Das Erstlingsdrama „Am Beispiel der Butter“ von Ferdinand Schmalz im Vestibül des Burgtheaters
„Vorsicht, da ist Butter drin!“ Mit diesen Worten übergibt mir die Dame im Burgtheater das Programmheft. „Ah, mit Butter beschmiert, sehr sinnig“ denke ich mir, als ich den Fettfleck am Deckblatt sehe. Nichtsahnend stecke ich meine Eintrittskarte in das Heft und als ich sie wieder vor dem Billeteur herausziehe, bemerke ich – da war nicht nur ein Fettfleck auf dem Programmheft, da war wirklich Butter drin! Sie klebt und schmiert und ich muss umständlich hantieren, um nicht selbst davon fett zu werden. So ist das also mit der Butter, der schmierigen, die man nicht mehr losbekommt und die an einem zäh kleben bleibt. Eine unliebsame Erscheinung ist sie, aber einmal mit ihr angepatzt ist es, als wäre man infiziert. Butterinfiziert.
Die kleine Bühne des Vestibüls ist zum Teil mit Plastikvorhängen abgetrennt. Dahinter weiß verkachelte Wände, ein Kühlschrank mit einem Glas Joghurt drin und ein Bartresen, ebenfalls weiß verkachelt. Das ist die Welt, in der sich das Stück „Am Beispiel der Butter“ von Ferdinand Schmalz abspielt. Schmalz und Butter und Dosenfleisch – ersteres ist das Pseudonym (eigentlich Schweiger), unter dem Ferdinand – ebenso ein Pseudonym (eigentlich Matthias), seine Literatur veröffentlicht. Butter und Dosenfleisch sind jene Nahrungsmittel, die im Zentrum seiner ersten beiden Theaterstücke stehen. Sieht man von seinem Beitrag „Die Agonie des Friedens“ für das Schauspielhaus anlässlich der Serie „Die Welt von Gestern“ ab. Denn Lebensmittel interessieren den jungen Autor. Für ihn sind sie ein Zeichen der Verfasstheit unserer Gesellschaft. Wie sie erzeugt werden – automatisiert bis in den letzten Handgriff – zeugt von der jeweils aktuellen Technologisierung, aber auch von der Entfremdung des Menschen vom ursprünglichen Produkt.
Schwarze Charaktere in weißem Gewand
Adi (Peter Knaack) und Hans (Marcus Kiepe) heißen die beiden Gegenspieler in seinem Butterstück. Ersterer ist ein Romantiker und Revoluzzer, der plant, eine Butterskulptur aus gestohlener Butter vor der Molkerei aufzustellen. Eines Nachts, als Akt der Rebellion gegen all das, was der Butter und ihm angetan wird. Automatisierung, Fremdbestimmung, die Arbeit in einer sterilen Umgebung und das Getaktetsein nach der Vorgabe der Maschinen. All das wird zu viel für ihn. Sein Joghurtfüttern an fremde Menschen im Zug, mit dem er täglich pendelt, ist für ihn mehr als nur ein Akt der Nahrungsspende. Es ist eine Geste, „um zum anderen durchzudringen“, wie er sich gegenüber seiner jungen Liebe Karina ausdrückt. Die zweite Geste, die er auch auf der Bühne zeigt, ist die geballte Faust, die er nicht mehr imstande ist in der Öffentlichkeit zu vollführen. „So träge macht die Butter“. Hans, ein stupider Säufer, der ebenfalls in der Molkerei arbeitet, ist besessen von seinem Treiben „im Hobbykeller“. Einem Ort, der in Österreich in den letzten Jahren nicht erst durch Ulrich Seidls Film in Verruf geriet. Seine unterdrückten Aggressionen warten nur auf die nächst beste Gelegenheit ausgelebt zu werden. In seinem Vorgesetzten, Dr. Huber (Michael Masula), findet er einen Verbündeten, der Adi zur Räson bringen will. Zu sehr zeigt dieser ihm seine Verachtung für das, was in der Molkerei vor sich geht, zu wenig buckelt der Aufmüpfige vor dem geltungssüchtigen Manager.
Mit Jenny (Catrin Striebeck), der rothaarigen Betreiberin des Bahnhofsrestaurants, bilden Hans und Huber ein Triumvirat, das sich gegen Adi und Karina (Jasna Fritzi Bauer) einschwört. Sie, die „Stielaugenjenny“ genannt wird, steht für all jene, die man in der Nazizeit als „Blockwart“ bezeichnete. Augen und Ohren immer offen, stets bereits zur Denunziation und Mithilfe am vermeintlichen Recht. „Man muss zuvor Unrecht walten lassen, bevor Recht entstehen kann“ – begründet Hans schon im Voraus seine Foltermethoden, die er wenig später einsetzt. Mit k.o.Tropfen – natürlich aus Butteressenz hergestellt – lahmgelegt, sieht Hans sich und Karin in einer Traumhalluzination als grünen Frosch und Froschin. Vergeblich strampelt er sich durch die saure Milch und den Rahm bis zur festen Butter. Er endet bei seinem Fluchtversuch frittiert in heißem Butterschmalz. Währenddessen wird Karina vergewaltigt und zu Tode gefoltert. Gewiss, davon ist nichts zu sehen. Allein die verbrämten Erzählungen von Huber reichen schon aus, dass einem der kalte Schauer über den Rücken läuft.
Eine artifizielle Sprache, eine artifizielle Handlung – ganz nah an der Realität
Die Überzeichnung der Figuren, die vor allem aus der Verknappung ihrer Textpassagen resultiert und der metaphernschwangere Text ergeben eine intelligente Parabel um die Unterdrückung von Individuen und ganzer Gesellschaften, bis hin zu deren Auslöschung. Die Molkerei steht für das alles bestimmende Kapital und die alles bestimmende Technik gleichermaßen. Hans ist Stellvertreter jener inferioren Charaktere, von denen Diktaturen ihre geheime Macht beziehen. Nach oben buckeln und nach unten treten, Gewalt anwenden gegenüber Schwächeren, daraus zieht er sein Selbstwertgefühl.
Der zweigeteilte Schluss, der hier nicht vorweg genommen werden soll, macht klar, dass sich unsere Gesellschaft in einem Schwebezustand befindet. Niemand weiß derzeit, ob sich der Westen zu selbstbestimmteren Demokratien entwickeln wird, oder ob die Macht des Faktischen mit seinen Überwachungs – und damit Unterdrückungsmechanismen die Oberhand gewinnen wird.
Alexander Wiegold arbeitet gekonnt nicht nur mit den beschränkten Möglichkeiten der kleinen Bühne, sondern setzt auch einen subtilen Soundlayer ein, der die Arbeitsgeräusche, aber auch bedrohliche Klangszenarien bereithält. Der sprachliche Schmalzduktus macht klar, dass der Text ein für die Bühne Feingemachter ist. Einer, der nicht im Alltag zur Abnützung taugt. Vielmehr flutschen die Worte wie gut geschmiert und bauen subtile Bilder, die lange nachwirken.
Das Ensemble spielt sprachgewaltig-authentisch, ausnahmslos mit der höchsten Rollenidentifikation. Ein Kammerspiel, das zu Recht den Retzhofer Literaturpreis 2013 erhielt. Die vorliegende Fassung von Alexander Wiegold Regie, Claudia Vallant Bühne und Moana Stemberger, die für die butterweißen Kostüme sorgte, beweist durchgehende Logik und Stringenz und verstärkt noch das Artifizielle des Geschehens. L´art pour l´art könnte man kritisch entgegenhalten – wäre die Metabotschaft nicht so brennend aktuell. Ein beachtenswertes Erstlingswerk, das Lust auf Kommendes macht.
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