Belehrungen halte ich nicht aus
26. Januar 2017
Interview mit Martin Gruber, Leiter des aktionstheater ensemble und Gewinner des Nestroy-Theaterpreises 2016.
Michaela Preiner
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Martin Gruber hat vor Kurzem den Nestroypreis für die Arbeit „Kein Stück für Syrien“ entgegengenommen. Nun ist er für das nachtkritik.de-Theatertreffen mit dem Stück „Jeder gegen Jeden“ nominiert. Nach anfänglichen, harten Jahren erntet er nun die verdienten Früchte für seine spezielle Theaterarbeit mit dem aktionstheater ensemble.

In unserem Gespräch erzählt er über den Spaß an seiner Arbeit, wie er seine Schauspielerinnen und Schauspieler aussucht und seine tiefe Abneigung gegen Belehrungen.

Was bedeutet Ihnen der Nestroypreis?

Der Sinn dieses Preises ist es, „noch“ mehr Menschen ins Theater zu bringen – das funktioniert sehr gut! Persönlich befriedigt so eine Auszeichnung natürlich die Eitelkeit. Ungeachtet dieser Tatsache, werden wir selbstverständlich weiterhin unbequem sein.

Sie haben vor der Arbeit „Kein Stück über Syrien“ eine ganze Trilogie gezeigt.

Ja, das war Pension Europa, Angry young man und Riot Dancer. Die Arbeit an der Trilogie ergab sich nach und nach. Zuerst das Frauenstück „Pension Europa“, dann die Arbeit mit den Männern „Angry young men“ dazu schließlich ein Stück, in dem beide Geschlechter zusammengeführt wurden, „Riot Dancer“.

Pressefoto PENSION EUROPA c Felix Dietlinger aktionstheater ensemble 5

Pension Europa aktionstheater ensemble (c) Felix Dietlinger

Wie ist denn der Werkprozess von den Stücken? Kommt die Idee von Ihnen selbst?

Ich habe eine Grundidee, bespreche die einerseits mit dem Dramaturgen Martin Ojster, aber auch mit dem Ensemble. Das Miteinander, dieser gemeinsame Prozess ist mir sehr wichtig. Ich bin jemand, der sich gern austauscht. Niemand, der zu Hause sitzt, da schlaft mir das G`sicht ein!

Das heißt, beim Reden kommen die Leut` zam!

Ja genau! Ich brauche die Kommunikation face to face, Internet geht bei mir gar nicht. Beruflich muss es halt sein, aber ich finde es völlig unsinnlich, grauenhaft. Wir waren ja die ersten als Theater, die in Facebook waren und wir wussten natürlich, dass das wichtig ist. Nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung mit jungen Leuten, was mir ganz wichtig ist. Es ist eh klar, dass ich alle Altersschichten ansprechen möchte. Für junge Leute ist Theater ja oft etwas Anachronistisches, was ich auch verstehe. Mir geht das ja auch oft im Theater so, dass ich mir denke, was hat das denn jetzt mit uns zu tun! Ich habe ja selbst auch den Sophokles rauf und runter inszeniert, aber irgendwann stellt sich dann die Frage: Worum geht es jetzt eigentlich? Was will ich mit dem Theater spiegeln?

Wie haben Sie denn Ihre Truppe formiert? Sie arbeiten zum Teil ja immer wieder und beständig mit Leuten zusammen. Wie suchen Sie Menschen aus, die zu Ihrem Ensemble passen?

Ja, aber es kommen auch immer wieder junge Leute dazu, dass das wieder aufgefrischt wird. Aber es formierte sich in den letzten Jahren ein Grundstamm an Künstlern und Künstlerinnen, mit denen man eine gemeinsame Sprache spricht. Mir ist ganz wichtig, dass ich die Sprache der Leute verstehe, wenn wir arbeiten. Was ist zum Beispiel ein Kommentar, was nicht? Was ist Schauspielattitüde und wo wird es wirklich ernst? Wo darf man in die Komik gehen, ohne dass es zum Klamauk wird? Wo ist etwas nur ein platter Witz und wo darf auch der sein, wenn es danach einen Bruch gibt? Die Sprache, die wir dabei versuchen zu entwickeln, bedingt eine Truppe von Leuten, die das auch wollen und verstehen.

ANGRY YOUNG MEN c Gerhard Breitwieser 7

Angry young men aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Es gibt drei Kriterien, die für mich ausschlaggebend sind, wenn ich jemanden neu aufnehme: Gesellschaftspolitisches Bewusstsein, soziale und künstlerische Kompetenz. Mir ist natürlich wichtig, dass bei den Schauspielerinnen und Schauspielern, mit denen ich arbeite, die Qualität stimmt. Danach kommt schon die Frage: Was will diese Person inhaltlich? Wer zum Beispiel sagt: Ich will Schauspielerin sein, weil ich berühmt werden will!“, antworte ich einfach: „Ja, dann geh` ins Burgtheater!“. Mir ist es wichtig, wenn die Leute darüber nachgedacht haben, was sie zu sagen haben und mit welchen, ganz persönlichen Mitteln sie etwas in die Gesellschaft einbringen und künstlerisch etwas beitragen können. Und vor allem natürlich auch ihre Sozialkompetenz. Das bedeutet: Kann sich jemand ins Ensemble einfügen, ist es ihm oder ihr bewusst, dass es sich um Ensemblearbeit handelt? Ich brauche keine Zicken, kein Stargetue, selbst wenn jemand tatsächlich ein Star ist.

Man hat den Eindruck, dass Sie jemand sind, der davon überzeugt ist, dass Theater etwas bewirken kann. Stimmt das?

Wenn ich ganz ehrlich bin – ja, ja natürlich! Gruber lacht herzlich. Ich drösel Ihnen das auf: Ich hab` natürlich ein Problem damit, von vornherein mit der Flagge der moralischen Anstalt zu wacheln. Da schrillen bei mir schon sämtliche Alarmglocken, weil die Gefahr der Betulichkeit irrsinnig groß ist. Ich bekomme die Krise, wenn mir jemand die Welt erklären möchte. Mir geht es umgekehrt zuerst einmal darum, dass ich einmal gar nichts weiß. Wir wissen alle gar nichts. So fange ich an. Wenn man gesellschaftspolitische Prozesse verstehen will, geht es darum, sich die Menschen in ihrem Verhalten und ihrer Vielfalt anzuschauen. Das heißt, je divergenter, je allumfassender ein Bild ist, je mehr Gesellschaftsschichten ich covern kann, desto eher komme ich mit der Zeit zu einem gewissen Punkt, an dem ich ein bisschen einen Überblick bekomme. In der Politik bedient man heute Partikularinteressen. Die Schwarzen bedienen die Banker, die Roten die Eisenbahner, je nach Inhalt hat jeder seine Klientel. Aber der gesamte Gesellschaftsentwurf, finde ich, fehlt. Das hat was damit zu tun, dass ich auch das Gesamte sehen muss und kann. Und je weiter ich vom Wald weg bin, desto eher sehe ich seine Gesamtheit oder kann ich ihn vielleicht irgendwann einmal sehen, präziser gesagt. Ich glaube, dass das Durchleben von Prozessen am Theater schon etwas kann, weil ich in einer bestimmten Radikalität auf der Bühne viel weiter gehen kann als viele Menschen, die unten sitzen. Das heißt, wenn die Frauen in Pension Europa schamlos an ihren Speckschwarten rumfummeln, das sage ich jetzt ganz bewusst so, und dabei so sein dürfen, wie sie sind, dann habe ich von Frauen erlebt, dass sie das unglaublich dankbar aufgenommen haben. Es waren Frauen im Publikum, die richtig gerührt waren. Wir wollen dabei ja auch vermitteln: Ich darf sagen, was ich will, was mit Substanz, aber ich darf auch richtig danebenhauen, richtigen Topfen reden. Das ist schon eine Form der Katharsis – obwohl das ein Schlagwort ist, bei dem ich mir denke: Oje, Kitschalarm!

Man hat den Eindruck, dass sie eine Leichtigkeit im Arbeiten erreicht haben, wissen, wo Sie stehen, was Sie können.

Ja, das stimmt, aber man scheißt sich auch immer wieder an. Diese beiden Dinge stehen nebeneinander. Ich würde mich in manchen Situationen als ziemlich ängstlichen Menschen beschreiben, aber wo ich es überhaupt nicht bin, ist beim Arbeiten. Sonst ginge es auch nicht.

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Riot dancer aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Wollten Sie immer Theater machen?

Als Jugendlicher wollte ich Filmregisseur werden, habe aber dann Schauspiel studiert. Ich bin ganz froh, dass ich das Handwerk gelernt hab, weil ich deshalb glaube zu wissen, was möglich ist.

Ich kann mir vorstellen, dass zwischen Ihnen und den Schauspielerinnen und Schauspielern sehr viel Vertrauen herrscht. In den Inszenierungen geben diese ja auch immer etwas preis von sich. Erzählen Dinge, die vielleicht gar nicht leicht zu erzählen sind. Braucht das eine Zeit, bis das soweit ist, dass sich die Leute so öffnen können?

Ja, das ist ganz extrem bei Susanne Brandt so. Sie ist die Schauspielerin, mit der ich am längsten zusammenarbeite. Sie kam von Dresden an die Josefstadt noch unter Boy Gobert. Dort gab es eine Umstrukturierung und ich hab`, als ich sie kennenlernte, sofort erkannt, welches Kaliber sie ist. Für ihre erste Rolle habe ich mit ihr drei Stunden nur an ihrem Gang gearbeitet, das war dann auch schon zum Teil urkomisch. Aber wir haben gewusst, dass wir miteinander können und über die Jahre hat sich daraus eine richtige Liebe und ein Vertrauen entwickelt, dass in einem Stadt- oder Staatstheater so auf die Schnelle einfach nicht möglich ist. Das erlebe ich aber auch bei den Jungen. Da geht es um eine bestimmte Form des Vertrauens, dass sie wissen, sie werden aufgefangen. Wenn etwas so ist, dass sie sagen: „Das geht nicht mehr!“, dann akzeptiere ich das. Ich kratze natürlich schon so lange wie es geht und bekomme auch fast alles, aber wenn es partout nicht geht, ist das ok. Neben dem Vertrauen geht es aber, so altmodisch das klingt, um liebevollen Umgang miteinander. Damit kommt man viel weiter, kann viel weiter gehen, als das sonst der Fall ist.

Wie würden Sie Ihren Regiestil beschreiben?

Wir sind eine repräsentative Demokratie. Also ich werde gewählt, als der, der sagt, was wir tun müssen. Dann hat der Martin (Erklärung: Martin Ojster) gesagt: Naja, ich würde eher von einer liebevollen Diktatur sprechen! Gruber lacht abermals herzlich. Aber wenn ich es genauer beschreiben würde, dann reicht mein Regiespektrum von ganz viel zulassen am Beginn, bis schließlich sogar den Blick choreografieren. Ich versuche zu schauen: Was interessiert mich an meinem Gegenüber, das nehme ich und der Rest kommt weg. Dann sag ich: Machen, machen und beobachte und dann interveniere ich, teilweise ganz massiv, um sie dann wieder voll weitermachen zu lassen um dann wieder ganz massiv zu intervenieren. Bis alles choreografiert ist, da ist der Blick, da die Fußhaltung, bei dem Wort so – das steht dann alles ganz genau im Buch drin. Dabei geht es mir um die Komposition, an die ich glaube. Ich spreche intern in unserer Arbeit auch von Komposition und Choreografie. Auch wenn das nach Außen vielleicht schwer zu verstehen ist.

Ihr Ensemble ist, wie zum Beispiel bei Riot Dancer und den späteren ja permanent in Bewegung. Haben Sie bei dieser Choreografie keinen Widerstand erhalten?

Nein, das ist interessant. Wir haben ja die Trilogie auch einmal an einem Samstag hintereinander gespielt. Also etwas gemacht, was das Ensemble gar nicht gewohnt ist. Aber trotz der Anstrengung haben sie durchgehalten, sind förmlich getragen worden von dem, was da alles zurückkam. Haben sich ausgepowert bis zur körperlichen Erschöpfung. Es ist, glaube ich, eine Lustfrage, denn wenn ich in so einem Fall bis an die Grenzen gehe.

Es ist auffallend, dass Gewalt in ihren Arbeiten eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Ja, das bedarf einer längeren Erklärung. Ich persönlich habe mich als Kind ein einziges Mal geprügelt. Drei Minuten. Das wars dann. <em>Lacht herzlich</em>. Ich hab eine absolute Angst vor körperlicher Gewalt. Das ist mit zutiefst fremd, ich kann damit überhaupt nicht umgehen. Ich gehe auch ungern ins Kino, wenn es um Gewalt geht, und dennoch hab` ich das in meinen Stücken. Ich glaube, wenn wir vorher von einem kathartischen Moment gesprochen haben, dass das, was im Theater passiert, stellvertretend passiert. Es passiert ja nicht real, ist sozusagen eine Form von Ritualisierung und Stellvertretung. Mir geht es darum, dass eine Gewalt, wenn sie psychisch ist, auch eine physische Umsetzung bekommt, weil wir ja auch mit der Physis arbeiten und nicht nur mit dem Intellekt und weil ich über das Physische zeigen will, was psychisch passiert. Ich glaube, dass bei der Betrachterin und beim Betrachter etwas Anderes passiert, wenn es eine physische Entsprechung hat, das heißt, es ist in erster Linie ein theatrales Mittel. Das heißt, dass wir, stellvertretend für das Publikum einen Prozess durchgehen, damit das Publikum das nicht machen muss. Es geht nicht um die schnöde Darstellung von Gewalt, wie zum Beispiel bei einem Krimi. Da kann man ja sagen, ok, die ballern jetzt rum und holt sich dabei ein Joghurt, obwohl dort Mord und Totschlag gezeigt wird. Aber wenn auf der Bühne einer eine Ohrfeige bekommt, ja dann hallo! Wir gehen selbstverständlich in den Medien mit brutalster Gewalt um, aber wenn wir Gewalt auf der Bühne sehen, haut sie uns einfach um, obwohl das nicht einmal 10% von dem ist, was wir im Fernsehen und Kino sehen können. Bei uns ist es aber psychologisch unterfüttert, und deswegen tut es so weh.

Der andere Punkt ist: Ich will per se nicht werten. Natürlich werte ich, ich kann ja nicht anders. In dem Moment, wo ich bin, werte ich. Das muss einem bewusst sein, alles andere wäre doof. Trotzdem gibt´s bei uns – sozusagen als Versuchsanordnung – die Vorgabe, dass wir´s nicht tun. Wenn z.B. Isabella in Riot Dancer sagt: „Ich möchte gerne jemanden umbringen.“, dann ist das etwas, das man vielleicht geträumt hat, aber kein Mensch wird glauben, dass sie das wirklich real umsetzen will, aber vorstellen kann man es sich. Das heißt auch, dass wir das zeigen, was das Theater spätestens seit den Griechen immer schon gemacht hat. Es passiert eine Zivilisierung von Gewalt im Ritual, um im richtigen Leben nicht Gewalt ausüben zu müssen. Da ist das Theater, meines Erachtens nach, eher das Refugium, das das kann, weil man nicht abschalten kann, nicht davonlaufen kann – es passiert ja jetzt.

Pressefoto JEDER GEGEN JEDEN aktionstheater ensemble c Gerhard Breitwieser 4

Jeder gegen Jeden aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Wenn ich Sie jetzt interpretiere, dann hat die Darstellung von Gewalt und ihre Wirkung auf der Bühne etwas von der christlichen Erlösungsmythologie.

Ja, das hat es. In allen Religionen und Kulturen gibt es so etwas. Letztlich geht es nämlich um Erlösung. Es gibt Leute, die sagen mir, Martin, das pack` ich einfach nicht. Dann ist das für mich ok und ich sage: Gut, das musst du dir auch nicht anschauen. Auch das finde ich dann in Ordnung.

Haben die Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten, Schwierigkeiten, von Ihnen weg auf andere Bühnen zu wechseln, wo ihre Rolle eine ganz andere ist?

Die einen so, die anderen so. Die einen sagen, das geht gar nicht, weil sie genau wissen, was sie wollen und wie sie es umsetzen wollen. Und dann gibt´s andere, die das wieder befruchtend finden, die etwas anderes schon immer gerne spielen wollten. Ich schau` mir das dann auch gern an, das ist ja wichtig, dass man nicht immer nur im eigenen Süppchen kocht. Aber natürlich ist das eine ambivalente Geschichte.

Kommen wir zu Ihrer preisgekrönten Arbeit „Kein Stück über Syrien“. Ist in diesem Stück nun, schon einige Monate nach der Premiere, alles gleich geblieben?

Nein, mir ist es wichtig, immer aktuell zu bleiben, dran zu bleiben. Für die Premiere haben wir zum Beispiel am Tag davor noch eine Passage eingefügt und auch danach gibt es immer wieder, bei Bedarf, Änderungen. Bei diesem Stück haben wir gesagt, dass das das heißeste Eisen ist, das wir derzeit angreifen können – also machen wir es. Lacht wieder herzlich. Da wird es natürlich spannend. Aber wir haben uns vor der Premiere wirklich in die Hosen gemacht. Weil wir gesagt haben: Eines tun wir nicht: Wir reden nicht drüber, wie es irgendeinem Syrer geht, oder womöglich noch einen spielen. Um Gottes Willen! Das geht ja gar nicht! Aber es gibt darin eine Szene, in der ein Schauspieler erzählt, dass er, als er von dem Stück gehört hat, geglaubt hat, dass er einen Syrer spielen muss und sich schon Gedanken gemacht hat, wie er das anlegt. Also eigentlich ganz tief! In einem Stück wie diesem ist unglaublich viel Selbstverarsche drin, wobei das Hauptthema dabei ist, wie wichtig wir uns selbst nehmen. Wir nehmen uns in unserem Leid – diesem Leid, das wir von außen ertragen müssen – wahnsinnig wichtig! Gruber sagt dies höchst sarkastisch und lacht dabei sein wunderbares, befreiendes Lachen, sodass man sofort die Ironie dieses Satzes versteht. Das war meine Vorgehensweise aber es ist natürlich so, dass eine Schauspielerin real zwei Monate lang Flüchtlinge in ihrer 2-Zimmer-Wohnung übernachten ließ, bis zu 10 Leute waren bei ihr, also eigentlich hard-core. Jetzt tu ich ihr nicht einmal den Gefallen, dass sie besonders nett rüberkommt, sondern ich hab` das bis zum Erbrechen eitel dargestellt. Die Helfer-Geschichte feiere ich bis zum Abwinken und dabei schauen wir, was das auslöst, wie das ankommt. Abgesehen davon, dass wir in jedem Zuschauer und in jeder Zuschauerin wirklich etwas anderes auslösen, weil jeder eine andere Geschichte hat. Aber darum geht es ja auch, dass keine fertige Botschaft da ist. Drum auch zurück zum Anfang: Ich will meine Stücke nicht als fertige Botschaft verstanden wissen mit der man sagt: Das ist richtig, das ist falsch. Dazu kann man in die Kirche gehen, da muss man nicht ins Theater gehen. Ich bin mit Abstand an das Thema gegangen. Es geht darin um uns und nicht um die anderen und das ist zugleich auch irgendwo das Problem.

„Kein Stück über Syrien“ ist also eine beißende Satire.

Ja, extrem. Und ich habe mir dabei gedacht, apropos Angst: Es wäre ja nichts lustiger gewesen, als irgendein Rechten-Bashing zu machen. Die sitzen aber sowieso nicht bei uns drinnen. Wir müssen ja keinen Betroffenheitsschwank machen, wo man drin sitzt und sich denkt: Um Gottes Willen, jetzt wird man belehrt auch noch.

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Kein Stück über Syrien aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Das Belehren scheint nicht Ihres zu sein.

Nein, das halte ich nicht aus, denn da werde ich für deppert verkauft. Ich denke, es hat letztlich auch etwas mit Menschenwürde zu tun, dass ich sage, ja ein Teil in uns ist halt wirklich ganz daneben, aber wichtig ist, dass ich zumindest weiß, dass ich in gewissen Momenten eben ganz daneben bin. Wir lachen ja oft, wenn wir die Bänder von den Proben abhören. Unlängst sagte eine Schauspielerin: „Mein Gott, was hab` ich da für einen Scheiß zusammengeredet!“, und ich sagte: Gut, gut, dass du das hast! Gruber lacht wieder herzlichst. Worauf sie zu mir sagt: „Das kommt aber nicht in den Text!“, und ich antworte: „Ja sicher, das ist ja gespuckt!

Wenn ich Sie so erzählen und lachen höre, habe ich den Eindruck, dass Sie bei den Produktionen sehr viel Spaß haben.

Ja, extrem! Das ist auch ganz wichtig. Denn wenn man Spaß hat, dann passiert auch etwas.

Ist das Publikum eigentlich im Laufe der Jahre mit Ihnen mitgewachsen?

Ja, wir haben eine richtige Fangemeinde. Das freut mich sehr. Seit über zwei Jahren haben wir fast 100% Auslastung. Das ist natürlich auch der Lohn für das, was wir machen.

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Kein Stück über Syrien aktionstheater ensemble (c) Gerhard Breitwieser

Sind die Arbeiten mit viel Recherche verbunden, oder schöpfen Sie mehr aus dem Alltag, aus dem, was wir erleben und durch die Medien erfahren?

Es ist ja so, dass jeder jeden Tag Recherche macht. Als politischer Mensch fresse ich drei, vier Zeitungen am Tag, das geht gar nicht anders. Dann mach` ich mir natürlich auch Notizen, meistens denke ich mir: Das werde ich mir schon merken, was dann leider auch nicht so ist! Aber dann gibt es auch Aussagen, wo wir etwas behaupten und das müssen wir dann schon unterfüttern. Das macht dann meistens Martin, der da recherchiert. Aber zum größten Teil geht es tatsächlich um die alltägliche Kommunikation. Eine Bühnensituation ist ja kein Vortrag. Das wäre ein Fehler, das Geschehen auf der Bühne als theatralischen Vortrag zu betrachten. Bühne ist in irgendeiner Form immer ein Konflikt. Das muss gar nicht negativ konnotiert sein. Ein Konflikt von Plus und Minus. Über Plus und Minus entsteht Energie.

Heute greifen die unterschiedlichen Kunst-Genres ineinander. Tanz wird durch Sprechtheater erweitert, Bühnenbilder gestalten Bildende Künstler mit vielen verschiedenen Medien und so weiter. Wie stehen Sie zu dieser Grenzverwischung?

Ich habe in den ersten Jahren meiner Arbeit, als das noch nicht üblich war, zum Beispiel mit dem Tone Fink zusammengearbeitet. Der hat mir viele Kostüme gemacht. Dann habe ich in der Volksoper mit Tänzern gearbeitet, ein Stück, das viersprachig aufgeführt wurde. So etwas weicht immer wieder den eigenen Theaterbetrieb auf. Man will sich ja auch selber überraschen. Man darf ja nie glauben, dass es die Form schon gibt, oder dass man weiß, wie es geht. Sondern man muss sich immer wieder fragen, wie könnte es anders sein, wie könnte man es anders sehen? Ich habe mich eigentlich immer mehr von anderen Künsten und nicht vom Theater beeinflussen lassen, obwohl mein Ding total das Theater ist. Ich finde, dass sich auf der Bühne die Bilder, die man zeigt, immer aus dem Kontext ergeben müssen. Gestellte Bilder finde ich einfach nur furchtbar. Ich arbeite am liebsten ganz minimal, mit ganz wenigen Mitteln. Für die Bregenzer Festspiele hatte ich klarerweise größere Bühnenbilder, aber für deren Verhältnisse waren sie auch extrem reduziert. Obwohl ich ein totaler, extremer Ästhet bin. Wobei mir die subtile Ästhetik am Herzen liegt. Ich will nicht, dass man zum Beispiel bei den Kostümen auf Anhieb das Konzept dahinter sieht.

Pressefoto Martin Gruber aktionstheater ensemble © Stefan Grdic

Martin Gruber aktionstheater ensemble (c) Stefan Grdic

Gibt es etwas, was Sie gerne machen möchten aber bisher noch nicht konnten?

Ja, es gibt etwas, was sich von der Zeit bisher noch nicht ausging. Ich möchte einen Film machen. Die Faszination dabei ist die des anderen Mediums, dass man ein Close-up machen kann, dass man das Ultimative einfangen kann. Wenn ich sagen kann: Machs noch einmal, und noch einmal und dann: Das wars! Das ist schon geil!

Wenn Sie für Ihre Art von Theater ein Label vergeben müssten, welches wäre das?

Das ist die schlimmste Frage für einen Künstler überhaupt, das Reduziertwerden auf etwas!

Was ist das Tolle, das Schöne am Theatermachen für Sie?

Es ist, dass man das Wahrnehmen zum Beruf machen kann. Ich werde dafür bezahlt, dass ich Dinge wahrnehmen kann. Das Gegenteil von Wahrnehmen wäre sich abzuschotten.

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