Interaktion mit sich am Boden befindenden Spiegel mehr von der Bewegung als ihrer Nacktheit selbst sichtbar macht, was auch für die Reihe „self deceit“ gilt.
Woodman und die Kunstgeschichte
Zeitgeist und Werk
Die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Werken mögen einerseits tatsächlich als direkte Zitat zu verstehen sein, andererseits lässt sich auch einiges mit einer zeitgeistigen Kunstströmung erklären, die, einmal begonnen, sich in vielen Ländern rasant verbreitete und dabei zu vergleichbaren Ergebnissen führte. Was allerdings dabei auffällt, ist die Tatsache, dass sich die junge Künstlerin explizit immer wieder mit der Arbeit von unterschiedlichen Künstlerinnen auseinandergesetzt hat und somit sehr früh ihren Standpunkt mit den von Kolleginnen verglichen oder Aussagen ihrer Kolleginnen in eigene Werke eingearbeitet oder umgedeutet hat. Diese Geisteshaltung zeigt, wie sehr sie sich nicht nur im historischen, sondern auch im zeitgenössischen Kontext in ein Kunstgeschehen eingebettet sah, von dem zu ihrer Zeit viele noch nicht einmal richtig Notiz nahmen. Dies hat wohl mit ihrer familiären Prägung zu tun. Beide Eltern waren und sind noch nach wie vor künstlerisch tätig und waren bestrebt, ihre Kinder von klein an an die Kunst heranzuführen. Francescas Bruder Charles erwähnte im Dokumentarfilm, dass es für ihn und seine Schwester nichts Selbstverständlicheres gab, als sich mit Kunst tag-täglich auseinanderzusetzen und diese ins eigene Leben zu integrieren.
Die für viele faszinierendsten Serien, die Francisca Woodman schuf, betiteln sich grob mit „house“ oder „space“. In beiden spielt sie mit dem Phänomen der Absenz in der tatsächlichen Anwesenheit. Fotos mit Mehrfachbelichtungen suggerieren ein beinahe körperloses Wesen, das sich in Räumen aufhält, die oft von „schrägen“ Blickwinkeln aus fotografiert wurden, sodass sie wie aus den Fugen geraten erscheinen. Aufschlussreich verwies Elisabeth Bronfen bei der Ausstellungspräsentation darauf, dass diese Bilder, die im Englischen mit dem Attribut „gothic“ versehen werden, eine unglaubliche Anziehungskraft auf viele junge Mädchen und Frauen haben. In diesen Werken schlüpft Woodman in verschiedene Rollen, oftmals in Kostümen, die mehr an das 19. denn an das 20. Jahrhundert erinnern. Sie umhüllt ihren Leib in so geschickter Art und Weise, dass er schwer zu erkennen ist, oder schlüpft unter eine abblätternde Tapete, sodass man meint, sie entsteige der Wand dahinter in den Raum. Annabell Hirsch erläuterte dazu in einem Artikel aus dem Jahr 2012, der in der Weltkunst erschienen war und sich im Zeit Online Archiv findet, dass diese Bilder als Illustrationen von Schauerromanen wie „The Yellow Wallpaper“ von Charlotte Perkins Gilman gelesen werden können und hat damit ein gewichtiges Argument gegen all jene Interpretationsansätze, welche diese Bilder als eine bewusste Vorwegnahme des physischen Verschwindens der Künstlerin deuten.
Sophisticated eye
Wer weiterführende Hinweise auf das Leben von Francesca Woodman sucht, möge in den folgenden links fündig werden. Die Biografie wurde an dieser Stelle ganz bewusst weggelassen, um jenen Leserinnen und Lesern, die vielleicht das erste Mal über das Werk von Francesca Woodman lesen, jene Unvoreingenommenheit zu bieten, welche diese außergewöhnliche Arbeit tatsächlich auch verdient hat.
Nachtrag, verfasst am 21.2. 2014
Nun, einige Tage nach der Veröffentlichung des Artikels möchte ich ein Gedankenexperiment anfügen, das mich seit Kurzem umtreibt. Ich habe in der Betrachtung zur historischen Einbettung von Woodmans Ikonologie auf die Möglichkeit hingewiesen, den Akt mit Wäscheklammern als Sebastian-Motiv zu lesen. Mir ist beim Nach-Denken dieser Idee die Frage einer Ausstellungsbesucherin wieder ganz präsent geworden, die nach der religiösen Zugehörigkeit von Francesca Woodman fragte. Woodman war Jüdin, nach der Traditionsfolge, nach welcher nur die Mütter an ihre Kinder den Glauben direkt weitergeben können. Ihr Vater stammt aus einer streng protestantischen Familie. Wie ihre Eltern im Dokumentarfilm schilderten, war ihre Ehe aufgrund ihrer unterschiedlichen Konfessionen vor allem für die Familie des Vaters sehr belastend.
Der Großvater von Francesca und ein Onkel besuchten das junge Ehepaar ein einziges Mal in deren Haus, um danach nie wieder zu kommen. Diese Ausgeschlossenheit aus einem größeren Familienverband muss den Woodmankindern zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt bewusst gewesen sein.
Der Umstand, dass die Elternteile von unterschiedlichen Konfessionen geprägt waren, ist Fakt. Wie sich dies auf die Erziehung der Kinder auswirkte, reine Spekulation. Als denkende Frau jedoch, die sich ihrer Prägungen sehr bewusst gewesen ist, kann es durchaus möglich sein, dass dieser Umstand auch in ihr Werk selbst einfloss. Es gibt tatsächlich ein Foto, welches, über den Bezug zu Hans Bellmer hinaus, noch eine zweite Ebene einzieht, die nicht sofort von der Hand zu weisen ist.
Es ist jenes unbetitelte Foto, welches die Beine einer jungen Frau mit durchsichtigen Bändern umwickelt zeigt. Tatsächlich sind es die jüdischen Gebetsriemen, Tefillin genannt, die von Gläubigen beim Morgengebet angelegt werden, die eine ästhetische Parallele zu dieser Extremitäten-Behandlung darstellen. Dabei werden der Ober- und der Unterarm, sowie die Hand und Finger umwickelt – als sichtbares Zeichen der Mahnung, die Gebote Gottes zu beachten.
Es liegt ganz im Wandlungskanon von Francesca Woodman, ein Thema – egal aus welchem Kultur- oder Kunstbereich es auch stammen mag – in ein eigenes Stilmoment zu verkehren und so wäre die Anbringung von Bändern an ihren Beinen – zumal noch dazu durchsichtige, im Gegensatz zu schwarzen wie es die Tefillin sind – eine äußerst sinnhafte Umdeutung der religiös determinierten ursprünglichen Verwendung. Die Eltern von Francesca könnten darüber Auskunft geben, ob ihre Tochter explizit jüdisch erzogen wurde, der Autorin ist es nicht möglich, diese Frage zu beantworten. Dass Woodman sich dennoch mit den Wurzeln ihrer Prägungen auseinandersetzte, und dazu gehören auch die religiösen, seien sie auch noch so unterschwellig transportiert, sehe ich, wie schon festgestellt, dennoch als ziemlich wahrscheinlich an.
Folgt man nun der Idee des Sebastian-Motivs in jenem Foto, welches den Akt bis zu den Oberschenkeln wiedergibt, könnte man genauso gut das Bild mit den umwickelten Beinen in Beziehung zur jüdischen Kulturtradition setzen. In beiden Fällen wäre Woodman sicherlich blasphemischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen, hätte sie diese Hinweise offen kommuniziert. Vielleicht hätte die Künstlerin sich zu einem späteren Zeitpunkt explizit auf diesbezügliche Fragen geäußert. Da dies nicht so ist, muss dieses intellektuelle Experiment zumindest an dieser Stelle im Status der Mutmaßung verbleiben, dem man zum Abschluss jedoch noch ein drittes Bild hinzufügen könnte. Es ist das Selbstportrait „on being an angel“, das Francesca Woodman von einer erhöhten Kameraposition aus zeigt. Sie blickt dabei direkt in die Linse. Ihr Gesicht und ihre nackten Brüste stehen im Zentrum der Darstellung, der Rest des Körpers ist komplett ausgeblendet.
Es ist eines jener Bilder, in welchen Woodman beinahe ohne Attribute auskommt und sich ohne jegliche weitere Staffage ganz explizit in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Einzig ihr Kopf und ihre Brüste sind den Blicken der Betrachtenden zugewandt und vermitteln die unterschwellige Botschaft von der Dualität ihres Seins: Sie stellt dabei ihren Intellekt und ihre Sexualität als gleichwertige, sich gegenseitig bedingende Faktoren zur Debatte. Dass Woodman dafür abermals eine Form fand, die vollendet genannt werden kann, spricht für ihr untrügliches ästhetisches Verständnis. Ein Umstand, der ihre Fotoarbeiten von jenen ihrer Zeitgenossinnnen oftmals drastisch unterscheidet. So seien hier noch zum Abschluss dieser Betrachtung ganz im Sinne des Malraux`schen imaginären Museums die genannten drei Fotografien von Francisca Woodman nebeneinander gestellt. Der mit Wäscheklammern malträtierte Torso, die mit einem durchsichtigen Band umwickelten Beine und der direkte Blick der nackten Künstlerin in die Kamera. Für mich ergibt dieses Tryptichon ein Ganzes, welches auch ohne jegliche Erklärung eine Botschaft vermittelt, die nicht nur für eine Künstlerin wie Francesca Woodman Sinn machte: Die familiären Prädispositionen sind in jedem von uns gespeichert und uns mehr oder weniger bewusst. Erst unsere Selbstreflexion und unser sebstbestimmtes Tun macht uns jedoch zu dem Menschen, der wir über alle Prägungen hinaus tatsächlich sind. Dieses spekulative Spiel mit Woodmans Fotos zeigt gleichzeitig, welch hohes Interpretationspotential in ihnen liegt, auch völlig abseits ihrer eigenen Intentionen.
Die Ausstellung „Francesca Woodman. Werke aus der Sammlung Verbund“ ist noch bis zum 21. Mai in der Vertikalen Galerie Am Hof 6 in Wien zu sehen.