Zirzensische Kindheitserinnerungen beamen uns in eine Zeit voller Wunder zurück. Was war es doch für ein AH und WOW! als wir in unseren ersten Zirkusvorstellungen saßen. Wenn sich Personen bewegten, als hätten sie keine Knochen im Leib oder Clowns sich so benahmen, dass ihr nächstes Missgeschick schon vorhersehbar war, saßen wir mit Ameisen im Bauch auf den Bänken und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wer glaubt, das seien Tempi passati und eine Show käme ohne aufwendige Lichtorgel und den Einsatz von Multimedia-Geräten heute keinesfalls mehr aus, der irrt.
Es gibt sie noch: Jene Menschen, die mit ihren Tanz- und Akrobatenkünsten ganz ohne Video-Einspielungen und Playback-Musik ihr Publikum zum Staunen, Lachen und Mitfiebern bringen. Die Grazer Akrosphäre – ein Verein, der sich dem Austausch und der Unterstützung aller Zirkus- und Akrobatikbegeisterten widmet – und der Dada Zirkus – das Zirkus Theater der anderen Art aus Wien – bringt das zurück, was viele von uns schon verloren glaubten: Eine wunderbare Unterhaltung entlang körperlicher Höchstleistungen, kreativer Einfälle und jeder Menge Wundern und Staunen, auch wenn es „nur“ mit den aller simpelsten Theatertricks hervorgerufen wird.
Der Abend, an welchem man das erleben kann, nennt sich „DadaSphäre“ und bringt „Das Sein verwirrt das Bewusstsein“ der Wiener Gruppe, sowie „Xpect“ des Grazer Duos auf die kleine Bühne des Kristallwerks in Graz.
Alleine die clownesken Schwarz-Weiß-Kostüme des Dada Zirkus, vertreten durch André Reitter als anmutige, bärtige Ballerina, Arno Uhl als mäanderndes Gummiwesen und der Klangzauberin Roxanne Szanakowich an der E-Geige, inklusive elektronischer Erweiterungen, zaubern in wenigen Augenblicken ein Flair auf die Bühne, dass einem warm ums Herz wird. Hier sind richtige Menschen am Werk, ganz nah am Publikum, mit Fehl und Tadel, beinahe in Greifweite. Diese Gedanken geben das wieder, was das Theater, der Zirkus und die Akrobatik von jeher so faszinierend machte. Was ist es doch für ein ursprünglicher Spaß, dem Verlieben, Kinder-Bekommen, dem Streiten und schließlich dem gemeinsamen Aus-dem-Leben-Scheiden der beiden Zauberwesen zuzusehen! Wie großartig werden sie live musikalisch begleitet! Ob es wabernde Klänge oder jene eines Renaissance-Tanzes sind, ob eine barocken Chaconne, ein Abendliedchen oder ein kreischender, bedrohlicher Sound erklingen – alles ist abgestimmt auf das surreale Geschehen, das einem vertraut und fremd zugleich vorkommt. Es ist zum großen Teil jene Attitüde, mit der sich Reitter und Uhl in ihren Rollen selbst aufs Korn nehmen, die so überaus reizvoll ist. Sie agieren mit einer augenzwinkernden, humorvollen Selbstreflexion, die vielen Zeitgenossen im Alltagsleben gut zu Gesicht stehen würde. Denn damit wäre unsere Welt – der Dada Zirkus zeigt es vor – ein großes Stück lebenswerter. Ob in kurzen Soli oder vielen Pas-de-deux, ob ihre Bewegungsabläufe akrobatisch oder tollpatschig erscheinen, ihre Choreografie vereint alle Elemente, die unterschiedlichste Emotionen hervorrufen. Und sie hält uns zugleich humorvoll einen Spiegel vor.
„Xpect“, akrobatisch performt von Yasmine Heyer und Uwe Sattelkow, entführt in ein gänzlich anderes Szenario. Im Mittelpunkt ihrer Show steht ein Keyboard, das sie zu Beginn umständlich über die Bühne transportieren. Die Annahme, es würde demnächst abgestellt, erweist sich rasch als falsch. Denn das Musikinstrument ist der/die/oder das Dritte im Bunde. Es wird gehoben und geschoben, es wird hochkant gestellt und auf den Schultern balanciert. Es wird umworben, wie eine Diva und – das ist das Besondere – bei all den akrobatischen Einlagen der beiden – zugleich auch noch bespielt. Sattelkow produziert zu Beginn, wie unbeabsichtigt, einzelne Töne. Doch bald schon steigert sich seine Tastenkunst zu einer Improvisation, die schließlich mit der Wiedergabe eines Einaudi-Stückes ihren Höhepunkt findet. Im Allgemeinen spielen Pianisten und Pianistinnen im Sitzen. Gelegentlich, wenn sie vom humoristischen Fach beseelt sind, fallen sie vom Hocker oder lassen den Tastendeckel auf ihre Finger fallen. Einer der Größten dieser Kunst war wohl Victor Borge. Er verstand es, Klavierspiel auf höchstem Niveau mit humorvollen Auftritten zu spicken, dass man gar nicht genug von ihm bekommen konnte. Was Sattelkow hier aber zeigt, ist etwas ganz anderes. Während Heyer auf seine Schultern steigt oder auf ihm einen Handstand vollführt, hält er sein Keyboard in Händen und spielt gleichzeitig darauf. Ganz besonders ist auch jene Szene, in welcher sich die Akrobatin so an ihm festklammert, dass nur ihre Beine links und rechts von seinem Körper zu sehen sind. Der Tanz, den diese mit den zarten Füßen vollführt, während der Pianist zugange ist, bezaubert Jung und Alt gleichermaßen. Auch lange Passagen, Kontaktimprovisationen entnommen und doch bis ins kleinste Detail durchkomponiert, sind nicht nur akrobatisch vom Feinsten, sondern zugleich auch extrem kurzweilig und unterhaltsam. Doch so anstrengend ihre Performance körperlich auch ist, immer kommt sie leichtfüßig daher. Die beiden schaffen einen Aufmerksamkeitsraum, in dem man nicht nur lacht und staunt, sondern auch den Atem anhält. Mit dem zuvor genannten Victor Borge haben sie eines gemeinsam: Man kann von ihnen nicht genug bekommen.
Wer von diesem Geschehen einmal angefixt wurde, dem oder der seien folgende Internetseiten ans Herz gelegt: https://akrosphaere.at/ sowie https://www.dadazirkus.at/ Denn Kommendes sollte man auf keinen Fall verpassen!