Shakespeares Sommernachtstraum als rauschendes Theaterfest
Es war ein fulminanter Theaterabend. Voll von Sprache, Musik, voll von lebendigen Schauspielern aber auch einem Publikum, das mehr als einmal plötzlich auch zum Akteur wurde. „La nuit surprise par le jour“ – was übersetzt so viel heißt wie, „Die Nacht, die vom Tag überrascht wurde“, das ist der Name einer Pariser Theatergruppe, die man sich merken sollte. Unter der Direktion von Yann-Joel Collin gelang ihren Mitgliedern beim derzeitigen Gastspiel im Straßburger TNS ein Balanceakt am Theaterhochseil, der da hieß: Lasst uns 4 Stunden Shakespeare spielen, Spaß daran haben und das Publikum mitreißen.
Das meistgespielte Stück des Theatertitanen Shakespeare verkommt heute, trotz vordergründig oft modernem Gewande, gerne zum wundersamen Feenstück, dem man sein Alter, das es auf dem Buckel trägt, meist leidlich ansieht. Nicht so bei dieser Aufführung. Sie war frisch, spritzig, witzig, aufregend, überraschend, lyrisch, fantastisch und modern. Sie holte das Publikum – alt und jung zu gleichen Teilen gemischt – gleich zu Beginn dort ab, wo es heute zuhause ist – beim abendlichen Fernsehen. Noch während sich die Besucherinnen und Besucher ihre Plätze suchten, filmte ein Kameramann die Menschen bei diesen Vorbereitungen auf den Theaterabend. Diese Eindrücke wurden auf die große Leinwand übertragen, die zu Beginn noch die vierte Wand im Theater darstellte – also jene, vor der das Stück üblicherweise gespielt wird. So kam Schwung ins Geschehen, ohne dass ein Geschehen noch begonnen hatte.
Furios ging´s dann gleich weiter mit dem ersten Auftritt der Shakespear´schen Figur des Theseus, dem Herzog von Athen – ganz im Stile eines Fernsehentertainers, der sich im Laufschritt hinter die letzte Publikumsreihe begab , sich dort an ein Mikrophon stellte und – wiederum live gefilmt und auf die Leinwand projiziert – seine ersten Sätze ins Publikum rief. Ab diesem Moment war klar: das ist Shakespeare – ultramodern. Und was auch klar war, und bis zum Schluss der Aufführung die Stimmung trug, das war eine Leichtigkeit der Interpretation, die mit einer großen Portion Humor gespickt war. Nichts, aber auch gar nichts wird in dieser Inszenierung ernst genommen, und die ohnehin schon von Shakespeare komödiantisch angelegten Szenen, in welchen Handwerker versuchen, für die geplante Hochzeit von Theseus und Hippolyta ein kleines Theaterstück aufzuführen, diese kleinen Szenen erwiesen sich als fulminantes Spiel, in welchem sich das Theater selbst feiern konnte. Die Auftritte darin waren mit viel Slapstick und Klamauk gewürzt, mit wenigen Figuren nur besetzt, aber diese dafür mit einer komödiantischen Spielfreude ausgestattet, wie sie nur an ganz großen Theaterbühnen zu finden ist.
Cyril Bothorel, dessen erster Auftritt völlig unerwartet mitten aus den Zuschauerrängen heraus geschah, gelang mit seiner Schauspielkunst, das Publikum von der ersten Sekunde an zu fesseln und unbändig zu unterhalten. Wie er hundertmale sich entschuldigend zu Wort meldete, wie er im Laufe des Abends immer wieder mit dem Publikum improvisierte und sogar einen jungen Mann dazu brachte, in der Pause das Weite zu suchen, wie er am Ende des Stückes einen Bühnentod starb, der sich über 10 Minuten zog und das Publikum zum Tränenlachen brachte, das alles war, bzw. ist Schauspielkunst vom Feinsten. Die Idee, die unterschiedlichen Rollen im Stück auf weniger Akteure zu verteilen, sodass Doppel- und Dreifachbesetzungen, wie im Falle von Bothorel ,zustande kommen, ist zwar nicht neu, in dieser speziellen Konstellation jedoch sehr gelungen. Mehrfache, sich überlagernde Bedeutungsebenen sind schon in Shakespeares Originalstück mehr als ausreichend vorhanden, durch den Kunstgriff jedoch, das Stück zweizuteilen, in Akteure mit Theaterkostümen und solchen, die in heutiger Straßenkleidung agierten, gelang eine glaubwürdige Transferierung des Themas um Liebe und Verblendung ins Hier und Jetzt. Vor allem das Agieren mit der Filmkamera, die teilweise von den Schauspielern selbst in die Hand genommen wurde, sowie das Rekrutieren von Mitspielern aus den Reihen des Publikums – wie den „Mond“, der mit einer Laterne das tragikkomische Geschehen der Handwerkeraufführung beleuchten musste, importierte das Bühnengeschehen inmitten der Zuseherinnen und Zuseher. Der kurzerhand auf die Bühne gezerrte Monddarsteller fand im Laufe seines Einsatzes sichtbar Gefallen an seiner Rolle. Er wurde ausgiebig vom Rest des Publikums beklatscht, wohl auch aus Erleichterung, selbst nicht ausgewählt worden zu sein. Niemand war gefeit, sich plötzlich im Rampenlicht wiederzufinden, auch wenn man in der letzten Reihe saß, in welcher sich unvermutet der Troll Puck, auf der Flucht vor Oberon, beherzt über drei Damen warf, um von seinem Verfolger nicht gesehen zu werden.
Die modernen, musikalischen Einschübe, erinnerten an Rockauftritte aber auch an die allseits in ganz Europa so beliebten Fernsehtanzshows, was ein guter Weg war, der flatternden und verzauberten, historischen Atmosphäre des Stückes zu entkommen, die heute meist gar nicht mehr nachvollziehbar erscheint und Längen aufbaut, die hier vermieden wurden. Zwar waren nicht alle Gesangseinlagen opernreif, aber Oper wurde an diesem Abend ohnehin keine gespielt. Kleine Unpässlichkeiten, wie z.B. das Fehlen von Volumen in tiefen oder hohen Lagen, verstärkten den Charakter des improvisierten Theaters, aber auch die Sympathien beim Publikum. Zuzuschreiben sind sie sicherlich der extremen Belastung, der die Schauspielerinnen und Schauspieler bei diesem Gastspiel ausgesetzt sind, in welchem sie eine große Halle ohne Guckkastenbühne und ohne Mikrofon vier Stunden lang stimmlich füllen müssen.
Das Verschwinden der Bühnenleinwand, das den Blick schließlich in die ganze Halle freigab und Bühne und Zuschauerraum verschmelzen ließ, war nur die logische Konsequenz des Spieles, welches sich mit der Frage „Wo fängt Bühne und Theater an und wo vermischt sich Spiel mit Realität?“ beschäftigt. Die Übersetzung des Textes von Pascal Collin trägt ebenfalls zum Gelingen der Inszenierung bei. Er wusste, wie Shakespears Sprache auf ein heutiges, verständliches Level zu heben ist, wobei weder die Zartheit, noch die darin im Original vorhandene Derbheit abhanden kamen. Die mitreißenden Klagen von Hermia und Helena, das schalkhafte Ränkespiel von Oberon und seinem Puck, die Verblendungen von Lysander, Demetrius und Titania -optisch wunderbar dargestellt durch die rot aufgemalten Streifen unter ihren Augen, die Lachnummern der Auftritte des Löwen und der Wand – interpretiert von den beiden Musikern, die ihre musikalische Untermalung des Abends teils inmitten des Bühnengeschehens betrieben – all das kann, um nicht Seiten und Seiten des Lobes auszusprechen, nur kurz mit dem Superlativ zusammengefasst werden, der da heißt: ganz, ganz großes, zeitgenössisches, endlich einmal entkrampftes Theater, das noch lange im Kopf bleibt.
Applaus für Cyril Bothorel, Paul Breslin, Xavier Brossard, Marie Cariès, John Carroll, Yannick Choirat, Pascal Collin, Issa Dakuyo, Chrstian Esnay, Delphine Léonard, Éric Louis, Elios Noel, Alexandra Scicluna und allen anderen Beteiligten.
Empfehlung: Hingehen und Ansehen!
Die Termine für die Vorstellungen finden sie hier
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