Lucas Cranach im Exil

Hauptthema im Schloss Johannesburg ist das Verhältnis zwischen dem Reformator Martin Luther, dem Kardinal und Fürsterzbischof Albrecht von Brandenburg, welcher seinen Hauptsitz Halle während des reformatorischen Umsturzes verlassen musste und sich auf seinem Nebenwohnsitz Aschaffenburg im „Exil“ einrichtete, sowie dem Künstler Lucas Cranach. Dieser befand sich gewissermaßen zwischen den Fronten der reformatorischen Ansichten und jenen der katholischen Kirche. Dass ihm dieser Drahtseilakt tatsächlich gelang, lässt sich auch anhand einiger Bildbeispiele in der Ausstellung wunderbar nachvollziehen. Gleich zu Beginn trifft man auf ein bekanntes Bild, nämlich das Doppelportrait von Luther und seiner Frau Catharina von Bora, welches aus Cranachs Werkstatt stammt. Die schriftliche Information, dass Luther die Morgengabe des Erzbischofs Albrecht von 20 Gulden ausschlug, seine Frau jedoch dankend annahm, zeigt bereits anekdotenhaft die Spannungen auf, die zeitlebens zwischen diesen beiden christlichen Gesinnungsantipoden herrschte. Angemerkt sei, dass Cranach selbst Trauzeuge von Luther war und ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm hatte. Auf katholischer Seite wiederum stand Cranach stand in Lohn und Brot nicht nur von Kardinal Erzbischof Albrecht, sondern er erhielt Aufträge aus dem gesamten Umkreis dessen Familie. Die kleine Tafel „Herzog Georg der Bärtige von Sachsen“ ist ein wahres Kleinod Cranachscher Portraitfertigkeit und zeigt den Bruder Albrechts, welcher nach dem Tode seiner Frau das Gelübde abgelegt hatte, seinen Bart nicht mehr abzuschneiden. Das Bruststück, formatfüllend auf die Tafel gesetzt, entfaltet seine Anziehungskraft vor einem einheitlich türkisblauen Hintergrund und besticht augenblicklich durch seine realistische Wiedergabe mit feinstem Pinselauftrag. Cranach folgt dabei Vorbildern aus der italienischen Renaissance. Schon einige Generationen vor ihm waren die italienischen Künstler Meister in der Wiedergabe des menschlichen Antlitzes ohne dieses in eine raumhafte Ordnung eingesetzt zu haben. Wie modern auch heute noch eine solche Darstellung ist, kann leicht anhand zeitgenössischer Portraitaufnahmen von guten Fotografen nachvollzogen werden. Lassen Sie uns einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Fotografie unternehmen. Hier lässt sich eine Parallele zwischen der Entwicklung der Porträtmalerei und jener der Portaitfotografie finden, wenn man bedenkt, dass es im 19. Jahrhundert lange üblich war, die Porträtierte oder den Porträtierten in eine Innenraumszenerie zu stellen, die dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprach. Verwiesen sei hier auf Korbmöbel unter exotischen Pflanzen, illusionistisch gemalte Hintergründe jeglicher Art oder kunstvolle Vorhangdraperien. Im Verlauf der Fotografiegeschichte ging man jedoch, genau wie in der Portraitmalerei, dazu über, Personen vor einem einheitlichen Hintergrund zu porträtieren, um so dem Auge keine Möglichkeit der Ablenkung von der abgebildeten Person zu bieten. Doch dieses Bild ist bei weitem nicht das einzige, welches eine Modernität aufweist, die sich dennoch schon vor 500 Jahren manifestierte.

In der Ausstellungshalle der Jesuitenkirche, in welcher die Ausstaffierung der ehemaligen halleschen Stiftskirche zum Teil rekonstruiert wird besticht das Hauptwerk, der sogenannte Magdalenenaltar ebenfalls durch eine zeitgemäße formale Behandlung der einzelnen Tafeln. Besonders sticht hier das Bildnis der Lazarus hervor, auf dem, vom Betrachter aus gesehenen, rechten Altarflügel. Leicht überlebensgroß steht der Heilige vor seiner eigenen Totenbahre, von welcher ihm Jesus – laut der Überlieferung – befahl aufzustehen und diese mit sich zu tragen. Die einfache, aus rohen Holzbrettern zusammengefügte Trage ragt von rechts in das untere Bildstück und scheint zum Greifen nahe. Dieses ausschnitthaft naturalistisch wiedergegebene Attribut ist es, welches das Gefühl vermittelt, Zeitzeuge zu sein und dem Erweckten direkt gegenüber zu stehen. Zwar trägt dieser die in Cranachs Zeit übliche Kleidung, umso leichter wird die Identifikation seiner Zeitgenossen mit dem abgebildeten Geschehen gewesen sein. Konträr dazu die Behandlung der mittleren Tafel, in welcher die Auferstehung Jesus in einer phantastisch-surrealen Formensprache abgehandelt wird. So klar rechts Lazarus und links Magdalena mit ihrem Salbungsgefäß fassbar sind, so unübersichtlich und wirr zeigt sich für unser heutiges Auffassungsvermögen das Mittelstück. Jesus wird in einer großen, weißen Aureole im Auferstehungsgestus dargestellt, umgeben von Puttenköpfen mit Flügeln. Rechts unter ihm hilft er, Verdammten aus der Vorhölle zu entkommen, links schlafen noch die Wächter über seinem Grab. Die Darstellung von mehreren Handlungen unterschiedlicher Zeitebenen auf ein und demselben Bild ist typisch für die Entstehungszeit und war von den Menschen, im Gegensatz zu heute, viel leichter lesbar. Dasselbe Prinzip der Gleichzeitigkeit zeigt sich auch auf der Jonasszene, die dem Tryptichon unterlegt ist. Dieser wird im Bildhintergrund vom Walfisch verschlungen und im rechten, vorderen Teil wieder ans Land gespuckt. Gemein haben all diese einzelnen Bilder des Magdalenenaltares das Grund- und Kernthema der christlichen Lehre, die Auferstehung von den Toten. So als wollte der Auftraggeber dem gläubigen Volk oder vielleicht auch sich selbst eine mehrfache Versicherung dieses Geschehens anhand unterschiedlicher Vorbilder aufzeigen, und mehrfach unterfüttern. Aschaffenburg ist stolz, diesen Altar das erste Mal seit langer Zeit wieder vereint ausstellen zu können und es ist unglaublich, in welch farbenfroher Pracht er uns heute wieder erscheint.

Im dritten Ausstellungsort, dem Stift St.Peter und Alexander bestechen vergoldete Reliquienschreine wie jene des Hl. Peter und des Hl. Alexander die Besucher. Aber neben diesen Kleinodien der Goldschmiedekunst ragt ein Ausstellungsobjekt besonders heraus: Es ist dies ein Spielbrett Albrechts, das auf einer Seite mit einer Schachbretteinteilung und auf der anderen mit einer Einteilung für das Tric-Trac-Spiel ausgearbeitet ist. Das älteste Schachbrett seiner Art in Deutschland soll ursprünglich dem Hl. Ruprecht von Bingen gehört haben. Darin besteht ein Teil der Felder aus kleinen, geschnitzten Skulpturen, jedes ein Kunstwerk für sich. So tummeln sich, eingesperrt unter kleinen Glastäfelchen geschnitzte und gefasste Miniaturkentauren, Drachen, Fische und vieles mehr. Das Auge kann sich kaum satt sehen und es ist gut vorstellbar, dass sich Spielgegner des Fürsterzbischofes vom künstlerischen Geschehen auf dem Brett leicht ablenken ließen.

Der noch relativ sorglose Umgang mit Kulturgut im 19. Jahrhundert wiederum lässt sich bei genauer Betrachtung des Kaltofenaltares ausmachen, der ebenfalls mit anderen, im Stift gezeigt wird. Zwar ist dies sicher nicht die Intention der Ausstellungsmacher. Es ist aber auch immer wieder schön, abseits der gebotenen Thematik Interessantes zu finden, das plötzlich einen gänzlich anderen Betrachtungskontext bietet. Finden sich doch auf allen drei ebenfalls bemalten Tafeln auf der Rückseite in den unteren linken Ecken Aufkleber der Staatlichen Gemäldesammlung mit Inventarnummern. Was einst Museumsbeamte mit Stolz erfüllte, durch eben diese Kennzeichnung Objekte einer bestimmten Sammlung sichtbar einzuverleiben, würde heute jedem Restaurator und jeder Restauratorin den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Und dennoch eröffnen diese, aus heutiger Sicht gesehen kulturhistorischen Fauxpas interessante Rückblicke auf den Umgang der Kunst vor rund 100 Jahren. Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert, in welchem die meisten uns heute bekannten Museen entstanden oder wesentlich ausgebaut wurden. Und tausende Menschen waren europaweit damit beschäftigt, Kunstwerke zu inventarisieren und katalogisieren. Dass sich die Art und Weise, wie dies geschieht, verändert hat, ist völlig klar. Es ist aber reizvoll, anhand eines so kleinen Beispieles die Entwicklung der Kulturgeschichte, wenn auch nur in einem ganz kleinen Ausschnitt, nachvollziehen zu können.

Das letzte Highlight, die Beweinung Christi von Matthias Grünewald, um 1525 geschaffen, konnte in seinen ursprünglichen Kontext wissenschaftlich eingestellt werden. Es wurde von Albrecht für das Heilige Grab in der Stiftskirche Aschaffenburg in Auftrag gegeben. Die eigenwillige, expressive Darstellung mit dem grün-grauen Inkarnat des toten Jesus besticht gerade auch durch den Ausschnitt, den der Künstler gewählt hat. Grünewald hat hier dasselbe Prinzip wie Cranach bei der Tafel mit dem Hl. Lazarus gewählt, indem er den unteren Teil der Arme, wahrscheinlich ist Maria Magdalene gemeint, so in das Bild setzt, als würden diese von der Realität in den fiktiven Bildraum greifen. Hier ein Teil einer Figur, dort ein Teil der Totenbahre – durch das imaginäre Herausragen in den Raum gelingt die Verschränkung mit dem Hier und Jetzt des jeweiligen Betrachters. So sind diese Bilder, obwohl ein halbes Jahrtausend alt, immer noch aktuell und werden es wohl auch noch lange Zeit bleiben. Was Halle verlor, gewann Aschaffenburg und hat über die Jahrhunderte wohl wissend ob des unschätzbaren Wertes, diesen auch gehütet. Den Generationen von Kulturschätze-gehütet-habenden Aschaffenburgern sei Dank!

So bleibt noch dem Aufsichtspersonal, angesichts der großen Besucherzahl, noch zu wünschen, dass es sich seine Freundlichkeit und Unaufdringlichkeit bewahrt. Tugenden im Museumsbetrieb, welche leider oftmals vermisst werden.

Infos: www.cranach-im-exil.de/

Michaela Preiner

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